von Thomas Heck...
Die gestrige "Hart aber Fair"-Sendung hätte eigentlich die Mischung gehabt, die man sich in der derzeitigen Medienlandschaft eher öfter wünschen würde: Unterschiedliche Meinungen, Diskurs anstatt den üblichen regierungskonformen Einheitsbrei. Doch die Realität ist dann doch wieder nur die übliche übelriechende weil ideologische Melange, die in ihrer populistischen Militanz brandgefährlich ist. Ich weiß dabei nicht, was ich mehr verachten soll.
Auf der einen Seite eine der Stellvertreter Putins in Deutschland, die Linke Sahra Wagenknecht, die man in ihrer ideologischen Verbohrtheit überhaupt nicht mehr ertragen kann, der man aber auch den Mund nicht wirklich verbieten kann, solange keine russischen Truppen kurz vor Berlin stehen. Bei ihr weiß man allerdings, es gibt auch Ossi, die die Mauer wiederhaben wollen. Und zwar 3 Meter höher. Auf der anderen Seite Politiker, die in ihrer nationalen Besoffenheit zugunsten der Ukraine eine Tatkraft an den Tag legen, die ihnen angesichts einer deutschen Flagge niemals in den Sinn gekommen wäre, die in ihrer gesamten politischen Laufbahn Bundeswehr und NATO abgelehnt hatten und heute plötzlich zu Militärexperten bis hin zum Militaristen mutieren. Am Ende die übliche Erkenntnis, dass man sich diese Sendung auch hätte ersparen können.
„Hart aber fair“ führt die Irrtümer der Linken Sahra Wagenknecht gnadenlos vor Augen. Doch das kümmert sie nicht. Herfried Münkler findet das „Manifest“ von ihr und Alice Schwarzer zum Ukrainekrieg „gewissenlos“. So ging es rund.
Geirrt hatten sich vor einem Jahr viele, doch es ist schon frappierend, Sahra Wagenknecht bei „Hart aber fair“ zu erleben, diese Mischung aus Pikiertheit und scheinbar genauer Argumentation, um sie dann mit genau derselben Miene einer zu Unrecht Angefeindeten Folgendes sagen zu hören, in einem Einspieler der Talkshow „Anne Will“ vom 20. Februar vorigen Jahres, vier Tage vor Putins Überfall auf die Ukraine: Russland habe „faktisch kein Interesse“ an einem Einmarsch in die Ukraine und weiter: „Wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird, nämlich ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Denn wäre es tatsächlich so, dann wäre wahrscheinlich Diplomatie hoffnungslos verloren, und ich möchte mir eigentlich nicht ausmalen, wie lange Europa noch bewohnbar wäre.“
Selbsttäuschung einer Berauschten
Wie gesagt, geirrt hatten sich damals viele, aber diese komplette Fehleinschätzung, so selbstbewusst vorgetragen wie alles, was Wagenknecht vorträgt, ihr völliges Falschliegen bei „Anne Will“, bestimmt unentrinnbar ihre Wahrnehmung im weiteren Verlauf von „Hart aber fair“, wo unter der Überschrift „Frieden mit Putins Russland: Eine Illusion?“ noch einmal politisches Illusionstheater geboten wurde. Der Eyeopener gleich zu Beginn: Wagenknechts Stimme ist ja dieselbe, mit der sie vor einem Jahr sich so verhauen hatte! Mit diesem Tonfall einer zu Unrecht Angefeindeten! Mit diesem Gestus einer Geschundenen, die sich was traut!
Stimme und Gestus halten nun nicht mehr, was sie versprechen, mit „Anne Will“ im Ohr erscheinen sie wie Makulatur, wie Selbsttäuschungen einer Berauschten. Was natürlich wiederum eine Täuschung des Publikums ist, denn, erstens, irren ist menschlich, und Wagenknecht redet – zweitens – zu intelligent, als nun sämtliche ihrer Worte in den Wind eines ein Jahr alten Zitats zu schlagen, das, noch einmal, so ähnlich seinerzeit von vielen Leuten zu hören war.
Aber warum nun, nachdem sich Putins Bild des Grenzen verschiebenden Neoimperialisten bestätigt hat, die ganze Hoffnung auf sofortige Verhandlungen setzen, wo Diplomatie für Wagenknecht bei diesem Putin-Bild doch erst hoffnungslos verloren galt? Darauf, auf diesen ihren Selbstwiderspruch, geht die „Noch“-Linke, wie sie sich selbst beschreibt, lieber gar nicht erst ein.
Münkler: Ein „gewissenloses Manifest“
Ein ebenbürtiger Gegner wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler dekonstruierte bei „Hart aber fair“ das Gespinst der Wagenknecht dann doch auch ohne jede Bezugnahme auf eine vorab von „Anne Will“ gelenkte Wahrnehmung. Münkler nahm zum täglichen Talkshow-Thema „Alle wollen Frieden, bloß wie?“ noch einmal den Akzent auf, den er im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesetzt hatte, wo er den Aufruf von Wagenknecht und Alice Schwarzer als ein „gewissenloses Manifest“ disqualifizierte: „Die Vorstellung, man könne Frieden herstellen, indem man ,Frieden!' ruft, ist mir zuwider. Dieses Manifest, und das nehme ich Schwarzer und Wagenknecht besonders übel, desavouiert die gesamte Idee des Pazifismus. Wer das Wort Frieden nicht bloß für eine beliebige Wünsch-dir-was-Vokabel hält, muss dem mit Entschiedenheit entgegentreten.“
Auch wenn Münklers Schwerpunkte Politische Theorie und Ideengeschichte ihn etwas theorie- und ideenverliebt erscheinen ließen, so als habe er mit einer handhabbaren Typologie der Kriege den Masterplan zum Frieden in der Tasche – also trotz dieser gewissen Seminarseligkeit, die Münkler verströmt –, traf sein Spott während der Sendung dann doch mitten ins Herz der Wagenknecht-Versteher, als er meinte, es reiche nicht, „mit Füßchen“ aufzutreten und zu sagen: „Ich will aber, dass Frieden herrscht.“ Vielmehr müsse man, den aufs Ganze gehenden Putin vor Augen, „die ukrainische Armee befähigen, den Russen deutlich zu machen auf dem Schlachtfeld, dass sie ihre Kriegsziele nicht erreichen können oder dass sie einen Preis dafür bezahlen müssen, der höher ist, als sie ihn bezahlen können.“
„Den Frieden gemeinsam erkämpfen“
Der zugeschaltete Sergij Osatschuk, Oberstleutnant der ukrainischen Armee, brachte diese Friedensoption auf die Formel „den Frieden gemeinsam erkämpfen und bekommen“. Sie hob sich von der österlichen Metaphersprache des Publizisten Heribert Prantl ab, dem auf der Linie von Münklers im „Spiegel“ geäußerten Programmsatz „Man muss einen Krieg gedanklich erfassen, um ihn beenden zu können“ folgendes Bild einfiel: „Der Friede ist ein ungelegtes Ei, aber man kann das Nest bereiten, in dem das Ei gelegt werden soll.“
Die unbewegte Miene der wettererprobten Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP war erkennbar keine der Ergriffenheit, sondern eher eine solche der Entschlossenheit, auch diese Wunschpoetik der ungelegten Eier an sich vorüberziehen zu lassen, zumal Prantl, der Dichterkappe ledig, durchaus eine waffenliefernde Bereitschaft zu erkennen gab, die Strack-Zimmermann wiederum Gnade walten ließ gegenüber Prantls nächster, mit Wagenknecht anbändelnder Aufreizung: „Ich denke und hoffe inständig, dass man Verhandlungsbereitschaft auch herbeiverhandeln kann.“ Da war er Willy Brandts bedeutungsschwer intonierten Satz schon losgeworden: „Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts.“
Um keine blumigen Missverständnisse aufkommen zu lassen, stellte Münkler klar, dass jedes Hantieren im Ungefähren (pauschale Vorschläge wie „Land gegen Frieden“) dem reinen Herzen mehr als dem klaren Verstand entspringe. Damit spielte er abermals auf sein Denkstück im „Spiegel“ zum Thema „Wie denke ich den Krieg?“ an, wo es heißt: „Die Formel vom ,Nichtseinsollen des Krieges' (Habermas) bleibt kraftlos, wenn es keinen gibt, der das Nichtseinsollen durchzusetzen bereit und in der Lage ist.“ Wer nur auf den Frieden schaue, begreife nichts und vor allem: bewirke nichts.
Das Patentrezeptartige, das von Münklers kühler Analytik ausgeht, ist der etwas falsche Ton, der seine Ausführungen über Leben und Tod auf dem Schlachtfeld begleitet. Wer hätte Strack-Zimmermann zugetraut, bei „Hart aber fair“ die Berliner Demonstration mit Wagenknecht und Schwarzer dann doch „richtig und wichtig“ zu finden? Denn in Russland bleibe so eine Demonstration bis auf Weiteres ein Traum.