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Wenn der Staat über die eigene Wohnung bestimmt
Der Berliner Senat will, dass Alleinstehende und junge Paare nur noch kleine Wohnungen mieten dürfen. Die Einmischung des Staates in die private Lebensgestaltung erinnert an die Wohnraumvergabe in der DDR.
Von Hubertus Knabe
Schlechte Zeiten für Singles und junge Paare in Berlin: Ab Beginn des neuen Jahres sollen sie bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen nur noch kleine Wohnungen mieten können. In einer Kooperationsvereinbarung mit dem Senat heißt es: „Ein angemessenes Verhältnis von Haushalts- und Wohnungsgröße wird bei der Neu- und Wiedervermietung sichergestellt, um den vorhandenen Wohnungsbestand bestmöglich zu nutzen.“
Wer als Single eine Wohnung sucht, in die später auch einmal die neue Freundin einziehen soll, kann sich diesen Plan künftig aus dem Kopf schlagen. Auch ein junges Paar, das vorsorglich eine Wohnung mit Kinderzimmer mieten will, hat schlechte Karten. Den Wohnungssuchenden bleibt nur, sich mit dem Sachbearbeiter der Wohnungsbaugesellschaft irgendwie gutzustellen, denn – „es wird immer eine konkrete Entscheidung im Einzelfall sein“, wie die Pressestelle der zuständigen Senatsverwaltung auf Anfrage mitteilt.
Die bereits im September getroffene Vereinbarung betrifft in Berlin Tausende von Wohnungssuchenden. Von den rund zwei Millionen Wohneinheiten in der Hauptstadt sind über 80 Prozent Mietwohnungen. Mit etwa 370.000 Wohnungen ist die Landesregierung der mit Abstand größte Vermieter. Zudem besteht die Hälfte aller Haushalte aus Singles – bei denen nun ein Sachbearbeiter entscheidet, welche Wohnungsgröße für sie „angemessen“ ist.
Wohnraumlenkung in der DDR
Ältere Ost-Berliner dürfte die Regelung an vergangene Zeiten erinnern. Zu DDR-Zeiten benötigte nämlich jeder Wohnungssuchende in der DDR eine sogenannte Wohnraumzuweisung. „Zur Gewährleistung des Grundrechts der Bürger auf Wohnraum,“ so schrieb es das Zivilgesetzbuch vor, „unterliegt der gesamte Wohnraum der staatlichen Lenkung.“ In der Praxis entschieden zumeist Mitarbeiter der Kommunalen Wohnungsverwaltungen (KWV), wer welche Wohnung bekommt – wenn man denn überhaupt eine erhielt.
Die Kriterien für die Vergabe legte die SED-Spitze fest. Anders als häufig angenommen, ging es dabei nicht in erster Linie um soziale Belange. Oberste Priorität hatte vielmehr die Wohnraumversorgung für Funktionäre. Wer bei der SED oder dem Staatssicherheitsdienst beschäftigt war, bekam in der Regel automatisch eine Wohnung zugewiesen. Allein in Ost-Berlin verfügte die Stasi über 10.000 Wohnungen und 250 Ein-und Zweifamilienhäuser. Über 3000 davon dienten für konspirative Treffen mit Informanten.
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An zweiter Stelle kamen ökonomische Überlegungen. Die Belegschaften großer Werke und andere dringend benötigte Arbeitskräfte wurden deshalb bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Dem diente vor allem die Gründung von Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften. 1989 gewährten diese 1,3 Millionen Haushalten ein Dach über dem Kopf. Der Haken bei der Sache war, dass man selber mit bauen und im dazugehörigen Betrieb beschäftigt sein musste. Ob und wann man eine Wohnung bekam, hing zudem unter anderem von der politischen Loyalität und den Arbeitsleistungen ab.
Erst danach kamen junge Eheleute und Familien an die Reihe. Sie genossen die besondere Aufmerksamkeit der SED, weil sich die Bevölkerungszahl der DDR durch Flucht und Ausreise massiv verringerte. Um die Geburtenrate zu verbessern, erhielten Jungvermählte nicht nur bevorzugt eine Wohnung, sondern – wie im Nationalsozialismus – auch einen zinslosen Ehekredit, den man „abkindern“ konnte. Das bedeutete: Mit jedem Kind verringerte sich der Schuldbetrag und nach der dritten Geburt wurde er ganz erlassen.
Leidtragende dieses Vergabesystems waren vor allem junge Alleinstehende. Diese hatten kaum eine Chance, eine der notorisch knappen Wohnungen zugesprochen zu bekommen. „Kommen Sie wieder, wenn sie verheiratet sind“, erhielten sie meistens zur Auskunft, und viele sahen keine andere Möglichkeit, als diesen Rat zu befolgen.
Prominentestes Beispiel dafür ist Angela Merkel. Mit 23 Jahren heiratete sie ihren ersten Mann, weil es, wie der einmal verriet, als Ehepaar leichter war, „zwei Arbeitsstellen und vor allem eine Wohnung an einem Ort zu bekommen.“ Meist hielten diese Ehen jedoch nicht lange, so dass die DDR eine der höchsten Scheidungsraten der Welt hatte. Auch die Merkels trennten sich bald wieder. Als die spätere Bundeskanzlerin aus der gemeinsamen Berliner Bleibe auszog, brach sie sogar eine leer stehende Wohnung auf, weil sie als Alleinstehende keine Chance hatte, eine zugewiesen zu bekommen.
Aber auch andere Bevölkerungsgruppen litten massiv unter dem staatlichen Vergabemonopol. Dass Rentner, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebten, eine bessere Wohnung zugewiesen erhielten, kam so gut wie nie vor. Auch Familien mit Kindern mussten oft jahrelang in zu kleinen oder sogar schimmelnden Wohnungen hausen, wovon zahllose Eingaben an Parteichef Erich Honecker zeugen. In den 1980er-Jahren betrug die durchschnittliche Wartezeit auf eine Wohnung vier bis sechs, im vorangegangenen Jahrzehnt sogar acht Jahre.
Staatliche Einheitsmieten und ihre Folgen
Die Ursache für diese Probleme war, ähnlich wie heute, ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Da die Altbauten mit der staatlich festgelegten Einheitsmiete von 90 Pfennigen pro Quadratmeter (bei Toilette im Treppenhaus und Kohleöfen sogar noch weniger) nicht zu erhalten waren, zerfielen sie von Jahr zu Jahr mehr. 1977 zählte das SED-Zentralkomitee bereits 1,2 Millionen „nicht mehr modernisierungswürdige“ Wohnungen, die größtenteils abgerissen wurden. Trotzdem galten 1989 40 Prozent der Mehrfamilienhäuser als schwer geschädigt und elf Prozent als unbewohnbar.
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Eine Auswertung von Eingaben aus Stralsund lässt die Verzweiflung vieler DDR-Bürger erahnen, die in solchen Wohnverhältnissen leben mussten. „Ich bewohne im 2. Stock eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Davon ist ein Zimmer baupolizeilich gesperrt, außerdem alle im Haus befindlichen Öfen“, schrieb zum Beispiel ein Schichtarbeiter an den Oberbürgermeister. „Für das Zimmer steht mir ein Dauerbrandofen zur Verfügung, da aber Tür und Fester verrottet und undicht sind, die Wände nass sind und der davor liegende Flur unter Wasser steht, ist es für mich überflüssig geworden, den Ofen und somit das Zimmer in irgendeiner Form nutzen zu wollen.“
Den Zerfall der Altbauten konnte auch Honeckers hochsubventioniertes Wohnungsbauprogramm nicht ausgleichen. Als Mitgift in die deutsche Einheit brachte die DDR deshalb fast 800.000 geprüfte Anträge auf umgehende Zuweisung einer Wohnung ein. Die Zahl der Wohnungssuchenden lag damit höher als zu Beginn der DDR.
Verantwortlich für diese Wohnungsnot war nicht nur der Mangel an Kapital, Bauarbeitern und Baustoffen aufgrund der ineffizienten Planwirtschaft. Auch das System der staatlichen Wohnungsvergabe erwies sich als verschwenderisch. Da niemand ein wirtschaftliches Interesse daran hatte, frei werdende Wohnungen so bald wie möglich wieder zu vermieten, betrug der Leerstand etwa zehn Prozent. Zugleich war jeder DDR-Bürger darauf bedacht, die einmal ergatterte Wohnung für immer zu behalten – auch wenn er sie gar nicht mehr brauchte.
Letzteres lässt sich in Berlin auch heute wieder beobachten. Wer irgendwann eine Mietwohnung bezogen hat, gibt diese nicht mehr auf, selbst wenn er längst woanders wohnt. Der Wohnungsmangel verstärkt sich dadurch noch mehr. Der Versuch des Berliner Senats, ihn durch strengere Vergabevorschriften zu lindern, dürfte ihn zusätzlich verschärfen. Die Bereitschaft vieler Politiker, immer ungehemmter in das Verfügungsrecht von Immobilienbesitzern einzugreifen, tut ihr Übriges, um potentielle Investoren zu verschrecken.
Dabei zeigt die Geschichte Ostdeutschlands auch, wie man den Wohnungsmangel in kurzer Zeit beseitigen kann. Nach der Wiedervereinigung gelang es nämlich innerhalb weniger Jahre, die Wohnungsnot zu beheben. Auch die Ausstattung der Wohnungen – 65 Prozent wurden zuletzt noch mit Kohleöfen beheizt, 24 Prozent hatten keine eigene Toilette – verbesserte sich damals schlagartig. Im ganzen Land wurden die verfallenen Innenstädte aufwändig restauriert.
All dies wurde durch ein ebenso einfaches wie wirksames Mittel erreicht. Statt neuer staatlicher Vorschriften zur Verwaltung des Mangels gewährte die Bundesregierung für Neubauten eine steuerliche Sonderabschreibung von 50 Prozent. Auf diese Weise wurde binnen Kurzem so viel privates Kapital mobilisiert, dass sich das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bald ins Gegenteil verkehrte. Was heute wie ein unwirklicher Traum erscheint, war damals Realität: Weil es zu viele Wohnungen gab, wurden Anfang der 2000er-Jahre in Berlin 4400 Wohnungen abgerissen.
Erschienen auf hubertus-knabe.de ...
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