Montag, 7. November 2022

Die Rückkehr der Wärmestuben

von Mirjam Lübke...

Es ist generell Misstrauen angebracht, wenn von der Politik der Appell ausgeht, die "Spaltung der Gesellschaft" müsse überwunden werden. Meist steckt dahinter die Forderung, alle Bürger mögen sich doch bitte hinter der Regierung versammeln. Allerdings hätte ich nicht gedacht, wie wörtlich der Aufruf gemeint war, die "Menschen müssten näher zusammenrücken". Was sich schon seit Beginn der Energiekrise angedeutet hat, nimmt nun konkrete Formen an: Die Einrichtung von Wärmehallen für jene, die sich im Winter das Heizen ihrer Wohnung nicht leisten können. In manchen Regionen - so etzählte eine Kollegin - heißen diese Unterkünfte beschönigend "Leuchttürme". Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es sich dabei um eine demütigende Notlösung für die Opfer der Energiewende handelt, die uns als Akt der Mildtätigkeit verkauft wird.
 


Das klingt für mich ungefähr so sozial, als würde man jemanden trotz regelmäßiger Mietzahlung aus der Wohnung werfen und ihm ein Campingzelt als Entschädigung anbieten. Für das der nun Obdachlose auch noch unterwürfig zu danken hat. Immerhin lässt man ihn nicht auf der Parkbank schlafen. Wenn verantwortliche Politiker mit fünfstelligen Gehältern sich so etwas ausdenken, ist das einfach nur noch zynisch. Es uns zusätzlich als großartige Idee anzupreisen, sollte den Planern eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben - zumal sie uns bislang voller Inbrunst erklärt haben, alle Sorgen hinsichtlich der Energiekrise seien absolut unberechtigt und lediglich populistische Propaganda. Sind die Bundesbürger tatsächlich zu dumm, um solche Widersprüche zu übersehen oder verdrängen sie die Realität, indem sie hoffen, ihnen selbst würde so etwas nicht zustoßen?
 
Über die verpatzte Energiewende und ihre Auswirkungen auf die Preisentwicklung ist viel geschrieben worden, ebenso darüber, dass in Deutschland offenbar für alles Geld da ist, nur nicht für die Bedürfnisse der eigenen Bürger nach ordentlichen Schulen, öffentlicher Sicherheit und einem menschenwürdigen Leben. Letzteres ist aber durch das Ausweichen auf Notunterkünfte ernsthaft bedroht: Man mag die Menschen so zwar am Erfrieren hindern, setzt sie aber der Erniedrigung aus. Die gesellschaftlichen Folgen wären fatal.
 
Nicht umsonst steht die Privatwohnung unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Sie soll ein sicherer Rückzugsort sein, an dem der Bürger seine Ruhe hat, sagen und denken kann, was er möchte und auch seinen Gewohnheiten nachgehen. Natürlich hat auch diese Freiheit Grenzen, dort wo die Freiheit der Mitbewohner oder die Bedürfnisse der Nachbarn beginnen. Aber jeder, der seine erste eigene Wohnung bezieht, kennt das entspannende Gefühl der Unabhängigkeit. Bisher ging man beim Schutz der Wohnung allerdings davon aus, dass der Staat nicht ohne gewichtigen Grund in sie eindringen darf. Das er Bürger aus ihr herausholt, stand bislang nicht auf der Agenda, schon gar nicht, weil es ihnen nicht mehr möglich ist, die Bewohnbarkeit der eigenen vier Wände aufrecht zu erhalten. Selbstverständlich liegt kein direkter Zwang vor, der ergibt sich aus der Not heraus. Aber das Ergebnis ist letztlich dasselbe.

Selbst "echte" Obdachlose überlegen es sich gut, ob sie sich einer Sammelunterkunft anvertrauen oder nicht. Man weiß schließlich nicht, mit wem man dort zusammentreffen wird, ob derjenige ehrlich ist oder man am nächsten Morgen ohne seine bescheidenen Habseligkeiten dasteht. Es sind oft scheinbare Kleinigkeiten, die einem den Aufenthalt in fremder Gesellschaft vermeiden, das merkt man schon, wenn man als Kassenpatient mal ein paar Tage ins Krankenhaus muss. In der Regel liegt man mit zwei anderen Patienten auf einem Zimmer, die entweder schnarchen oder eine andere Vorstellung von Körperhygiene haben als man selbst.
 
Im Notfall kann man sein Unbehagen ein paar Tage unterdrücken, während man die Entlassung herbeisehnt. Was wäre aber, wenn Menschen während eines harten Winters wochenlang in einer Wärmehalle ausharren müssten? Sich ein paar wenige sanitäre Anlagen teilen, deren Zustand nach ein paar Tagen ich mir nicht ausmalen mag? Besonders für ältere Menschen, der "Hauptzielgruppe" der Notunterkünfte, ist es schwierig, sich in einer ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. Sie müssen sich eventuell auch von ihrem Haustier trennen und auch die Betreuung durch häusliche Pflegedienste dürfte schwierig werden.
 
Erfahrungsgemäß werden Menschen in Sammelunterkünften durch den Lärmpegel und die Enge zudem schneller aggressiv werden. Da unterscheiden wir uns nicht von unseren tierischen Verwandten, deren nicht-artgerechte Unterbringung in den Medien zurecht immer wieder Thema ist. "Massenmensch-Haltung" führt allerdings zu ähnlichen Effekten, unsere Spezies ist zwar grundsätzlich gesellig, aber nur zu bestimmten Anlässen. Innerhalb der Notunterkünfte dürfte sich also bald eine Hackordnung herausbilden, die gerade den Schwächsten den Aufenthalt zu Hölle macht. So etwas ist gewiss für niemanden eine Hilfe.

Ist es nicht schon demütigend genug, dass in Deutschland aufgrund hausgemachter Probleme immer mehr Bürger auf die Tafeln angewiesen sind? Durch die Sparmaßnahmen sollen wir jetzt auch noch zu "Trockenmietern" werden, das waren vor etwa hundert Jahren die bedauernswerten Menschen, die in noch feuchte Neubauten einzogen, bis man die "richtigen", zahlenden Mieter hineinließ. Gesund war das nicht. Schlimmstenfalls sollen wir unsere Wohnung ganz aufgeben. Liebe Sozialdemokraten, habt ihr vergessen, wo eure Anfänge lagen? Durch solche Zumutungen beendet man gesellschaftliche Spannungen sicher nicht.




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