Samstag, 18. März 2023

Justizreform in Israel: Was flüsterte Scholz seinem Amtskollegen Netanyahu?

von Albrecht Künstle...

Israels Regierung will sich nicht länger von seinem höchsten Gericht rügen lassen und hat angekündigt, dessen Urteile nicht mehr alle zu akzeptieren, wenn dieses aus der Sicht ihrer gewählten Regierungsmehrheit nicht mehr gemäß dem (vermeintlichen) Willen der Wählermehrheit entscheidet. Dies läuft zwingend und zweifellos auf die Aufhebung der Gewaltenteilung hinaus - eines wesentlichen Elementes jeder Demokratie. Seit Monaten demonstriert eine große Minderheit der Bürger und Nichtbürger Israels gegen diese bedenkliche Entwicklung. Das einzige demokratische Land im Nahen Osten trifft nun einmal mehr die Verachtung der Weltöffentlichkeit und Deutschland positioniert sich dabei an vorderster Front Es vergeht kaum ein Tag, an dem das hiesige Fernsehen nicht Demonstrationen gegen die "rechtsextreme" Netanyahu-Regierung zeigt.



Und nun war der „Leibhaftige“ sogar in Berlin auf Staatsbesuch – um gut Wetter zu machen? Netanyahu rechtfertigte seinen Standpunkt respektive die Politik seiner Regierung mit der Formel: „Eine unabhängige Justiz ja - eine allmächtige nein“. Öffentlich, vor den Kameras der etablierten Medien, mahnte ihn daraufhin Kanzler Olaf Scholz, er sei darüber in „großer Sorge“. Was aber wird er Netanyahu wohl ins Ohr geflüstert haben, nachdem die Journalisten weg waren? Vielleicht etwa dies: "Bibi, sieh mal, wir in Berlin machen das anders! Meinst Du, wir überlassen die Rechtsprechung dieser blinden Justitia mit ihrer Waage in der Hand? Nein, das geht bei uns ganz großes Aufsehen. Hast Du in den letzten Jahren einmal vernommen, dass uns das Karlsruher Bundesverfassungsgericht je ins Handwerk gepfuscht hätte? Nein, die Richter haben nur mahnend den Finger gehoben. Sogar unsere verfassungswidrige Verschuldungspraxis und vieles andere haben sie durchgewinkt!”

Spekulatives, aber plausibles Geflüster

Und während Netanyahu vielleicht noch nachdachte, könnte Scholz fortgefahren sein: "Bibi, Du musst nur die richtigen Richter richten lassen, dann hast Du es einfacher. Schau, nach der Besetzung der letzten Stelle beim Bundesverfassungsgericht auf Vorschlag der Grünen haben wir nun einen Martin Eifert als 'Klima-Richter'. Denkst Du, dieser wird unserer Klimapolitik auch nur ein einziges Mal in die Parade fahren? Oder wenn wir uns nicht trauen, harte Maßnahmen gegen die Bevölkerung durchzusetzen, freuen wir uns über solche Richter als Wadenbeißer, die uns den Ball zuspielen!“ Einen solchen oder gleich mehrere ähnliche Ratschläge könnte Demokratiemeister Scholz seinem israelischen Adepten durchaus mit auf den Weg gegeben haben.

Denn: Das Bundesverfassungsgericht wird bei uns von amtierenden Politikern gewählt. Aber Israel wirft man trotzdem vor, dass die Politik bei der Ernennung der Verfassungsrichter demokratiewidrig Einfluss nehmen wolle. Welche Heuchelei: Bei uns werden diese Richter ebenfalls von Politikern des Bundestages und Bundesrates bestimmt - und damit von den Parteien. Nicht von Oppositionspolitikern, die den Gesetzgebern auf die Finger schauen sollen, sondern von denen, welche die Gesetze machen. Und so wurde das höchste Gericht besetzt. Hackt eine Krähe der anderen die Augen aus? Kaum; aber wenn zwei das Gleiche tun, scheint das hier bei uns in Ordnung zu sein, wohingegen es in Israel verwerflich und demokratiefeindlich ist. So ist das eben mit den doppelten Maßstäben unserer Politiker und ihrer Mainstreammedien.
Musterdemokraten im Glashaus

Wer Zweifel hat, wird in den Archiven schnell fündig: „Wissenschaftler haben untersucht, ob Bundesverfassungsrichter im Sinne der Parteien entscheiden, von denen sie nominiert wurden. Eine parteiliche Prägung lässt sich belegen…“, wird etwa hier attestiert. Und die "Zeit” titelt: „Rechtsstaat: Politiker als Richter? Wenn Politiker vom Bundestag in die Wirtschaft wechseln, erweckt das Misstrauen. Ebenso ein Wechsel zum Bundesverfas-sungsgericht, wie der Fall Stephan Harbarth zeigt.“ Das waren allerdings Zweifel im Jahr 2018. Die seitherigen Jahre zeigten, dass besagter Harbarth jenen Herrschaften, mit denen er diniert und verkehrt, nichts Ernsthaftes und schon gar kein politisches Ungemach entgegensetzt.

Was Deutschland von Israel unterscheidet: Netanyahu will in bestimmten Fällen Entscheidungen des obersten Gerichts überstimmen. In Deutschland geht das jedoch nicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht ausnahmsweise einmal ein Gesetz aufhebt, räumt es dem Gesetzgeber eine lange Frist ein, um es zu ändern. Mit anderen Worten, man darf nach dem Richterspruch noch einige Jahre gegen die Verfassung verstoßen. Durchaus so lange, dass allenfalls die nächste Regierung die Änderung umzusetzen hat. Oder, wie mehrfach vorgekommen: Der Bundesfinanzhof (BFH) verwirft eine Steuerregelung und das Bundesfinanzministerium (BMF) weist die Finanzämter daraufhin an, die Entscheidung "bis auf weiteres” nicht anzuwenden. Ist diese Praxis vielleicht besser als das, was nun in Israel ansteht?

Und die Moral von der Geschichte', wenn es eine solche gibt? Unsere Medien und die von ihnen favorisierten Politiker unserer „Musterdemokratie“ sollten besser sehr, sehr zurückhaltend sein, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigen – so wie jetzt auf Israel und zuvor auch schon auf Polen oder Ungarn. Denn dabei zeigen immer drei Finger auf einen selbst zurück.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen