Montag, 27. November 2017

Nicht in diesem Ton, Herr Schulz...

von Thomas Heck...

Martin Schulz tut gerne so, als würde er Probleme direkt ansprechen. Mr. 100% hat angesichts der Siemens-Krise den Siemens-Chef Kaeser direkt angegriffen. Schulz wirft der Siemens-Spitze vor, Managementfehler seien der Grund für die Entlassung tausender Mitarbeiter. Nun ist Kaeser nicht jener welcher, der sich öffentliche Angriffe ohne Gegenwehr gefallen lässt, da hätte Schulze sich besser ein anderes Opfer ausgesucht. In einem Brief kontert Konzernchef Joe Kaeser den SPD-Vorsitzenden. Das Schreiben im Wortlaut.


Sehr geehrter Herr Schulz,

Sie haben über die Medien unserem Hause unter anderem vorgehalten, dass Siemens „über Jahrzehnte direkt und indirekt vom deutschen Staat profitiert hat, [und] jetzt die Mitarbeiter für Managementfehler bluten“ müssen. Sie haben unser Unternehmen als „Staatsprofiteure“ und unsere Führungskräfte als „Manchester Kapitalisten“ und „verantwortungslose Manager“ beschimpft.


Diesen Vorwürfen möchte ich entgegentreten und, gerade auch in Zeiten politischer Unklarheit, einige wichtige Fakten zur Diskussion beitragen.

Unser Haus hat allein in den letzten fünf Jahren über 20 Milliarden Euro an Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen an den deutschen Staat überwiesen. Wenn man die Kapitalertragssteuer auf die Dividende mitberücksichtigt, dann kommen nochmals 3,5 Mrd. Euro dazu. In der Tat hat die letzte Bundesregierung die gesamte Wirtschaft im Exportland Deutschland und auch Siemens erfolgreich und umsichtig unterstützt. Der Wohlstand in unserem Heimatland ist historisch hoch, gut geführte Unternehmen eilen von Rekord zu Rekord und Deutschland ist in der Welt so hoch angesehen wie noch nie. Das gilt im Übrigen auch für Siemens, das von 15.000 Meinungsführern aus 65 Ländern kürzlich zum angesehensten Unternehmen der Welt gewählt wurde.

Ich hoffe, dass Ihnen diese Fakten Anreiz sind, nochmals über die Definition von „Staatsprofiteuren“ nachzudenken.

Es würde mich auch interessieren, von Ihnen zu hören, welche „Managementfehler“ Sie im Zusammenhang mit dem Energieerzeugungsgeschäft bei Siemens konkret sehen.

Denn mit einer in der Sache richtigen aber in Ausführung und Timing höchst unglücklich umgesetzten Energiewende wurden dem Steuerzahler von der Bundesregierung Kosten in Höhe von über 400 Milliarden Euro aufgebürdet. Die vor allem in der Solarindustrie durch großzügige Subventionen geschaffenen Arbeitsplätze sind überdies weitgehend in China entstanden. Die Verweigerung von Risikodeckungen für Kohle- und Nukleargetriebene Dampfturbinen ist ein Wettbewerbsnachteil, mit dem unsere Hauptwettbewerber mit ihren Regierungen nicht zu kämpfen haben – wir schon. Vor allem, wenn es darum geht, unsere Fabriken auszulasten und Beschäftigung zu sichern.

In der konkreten Sache möchte ich Ihnen folgende Fakten an die Hand geben: Siemens beschäftigt in Deutschland rund 115.000 Mitarbeiter und bildet zusätzlich fast 7.000 Auszubildende aus.

Davon beschäftigen wir ca. 16.000 Kolleginnen und Kollegen in der Kraftwerkssparte, die weitestgehend für den Export arbeiten. In Deutschland gibt es kaum mehr Nachfrage für Gas- und Kohlekraftwerke.

Von diesen 16.000 Arbeitsplätzen werden in den nächsten 2-5 Jahren etwa 2.900 durch den Strukturwandel hin zu Erneuerbaren Energien – in denen Siemens nach installierter Basis Weltmarktführer ist – verloren gehen. Dass es unseren Wettbewerbern noch viel schlechter geht, ist dabei in dieser Situation wenig tröstlich. Sie macht aber deutlich, dass es sich hier um keine hausgemachten Probleme handelt. Uns vorzuwerfen, dass wir einseitig auf konventionelle Energieerzeugung gesetzt hätten, ist deshalb falsch. Mit Siemens Gamesa Renewable Energy haben wir den führenden Anbieter erneuerbarer Energien.

Nun zu den Chancen: Siemens hat im Geschäftsjahr 2017 weltweit mehr als 38.000 Mitarbeiter neu eingestellt, davon 5.200 in Deutschland. Wir gehen davon aus, dass wir auch in den kommenden Jahren ähnliche Größenordnungen erreichen können. Dies hieße also, dass wir im gleichen Zeitraum, in dem die 2.900 Arbeitsplätze verloren gingen, etwa 16.000 Mitarbeiter in Deutschland neu einstellen. Dies ist eine robuste Grundlage, mit der wir unterstützt durch Qualifizierung, für die wir im Übrigen pro Jahr mehr als 500 Millionen ausgeben, hoffentlich möglichst vielen der Betroffenen eine Perspektive werden geben können.

Was den Weg nach vorne angeht, so möchte ich Ihnen zusichern, dass wir mit großer Sorgfalt und Respekt an die Lösung des Strukturwandels in der fossilen Energieerzeugung herangehen. Die Einbindung unserer Mitarbeiter im Rahmen der Betrieblichen Mitbestimmung ist für uns ein hohes Gut. Wir sprechen auch lieber miteinander statt übereinander und suchen nach Lösungen auf der Basis von Fakten. Dazu muss aber der Dialog zwischen den Arbeitnehmer- und Unternehmensvertretern umgehen aufgenommen werden. Der öffentliche Wettbewerb im Populismus und Kampfparolen und die Verweigerung des Dialoges helfen den wirklich Betroffenen nicht weiter, höchstens unseren Mitbewerbern.

Sie werfen uns „verantwortungsloses Management“ vor. Damit müssen wir umgehen. Aber vielleicht sollten Sie sich dabei auch überlegen, wer wirklich verantwortungslos handelt: Diejenigen, die absehbare Strukturprobleme proaktiv angehen und nach langfristigen Lösungen suchen, oder diejenigen, die sich der Verantwortung und dem Dialog entziehen. Diese Frage stellt sich ja gerade ganz aktuell in einer Zeit, in der es nicht nur um die Belange einzelner Unternehmensteile bei Siemens, sondern um ein ganzes Land geht. Diese Frage hat ja auch bei der politischen Führung unseres Landes brennende Aktualität. 

Die Digitalisierung wird die Wirtschaft mit einem Strukturwandel in nie dagewesener Weise verändern. Die Sozialpartner — und auch die Politik — müssen lernen, damit umzugehen. Wir nennen das „Soziale Marktwirtschaft 2.0“. Sprüche wie „Manchester Kapitalismus“ mögen populären Beifall erheischen. Leise und zuletzt lachen werden aber Andere. Nämlich diejenigen, die die Herausforderungen und Chancen der Zukunft entschlossen gestalten — allen voran China und Indien. 

Siemens hat Anfang des Jahrtausends seine Wurzeln, das Telekommunikationsgeschäft, unrühmlich aufgeben müssen, weil es sich den Realitäten verweigert hat. Am Ende brachte der Niedergang des Telekommunikationsgeschäftes bei Siemens die ganze Firma ins Wanken. 

Das darf uns nicht wieder passieren — das sind wir den über 98% der Kolleginnen und Kollegen, die vom Strukturwandel im Energiegeschäft nicht direkt betroffen sind, schuldig. Denn wir haben mehr zu verlieren als eine Wahl. 

Ich hoffe, dass ich Ihnen damit helfen konnte, die Situation sachgerechter einzuordnen und lade Sie ein zu einem konstruktiven Dialog. Dafür stehe ich Ihnen jederzeit gerne persönlich zur Verfügung.

Mit freundlichem Gruß
Joe Kaeser

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