Doch Vad machte weiter, immer wieder überschüttet mit Hohn, Spott und Hass, bestärkt davon, dass er trotz seinen Fehleinschätzungen vielen Medien offenbar als Kenner und Analytiker der Situation galt. Sie luden ihn immer wieder ein, um sich von ihm den Kriegsverlauf und die Schlussfolgerungen erklären zu lassen.
Er war in die Eitelkeitsfalle geraten und kam nicht mehr heraus. «Stimmt nicht», sagt er. «Ich war davon getrieben, den Fokus darauf zu richten, dass Waffenlieferungen falsch sind, wenn es kein politisches Konzept für einen Frieden gibt.»
Es gibt ranghohe deutsche Offiziere, die ihn als jemand beschreiben, dessen Eigenwahrnehmung nicht mit der Aussenwahrnehmung übereingestimmt habe. Vad habe sich immer schon gern «aufgemantelt», also als jemand dargestellt, der er nicht ist, sagt einer von ihnen.
Als Vad ins Kanzleramt kam, leitete er ein Referat in der Abteilung zwei, «Aussen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik». Später wurde er Gruppenleiter, ein Dienstposten für einen Oberst. Sein Chef damals war Christoph Heusgen, der aussen- und sicherheitspolitische Berater von Merkel und heutige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz. Vad war der Verbindungsoffizier des Verteidigungsministeriums für das Kanzleramt. Er sollte Heusgen in Abstimmung mit dem Ministerium zuarbeiten. So lautete die Dienstpostenbeschreibung.
Potemkinsche Dörfer im Verteidigungsministerium
In der Praxis war es so, dass Heusgen und Merkel dem Verteidigungsministerium zu misstrauen schienen. «Die hatten den Eindruck, dass dort potemkinsche Dörfer gebaut werden», sagt Vad. In der Tat ist das ein generelles Problem des Verteidigungsministeriums. Selbst der Minister hat selten ein reales, dafür eher ein geschöntes Lagebild über sein Haus.
Merkel habe ihn immer wieder um seine Einschätzung gebeten, sagt Vad, etwa zur Situation in Afghanistan oder zur geplanten Abschaffung der Wehrpflicht durch den damaligen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg. Vad sei dem nachgekommen, mitunter ohne sich mit dem Ministerium abzustimmen. Das fand man dort nicht witzig, denn der militärische Berater der Bundesregierung, und damit auch ihres Chefs, ist dem Protokoll nach der Generalinspekteur der Bundeswehr.
Dass Vad für viele Medien in Deutschland zu einem begehrten Gesprächspartner wurde, liegt mindestens zu einem Teil in diesem Missverständnis begründet. Sie bezeichneten ihn wahlweise als «Merkels General» oder als «ehemaligen militärischen Berater von Ex-Bundeskanzlerin Merkel». Das galt ihnen wohl als Ausweis von Kompetenz. Vad, heisst es aus zwei ranghohen Quellen, sei jedoch nie militärischer Berater gewesen, sondern ein Gruppenleiter, der lediglich dem verteidigungs- und sicherheitspolitischen Berater der Kanzlerin zugearbeitet habe.
Keine Verbindung mehr zu Merkel und Heusgen
Die NZZ hätte Christoph Heusgen dazu gern befragt. Doch er liess ausrichten, dass er für ein Gespräch über Erich Vad nicht zur Verfügung stehe. Vad sagt, er habe zu Heusgen ein gutes Verhältnis gehabt, sei mit ihm aber heute nicht mehr in Kontakt. Das treffe auch auf Angela Merkel zu. Auch zu ihr gebe es keine Verbindung mehr, obwohl sie damals, wie Vad sagt, «schon ein enges Verhältnis» gehabt hatten.
Das könnte zutreffen. Merkel beförderte ihn zum Beispiel gegen den erklärten Willen des Verteidigungsministeriums zum Brigadegeneral. Dort nannten sie ihn «Zweiter von links», weil er sich immer auf Merkel-Fotos gedrängt habe und dort als Zweiter von links von ihr zu sehen gewesen sei.
Einmal angefangen als Apologet des unausweichlichen russischen Sieges, kam Vad aus der Rolle des «Putin-Verstehers» nicht mehr heraus. Er liess sich in Talkshows in die Ecke schieben, in der die Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine sassen, obwohl er gar nicht gegen Waffen war, sondern mit der Lieferung einen politischen Plan für einen Friedensprozess forderte. «Das wollte aber niemand hören, ich drang damit nicht mehr durch», sagt er heute.
Seine Exotenmeinung bringt Quote
Sein Problem war, dass er mit seinen häufigen Fehleinschätzungen und oft besserwisserisch anmutenden Äusserungen zum russischen Krieg seine Reputation verspielt hatte. Während seine fragwürdigen Aussagen im Fernsehen als Exotenmeinung noch Quote brachten, fand er bei der seriösen Presse kaum mehr statt. Für Vad, der es als «preussisch-deutscher Offizier als seine Pflicht» betrachtet, «Schaden vom Land abzuwenden» und «unbequeme Wahrheiten auszusprechen», war diese Ausgrenzung nur schwer erträglich. «Der Vorwurf, ich hätte keine Ahnung, hat mich hart getroffen», sagt er.
So kam es, dass er bei «Emma» landete. Die Zeitschrift der 80-jährigen Frauenrechtlerin Alice Schwarzer gab ihm noch ein Podium. Am 25. Januar fragten sie ihn dort in einem Interview, was er Kanzler Olaf Scholz im Februar 2022 geraten hätte. Vad antwortete, er hätte ihm geraten, «die Ukraine militärisch zu unterstützen, aber dosiert und besonnen, um Rutschbahneffekte in eine Kriegspartei zu vermeiden».
Niemand kann sagen, dass der deutsche Kanzler nicht genau so gehandelt habe. Doch bei Vad hört es sich an, als hätte Deutschland den Russen den Krieg erklärt. Alice Schwarzer habe ihn gefragt, ob er sich ihrem «Manifest für den Frieden» anschliessen wolle, berichtet er. In dieser mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht initiierten Online-Petition ist die Rede von einer «Eskalation der Waffenlieferungen in die Ukraine», von «Waffenstillstand und Friedensverhandlungen».
Vad liess sich vor den linken Karren spannen
Vad gehörte zu den 69 Erstunterzeichnern. Vollends ins Abseits katapultierte er sich allerdings mit seinem Auftritt auf der Kundgebung «Aufstand für den Frieden» am 25. Februar in Berlin. Seine Rede war ausgewogen, durchaus diskussionswürdig. Doch das ging unter.
Denn Vad, das «konservative Urgestein und Mitglied der Rotarier», wie ihn ein bekannter Geisteswissenschafter beschreibt, war nicht nur auf einer verkappten Versammlung der Linkspartei gelandet. Sondern er stand gemeinsam auf einer Bühne mit Sahra Wagenknecht, die in ihrer Rede in klassischem linkem Propagandastil von «Kriegstrommlern» sprach und die Bundesregierung adressierte. Die Scholz und Ministern vorwarf, sich mit Leuten wie dem ukrainischen Ex-Botschafter Andri Melnik, der «echte Nazis» verehre, gemeinzumachen.
Wie Vad auf der Bühne steht, etwas abgesetzt von den anderen, während unten die Leute im Schneefall «Frieden schaffen ohne Waffen» skandieren, da ist ihm das Unbehagen anzusehen. Während er seine Hände tief in den Jackentaschen vergraben hat, fassen sich Schwarzer, Lafontaine, Wagenknecht und Co. bei den Händen und schunkeln zu «Imagine» von John Lennon. Vielleicht ist ihm in diesem Moment bewusst geworden, dass er sich von ihnen vor den linken Karren hat spannen lassen.
So sagt er es, im Münchner «Augustiner» sitzend, aber nicht. Er sagt, er werde sich mit Sahra Wagenknecht auf keine Bühne mehr stellen. Sie gehöre zu den Leuten in Deutschland, die von den «Denkverboten» profitierten, die es in der deutschen Debatte über den Krieg in der Ukraine gebe. «Da müssen wir aufpassen.»
Noch interessanter ist allerdings, wie Vad auf die Linken-Bühne am Brandenburger Tor gekommen ist. «Ich habe das für Alice gemacht», sagt er, «aus Dankbarkeit, dass sie mir in ‹Emma› die Möglichkeit gegeben hat, meine Gedanken zu den Waffenlieferungen darzulegen.»