von Thomas Heck...
Bei den meisten Nachrichten erkennt man eigentlich schnell die Seriösität und entlarvt FakeNews meist mit dem normalen Verstand. Manchmal stolpert man jedoch über eine Nachricht und muss kurz genauer recherchieren, so bei diesem Artikel der Süddeutschen, wo die Praxis in den USA, das Geschlecht anhand primärer Geschlechtsmerkmale zu bestimmen, verurteilt wird. Für eine Gesellschaft, die nicht immer weiß, auf welches Klo sie zu gehen hat, verständlich. Aber im Ernst. Was nehmen Sie denn, um das Geschlecht eines Menschen festzustellen? Etwa einen Ölstab?
Puritanische Vorurteile jenseits aller Wissenschaft
In den USA soll das Geschlecht eines Kindes bald anhand der Genitalien bestimmt werden. Das ist rückwärtsgewandt und vor allem unsinnig.
Kommentar von Werner Bartens
Klar, unsere Existenz wäre entschieden leichter, wenn es nur ja oder nein, schwarz oder weiß, richtig oder falsch gäbe. Doch diesen binären Gefallen tut uns das Leben selten; meist findet es in Zwischentönen, Graustufen und einem aufregend anstrengenden Sowohl-als-auch statt. Für Männer und Frauen trifft das allemal zu; miteinander sowieso - aber auch dafür, wie jeder mit sich zurechtkommt. Seine Identität zu finden, war noch nie ganz leicht.
Umso schlichter und rückwärtsgewandter mutet daher der Plan des US-Gesundheitsministeriums an, Menschen strikt nach Männlein und Weiblein zu sortieren - und zwar abhängig davon, mit welchen Genitalien er oder sie auf die Welt kommt; eventuell sollen genetische Tests weiterhelfen. In dem nun bekannt gewordenen Entwurf heißt es, diese Festlegung des Geschlechts auf der Geburtsurkunde sei "klar, objektiv und wissenschaftlich begründet". Das klingt entschlossen eindeutig, doch eine solche Zuschreibung des Geschlechts weist drei bemerkenswerte Mängel auf: Sie ist weder klar, noch objektiv - und erst recht nicht wissenschaftlich begründet. Sie spricht vielmehr der Wissenschaft der vergangenen Jahrzehnte Hohn.
Die Medizin weiß schon lange von Varianten der sexuellen Entwicklung, hormonellen Veränderungen, genetischen Dispositionen und anatomischen Zweideutigkeiten, die - rein biologisch - eine eindeutige Festlegung des Geschlechts als unzulässige Reduktion erscheinen lassen. Derartige medizinische Ambivalenzen kommen immerhin bei einem von 100 Menschen vor. Und die gesellschaftswissenschaftliche Debatte kennt seit Jahren die Unterscheidung von Sexus - dem nach Körpermerkmalen vorherrschenden Geschlecht - und Gender, womit die soziale Konstruktion des Geschlechts benannt wird.
Das klingt ein bisschen nach Tiefbauamt, meint aber das Erleben der eigenen sexuellen Identität und Orientierung aufgrund kulturell-gesellschaftlicher Prägungen. Basierend auf diesen Erkenntnissen raten mittlerweile viele Fachverbände der Kinderärzte, zunächst abzuwarten und Patienten dann entsprechend dem Geschlecht zu behandeln, das diese bevorzugen - unabhängig von äußerer Erscheinung oder Genprofil.
Wenn die Trump-Administration nun per amtlicher Verfügung bestimmen will, wer aus welchen Gründen Mann und wer Frau zu sein hat, fällt das hinter alle Standards der Wissenschaft zurück. Es offenbart vielmehr puritanische Vorurteile nach dem Motto: Kenn ich nicht, mag ich nicht, will ich nicht. Den reaktionären Vorstoß als Ergebnis wissenschaftlicher Analysen darzustellen, ist besonders dreist. Aus Ideologie wird keine Wissenschaft, auch wenn man sie so nennt - und Identität lässt sich nicht per Dekret verordnen.
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