von Thomas Heck...
Eine der widerlichsten politischen Gestalten der Gegenwart hat sich jetzt mit dem Asozialdemokraten Johannes Kahrs aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Einer der im Deutschen Bundestag dermaßen menschenverachtend gegen die Abgeordneten der AfD hetzte. Jemand der unliebsamen Parteigenossen schon mal mit nächtlichen Terroranrufen begegnete. Jemand der die notwendige Distanz zu Minderjährigen vermissen ließ und Kinderficker Sebastian Edathy bis zum Schluß die Stange hielt, ihn als "feinen Kerl" benannte und im Untersuchungsausschuß plötzlich unter Amnesie litt. Jemand der unlängst in den Verdacht geriet, dass es bei seinem Ersten Staatsexamen nicht alles korrekt lief. Und insgesamt ein widerlicher und schmieriger Kerl.
Johannes Kahrs wollte unbedingt Wehrbeauftragter des Bundestags werden. Weil ihm das verwehrt bleibt, legt der Sozialdemokrat mit sofortiger Wirkung alle politischen Ämter nieder. Mit ihm geht ein versierter Haushaltsexperte – und ein hoch umstrittener Politiker.
Noch Anfang der Woche twitterte Johannes Kahrs ein fröhliches „Moin“. Am Dienstagabend war die Nachricht verschwunden: Seine Social-Media-Profile sind gelöscht. Der mächtige Chefhaushälter der SPD-Bundestagsfraktion ist schlagartig von der Bildfläche verschwunden.
Zuvor hatte Kahrs in der SPD-Fraktion seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern erklärt. Er habe sich für das Jahr 2020 „seit Langem einen persönlichen Neuanfang vorgenommen“, heißt es in einer Erklärung, die er danach verschickte. Nach 21 Jahren im Bundestag und knapp 40 Jahren in der SPD sei es Zeit, „andere Wege zu gehen“.
Der Rücktritt hinterlässt Fragen – und viele Trümmer. Als haushaltspolitischer Sprecher war Kahrs im politischen Berlin als versierter Fachpolitiker bekannt. Außerdem war er Sprecher des einflussreichen Seeheimer Kreises der konservativen SPD-Politiker. Allerdings hatte der 56-Jährige auch immer wieder scharfe Kritik auf sich gezogen. Berüchtigt war er für sein Geschick, Fördermittel des Bundes in seinen Wahlkreis Hamburg umzuleiten – aber auch für sein System von Getreuen und Unterstützern, bekannt als „House of Kahrs“.
Offiziell begründet Kahrs seinen Weggang mit den Personalquerelen um das Amt des Wehrbeauftragten. Kahrs hatte selbst Interesse an dem Posten angemeldet, der am Donnerstag im Bundestag neu besetzt werden soll. Die Fraktionsspitze nominierte statt seiner allerdings die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl, die auf den Sozialdemokraten Hans-Peter Bartels folgen soll. „Ich wollte einen Neuanfang in der Politik“, schrieb Kahrs. Da ihm die Bundeswehr sehr „am Herzen“ liege, hätte er gerne für das Amt des Wehrbeauftragten kandidiert. Nun suche er außerhalb der Politik diesen Neuanfang, schrieb er.
Kahrs zog damit die Konsequenzen aus einem Kampf, den er offenbar unbedingt gewinnen wollte. Schon im Herbst hatte Kahrs dafür die Voraussetzungen geschaffen, als er in seiner Funktion als Haushaltspolitiker dem Wehrbeauftragten vier zusätzliche Stellen zugeschanzt haben soll. Seitdem führte er ein Duell gegen Bartels, der das Amt gerne weiter innegehabt hätte.
Aus dem engsten Vertrautenkreis des Haushaltspolitikers verlautete am Dienstag, dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Kahrs das Amt des Wehrbeauftragten sogar bereits zugesagt habe; im letzten Moment habe Mützenich dann aber einen Rückzieher gemacht, heißt es. Die Fraktion nominierte stattdessen Högl; am Dienstag bei der Probeabstimmung wurde sie bei wenigen Enthaltungen als Wunschkandidatin angenommen. Und Kahrs? Der habe seinen Rücktritt gut durchdacht, heißt es in seinem Umfeld – von einer Übersprungshandlung will niemand etwas wissen.
AfD-Abgeordnete haben einen ganz anderen Grund für den schlagartigen Rückzug des Sozialdemokraten ausgemacht. Seit Mitte April machte in den sozialen Medien ein kurioses Video die Runde: Ein Blogger veröffentlichte den angeblichen Audio-Mitschnitt eines Telefongesprächs, das er mit Kahrs geführt haben will; in dem Video ist nur der Blogger zu sehen. Darin spricht er davon, dass der Politiker sein erstes juristisches Staatsexamen nicht selbst abgelegt habe. Die ultrarechte Publikation „Deutschland-Kurier“ berichtete darüber.
Die AfD-Fraktion Hamburg griff den Vorfall in einer Anfrage an den Senat auf. Dieser teilte in seiner Antwort mit, dass der Mitschnitt als Satirebeitrag gekennzeichnet sei. Von Amts wegen seien keine Ermittlungen einzuleiten. Kahrs äußerte sich nicht zu dem Vorgang; auch am Dienstag war er für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Für die SPD-Fraktion kommt der Rückzug zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Innerhalb der letzten Monate haben gleich mehrere Abgeordnete die Fraktion verlassen, darunter der profilierte innenpolitische Sprecher Burkhard Lischka. Mit Kahrs verlasse nun ein „durchsetzungsstarker Kollege“ die Fraktion, teilt ein Parteikollege mit. Eine Parteifreundin schreibt, dass mit Kahrs „ein Kollege mit reichlich Ecken und Kanten“ gehe. Kahrs war im Bundestag neben seiner Tätigkeit im Haushaltsausschuss vor allem für seine scharfen Positionierungen gegen die AfD bekannt. Dass er ausgerechnet am Dienstag seinen Rücktritt angekündigt habe, sei auch eine seiner Kanten, heißt es. Dieser Schritt werfe einen Schatten auf die Nominierung von Eva Högl.
Hinzu kommt die Kritik an der Begründung des Rücktritts, die Fragen aufwirft. Linke-Politiker Fabio De Masi stellte am Dienstag auf Twitter die rhetorische Frage: „Wie kommt es bei normalen Leuten an, wenn man denkt im #HouseofKahrs hätte man Anspruch auf Job?“ Man müsse nicht vom Vorschlag für die Neubesetzung des Wehrbeauftragtenpostens überzeugt sein. „Aber man dient auch in der Politik.“
Ich will nicht nachtreten. Aber Hamburg-Mitte hat #Kahrs offenbar aufgegeben. Wie kommt es bei normalen Leuten an wenn man denkt im #HouseofKahrs hätte man Anspruch auf Job? Man muss nicht vom Vorschlag für Wehrbeauftragte überzeugt sein. Aber man dient auch in der Politik.
Der Chef der SPD-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag, Ralf Stegner, sagte über sein Verhältnis zu Kahrs: „Es gab in den letzten Jahrzehnten über den innerparteilichen Kurs der SPD zwischen uns wenig bis gar keine Übereinstimmung.“ Immer einig sei man sich indes im „Kampf gegen rechts“ gewesen. „Im Übrigen zieht jeder aus Personalentscheidungen seine eigenen Schlussfolgerungen.“
In seiner Heimat Hamburg galt Kahrs als ausgebuffter Strippenzieher, der als Kreischef im mächtigen Bezirk Mitte Einfluss auf viele Entscheidungen nahm. Dem Bundespolitiker eilte dabei der Ruf des „Senatorenmachers“ voraus. Wer es auf die Senatsbank im Rathaus schaffen wollte, musste früher oder später an Johannes Kahrs vorbei, so wurde es sich im politischen Hamburg erzählt. „Kahrsianer“ wurden seine Anhänger genannt, die ihm über die Jahre die Treue hielten – immer in der Hoffnung auf den großen politischen Karrieresprung. Kritiker sprechen diesbezüglich hingegen von Legendenbildung, befeuert von Kahrs und seinen Anhängern selbst.
Der Reserveoffizier, bekennende Antialkoholiker und Comic-Fan wurde in Hamburg gleichermaßen geschätzt und verachtet. Einerseits schleppte der Haushaltspolitiker die Finanzierung für ein Projekt nach dem anderen nach Hamburg. Andererseits rümpften sie an der Elbe zuletzt immer wieder die Nase, weil die Gegenfinanzierung dieser „Kahrs-Vorhaben“ von der Stadt zu stemmen war. Und sich so mancher nach dem Nutzen des ein oder anderen Projekts fragte.
Kahrs kurz vor seinem Einzug in den Bundestag 1998
Auch sein Umgang mit Frauen erregte mehrmals Aufsehen. Anfang der 90er-Jahre musste Kahrs sich in einem Gerichtsverfahren gegen eine parteiinterne Gegnerin behaupten, die er in nächtlichen Telefonanrufen mit „Ich krieg dich, du Schlampe“ bedroht haben soll. Das Verfahren endete nach einem „FAZ“-Bericht in einem Vergleich. 2016 schrieb er zu einem Foto, auf dem auch eine Schülerin zu sehen war: „Schlampe halt.“ Das berichtete unter anderem die „Bild“-Zeitung. Später erklärte er, dass die Bemerkung seinem Mitarbeiter gegolten habe.
Das Stimmungsbild nach dem Rücktritt falle gemischt aus, heißt es aus Hamburger SPD-Kreisen: Kahrs sei zwar ein Politiker gewesen, der nach außen als sehr loyal galt. Nach innen habe er aber gern auch mal richtig „Stress“ gemacht. Eines steht fest: Mit Kahrs’ Rücktritt hat Hamburgs Politikbetrieb nun seinen größten Taktierer verloren. Aber auch sein größtes Schandmaul und einen der größten SPD-Hetzer, der es dennoch auch nicht mal im Ansatz geschafft hatte, Ralph Stegner als das größte Ekel der Republik abzulösen.