Dienstag, 11. Oktober 2022

Mäh! Uns geht's doch so gut!

von Mirjam Lübke...

Der Vergleich der Deutschen mit einer Schafherde mag mittlerweile etwas überstrapaziert daherkommen - aber er passt einfach immer wieder. Eine weitere Analogie zur Tierwelt wäre der weniger bekannte Ameisenkreisel: Die fleißigen Insekten sind fast blind und folgen der Duftspur ihrer Mitameisen. Bisweilen kommt es vor, dass eine Ameise orientierungslos im Kreis herumirrt und alle anderen ihr folgen. Das tun sie bis zur tödlichen Erschöpfung, was man auch in unserem Land beobachten kann - einzelne Journalisten drehen sich zum Thema Corona oder Ukraine-Krieg ständig im Kreis, ohne neue Impulse aufzunehmen und merken es noch nicht einmal. Oder sie merken es und setzen die Wiederholung so lange ein, bis der Durchschnittsbürger ihr glaubt.



Eine solche Dauerschleife ist es, seinen Lesern bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufzutischen, wie gut es ihnen im Vergleich zu den Bewohnern anderer Länder geht. Ein Schema, das uns aus Kindheitstagen vertraut ist, wenn uns ein Wunsch abgeschlagen wurde. Die Ungerechtigkeit nagt an einem, aber die Autoritäten machen einem ganz schnell klar, wie böse und egoistisch es ist, auch nur unzufrieden zu sein. Eltern könnten einfach zugeben, kein Geld für die Erfüllung des Wunsches zu haben, wollen sich aber die Blöße nicht geben. Noch weniger möchten die Meinungsmacher öffentlich eingestehen, wie wenig sie geneigt sind, sich selbstkritisch mit den eigenen Ideen auseinanderzusetzen. Natürlich würden sie sich eher die Zunge abbeißen, als ihre Methoden der Cancel Culture und Lenkung der öffentlichen Meinung offenzulegen - das würde sie schließlich wirkungslos machen. So paradox es klingt: Wir sollen uns schlecht fühlen, gerade weil wir uns schlecht fühlen. Mundwinkel nach oben um jeden Preis.
 
Wer einmal die Dokumentation "Total Control Zone" gesehen hat, weiß, wie in Nordkorea mit Abweichlern aller Art verfahren wird. Der Staat kontrolliert jede Kleinigkeit bis ins Private hinein, da reicht schon eine übersehene Staubflocke auf dem obligatorischen Bild von Kim Jong Il, um einen ins Arbeitslager zu bringen, wo Folter und Hunger an der Tagesordnung sind. Selbstverständlich kann man das nicht mit Deutschland vergleichen - aber wenn das Wasser um mich herum mir bis zur Hüfte steht, beruhigt mich der Gedanke an die bereits Ertrunkenen nur wenig. Manche Diktaturen beginnen mit einem Knall - wie das Mullah-Regime im Iran - andere schleichen sich an. Und da können Gehorsamkeitstests durchaus zum Programm gehören: Lassen sich Menschen Spritzen zweifelhaften Inhalts setzen, wenn der Staat es so vorgibt? Halten sie sich an eine Maskenpflicht, auch wenn diese an den meisten Orten überhaupt keinen Sinn ergibt? Wenn die Antwort "Ja!" lautet, dann ist die erste Hürde zum Totalitarismus genommen - und die Sache wird zum Selbstläufer. Wer jetzt auch nur vorsichtig den Finger hebt und sich verdächtig räuspert, stört den Ablauf.
 
Er kann auch beteuern, nichts gegen freiwilliges Impfen und Maskentragen zu haben, so lange man ihn nur damit in Ruhe lässt, es wird ihm nichts nutzen. Das ist mittlerweile in allen Angelegenheiten so. Man kann für ein sinnvolles Maß an Migration einstehen, aber eben davor warnen, unser Land damit zu überlasten, es reicht nicht aus, um einen vom Vorwurf des Rassismus zu befreien. Und wer sagt, dass er Putin zwar für einen Schurken hält, der durchaus einiges falsch gemacht hat, aber trotzdem um der Vernunft Willen Verhandlungen mit ihm vorschlägt, ist sein Freund. In der Meinungsbildung werden wir mittlerweile mit Haut und Haaren verschlungen.
 
Und es wirkt leider. Sogar bei mir, bis ein herzhaftes "Moment mal!" mein schlechtes Gewissen wieder ausbremst. Niemand, der sich selbst ins Elend stürzt, kann noch etwas für andere tun. Wir finanzieren der Ukraine Waffensysteme, mit denen noch nicht einmal unsere eigene Bundeswehr ausgestattet ist, wie jetzt das "Lisa"-Luftabwehrsystem. Wobei dies wenigstens mehr Sinn macht als "Tierpanzer", die eindeutige Angriffswaffen sind.
 
Aber es fängt schon weit unterhalb dieser Schwelle an. Menschen beteuern plötzlich, noch nie jeden Tag geduscht zu haben, weil das bekanntlich schädlich für die Haut sei. Die gestern von mir erwähnte Liane Bednarz will sich gar atomisieren lassen, bevor sie auch nur ein Zugeständnis an Putin macht - zum Glück wird man sich in Moskau reichlich wenig für ihren Heldenmut interessieren. Man kann plötzlich nachvollziehen, wie es den Nazis gelang, gegen Ende des Krieges, als Deutschland schon in Schutt und Asche lag, noch einmal junge Leute für den "Volkssturm" zu begeistern. Einige werden dabei sicherlich aus Zwang mitgemacht haben, aber andere stürzten sich mit Begeisterung in den Tod. Das allerdings ist der entscheidende Unterschied zwischen damals und heute: Die "jungen Wölfe" mussten bitter in der Realität des Krieges für ihren Fanatismus bezahlen. Unsere heutigen Helden stürzen sich einfach auf das nächste Thema, mit dem sie ihr Umfeld und den Rest der Menschheit moralisch unter Druck setzen können.
 
Man sollte in dieser Sache also seinem Bauchgefühl folgen, gepaart mit einer Portion Alltagslogik: Wenn diese Appelle klingen, als wäre an ihnen etwas faul, dann ist es meist auch so. Wenn einem andere Selbstsucht und mangelnde Rücksicht vorwerfen, steckt dahinter oft ein "Mach gefälligst, was ich will!" - und sie wissen auch instinktiv, bei wem sie mit dieser Methode durchkommen. Den wirklich Abgebrühten dürfte es nämlich ziemlich egal sein, was die Moralwächter von ihnen denken.


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