von Mirjam Lübke...
Es ist nicht nur dreist, sondern auch vollkommen absurd: Der Normalbürger, der gegen hohe Energiepreise oder die Impfpflicht auf die Straße geht, soll am besten einen kompletten Hintergrundcheck aller anderen Demonstranten machen, es könnte schließlich ein "Extremist" dabei sein. Per Kontaktschuld wird man sonst im Handumdrehen selbst zum Extremisten erklärt. Da reicht es, über die selbe Straße spaziert zu sein und schon ist man Nazi. Bei allem Verständnis dafür, dass die Realpolitik einer Regierung häufig Zugeständnisse an die moralische Integrität eines internationalen Verhandlungspartners abnötigt: Ein wenig dieser Vorsicht vor Extremisten stünde auch der Bundesregierung gut zu Gesicht. Vor allem, wenn für unser Land keinerlei Notwendigkeit besteht, einem Terrorunterstützer Freundlichkeit zu erweisen.
Bei SPD und Grünen muss es schon fast Liebe sein: Während Annalena Baerbock den Israelis die üblichen Mahnungen angedeihen ließ - Mäßigung, Verhandlungen, Rücksichtnahme - schwärmte sie von ihrer Teeeinladung beim Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde. Einem Präsidenten, der sich seit Jahren keinen freien Wahlen mehr gestellt hat. Martin Schulz jubelte ihm zu, als er vor der UN-Vollversammlung die Mär von den jüdischen Brunnenvergiftern im modernen Gewand wiederholte - obwohl Israel, ohne es zu müssen, die Palästinenser im Gaza-Streifen mit Frischwasser versorgt. Und nun das: Abbas, der sich nicht recht entscheiden kann, ob er den Holocaust nun leugnen oder den Juden die Schuld dafür geben soll, behauptet in Gegenwart von Kanzler Scholz, Israel hätte diesen Massenmord fünfzigfach an den Palästinensern begangen. Das Schlimme daran ist: Er wird damit in Deutschland auf offene Ohren stoßen, das sieht man schon an den Kommentaren in den sozialen Medien, in denen viel Zustimmung zu seiner Rede geäußert wird. Die meisten Kommentare stammen von Benutzern mit arabischem Migrationshintergrund - es sind aber auch "Biodeutsche" dabei, die mit überkritischem Blick jeden Schritt Israels verfolgen.
Die Idee dahinter ist, dass Juden sich aufgrund ihrer Verfolgungserfahrung "besser" als andere Menschen verhalten und Verständnis für jeden Unterdrückten des Universums aufbringen müssten. Notfalls auch, indem sie ihr eigenes Sicherheitsbedürfnis zurückstellen. Deshalb ist es auch keine Lappalie, wenn deutsche Nachrichtensender immer zuerst die Einsätze der israelischen Luftwaffe vermelden - der Grund dafür, etwa die Vernichtung von Raketenbasen der Hamas, geht daraufhin in der allgemeinen Empörung vollkommen unter. Selbst jene, die zurecht gelernt haben, den Medien ein gesundes Maß an Misstrauen entgegenzubringen, möchten in diesem Fall die Propaganda glauben. Was man sich selbst aufgrund der deutschen Geschichte nicht gönnt - ein gesundes Verhältnis zur eigenen Identität - sollen auch die Israelis nicht haben dürfen. "Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen", sagte einst Robert Habeck, als Musterschüler linker Lehrmeister. Böse Zungen behaupten, das merke man seiner Politik auch an. Anstatt sich aber mit der eigenen Heimat zu versöhnen, beobachtet man misstrauisch den Patriotismus der anderen.
Schon unter der Regierung Merkel stiegen die an die Palästinenser gezahlten "Hilfsgelder" sprunghaft an. Und das, obwohl bekannt ist, dass daraus auch "Märtyrerrenten" finanziert werden. Diese erhalten Familien, wenn ein Mitglied des Haushalts wegen eines Attentats auf Israelis inhaftiert oder getötet wird. Im Gaza-Streifen verdient man als Terrorist weitaus besser als wäre man Lehrer. Ein fataler Anreiz, wenn junge Männer ihre Zukunft planen. Die Bundesregierung weiß das, ist aber nicht bereit, auf eine sinnvollere Verwendung der Gelder zu drängen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass trotz schöner Worte der deutschen Politik die palästinensische Autonomiebehörde näher steht als die israelische Regierung: Wenn Präsident Abbas behauptet, Gaza sei israelisch besetzt, obwohl sich dort seit 2005 kein Israeli mehr aufhält, dann glaubt ihm das deutsche Außenministerium unbesehen.
Deshalb ist auch das Verhalten von Kanzler Scholz so schwer zu bewerten, der Abbas nach seiner Rede noch die Hand gab. Michel Friedmann empörte sich standesgemäß über das Verhalten des Kanzlers, wir wissen, das macht er gern und öffentlichkeitswirksam. Abbas ist natürlich kein unbeschriebenes Blatt, er fiel schon häufiger durch ähnliche Äußerungen auf, weshalb ich persönlich es befremdlich finde, so herzliche Beziehungen mit ihm zu unterhalten und ihm einen offiziellen Empfang zu bereiten. Man kann das noch nicht einmal auf politischen Pragmatismus schieben, denn Deutschland ist sicherlich nicht von der PA oder Gaza wirtschaftlich abhängig. Auch die Aussage, Abbas sei "gemäßigter" als die Hamas, besagt nicht viel, es sei denn, man machte das von seinem Auftritt in Anzug und Krawatte abhängig.
In der konkreten Situation jedoch kann es durchaus sein, dass Scholz einfach überrumpelt war. Diese Rede hätte ich auch erst einmal verdauen müssen. Immerhin gibt sich Deutschland noch immer der Illusion hin, im Nahost-Konflikt eine Vermittlerrolle einnehmen zu können, obwohl sich daran schon eine Reihe mächtigerer Staatsoberhäupter die Zähne ausgebissen hat. Denn die Palästinenser wollen nicht die Hälfte des Kuchens, sondern alles, das steht sogar in den Schulbüchern, welche von unseren Geldern hin und wieder mitfinanziert werden. Auch wenn sich in der palästinensischen Bevölkerung sicherlich Menschen finden, die zum Frieden bereit wären - die Führungsriege weicht nicht von ihren Plänen zurück. Das müsste auch Scholz wissen.
Abbas selbst dürfte sich einfach verkalkuliert haben, vielleicht glaubte er sogar, mit dem Hinweis auf den Holocaust in Deutschland Sympathien erwecken zu können. In geschickterer Form wird dies von muslimischen Lobbygruppen immerhin fast täglich praktiziert: "Wir sind die neuen Juden!" Das stößt gerade bei Linken auf viel Verständnis. Aber Abbas hat die komplizierten Spielregeln für den Umgang mit der deutschen Vergangenheit nicht begriffen und über die Stränge geschlagen - das nimmt man ihm übel. Zumindest im Moment. Zu oft hat er sich schon aus ähnlichen Situationen mit halbherzigen Entschuldigungen herausgewunden - seine Reue glaubt ihm nur noch, wer auch daran glauben will. Die Bundesregierung zum Beispiel.