Sonntag, 6. November 2022

Wenn deutscher Journalismus selbst den Ratten zu peinlich wird...

von Mirjam Lübke...

Als Ratte wäre ich empört, von einem Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks derart instrumentalisiert zu werden. Einer Ratte wäre es ziemlich wesensfremd, ihre Artgenossen derart schäbig zu behandeln, wie es die Kommentatoren praktizieren, die Andersdenkende als "Ratten" bezeichnen und "sie in ihre Löcher zurückprügeln" wollen. Da hat jemand "die Grenzen des Sagbaren" kräftig ausgedehnt und probiert, ob er damit durchkommt. Nach wütenden Reaktionen aus der Leserschaft ruderte Nils Dampz inzwischen zurück, natürlich war er - wie könnte es anders sein - nur missverstanden worden. Im gerechten Zorn auf die Schlechtigkeit der Welt kann es schon einmal passieren, dass sich die Finger selbständig machen und böse Sätze in die Tastatur hämmern.



Ob Blinddarm oder Ratte, da spuckt das Unterbewusstsein allerlei Vergleiche aus, die direkt aus "Goebbels Handbuch der effektiven Entmenschlichung" stammen könnten. Um es mit Broder zu sagen: Man merkt, wie "es in den Journalisten denkt". Und nein, die Reue ist nicht glaubwürdig, denn es ist ein Unterschied, ob jemandem in einer hitzigen Diskussion etwas herausplatzt, was ihm anschließend leid tut, oder etwas Geschriebenes veröffentlicht wird. Herr Dampz wird kaum die Befugnis haben, das eigenverantwortlich ins Netz zu stellen, es muss zumindest ein Redakteur zugestimmt haben. Das hat nichts "Spontanes", sondern ist durchdacht.
 
Da glaubt man, die deutsche Medienlandschaft befände sich fest im Griff der eigenen Leute - dann kommt plötzlich ein Milliardär des Weges und kauft einen der eigenen Spielplätze für ein Taschengeld von 44 Milliarden Dollar. Das wäre noch nichts, worüber "die Guten" sich aufregen würden. Stehen die Milliardäre auf ihrer Seite, dann nimmt man gern eine Spende an, um im Gegenzug bei der Verbreitung gewünschter Botschaften an einem Strang zu ziehen. Wir erinnern uns an die großzügigen Spenden der "Bill & Melinda Gates-Stiftung" an den Spiegel. Trotz aller Kapitalismuskritik haftete diesem Geld offenbar nichts Böses an. Elon Musk jedoch kündigte das genaue Gegenteil an: Twitter soll fortan ein Ort der freien Diskussion sein, aus dem einen Denunziation nicht mehr ohne weiteres vertreiben kann. Sogar der Teufel in Menschengestalt, Donald Trump, hat seinen Account wiederbekommen - eine grauenvolle Vorstellung für die meisten deutschen Journalisten! Nun wird Elon Musk, obwohl er brav Elektroautos herstellt, selbst zum Dämon stilisiert, er ist unwiderruflich in Ungnade gefallen.

Wir haben uns als Andersdenkende schon ein ziemlich dickes Fell zugelegt, was Beschimpfungen aller Art anbelangt. Wenn wir die sozialen Medien betreten, müssen wir zumindest virtuell wie ein Eishockey-Spieler abgepolstert sein, um nicht unter die Räder zu geraten. Die "Reductio ad Hitlerum" ist fester Bestandteil der Beschimpfungen, alles außer Fanta und Dominosteinen zur Weihnachtsfeier ist rechter Umtriebe verdächtig. Sollte Goebbels einmal gesagt haben "In Sibirien ist es kalt wie im Kühlschrank" wird fortan auch dieses Küchengerät unter Naziverdacht fallen und "an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnern". Und vor diesem Hintergrund wollen uns Nils Dampz und der SWR weismachen, sie hätten nicht gewusst, bei wem sich Vergleiche mit "Ungeziefer" besonderer Beliebtheit erfreuten? Zumal die Zielsetzung die gleiche ist: Die Hemmschwelle, gegen eine Gruppe von Menschen vorzugehen, soll gesenkt werden. Da haben die Sprachsensibelchen plötzlich keinerlei Hemmungen mehr.
 
In der dystopischen Science-Fiction-Serie "Black Mirror" gibt es eine Folge, die Soldaten auf "Kakerlaken-Jagd" zeigt, zombieähnliche Wesen, die regelmäßig die Lebensmittellager der letzten Menschen überfallen. Man merkt schon zu diesem Zeitpunkt, dass hier etwas nicht ins übliche Bild passt - Zombies, die Getreide klauen? Ein Landwirt, der einigen "Kakerlaken" im Keller Unterschlupf gewährt hat, wird brutal verhaftet, sein Hof abgebrannt. Im Laufe der Handlung wird deutlich, dass es sich bei den "Kakerlaken" um Menschen handelt, welche die Weltregierung loswerden will, um "genetische Defekte" auszulöschen. Da man fürchtete, die an der Aktion beteiligten Soldaten könnten Skrupel haben, vor allem Kinder zu töten, pflanzte man ihnen ein Implantat ein, welches sie ihre Opfer tatsächlich als Monster sehen lässt, die nur aggressive Laute ausstoßen. Die "Kakerlaken" finden einen Weg, das Implantat zu sabotieren, worauf ein Soldat die Wahrheit erkennt und rebelliert. Das System stellt ihn daraufhin vor die Wahl: Entweder lässt er sein Implantat reparieren und sein Gedächtnis löschen, oder er wird den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen, wobei ihm in Endlosschleife vorgespielt wird, wen er wirklich getötet hat: Ältere und kranke Menschen, auch ein Kind.
 
Science-Fiction ist ein gutes Mittel um aufzuzeigen, wohin totalitäre Methoden in letzter Konsequenz führen können - und gerade die dystopischen Geschichten finden selten ein gutes Ende. Da kommt kein Retter, der die Dinge wieder ins Lot bringt. Es wird deutlich, dass man etwas unternehmen muss, bevor die Dinge soweit kippen, dass sie nicht mehr rückgängig zu machen sind.
 
Ich weiß zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu sagen, wie sich die Lage bei Twitter entwickeln werden. Vielleicht nutzt Musk seine Macht als "Alleinherrscher" der Plattform tatsächlich für eine eigene Form der Zensur. Oder er verliert das Interesse und wendet sich wieder seiner Mission zu, die Menschheit auf den Mars zu bringen (was ich hoffentlich noch erleben werde). Der Kurznachrichtendienst ist auch für die Medien ein Gradmesser geworden, um die Stimmung im Land einzuschätzen. Wir wissen, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender ein feines Näschen dafür besitzen, wann es Zeit ist, der Mehrheitsmeinung ein wenig entgegenzukommen - es kann also nur von Nutzen sein, wenn Twitter hier mehr Vielfalt darstellt. Ob sich ein Journalist dann noch traut, alles rechts von ihm als "Ratten" zu bezeichnen, ist fraglich. Sein Denken wird er aber mit Sicherheit nicht ablegen - und es im Zweifelsfall in den Dienst seiner Herren stellen.




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