Montag, 6. März 2023

Die ganze Welt forscht an der Kernkraft-Technik – nur Deutschland nicht

Fritz Vahrenholt, Hochschulprofessor und ehemaliger Umweltsenator Hamburgs, wurde lange als „Klimawandel-Leugner“ abgestempelt. Wegen seiner unpopulären Thesen verlor der SPD-Politiker sogar seinen letzten Job. Obwohl Fritz Vahrenholt auch heute noch nicht dem Leitbild der gesellschaftlich anerkannten Debatte entspricht, so sind seine kontroversen Sichtweisen inzwischen für nicht wenige hochinteressant und diskussionswürdig – auch für die Medienwelt. Und damit für uns. Janina Schäfer spracht mit dem unbequemen Zwischenrufer.


Prof. Vahrenholt, der Öffentlichkeit wird seitens Politik und Medien vermittelt, dass die allgegenwärtige Energiekrise in dem Angriffskrieg Russlands begründet ist. Dabei wurden die Preissteigerungen durch die Stilllegung von Atom- und Kohlekraftwerken bereits über Jahre hinweg begünstigt. Bekommt Deutschland jetzt die Quittung für eine wenig vorausschauende Energiepolitik?

Ja, absolut. Die Strompreise haben sich bereits im Jahr 2021 verdreifacht, die Gaspreise sogar vervierfacht. Die Stilllegung von Kohle- und Kernkraftwerken hat für eine massive Zunahme der Stromkosten gesorgt. Da wir im Anschluss an die Pandemie einen neuen Konjunkturaufschwung zu verzeichnen hatten, war auf einmal zu wenig Strom vorhanden, und man griff zur Kompensation auf Gaskraftwerke zurück, die bislang eigentlich nur die Bedarfsspitzen abdecken sollten.

Die Nachfrage bestimmte das Angebot und so wurde auch noch das Gas teurer. Dann kam der Ukraine-Krieg, der zu einer weiteren Verschärfung der Energiepreise führte. Wir haben den Fehler gemacht, dass wir in den letzten zehn Jahren Kraftwerke stillgelegt haben, ohne diese durch verlässliche neue Kraftwerke zu ersetzen. In diese Situation ­haben wir uns selbst hineinmanövriert.

Im Jahr 2022 hat die Bundesregierung einen weiteren schweren Fehler begangen: Als im Frühjahr klar war, dass die Stromversorgung knapp wird, hätten wir die Braunkohle wieder ans Netz bringen und ein Signal für die Laufzeitverlängerung unserer Atomkraftwerke setzen müssen. Letzteres ist aber erst im Herbst passiert, jedoch sind die Strompreise unterdessen, wie wir wissen, auf rund 70 Cent pro Kilowattstunde angestiegen. Erst im Herbst hatte sich der Wirtschaftsminister dazu durchgerungen, die Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu bringen. Und erst im Oktober wurde durch ein Machtwort des Kanzlers eine Verlängerung der Laufzeiten der letzten drei Kernkraftwerke bis zum April diesen Jahres verfügt. So wurden 20 bis 30 Milliarden Euro durch politisches ­Unvermögen einfach versenkt. Das lag daran, dass die Grünen ideologische Probleme mit Kern- und Kohlekraftwerken haben. Kohlekraftwerke werden lautstark zum Hauptfeind erklärt, obwohl diese durchaus umwelt- und klimafreundlich gemacht werden können. Dass das jedoch nicht passiert, wirft die Frage auf: Warum geht man nicht den technischen Weg, Kohlekraftwerke mit einer CO2-Abscheidung auszustatten? Die Antwort ist ernüchternd: Es ist die ideologische Engstirnigkeit, die die Grünen dazu bringt, sich technologischen Lösungen gegenüber zu versperren.

Sie plädieren ja nicht nur für eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke, sondern auch für die CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken und die Entwicklung einer neuen, sicheren Generation von Kernkraftwerken. Welchen Vorteil bieten die letztgenannten Reaktoren gegenüber den herkömmlichen Kraftwerken?

Da die Kernenergie immer noch die preiswerteste Technologie zur Stromerzeugung ist, wäre die Laufzeitverlängerung eine selbstverständliche Voraussetzung für das Weiterbestehen industrieller Produktion in Deutschland. Die inhärent sicheren Kernkraftwerke der vierten Generation zeichnen sich durch drei große Vorteile aus. Erstens: Es gibt kein Störfallrisiko mehr und zweitens: Als Brennstoff werden die abgebrannten Brennelemente der älteren Kernkraftwerke eingesetzt.

Damit wäre auch das Endlagerungsproblem gelöst

Und drittens: Diese Art von Kernkrafttechnik lässt keine langlebigen radioaktiven Abfälle entstehen. Die ganze Welt forscht an dieser Technik, nur Deutschland nicht. Aber das wäre unsere Aufgabe als Technologie- und Innovationsland. Innovativ war auch eine Technologie, die in einem Kraftwerk in Ostdeutschland, in dem Braunkohle verbrannt wurde, zur Anwendung kam. Mit der sogenannten CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage) wurde das CO2 direkt aus dem Schornstein entfernt und in tiefe Sedimentschichten verbracht. Aber auch das ist in Deutschland mittlerweile verboten. Auch hier stelle ich mir die Frage, warum man eine solche Technologie ablehnt. Braunkohle ist der ureigenste Bodenschatz, den wir haben und würde uns eine wettbewerbsfähige Stromversorgung ermöglichen. Und wieder die Frage: Warum machen wir das nicht? Mir scheint auch hier, dass der Kampf um die Kohle ausschließlich ideologisch geführt wird.

Verhält sich das mit Fracking nicht ähnlich? Lässt sich Gas mit der ­Fracking-Methode in Deutschland nicht umweltunschädlicher fördern als in anderen Ländern, oder haben die Gegner der Fracking-Methode mit ihren Ansichten recht, wenn sie vor dieser Technologie warnen?

Zum besseren Verständnis: Wir reden hier nicht von der normalen Gasförderung in 500 oder 1.000 Metern Tiefe. Wir reden über sehr tiefe Vorkommen in rund 3.000 Metern Tiefe, in der das Gas in kleinen Poren des Gesteins gefangen ist. Diese Gesteinsschichten werden angebohrt und mit Wasserdruck dazu gebracht, aufzureißen und das Gas freizugeben.

Das Märchen von zugesetzten Chemikalien beschreibt in Wirklichkeit lediglich ein zugesetztes Sand-Guar-Gemisch. Sand, um die Gesteinsspalten offen zu halten und Guar, um als Suspension den Sand im Wasser gleichmäßig zu verteilen. Guar kennen wir aus unserem Softeis.

Es sorgt dafür, dass das Eis cremig wird und ist sogar zum Verzehr geeignet. Die These, wir würden durch diesen Prozess unser Grundwasser verseuchen, lässt sich ebenfalls widerlegen. Unser Grundwasser befindet sich in rund 200 Metern Tiefe, die Bohrungen fänden jedoch in einer Tiefe von etwa 3.000 Metern statt, sodass das Grundwasser in den Prozess nicht involviert wäre. Kurzum: Wir haben einen großen Schatz in Deutschland, der uns für die nächsten 20 bis 30 Jahre das Erdgas zu günstigen Bedingungen liefern würde.

Der Bezug von Flüssiggas aus den USA ist aus zwei Gründen keine sehr sinnvolle Lösung. Zunächst wäre da die CO2-Bilanz des Transports – Flüssiggas muss auf 160 Grad heruntergekühlt werden – und die höheren Transportkosten. Und nicht zu vergessen: die mangelnde Sorgfalt, die die Amerikaner bei der Förderung an den Tag legen. Die Amerikaner verfüllen nach Abschluss der Bohrung die Bohrstelle nicht, was dazu führt, dass noch Jahrzehnte lang eine kleine Menge an Erdgas aus der Öffnung perlt. Folglich nimmt der Methangasanteil in der Luft über Amerika zu. Das Problem: Methan ist ein viel folgenschlimmeres Gas als CO2. Das heißt: Mit unserer Nachfrage nach Flüssiggas aus Amerika sind wir mitverantwortlich für diese Umweltsauerei, die da passiert. Wir in Deutschland könnten diese Technologie „sauber“ gestalten. Kein Landrat würde in Deutschland eine Bohrung ohne spätere Versiegelung genehmigen.

Die exorbitant gestiegenen Gaspreise werden möglicherweise viele Unternehmen – insbesondere kleine und mittelständische Betriebe – in den Ruin treiben. Welche Wirtschaftsbereiche sind Ihrer Meinung nach aktuell besonders gefährdet?

Beim Gas ist es zunächst der gesamte Bereich der Metallverarbeitung. Diese Unternehmen stehen vor dem Problem, die Vervielfachung des Gaspreises auf ihre Produkte umzuwälzen. Gleiches gilt für die Kunststoff- und Glasindustrie. Auch die chemische Industrie wird zu kämpfen haben: Der Energiebedarf, zum Beispiel bei der Herstellung von stickstoffhaltigem Düngemittel, basiert auf Erdgas. Die Erdgasverteuerung hat die Düngemittel bereits jetzt doppelt so teuer werden lassen wie vor drei Jahren. Das wiederum schlägt sich in den Nahrungsmittelkosten nieder. Erdgas galt als geheime Lösung der Energiewende.

Die Energiewende konnte nur funktionieren, weil preiswertes Erdgas aus Russland in den Zeiten, in denen Sonne und Wind nichts lieferten, die entstandenen Stromlücken gefüllt hat. Zudem haben wir es unserer Industrie bereits seit Jahren mit unserem, im weltweiten Vergleich höchsten Strompreisniveau nicht leicht gemacht. Aber jetzt sind wir so weit, dass sich Unternehmen mit dem Gedanken beschäftigen, die Produktion herunterzufahren. Zink- und Aluminiumhütten stehen still, teilweise sind bereits die Hochöfen der Stahl- und Düngemittelindustrie heruntergefahren. Ich kenne auch viele Mittelständler, die laut eigener Aussage auf Dauer nicht werden durchhalten können, weil sie die gestiegenen Kosten nicht auf ihre Endprodukte umlegen können. Einem Kupferdraht sehen Sie nicht an, ob er aus dem teuren Energieland Deutschland, oder aus dem billigen Energieland China kommt.

Stichwort China: Jede dritte Tonne CO2 wird in China erzeugt. Das Land gilt nach dem Pariser Klimaabkommen als „Entwicklungsland“ und muss sich daher kaum an CO2-Vorgaben halten. Dabei bezieht China 60 Prozent seiner Energie aus Kohle und baut derzeitcirca 200 neue Kohlekraftwerke. Ihre Bewertung?

Sogar zwei Drittel der Energie gewinnt China aus Kohle. China wird in der Tat als Entwicklungsland eingestuft – und das als größte Exportnation der Welt. Und Entwicklungsländer sind laut dem Pariser Abkommen von einer CO2-Begrenzung ausgenommen. Wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint, sollte man sich von der Vorstellung verabschieden, nur unser deutsches CO2 würde das Klima beeinflussen. Statt sich in Lützerath anzukleben, sollte die „Ende Gelände“-Bewegung eher den „Platz des Himmlischen Friedens“ in Erwägung ziehen, da jede dritte Tonne CO2 in China produziert wird. Man kann es auch anders formulieren: China wird so weitermachen, da laut Pariser Abkommen der Status als Entwicklungsland nicht verpflichtet, Beiträge zum Klimaschutz leisten zu müssen.

Für Tansania und für Nicaragua kann ich das rechtfertigen, aber nicht für China. Jede Produktion, die aus Deutschland nach China verlagert wird, erhält einen etwa dreimal so großen CO2-Fußabdruck wie eine Produktion in Deutschland. Das heißt, die stattgefundene Verlagerung von Daimler-Benz-Motoren von Süddeutschland nach China hat dazu geführt, dass sich bei der Produktion dieser Motoren deren CO2-Bilanz verdreifacht hat. Fassen wir zusammen: Weniger Arbeitsplätze, geringer Lohn für die Arbeitnehmer und erhöhte CO2-Bilanz. Wo ist da der positive Aspekt? Jetzt sollen wir unsere Emission bis 2035 nochmal halbieren. Das wäre die Menge, die China in einem Jahr zusätzlich freisetzt. Wo bleibt da die Stimme der Vernunft? Deutschland hat in den letzten 20 Jahren nicht nur die Emissionen um 40 Prozent reduziert – mehr als jede andere Nation.

Prof. Fritz Vahrenholt analysiert ideologiefrei die aktuelle Energiepolitik und stellt erneut klar, dass ein deutscher Alleingang unsinnig, weltfremd und selbstzerstörerisch ist. Er zeigt nicht nur die Ursachen dieser Misere auf, sondern bietet auch noch Lösungen an – heutzutage ein Alleinstellungsmerkmal in dieser weltanschaulich geprägten Debatte.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen