Sonntag, 6. November 2022

Ein Tag im Leben der Annalena B.

von Claudio Casula...

„Ich will die Krisen dieser Welt lösen“, hatte sie einmal der WELT gesagt. Am besten den Nahen Osten für immer befrieden, zehn Millionen Ukrainer retten und Putins Kapitulationserklärung entgegennehmen. Fragte sich nur, was sie dann den Rest der Woche machen sollte.


Die Sonne ging auf über Mogadischu. Irgendwo in der Ferne heulte ein Schakal. Annalena wachte auf, bevor der Wecker piepen konnte, gähnte und machte sich schnurstracks auf den Weg ins Bad. Somalia. Sie hatte sich schon gefragt, warum ein Land nach Weinkellnern benannt wurde. Die tranken hier doch nicht mal was! Aber so lernte sie dazu, jeden Tag, seit sie die Leitung des Auswärtigen Amtes übernommen hatte. Sie besuchte aller Herrinnen Länder, sagte großzügig deutsche Hilfsgelder zu, wo immer sie aus dem Flugzeug stieg. Nur einmal hatte Christian sie etwas verärgert gefragt, ob es „noch gehe“, weil sie Dubai, Katar und Abu Dhabi jeweils eine Milliarde Dollar versprechen wollte. Gerade noch mal gutgegangen.

Ich lerne halt noch, dachte Annalena. Training on the Job, gewissermaßen. Wie auch immer, ihre Beliebtheitswerte waren gigantisch. Während Robbi sich das Wirtschaftsministerium ans Bein gebunden hatte und nun bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße steckte. Gut, dass der Knilch, äh, Kelch an mir vorbeigegangen ist, murmelte Annalena vor sich hin. Da war es wieder, ihr verdammtes Problem. Die Salben, nein, Silben, sie vertauschte sie immer wieder, die Zunge war jedesmal schneller als der Gyros, äh, Gyrus temporalis superior, der Aufbau der Wörter mit Vor- und Nachsilben ergab immer wieder Kraut und Rüben, sie war sozusagen antisemantisch unterwegs. „Fressefreiheit“, „Polen und Molen“, „Ostkokaine“, „gefanserte Parzeuge“ und hundert andere unfreiwillige Neologismen waren ihr bereits unterlaufen, oje, oje. Diese Astlöcher im Internat lauerten natürlich nur auf ihre sprachlichen Aussätzi-, na, Aussetzer und schnitten die Verhaspler immer wieder genießvoll im Video zusammen, um sich daran zu ergatzen.

Ganz ruhig, Annalena. Die Ministerin holte einmal tief Luft. So, jetzt ging es wieder. Nach der Morgentoilette inspizierte sie den Kleiderschrank. Modetechnisch war sie so trittsicher wie auf dem duplomatischen Baguette, die Presse war ganz hin und weg von ihren Outfits. Tja, sie lief eben nicht herum wie der Trampel aus der Uckermark mit den ausgebeulten Beinkleidern, den bunten Sakkos und den abgelatschten Flachtretern. Heute kam wohl ein farbenfrohes Kleid infrage, knielang, die Süddeutsche würde begeistert sein von ihrem Auftritt. Annalena ging den Terminkalender durch: Nach dem Frohsteck Treffen mit dem Primarminister, Besuch eines UN-Kindergärtens und eines Frauenprojektils, das war sie der von ihr propagierten feministischen Außenpolilitik schuldig!
Rechtspopolisten und Putenknechte

Von wegen „Trampolina“! Sie, Annalena Charlotte Alma, hatte es zur ersten deutschen Außenministerin gebracht, Patzer hin oder her. Grundlasthuhn war gestern, Kobold vorgestern, „Das Netz ist der Speicher“ so lange her, schon gar nicht mehr wahr. Der mehrmals frisierte Lebenslauf und ein paar andere Fehlerchen hatten sie trotz des medialen Grückenwinds die Kanzlerschaft gekostet, aber in Olafs Haut wollte sie jetzt eh nicht stecken. Dann war da noch die Sache mit den Plagiaten, ihr Buch hatte sie vom Markt zurückziehen müssen. Peinlich war das gewesen. Aber jetzt so gut wie vergessen, der Wikipedia-Eintrag war da sehr wohlwollend. In ihrem Ressort lief es überraschend gut, sie kam ganz schön herum in der Welt. In Australien hatte sie sogar mal einen Tasmanischen Täufling in freier Wildbahn gesehen.

Fauxpas waren ihr bisher nur wenige unterlaufen. Mit Schaudern dachte Annalena an den Besuch in diesem feinen Restaurant in Damaskus, als sie beim Somalier ganz arglos nach einem Golan-Wein gefragt hatte. Wenn Blicke töten könnten... Aber sonst hatte sie alles ganz gut im Griff. Dass die Rechtspopolisten und Putenknechte ihr eine bellizistische Außenpolitik vorwarfen, damit konnte sie leben. Pazifismus war auch nicht mehr, was er mal war, damals, als das Schewegewara-Poster noch in ihrem Zimmer hing.

Sie musste nur aufpassen, sich noch besser vorbereiten. Da war die Sache mit dem Meeresspiegelanstieg, den sie mal auf sieben Meter bis zum Jahr 2100 vorausgesagt hatte. Gut, das war leicht übertrieben. Vor der Abreise nach Palau hatte sie dann gesagt, der Meeresspiegel drohe die Inseln zu verschlucken, später aber bei Wikipedia gelesen, dass die Riffe dort nach Absinken des Meeresspargels durch Eiszeiten sowie furtgesetzte Kontinenzalbewegungen in den letzten 4.000 Jahren um etwa zwei Meter angehoben worden waren. Egal, ein bisschen Alarmismus geht immer, dachte Annalena auf dem Weg zum Premier.

Psychosomalische Kopfschmerzen

Danach telefonierte sie mit Daniel und den Kindern. Sie sah sie nur noch selten, seit sie permanent um den Globus tingelte. Dabei hatte sie doch nach Verkündung ihrer Kanzlerkandidatur erzählt, dann werde sie eben manchmal nicht erreichbar sein, weil sie nun mal auch Mutter sei. Und jetzt war sie kaum zu Hause. Was soll’s, das nahm man ihr in ihren Kreisen nicht krumm. Annalena rieb sich die Stirn. Wieder diese Kopfschmerzen. Sicher psychosomalisch, dachte die grüne Spitzenfrau. Sie musste mal gucken, was sie den Kindern von dieser Reise mitbringen konnte. Ein Shoppingparadies war das hier ja nicht gerade. Vielleicht hatten die Frauen in diesem Projekt ja einen Tipp für sie. Aber die schienen hier sowieso ganz andere Probleme zu haben, Klimawindel und so, Dürre, Hunger.

„Ich will die Krisen dieser Welt lösen“, hatte sie einmal der WELT gesagt. Am besten den Nahen Osten für immer befrieden, zehn Millionen Ukrainer retten und Putins Kapitulationserklärung entgegennehmen. Fragte sich nur, was sie dann den Rest der Woche machen sollte. Sie traute sich richtig was zu, wollte kotzen, nicht keckern. Wozu war sie denn sonst aus dem Völkerrecht gekommen? Ebend! Sie wollte wirklich etwas verenden. Gemeinsum mit ihren Schwestern im Geiste, die sie im Ministerium untergebracht hatte, dank Absenkung der Test-Standards. Sie hatte die entsprechenden Anforderungsprofile für die ausgeschriebenen Positionen anpassen lassen, der fiese Allgemeinwissenstest und der Psychotest entfielen nunmehr. Wissen ist Macht. Wir wissen nichts. Macht nichts. Mit diesem Spruch war sie aufgewachsen, das war ihr Credo, seit sie beschlossen hatte, Politikerin zu werden. Sollte Robert doch seine Fünfjahrespläne machen, sie würde weiter das ganz große Rad drehen.

Noch heute Abend würde es weitergehen nach Dschibuti, wieder so ein Land, wo man üppige Hilfsgelder verschenken konnte. Das Füllhorn flog immer im Gepäckraum mit, wenn Annalena unterwegs war. In solchen Ländern gab es keinen Stress wie in Russland, sie musste nur zuhören, Interesse zeigen, ein paar Milliönchen offerieren und schon konnte sie sich über lauter Artikel freuen, die sie abfeierten wie Lady Diana. Das war ein Leben! Alles richtig gemacht, dachte Annalena.

Vor der Fahrt zum Airport genehmigte sie sich in Hochstimmung ein Piccolöchen aus der Minibar. Sie lächelte und hob das Glas. Cheers, Robert! Du arme Sau.






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