von Thomas Heck...
Darf in einem Rechtsstaat ein Nachrichtenmedium mit konspirativen Methoden Bürger abhören, belauschen, heimlich fotographieren und Gespräche aus einem privaten Umfeld veröffentlichen? Dürfen Journalisten das oder gilt nicht für jeden Bürger der Grundsatz, dass privat bleiben muss, was privat gesagt wird? Ist es in diesem Staat schon wieder soweit, dass man sich erst umschauen muss, bevor man sich zu bestimmten politischen Themen zu äußern wagt? Dass man befürchten muss, auch im privaten Umfeld belauscht und ausspioniert zu werden? Ich persönlich neige eigentlich nicht zu Paranoia, überlege mir aber dieser Tage genau, was ich noch am Telefon sage und was besser nicht. Eine fatale Entwicklung, beweist es doch, dass ich zu diesem Staat, dem ich mein Leben lang als Soldat gedient hatte, nicht mehr über den Weg traue.
Laut einer Recherche von „Correctiv“ sollen Rechte bei einem „Geheimtreffen“ die „Remigration“ deutscher Staatsbürger geplant haben. Gegen den Artikel gibt es inzwischen zwei Klagen und eine Strafanzeige. WELT erklärt, worum gestritten wird.
Hat Rechtsextremist Martin Sellner bei einem „Geheimtreffen“ mit AfD- und CDU-Politikern die „Remigration“ deutscher Staatsbürger geplant?
Einen Monat nach ihrem Erscheinen wird über die Investigativ-Recherche der Plattform „Correctiv“ noch immer kontrovers diskutiert: Haben im Potsdamer „Landhaus Adlon“ wirklich Mitglieder von AfD, CDU und andere radikale Rechte einen „Masterplan“ zur „Remigration nicht-assimilierter deutscher Staatsbürger“ entwickelt? Woher wussten die Journalisten von „Correctiv“, was in diesem privaten Kreis besprochen wurde – haben sie das „Geheimtreffen“ etwa abgehört? Und wenn ja, ist so etwas legal?
Diese Fragen müssen nun die Ermittlungsbehörden und die Gerichte klären. Eine Teilnehmerin des Treffens hat Strafanzeige gegen die „Correctiv“-Journalisten gestellt, zwei weitere in dem „Correctiv“-Artikel genannte Personen haben Klage gegen die Berichterstattung eingereicht. WELT hat mit beiden Seiten gesprochen und kennt ihre Argumente sowie den aktuellen Verfahrensstand.
Die juristische Auseinandersetzung um die „Correctiv“-Recherche spielt sich auf zwei verschiedenen Ebenen ab: der des Strafrechts und der des Presserechts. Am 15. Januar hat die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy Strafanzeige und Strafantrag gestellt. Das fünfseitige Dokument liegt WELT vor. Die Anzeige richtet sich gegen Unbekannt und alle Personen, die im „Correctiv“-Artikel als das „Team hinter der Recherche“ bezeichnet wurden.
Haben sich die „Correctiv“-Journalisten strafbar gemacht?
Aus Sicht von Huy beruhen „die gesamten, inhaltlich teilweise auch unzutreffenden Wortwiedergaben und Informationen des Berichts ausschließlich auf strafbaren Handlungen der Correctiv-Mitarbeiter“. Sie wirft ihnen vor, „im besonderen Maße mit gemeinschaftlich begangener, hoher krimineller Energie“ gehandelt zu haben und dass die Journalisten ihr und den anderen Teilnehmern des Treffens Schaden zufügen wollten.
Obwohl „Correctiv“ laut Huy also auch inhaltlich falsch berichtet haben soll, kommt der Straftatbestand der Verleumdung in ihrer Anzeige nicht vor. Stattdessen nennt die AfD-Abgeordnete vor allem Paragraf 201 Strafgesetzbuch (StGB). Demnach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, „wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht“.
Huy argumentiert unter Verweis auf einen juristischen Kommentar und eine Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung, dass heimliches Abhören auch nicht mit der Pressefreiheit gerechtfertigt werden könne. Doch hat es überhaupt irgendeine Aufnahme gegeben? Das Medienportal „Nius“ schrieb am 14. Januar, ihm gegenüber hätte „Correctiv“ verneint, „die Veranstaltung aufgezeichnet zu haben, beispielsweise mit einem Richtmikrofon“.
„Das ist natürlich alles Unfug“
„Correctiv“-Anwalt Thorsten Feldmann erklärt im Gespräch mit WELT, die „Correctiv“-Redaktion kenne die Anzeige von Huy bislang bloß aus den Medien, sehe den Ermittlungen aber „völlig gelassen“ entgegen. „Derartige Dinge haben wir erwartet und im Vorfeld natürlich geprüft. Die Vorwürfe wegen angeblich unsauberer Recherche dienen nur dazu, Correctiv zu diskreditieren. Es wurde sogar fabuliert, die Geheimdienste hätten das Treffen abgehört und Correctiv eine Aufnahme zur journalistischen Verwertung zur Verfügung gestellt. Das ist natürlich alles Unfug“, so Feldmann.
Huy beklagt in ihrer Anzeige auch einen Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild, weil im „Correctiv“-Artikel ein von ihr nicht autorisiertes Foto einer „Geheimkamera“ abgebildet ist. Dagegen trägt Feldmann vor, die von „Correctiv“ gemachten Fotos würden ein „zeitgeschichtliches Ereignis“ zeigen und dürften daher nach dem Kunsturhebergesetz auch ohne Einwilligung der dargestellten Personen verbreitet werden.
Ebenso wenig komme laut Feldmann eine Strafbarkeit nach Paragraf 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen) in Betracht, da die Fotos die Teilnehmer des Treffens nicht in ihrer Intimsphäre verletzen oder sie herabwürdigen würden. Auf Anfrage von WELT teilte die Staatsanwaltschaft Potsdam zu Huys Anzeige mit, es werde derzeit geprüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, was Voraussetzung für die Aufnahme von Ermittlungen sei.
Anwalt: „Spießrutenlauf“ für Teilnehmer des Treffens
Parallel dazu wird um den Inhalt des „Correctiv“-Artikels vom 10. Januar gekämpft. Rechtsanwalt Carsten Brennecke hat der „Correctiv“-Redaktion zwei Abmahnungsschreiben geschickt. Einmal vertritt der Jurist einen Unternehmer, der im „Correctiv“-Text als Spender genannt wird. „Correctiv“ soll klarstellen, dass Brenneckes Mandant nicht an dem Potsdamer Treffen teilgenommen hat und „nicht etwa – wie von Correctiv suggeriert – an Sellner oder die Identitäre Bewegung gespendet hat, sondern für eine Wahlprüfungsbeschwerde“. Ganz grundsätzlich gehe es auch darum, ob er überhaupt namentlich in dem Text genannt hätte werden dürfen, wo er doch auch während der Veranstaltung nur am Rande erwähnt wurde.
„Alle von Correctiv namentlich identifizierten Teilnehmer des Treffens sind seit der Veröffentlichung des Artikels nämlich einem Spießrutenlauf mit schweren Folgen für ihr Privat- und Berufsleben ausgesetzt“, erklärt Brennecke im Telefonat mit WELT. Die Konfrontation mit den Vorwürfen habe Correctiv seinem Mandanten auch nicht etwa an seine Privat-Mailadresse, sondern an den Firmenverteiler geschickt.
Feldmann stellt sich dagegen auf den Standpunkt, dass der Unternehmer aufgrund seiner Vergangenheit so relevant sei, dass „Correctiv“ ihn namentlich erwähnen durfte. Weil „Correctiv“ die Passage nicht abändern wollte, hat Brennecke einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen „Correctiv“ beim Landgericht Hamburg gestellt – er rechnet mit einer Entscheidung spätestens Anfang nächster Woche.
Staatsrechtler fühlt sich falsch dargestellt
Brenneckes anderer Mandant ist der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, der auf dem Potsdamer Treffen einen kritischen Vortrag über das Briefwahlrecht gehalten hat. Über ihn schrieb „Correctiv“ im Artikel: „Der Verfassungsrechtler spricht über Briefwahlen, es geht um Prozesse, um das Wahlgeheimnis, um seine Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten.“ Vosgerau wehrt sich gegen die „Unterstellung, er habe pauschal türkischen Migrantinnen die Fähigkeit zur Bildung einer unabhängigen politischen Meinung abgesprochen“.
Laut Brennecke habe Vosgerau in seinem Vortrag kritisiert, dass es bei der Briefwahl – im Gegensatz zur geheimen Stimmabgabe im Wahllokal – zu unkontrollierbaren Zwangssituationen bei der Stimmabgabe kommen könne und die von ihrem Vater oder Bruder bedrohten türkischen Migrantinnen als „ein Beispiel“ genannt. „Correctiv“ habe diesen Kontext einfach weggelassen – das wiege besonders schwer, da der Leser von „Correctiv“ schon an anderer Stelle den Eindruck vermittelt bekommen habe, alle Teilnehmer des Treffens wären Rassisten.
Schließlich stelle „Correctiv“ in dem Artikel zwei große Vorwürfe auf, so Brennecke: „Erstens, dass über die Zwangsausweisung deutscher Staatsbürger beraten worden sei und zweitens, dass man diese nach rassistischen Kriterien wie der Hautfarbe oder der Herkunft der Betroffenen durchführen wollte.“ Mit dem Vorwurf, auf dem Treffen sei eine Ausweisung nach rassistischem Kriterien besprochen worden, habe die Redaktion Brenneckes Mandanten aber nie konfrontiert. „Sonst hätten sie dem auch entschieden widersprochen. Stattdessen wurde der Eindruck erweckt, als hätten die Teilnehmer diese angeblichen Pläne widerspruchslos zur Kenntnis genommen oder unterstützt.“
Nur Nebensächlichkeiten bisher angegriffen?
In dem Artikel heißt es auch: „An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag“ will Vosgerau sich nicht erinnern können. Dabei habe Vosgerau, so Brennecke, den „Correctiv“-Journalisten geschrieben, als sie ihn mit den Ergebnissen ihrer Recherche vor Veröffentlichung konfrontiert haben, er habe „generell“ nicht gehört, dass bei dem Treffen über die „Remigration“ deutscher Staatsbürger gesprochen worden wäre, und sowas sei rechtlich auch gar nicht möglich.
„Wenn Correctiv so viel Wert darauf legt, in dem Artikel Herrn Vosgerau als ‚Juristen‘ und ‚Verfassungsrechtler‘ zu bezeichnen, dürfen sie seine rechtliche Einschätzung zum zentralen Vorwurf nicht einfach unterschlagen“, findet Brennecke. Auch diese Sache ist nun seit Freitag vor Gericht.
Was ist nun von den beiden Klagen zu halten? „Der Kern der Berichterstattung“ sei auf juristischem Wege bisher nicht angegriffen worden, fasst Feldmann zusammen, „sondern wenige nebensächliche Formulierungen und die angeblichen Recherche-Methoden“.
Das liege daran, dass der Artikel von „Correctiv“ so geschrieben sei, dass er viele Wertungen enthalte, die man äußerungsrechtlich nicht angreifen könne, und kaum Tatsachenbehauptungen, hält Brennecke dagegen. Das betreffe insbesondere die Aussage, man habe auf dem Treffen über die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gesprochen. „Correctiv hat es geschickt vermieden, das als Tatsachenbehauptung zu berichten. Das ist der einzige Grund, wieso meine Mandanten nur gegen einzelne niederschwellige Passagen und nicht gegen die zentralen Vorwürfe vorgehen.“
Eidesstattliche Versicherungen sollen Klarheit schaffen
Um der „Legendenbildung“ entgegenzutreten, habe Brennecke trotzdem vor Gericht auch dazu vorgetragen. Seinem Antrag für Vosgerau hat er nach eigener Aussage eidesstattliche Versicherungen von sieben Teilnehmern beigefügt, in denen sehr detailliert aufgeführt werde, was auf dem Treffen gesagt wurde und was nicht. „So schildern die Teilnehmer in dem Wissen, dass sie sich bei einer Falschaussage strafbar machen würden, dass Sellner zwar in seinem Vortrag gefordert hat, dass ausreisepflichtige Asylanten und Ausländer schneller abgeschoben werden sollten, dass es dabei aber nie um deutsche Staatsangehörige oder rassistische Kriterien gegangen sei.“
Auf die Rückfrage einer Unternehmerin zu vormaligen Ausländern mit deutschem Pass habe Sellner keine Abschiebung für möglich gehalten oder gefordert. Wenn sie beispielsweise in Bezug zu Islamismus oder Clan-Kriminalität auffällig werden würden, habe Sellner gesagt, bestünde nur die Möglichkeit, dass der deutsche Rechtsstaat mit den bestehenden rechtlichen Mitteln entschieden gegen Straftaten vorgehe, sodass sie sich entweder wieder rechtmäßig verhalten oder freiwillig dorthin auswandern würden, wo es laschere Regeln gebe. Der zentrale Vorwurf des Correctiv-Berichts, „der momentan die Menschen auf die Straße treibt“, werde durch die eidesstattlichen Versicherungen als falsch zurückgewiesen, behauptet Brennecke.
Spannend wird nun, ob und wie „Correctiv“ zu den eidesstattlichen Versicherungen Stellung nehmen wird. In ihren „Fragen und Antworten“ zur Recherche schreibt die Redaktion: „Wir haben sehr zuverlässige Quellen und daher überhaupt keinen Zweifel daran, dass unsere Darstellung dessen stimmt, was bei dem Treffen gesagt wurde.“ Über die Quellen könne man allerdings keine Auskunft geben, um diese nicht in Gefahr zu bringen. Angesichts der breiten Wellen, die die Recherche geschlagen hat, ist davon auszugehen, dass beide Seiten den Instanzenzug vollständig ausschöpfen werden. Der juristische Streit um die „Correctiv“-Recherche hat also gerade erst begonnen.