Einige Leser haben mich gebeten herunterzubrechen, was da in Korea los ist. Ich weiß zwar nicht, wie ich zum Erklärbär für jeden Unfug auf der Welt geworden bin, aber ich kann ja auch nicht nein sagen. Auf geht’s.
Ich werde einfachheitshalber Südkorea nur als „Korea“ bezeichnen. Die offizielle Bezeichnung ist „Republik Korea“. Staatskrise, Antikorruptionsbehörde, Präsident soll verhaftet werden, Militär verhindert das… das klingt alles sehr dramatisch. Und verwirrend. Grund für die Verwirrung sind wahrscheinlich zwei Faktoren: Zum einen eine missverständliche bzw. nicht erklärte Übersetzung und zum zweiten ein anderes Wahlsystem. Es ist also sicher einfacher, da anzufangen.
Eine Staatskrise ist es tatsächlich. Aber schlicht, weil man derzeit sehen kann, was passiert, wenn eine Verfassung nicht wasserdicht ist und dann einer kommt und auf stur schaltet.
Beispiel Deutschland
Zunächst sind Südkorea und Japan sehr westlich orientiert. Nicht kulturell, auch wenn es da auch McDonalds und Mercedes gibt, sondern in der Vorstellung, wie ein moderner Staat aufgebaut sein soll. Es sind „westliche“ Demokratien. Mit einem sehr ähnlichen Wertsystem. Japan ist recht dicke mit Frankreich und Südkorea mit Deutschland, bzw. umgekehrt.
In Deutschland wählen wir die Parteien des Parlaments. Nach der Wahl gehen die dann hin und schließen Koalitionen, damit sie die erforderliche Mehrheit bekommen, um die Regierung bilden zu können.
Das ist vielen schon zu kompliziert und Kern des ewigen Vorwurfs „Die machen doch eh nie, was sie vor der Wahl versprechen“. Man muss halt erst gucken, was umsetzbar ist. Die Koalition handelt dann aus, wer welchen Ministerposten bekommt, wer Bundeskanzler wird und wen die CSU zur Drogenbeauftragten macht.
Das Parlament gemeinsam bestimmt den Präsidenten. Der kann auch aus einer Partei kommen, die nicht der Regierung angehört. Theoretisch kann es sogar jemand sein, der keiner Partei angehört, nicht einmal Politiker ist. Die Parteien einigen sich aber sicher auf einen, von dem sie glauben, dass er alle fair berücksichtigt und Deutschland angemessen repräsentieren kann.
Der Präsident hat viel Macht. Er kann beispielsweise jedes Gesetz blockieren, dass das Parlament, der Bundestag, beschließt. Trotzdem ist er in der Öffentlichkeit gerne als „Grüßaugust“ verschrien, weil er sich meist im Hintergrund hält. Obwohl er der Chef ist und im Schloss Bellevue residiert. Eigentlich ist er unser König. Nur die Bayern wollen einen eigenen.
Wahrgenommen wird eher der Regierungschef, der „Premierminister“, der Bundeskanzler. Denn er ist Chef der Regierung, die wiederum die Minister bestimmt und die üblicherweise die Mehrheit im Parlament hat. Durch die Koalition.
Deutschland ist ein parlamentarischer Bundesstaat, eine indirekte, parlamentarische Demokratie.
System Korea
In Korea ist das anders geregelt. Korea ist eine präsidiale Demokratie, recht ähnlich wie Frankreich. Die Koreanerinnen und Koreaner wählen zweimal. Einmal das Parlament, das Gukhoe. Und einmal den Präsidenten. Und der hat noch mehr Macht als der deutsche Präsident. Denn er bestimmt, wer in der Regierung sitzt. Er kann vom Parlament aber auch abgesetzt werden, also so richtig König ist er auch nicht.
Korea hat im vergangenen Jahr zweimal gewählt. Anfang März wurde der Präsident gewählt. Das wurde ganz knapp Yoon Suk-yeol, ein Konservativer, ein Rechter. Yoon war gar kein Politiker, sondern vorher Generalstaatsanwalt von Korea. Anfang April wurde dann das Parlament gewählt. Und da bekamen die Demokraten die absolute Mehrheit. Mit 170 von 300 Sitzen. Die sind eher in der Mitte, irgendwie zwischen FDP und SPD. Yook hat nun also eine Minderheitenregierung, die ohne die Zustimmung der Mitte kaum noch etwas durchdrücken kann. Außer Krieg erklären und sowas. Und nun musste zum Jahresende der Haushalt für 2025 beschlossen werden. Also der Etat, wer wieviel Geld bekommt. Und da hat die Mehrheit sich quergestellt. Und damit fing das Chaos an.
Das Kriegsrecht
Yoon ist dann einfach hingegangen und hat das Kriegsrecht verhängt. In einer Ansprache, die spätabends im Fernsehen lief. (Foto) Denn im Kriegsrecht hätte er den Haushalt für das nächste Jahr einfach bestimmen können. Weil die Opposition, also tatsächlich die Mehrheit, die Regierung blockieren würde. Natürlich haute er einige markige Sprüche raus, das wäre zugunsten Nordkoreas und würde dem Feind helfen oder so.
Dagegen protestierte sofort das gesamte Parlament. Auch Politiker der rechten Partei von Yoon. Am nächsten Tag gab es große Demonstrationen. Das Parlament wollte sich treffen, um gegen das Kriegsrecht zu stimmen. Das geht nämlich, wenn das Parlament eine Dreiviertel-Mehrheit dafür zusammenbekommt.
Das wurde von Sicherheitskräften verweigert. Die wohl schlicht überfordert waren. Nach dem Motto: „Moment, Ihr dürft nicht ins Parlament, weil jetzt ist ja Kriegsrecht.“
Die Abstimmung kam dann doch zustande und das Parlament beschloss einstimmig (!) das Kriegsrecht zu beenden. Yoon beendete es dann aber von sich aus wieder. „Ups, da bin ich wohl übers Ziel hinausgeschossen.“ Der ganze Spuk dauerte nur wenige Stunden.
Das Nachspiel
In Korea gibt es mehrere Einrichtungen, die gegen Korruption vorgehen sollen. Die korrekte Übersetzung für die größte Organisation lautet „Kommission für Korruptionsbekämpfung und Bürgerrechte“ (Gukmingwonikwiwonhoe). Sie ermöglicht Bürgern schnelle Administrationsbeschwerden.
„Korruption“ wird dort also nicht nur so verstanden, dass Geldkoffer hin und her geschoben werden. Sondern auch, dass Unternehmen oder Personen „bevorzugt“ werden. Oder dass der Staat Dinge anders handhabt, als sie eigentlich angedacht waren. Kölsche Klüngel op Koreanisch.
Eine andere solcher Einrichtungen ist die Gowigongjigjabeomjoesusacheo, was wörtlich übersetzt „Kriminalpolizei für hochrangige Beamte“ bedeutet. Englisch heißt sie „Corruption Investigation Office for High-ranking Officials“, weshalb sie oft einfach „CIO“ abgekürzt wird. Und daher kommt die ständige Benennung in den Medien, da wäre die Anti-Korruptions-Polizei am Start. Das ist keine Polizei in unserem Sinne, eher sowas wie das BKA, halt nur zuständig für Beamte, die eigentlich Immunität genießen. Sie wurde erst 2019 gegründet.
Und diese CIO hat zu Yoon gesagt „Ja, ne, so geht es ja nun nicht. Komm mal bei mich bei, wir müssen reden.“ Sie hat Yoon dreimal vorgeladen. Das ist also missverständlich. Es geht nicht darum, dass der Präsident Yoon Geldkoffer angenommen oder für Nordkorea spioniert haben soll oder so. Die Behörde heißt einfach so. Yoon ist aber einfach nicht hingegangen. Also hat die Behörde versucht, Yoon zu verhaften bzw. festzunehmen. Sie sind zum Präsidentensitz gegangen, wo er auch wohnt, und wollten Yoon abholen.
Korea hat so etwas wie das Weiße Haus in Washington, das Cheongwadae oder das Blaue Haus. Ein großes Gelände mit Nebenbauten und Park. Und das wird natürlich durch einen Sicherheitsdienst und einer Einheit des Militärs beschützt. Und die haben dann gesagt „Nä, ihr dürft hier nicht rein.“ Was grundsätzlich richtig ist. Das war kein Putsch oder so.
Das war am vergangenen Freitag.
Das Parlament hat Yoon inzwischen suspendiert. Er ist also eigentlich offiziell noch Präsident, darf aber keine Amtsgeschäfte mehr führen. Und deshalb gibt es nun Diskussionen, ob die ihn festnehmen dürfen oder nicht. Wohlgemerkt, es geht erstmal nur um eine Vernehmung.
Das Militär hat gesagt „Ja, wir dürften da rein und den rausholen. Wenn Kriegsrecht herrschen würde.“ Dass das Parlament das Kriegsrecht formal beendet hat, verhindert jetzt, dass das Militär Yoon festnehmen darf. (Wäre in Deutschland ähnlich.)
Die CIO hat nun bei der Polizei den Antrag gestellt, dass die den Haftbefehl umsetzen und Yoon abholen soll. Die Polizei hat – Stand heute Nacht – aber gesagt, sie muss erst prüfen, ob sie das darf und dafür zuständig ist.
Das bedeutet unterm Strich also: Ja, das ist eine ausgemachte Staatskrise. Der Eindruck, dass Yoon aber wegen Korruption in den Knast soll oder da jetzt ein Bürgerkrieg droht, ist falsch. Abgesehen von dem Affentheater läuft in Korea alles sehr zivilisiert. Selbst die großen Proteste mit Polizeiaufgebot (Titelbild) nennt man in Berlin vermutlich eher „Montag“.
Und jetzt alle zusammen: Gowigongjigjabeomjoesusacheo.