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Mittwoch, 21. Februar 2024

Angriff auf die polnische Demokratie: Straflosigkeit als Konvention

von Wojciech Osinski...

Die Verantwortlichen in Brüssel geben Donald Tusk seit rund zehn Wochen grünes Licht für jede noch so rabiate Methode, Polen auf EU-Linie zu bringen. Die rechtlose Übernahme von Medien und Justiz müsste kundigere Juristen eigentlich hellhörig werden lassen. Wie lange werden sie kritiklos zuschauen?


Wochen nach dem Regierungsantritt der linksliberalen Koalition von Donald Tusk lassen sich bereits einige Grundmuster seiner Politik herausschälen. Spätestens nach der Berichterstattung über seinen Antrittsbesuch beim Bundeskanzler wurde ersichtlich, dass sich die polnische Medienlandschaft nach nur wenigen Wochen nahtlos in das im Westen vorhandene grün-linke Meinungsklima einfügt. Dass die deutsche Ampelregierung diese Konsonanz von vornherein als ganz sachangemessen empfindet, kommt nicht wirklich überraschend. Die von Tusk anvisierte Medien-, Migrations-, Klima-, Familien- und Wirtschaftspolitik passt einwandfrei zu jenen Politikansätzen, die in Berlin und Brüssel für zielführend gehalten werden.

Dennoch ist die Haltung einiger deutscher Regierungsvertreter angesichts der letzten Ereignisse in Polen mit Nachdruck zu kritisieren, denn sie zeichnet sich durch einen Infantilisierungsschub aus, der in Heuchelei umzuschlagen droht. Das unter diesen Diskursumständen verfestigte Polenbild der deutschen Öffentlichkeit ist alles andere als tatsachengetreu. Polens neuer Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz wird in der BRD als „kämpferischer Held“ gepriesen, der die „Auswüchse“ der „rechtsradikalen“ Vorgängerregierung zurückbauen wolle. Ein offenbar mit volkspädagogischem Auftrag ausgestatteter Warschau-Korrespondent einer großen deutschen Tageszeitung fügt mit Bedauern hinzu, dass sich der „zügige demokratische Umbau“ des Landes als schwierig erweise. Ja, wieso denn nur? Liegt es vielleicht daran, dass die rechtlichen Hürden für die rechtlosen Methoden der neuen polnischen Regierung dann doch mitunter zu hoch sind?

Nein, die Erklärungen deutscher Journalisten lassen solche Befunde nicht zu. Die kriminelle Energie, mit der Sienkiewicz die Kontrolle über die Staatsmedien übernommen hat, wird an der Spree als eine „rasch zupackende und durchsetzungsstarke Regierungspolitik“ wahrgenommen. Der personalpolitisch umgesetzte „Gestaltungswille“ der an die Macht gekommenen Tusk-Regierung wird als „mutig“, der Ministerpräsident selbst als „tatkräftig“ gelobt. Wer morgens eine herkömmliche deutschsprachige Zeitung aufschlägt, wird nicht erfahren, dass wir es in Polen gerade mit einer autoritären Abweichung von einer auf Konsens ausgelegten Verhandlungsdemokratie zu tun haben. In Polen wird kein „demokratischen Umbau“ vollzogen, sondern der Aufbau einer linken Diktatur.

Die polnische Fernsehlandschaft ist nun ausnahmslos mit Sendern übersät, welche die christlich-konservative Opposition regelmäßig mit Hass und Spott überziehen. Wer anderer Meinung ist, muss mit Nischensendern im Internet Vorlieb nehmen. Sienkiewicz, der in der Weihnachtszeit mit gesetzgeberisch umstrittenen Mitteln die öffentlich-rechtlichen Medien aufgelöst hat, stört sich nicht daran, dass er deswegen bereits mehrere Schlappen vor Gericht hinnehmen musste. Er stört sich nicht daran, weil die für jeden nachprüfbare und unstrittige deliktische Realität in Polen sowieso nicht in das Narrativ des aktuellen Berliner und Brüsseler Politikbetriebs passt, wo die einstige Regierungspartei PiS nach wie vor als „Schandfleck“ und „Krebsgeschwür“ im demokratischen Europa, bestenfalls als Inbegriff alles politisch Abzulehnenden dargestellt wird. Mit anderen Worten: Tusks Minister haben derzeit grünes Licht für jede noch so rabiate Methode, um Polen auf EU-Linie zu bringen.

Recht- und Straflosigkeit konnte deshalb ungehindert zum Funktionsprinzip seiner Regierung werden, weil die ausgemachten Widersacher nicht in Berlin, Paris oder Brüssel, sondern auf den heimischen Oppositionsbänken sitzen. So durfte auch der neue Justizminister Adam Bodnar sofort einer Entlassungswelle in seinem Ressort zustimmen, zu der er teilweise gesetzlich gar nicht befähigt war. Über das gewaltsame Eindringen in das Büro des Staatsanwalts Dariusz Barski wird der deutsche Leser ebenso wenig erfahren haben. Wie soll er auch? Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht wenige westliche Journalisten des Polnischen unkundig sind und viele Wissensbestände und Einschätzungen englischsprachigen Texten oder privaten Berichterstattungen der eigenen polnischen Ehefrauen verdanken, die ohnehin mit der Bürgerplattform (PO) sympathisieren. Im heimischen Wohnzimmer wird zumeist auf Quellenkritik verzichtet und einfach entlang eigener Argumentationsinteressen zusammengefügt, was sich zweckbezogen auffinden lässt.

Dies alles dürfte Bodnar und Sienkiewicz sowieso nicht interessieren, weil die linksliberalen Akteure im Westen ihnen den Rücken stärken. Mitten im rechtlosen Chaos kam der deutsche Bundesjustizminister Marco Buschmann nach Warschau und gratulierte Bodnar zu dessen Amtsübernahme. Dieser Besuch (ähnlich wie die zeitnahen Stippvisiten der EU-Kommissare Věra Jourová und Didier Reynders) sollte den Eindruck vermitteln, dass alles „nach Plan“ liefe. Doch die ranghohen Gäste waren nur teilweise zufrieden, beklagten beiläufig: „Donald, du handelst zu langsam. Du musst dich etwas beeilen“.

Vor seinem Regierungsantritt im Dezember versprach Donald Tusk seinen Wählern, er werde alle von der PiS geführten Institutionen mit einem „Stahldrahtbesen“ reinigen. Sogar die Putz- und Klofrauen müssten um ihre Jobs fürchten, sofern sie heimlich für Kaczyński schwärmten. Noch vor Weihnachten, so der damalige Oppositionsführer, würden wir in einem „neuen“ Polen aufwachen. Seine „Reinigungsaktion“ verlief dann aber tatsächlich langsamer, als es sich seine Fans in Brüssel erhofft hatten. Die offenbar illegal inhaftierten PiS-Abgeordneten Mariusz Kamiński und Maciej Wąsik wurden von Präsident Andrzej Duda begnadigt. Nach der rechtlich umstrittenen Auflösung von TVP, PAP und Polskie Radio kam es zu Protesten, die der neuen PO-Belegschaft den Arbeitsantritt erschwert hatten. Auf den gewaltsam entrissenen Chefsesseln im Rundfunk nahmen Personen Platz, die plötzlich mit amateurhaften und qualitativ fragwürdigem Journalismus auf sich aufmerksam machten. Wer über Silvester wirklich nicht mitbekam, mit welcher Brutalität die neuen medialen Drahtzieher vorgingen, der lebte emotional und intellektuell auf einer unbewohnten Insel.

Dabei kennt die Radikalität der neuen Regierung offensichtlich keine Grenzen. Es will scheinen, dass Tusk am liebsten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Verfassungsgericht, den Landesjustizrat sowie die Nationalbank übernommen hätte. Bei der Gelegenheit würde er wohl auch den Staatschef Andrzej Duda stürzen, der doch ohnedies nur „im Wege steht“. Dieser hatte zwar den von der linksliberalen Regierung vorgelegten Haushaltsplan unterschrieben, jedoch gleichfalls angekündigt, er wolle ihn dem Verfassungsgericht zur Überprüfung vorlegen. Das journalistische Beschreibungs- und Deutungsinteresse konzentrierte sich in den letzten Tagen allerdings vornehmlich auf Adam Bodnar, dem ein „tiefer Fall“ attestiert wurde. Der 47-jährige Jurist aus Westpommern war zwar schon immer etwas linksorientiert, galt jedoch als angesehener Rechtsexperte, dessen Meinung gefragt war und gesucht wurde. Die Frage, weshalb er sich für die primitiven Ziele Tusks einspannen bzw. zu dessen politischen Bulldozer-Fahrt überreden ließ, wird nur er selbst beantworten können.

Der Zeitpunkt der jüngsten „Reinigungsaktionen“ in der polnischen Justiz war nicht ganz zufällig. Nach der Übernahme der Staatsmedien wurden einige Ermittlungsverfahren angekündigt, die auf diese Weise wohl im Keim erstickt werden sollten. Tusk steht vor einem Dilemma: Er ahnt bereits, dass die ihm nachgesagte Rachsucht und brachiale Gewalt, mit der er die staatlichen Institutionen derweil kontrolliert, nicht bei all seinen Wählern gleichermaßen gut ankommen. Beim TVP gab es bereits erste Kündigungen, weil einige neue Reporter offenbar die Umstände des „Personalwechsels“ nicht verkraftet hätten. Jeder rechtlose Schritt greift in den nächsten. Umkehren kann Tusk jetzt aber auch nicht mehr. Das wäre ungefähr so, als würde Putin von einem Tag auf den anderen kapitulieren und freiwillig die Krim verlassen. Gleichzeitig erkennt er, dass seine Beliebtheit in den Umfragen weiter sinken könnte. Seine einstigen Weggefährten wie Andrzej Olechowski behaupten, er verdecke mit seinem „Schwarz-Weiß-Denken“ sowie den immer wieder aufgegriffenen Stahldrahtbesen- und Liebes-Metaphern seine programmatische Orientierungs-, Ideen- und Tatlosigkeit. „Die Kommunisten haben in ihrer Spätphase ebenfalls unaufhörlich über Liebe gesprochen. Da haben sie den Karren aber schon längst an die Wand gefahren“, meint Olechowski.

Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass Tusk sich gleitend in die Brüsseler Politik eingefügt hat. Das von der konservativen Vorgängerregierung entworfene Projekt eines Zentralflughafens, der zu einem der größten europäischen Airports werden sollte, wird vermutlich gestrichen. Ähnlich ergeht es anderen Investitionen, darunter dem von der PiS geplanten Bau dreier Kernkraftwerke. Dies gilt ebenfalls für die in Brüssel abgesegnete Migrationspolitik. Tusk hat zwar jüngst stolz angekündigt, selbstermächtigte Zuwanderung von Asylbewerbern ins eigene Land ablehnen zu wollen, wird aber künftig jedem EU-Plan für Verteilung von Migranten zustimmen, wenn er von seinen Vorgesetzten darum „gebeten“ wird.

Das linksliberale Rückgrat der EU ist allerdings mittlerweile etwas brüchig geworden. Noch glauben die linksgrün gefärbten Propagandisten an eine unbezweifelbare Unfehlbarkeit der eigenen Deutungsmaßstäbe und moralische Überlegenheit der eigenen Position. Noch dürfen sie ihre vertraglichen festgelegten Kompetenzen überschreiten, mit unverhohlener Arroganz und Verachtung die angebliche Objektivität des eigenen Urteils betonen und willkürlich gegen Staaten vorgehen, die es sich erdreisten, auf dem Vorrang nationalstaatlicher Entscheidungen zu beharren. Nach den EU-Parlamentswahlen im Frühling könnte aber eine neue europäische Landschaft aufblühen. Linke Mafiosi dulden vielleicht die aktuellen Rechtsbrüche in Polen, aber tun dies dann auch konservative Kräfte, die womöglich schon bald an längeren Hebeln sitzen? Donald Tusk wird es wahrscheinlich ohnehin egal sein. Er wird wieder im Ausland sein, auch wenn zahlreiche PO-Wähler diese angeratene Zurkenntnisnahme seiner Absichten jetzt noch als eine persönliche Zumutung erleben würden.


Dienstag, 16. Januar 2024

Was in Gottes Namen ist in Polen los?

von Aleksandra Rybinska.

Mit der Regierungsbildung von Donald Tusk setzte in Polen ein Kampf um die „richtige“ Politik und die Verteilung der Posten und Ressourcen ein. Regierung und Opposition machen sich gegenseitig für das Chaos verantwortlich. Präsident Duda und Ministerpräsident Tusk handeln und reden aneinander vorbei.

Präsident Duda und Ministerpräsident Tusk



Mit den Worten „Noch ist Polen nicht verloren“ beginnt die polnische Nationalhymne. Und tatsächlich ist Polen zwar noch nicht verloren, aber dank der brutalen Vorgehensweise der neuen Regierung von Donald Tusk erinnert unser Land immer mehr an eine Bananenrepublik. Wieder einmal stellt sich die Frage: Was in Gottes Namen ist in Polen los?

Der im Augenblick tobende politische Konflikt hat drei Dimensionen: Zum einen das Aufeinanderprallen von zwei gegensetzlichen und unvereinbaren politischen Visionen – die eine liberal, die andere konservativ und EU-skeptisch, zum anderen die brutale und illegale Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien durch die neue Regierung, und letztendlich die unbegründete Festnahme von zwei Abgeordneten, die das Polnische Antikorruptionsbüro gegründet haben. Wir haben es mit einem Patt zu tun, das wahrscheinlich nicht auf verfassungsrechtlicher Ebene, sondern nur auf politischer oder praktischer Ebene gelöst werden kann.

Die ersten Schüsse in diesem Krieg fielen bereits vor dem Wahlsieg der Recht und Gerechtichkeit (PiS) im Jahr 2015, als die liberale Bürgerplatform (PO) die Wahl überzähliger Verfassungsgerichtsrichter durch das Parlament, den Sejm, erzwang. Die PO wusste, das sie wahrscheinlich die Wahl verlieren würde. Ziel war also, die Regierungsarbiet in Zukunft durch Verfassungsbeschlüsse zu behindern und die Plätze im Verfassungsgericht zu blockieren, damit die PiS keine eigenen Richter mehr ernennen kann. Auf diese Weise wurde das Verfassungsgericht politisiert. Nicht von der PiS, sondern von der PO.

Natürlich hat die PiS ihre eigenen Richter trotzdem ernannt. Die PO ging sofort mit einer Beschwerde zur Europäischen Kommission, was mit einem Rechtstaatlichkeitsverfahren gegen Polen endete. Dazu kam der Versuch der Partei von Jarosław Kaczyński, das Justizwesen zu reformieren, u.a. um die Wahl von Richtern in den Nationalen Justizrat transparenter zu gestalten. Das gefiel den Richtern, die Verwandte und Bekannte hinter geschlossenen Türen dazuwählten, und sich selbst „außergewöhnliche Kaste” nannten, natürlich nicht. Sie gingen auf die Straße und nach Brüssel, und die Bürgerplattform Donald Tusks ernannte sich zu ihrer politischen Vertretung. Die acht Jahre der Regierung PiS verliefen also unter dem Vorzeichen einer ständigen Auseinandersetzung mit der Justiz und der Anwaltschaft, die seit 1989 keinerlei Reform unterlagen und wollten, dass das so bleibt.

2023, nach acht Jahren der Regierung PiS, mit vielen Krisen (Pandemie, Krieg in der Ukraine), aber auch beisspiellosem Wirtschafts- und Wohlstandswachstum, folgte eine äußerst heftige Wahlkampagne. Die Brutalität dieser Kampagne bestand in der außergewöhnlichen Intensität negativer Botschaften. Es wurde weniger über die Vision des zukünftigen Polen gesprochen, als Angst vor dem politischen Gegner geschürt. Dies löste große Emotionen bei den Wählern aus, was zu einer riesigen (für polnische Verhältnisse) Wahlbeteiligung führte, die den liberalen und linken Parteien den Sieg bescherte, aber gleichzeitig die Polarisierung verschärfte.

Die neue Regierungskoalition, aus zwölf Parteien bestehend, von liberal bis links, machte kein Hehl daraus, dass sie auf Rache sinnt. Alles was mit der PiS zu tun hat, was auch nur an sie erinnert, sollte verschwinden. Natürlich wusste Donald Tusk, dass es in Polen Mediengesetze gibt, einen Medienrat, und einen Präsidenten, der ein Vetorecht besitzt, aber er beschloss das zu ignorieren. Recht und Gesetz wie zum Beispiel die Verfassung sollten den großen Rachefeldzug nicht behindern.

Aktion im Präsidentenpalast

Am 13. Dezember, am Tag der Vereidigung der neuen Regierung durch den Sejm, auf der Grundlage einer Parlamentsresolution, die keinerlei Rechtsfolgen nach sich zieht, ohne ein neues Mediengesetz zu erlassen, wurden die Direktoren der öffentlich-rechtlichen Medien entlassen und neue drangen in die Gebäude dieser Medien ein, in Begleitung bewaffneter Wachmänner. Das Sendesignal des Nachrichtensenders TVP Info wurde einfach ausgeschaltet. Es kam zu Rangeleien. Eine Abgeordnete der PiS, die versucht hat, die dort befindlichen Journalisten zu verteidigen, wurde verletzt. Der Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz, der diese brutale Aktion in Auftrag gegeben hat, hat anschließend versucht, die neuen Direktoren zu registrieren, aber die Gerichte haben ihm das verweigert, weil dafür die Rechtsgrundlage fehlt. Die gesamte Aktion war also illegal. Die PO hat sich aber dazu entschlossen, weil sie wusste, das Präsident Andrzej Duda gegen ein neues Mediengesetz sein Veto eingelegt hätte. Der politische Wille stand also für die Bürgerplattform über Recht und Gesetz.

Das war der Beginn des politischen Patts, in dem wir uns augenblicklich befinden. Da die Gerichte die Übernahme der Medien nicht sanktionieren wollten, wurden sie unter Konkursverwaltung gestellt, um Liquidatoren einführen zu können. Der Präsident hat im Gegenzug gegen das komplementäre Haushaltsgesetz sein Veto eingelegt, das eine Finanzierung für die öffentlich-rechtlichen Medien in Höhe von 3 Milliarden Zloty vorsah. Das Sendesignal von TVP Info war über mehrere Tage ausgeschaltet, es lief keine Werbung, was ernsthafte finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen wird. Inzwischen ist TVP Info wieder auf Sendung, aber die Hauptnachrichten werden in einem gepachteten Studio aufgenommen, weil die „neuen” Journalisten der Bürgerplattform Angst vor Sabotage haben. Die Zuschauerzahlen sind in den Keller gerutscht. Ein kleiner, konservativer Privatsender, der bislang 0,5 Prozent Marktanteil hatte, hat plötzlich fast 6 Prozent – die Leute haben auf ihn umgeschaltet.

Wie sich herausgestellt hat, war das aber erst der Anfang der Säuberungsaktion der Bürgerplattform. Danach kam die Verhaftung der beiden Abgeordneten der PiS. Mariusz Kamiński und Maciej Wąski, die bei den letzten Wahlen erneut ins Parlament gewählt wurden, hatten zuletzt Ministerämter inne und waren vorher, in den Jahren 2005 bis 2009, bei der damals neu gegründeten CBA, der Polnischen Antikorruptionsbehörde, tätig. Kamiński, der zur Zeit des Kommunismus im Untergrund aktiv war, war Chef der CBA und galt als unermüdlicher Kämpfer gegen die Korruption. Während seiner Tätigkeit hat er viele Interessen angerührt, auch die von mit der Bürgerplattform verbundenen Geschäftsmännern.

Im März 2015 wurden beide Abgeordnete in erster Instanz zu drei Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Wenn man in Betracht zieht, wie das Verhältnis der Richter zu der PiS aussieht, war so ein hartes Urteil zu erwarten. Ein halbes Jahr später hat sie der neue Präsident Andrzej Duda begnadigt. Zwei Jahre später erklärte der Oberste Gerichtshof die Begnadigung aber für unwirksam, da beide nicht rechtskräftig verurteilt waren. Es gibt aber keine Vorschriften, die das regeln. In der Verfassung heißt es, dass der Präsident Gnade gewähren kann. Punkt. Dieselben Rechtsexperten, die 2015 behauptet haben, die Begnadigung beider Politiker sei wirksam, behaupten heute das Gegenteil.

Der Grund für die Verurteilung beider, die sogenannte Grundstücksaffäre, liegt Jahre zurück. Damals überführte die CBA den Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper der Korruption, u.a durch einen inszenierten „Deal“, der in der operationellen Arbeit der Polizei nicht unüblich ist, aber beiden zur Last gelegt wurde. Im Dezember 2022 verurteilte das Bezirksgericht in Warschau beide Abgeordneten erneut, diesmal zu zwei Jahren Haft, gleichzeitig wurden sie aber von den schwersten Vorwürfen freigesprochen. Für geringfügige Amtsverfehlungen wurde ein hartes Urteil verhängt. Sie wurden verurteilt u.a. dafür, dass sie zwar die gerichtliche Erlaubnis hatten, den Verdächtigen an einem öffentlichen Ort zu verhören, dies jedoch in einem Hotel geschah und das Gericht entschied, dass es sich bei einem Hotel nicht um einen öffentlichen Ort handelte. Ein absurdes Urteil und eine Politposse, deren Ziel es ist, die Abgeordneten der PiS in Angst und Schrecken zu versetzen.

Staatsanwaltschaft übernehmen, um straffrei zu bleiben

Der Vorsitzende des Sejm, Szymon Hołownia, hob ihre Immunität sofort auf. Beide legten Einspruch dagegen ein. Eine Kammer des Obersten Gerichtshofs befand die Aufhebung der Immunität für gültig, eine andere für ungültig. Und das Chaos begann. Die Abgeordneten wurden während eines Besuchs im Präsidentenpalast während der Abwesenheit des Präsidenten von der Polizei festgenommen. Polizisten drangen in den Präsidentenpalast ein und zerrten sie hinaus. Sobald Andrzej Duda davon erfuhr, versuchte er Ihnen zu Hilfe zu kommen, aber seine Limousine wurde von einem angeblich kaputten Stadtbus blockiert. Die PiS glaubt, das sei absichtlich geschehen, zumal der Präsident wahrscheinlich abgehört wurde, sonst hätte die Polizei nicht gewusst, wo im Präsidentenpalast die beiden Politiker sich befinden. Ein unerhörtes Geschehen in einem demokratischen Land unter einer Regierung, die sich die Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat.

Beide Politiker befinden sich augenblicklich in zwei verschiedenen Gefängnissen. Sie sind in Hungerstreik getreten, und der Gesundheitszustand von Mariusz Kamiński hat sich erheblich verschlechtert. Es gab einen riesigen Protest in Warschau zur Verteidigung der Medien und beider Abgeordneter, Bis zu 300.000 Menschen haben an ihm teilgenommen. Trotz schlechten Wetters.

Natürlich ist es nicht so, dass all dies ohne Konsequenzen für die Regierung Donald Tusks sein wird. Alle illegalen Aktionen der letzten Wochen sind bei der Staatsanwaltschaft gelandet. Die Strafen für einzelne Minister können hoch ausfalllen. Daher beschloss der Justizminister Adam Bodnar, den Landesstaatsanwalt abzusetzen. In Polen fungiert der Justizminister als Generalstaatsanwalt, während die Staatsanwaltschaft in der Praxis vom Landesstaatsanwalt und seinen Stellvertretern geleitet wird. Um den Landesstaatsanwalt zu entlassen, bedarf es laut Verfassung einer Zustimmung des Präsidenten, genauer gesagt seiner Unterschrift. Deshalb reagierten die 11 Verteter des Landesstaatsanwalts sofort und protestierten heftig gegen so einen Verfassungsverstoß. Się haben sich im Gebäude der Landesstaatsanwaltschaft verschanzt – genauso wie der Justizminister, der sich dort ein Büro eingerichtet hat. Auf Twitter gab er dann bekannt, er habe sich mit dem amerikanischen Botschafter getroffen und der habe ihn gelobt – er mache alles richtig.

Die nächsten zwei Wahlkämpfe kommen

Zusammenfassend: Polen befindet sich in einer sehr tiefen Verfassungskrise, der tiefsten seit dem Fall des Kommunismus und möglicherweise des Kriegszustands von 1981, mit dem das Vorgehen der neuen Regierung oft verglichen wird. Panzer auf den Straßen sehen wir zwar noch nicht, aber wir haben es bereits mit gewaltsamen Aktionen zu tun. Und mit einem Rechtsdualismus, der den Staat paralysiert, Es wird immer häufiger von einem Zustand der Anarchie gesprochen. Es gilt nicht das Gesetz, sondern die Meinung von Rechtsexperten, die gegen entsprechendes Entgelt gerne alles zurechtinterpretieren. Wie Donald Tusk so schön gesagt hat: „Wir werden das Recht anwenden so wie wir es verstehen”.

Der Präsident, größtes Hindernis für ein bequemes Durchregieren Tusks, soll entmachtet werden, seine Befugnisse verschwinden. Es ist der Triumph des politischen Willens über den Rechtsstaat.

Alle sind sich einig, dass die derzeitige Situation und das Chaos für Polen, seine Wirtschaft, schädlich sind. Derzeit ist jedoch keine Lösung in Sicht. Die neue Regierung basiert auf dem Hass der liberalen Eliten (Justizwesen eingeschlossen) gegenüber der PiS und der Unterstützung des Westens, während sich die Opposition immer mehr konsolidiert, stärkt und auf einen langfristigen Kampf vorbereitet. Polen hat zwei Wahlkämpfe vor sich im ersten Halbjahr dieses Jahres: die Kommunalwahlen und die Europawahlen. Es drohen auch vorgezogene Neuwahlen, wenn das Parlament den Haushalt bis Ende Januar nicht verabschiedet.

Die Polen erwarten zudem weitere Konflikte um die Polnische Nationalbank (Donald Tusk träumt vom Euro, der Chef der Notenbank will das verhindern) und das Verfassungsgericht. Die Bürgerplatform will 4.000 Richter entlassen, alle, die zur Zeit der PiS Regierung ernannt wurden. Es drohen auch ideologische Kriege rund um den Migrationspakt der EU, die Abtreibung und die Homoehe sowie die Föderalisierung, also die Zentralisierung der Europäischen Union, die Donald Tusk unterstützt. Keine der Seiten ist dabei bereit, klein beizugeben. Man kann nur hoffen, dass die Liberalen zur Vernunft zurückfinden, obwohl es mit jedem Schritt vorwärts immer schwieriger wird. Und die Erwartungen in Brüssel sind groß, dass das, was in Polen geschieht, Schule machen könnte – als Methode gegen „illiberale” Populisten.

Aleksandra Rybińska ist Politologin, Redakteurin der Internetzeitschrift „Nowa Konfederacja“, Publizistin des Portals „wPolityce.pl“ und des Wochenmagazins „wSieci“ sowie Vorstandsmitglied der Maciej Rybiński Stiftung.