von Mirjam Lübke...
Pünktlich zur Wiedereinführung der FFP2-Maskenpflicht in der Bahn tischt uns die Bundesregierung nun auch noch heimlich, still und leise einen Maulkorb der besonderen Art auf. Wer in der pandemischen Gesichtsverhüllung schon immer ein böses Omen für das Schwinden der Meinungsfreiheit gesehen hat, sieht sich jetzt bestätigt: Mit der Erweiterung des Paragraphen 130 des StGB droht uns eine weitere Verengung des Diskurses. Da hebt man vorsichtig sein Fingerlein und merkt schüchtern an, es gäbe im Ukraine-Krieg komplexe Zusammenhänge zu beachten - und schon muss man mit Behördenpost rechnen, wenn ein empörter Bürger es so will. Und da auf einen Verstoß gegen den Volksverhetzer-Paragraphen, wie man ihn im Volksmund nennt, bis zu drei Jahren karger Staatspension stehen können, hat das durchaus den gewünschten Einschüchterungsfaktor. Vor allem, wenn das Gesetz so diffus formuliert ist, dass man es nach Bedarf zur Anwendung bringen kann.
Deshalb gibt es Stimmen, die den Paragraphen ganz aus dem Gesetz streichen wollen, weil er leicht als politische Waffe eingesetzt werden kann. Nicht nur von Regierungsseite, sondern auch von Aktivisten, die störende Kritiker abservieren möchten. Sie nutzen dabei den "Wo Rauch ist, ist auch Feuer"-Effekt, denn selbst wenn der Beklagte vor Gericht freigesprochen wird, bleibt die Anklage im Gedächtnis der Öffentlichkeit haften. Beschuldige ich jemanden wider besseres Wissen als Dieb, kann das dessen Ruf nachhaltig beschädigen, wenn er sich etwa für einen Job bewerben will. Aber wenigstens bleibt dem Beschuldigten eine kleine Chance, den anderen der üblen Nachrede zu überführen und seine niederen Motive offenzulegen. Der Ankläger bei Meinungsdelikten kommt besser davon: Er wollte für das Gute kämpfen, das wird ihm als mildernder Umstand anerkannt. Empört man sich nicht zurecht über manche krude Meinung?
Dabei machte der Paragraph in seiner Urform durchaus noch Sinn. Im Kaiserreich sollte er die öffentliche Ordnung bewahren und die Bürger vor Gewaltandrohung schützen. "Volksverhetzung" damals hieß, seine Mitbürger mit feurigen Reden auf andere Bürger loszulassen. Wer etwa zu Sachbeschädigung aufrief oder dazu, Angehörige einer bestimmten Gruppe tätlich anzugreifen, musste mit Strafe rechnen. Da fielen mir auf Anhieb einige Anwendungsbereiche ein, die durchaus in die heutige Zeit passen würden: So etwa gewisse Antifa-Plattformen, die unliebsame Ziele eindeutig markieren und sich anschließend zu deren Zerstörung gegenseitig gratulieren. Ursprünglich stammt das Gesetz übrigens aus Frankreich und sollte weitere Gewaltexzesse wie die während der Revolution stattgefundenen verhindern. Denn die Franzosen wussten genau, wohin ideologischer Wahn im Stile der Jakobiner führen konnte.
Eigentlich sollte mein Text von einem Tweet von Deniz Yükcel begleitet werden, der die Gesetzesänderung sehr kritisch sieht. Und für mich ist es immer ein kleiner Lichtblick, wenn von "der Gegenseite" eine vernünftige Äußerung kommt, gerade, wenn es um den Erhalt der Meinungsfreiheit geht. Es keimt ein Fünkchen Hoffnung auf, noch nicht alles wäre verloren. Dann aber stieß ich auf die Ausführungen von Hans-Georg Maaßen - der selbst bekanntlich Opfer der Meinungsdiktatur wurde. Er machte darauf aufmerksam, wie weitreichend die Konsequenzen des geänderten Paragraphen ausfallen: Künftig wird es Behörden möglich sein, auch die Telefonate von Bürgern zu verfolgen, die im Verdacht stehen, Volksverhetzung zu betreiben. Als angebliche Prävention. Mit dem Schutz des öffentlichen Friedens hat das nicht mehr viel zu tun, das riecht nach Gesinnungsschnüffelei. Wer sich bei Freunden am Handy über Selenskij auslässt, sollte sich darauf verlassen können, dass sein Frust ihm nicht als Straftat ausgelegt werden kann - denn der Weg vom großen Wort hin zur Tat ist meist viel länger, als uns die Medien weismachen wollen. Da wird Prävention zum Gefängnis, wie in Philipp K. Dicks Kurzgeschichte "Minority Report", in welcher der Staat die Bürger auf Grund von Prognosen verhaftet. Ist es nicht schön, Verbrechen auf diese Art zu verhindern? Nein, denn in einem Rechtsstaat sollte man nur für eine Tat bestraft werden und nicht für einen Gedanken.
Wer den Bürgern verbietet, privat Dampf abzulassen, züchtet gerade Aggressionen heran. Man kann Menschen die Wut nicht aberziehen, auch wenn das für die Regierung äußerst bequem wäre. Aber auch die öffentliche Debatte ist bedroht: Über vieles, was derzeit im Ukraine-Krieg geschieht, wissen wir nur das, was wir aus der Propagandaschlacht der Beteiligten herausklauben können. Muss dann bald ein Journalist, der die tatsächlichen Ereignisse ermitteln will, Angst vor Verhaftung haben, weil er die Version unserer "Verbündeten" anzweifelt? In den meisten Talk-Shows trifft man ohnehin nur noch ein sehr eingeschränktes Meinungsspektrum an, dieses dürfte sich dann bald noch weiter verengen. Wir wissen, wie gern in Deutschland denunziert wird. Niemand hat auf Dauer das Geld und die Nerven, ständig bei Gericht seine Äußerungen verteidigen zu müssen. Der Einschüchterungsfaktor ist enorm - und soll es wohl auch sein.
Aber was ist mit jenen, die wirklich grauenvolle Meinungen vertreten? Den Haverbecks und Irvings etwa, denen man am liebsten an die Gurgel gehen möchte, da ihre Äußerungen für die Opfer des Nationalsozialismus eine Beleidigung und ein Schlag ins Gesicht sind? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, auch wenn ich mittlerweile denke, man sollte diese Leute sich selbst entlarven lassen, indem man sie mit Fakten konfrontiert. Meist bröckelt die Fassade des "Wahrheitssuchers" nämlich sehr rasch von ihnen ab und es bräuchte keinen Meinungsparagraphen mehr, um ihnen juristisch zu Leibe zu rücken, denn der Umgang mit Verleumdungen und Beleidigungen ist ebenfalls im StGB geregelt. So billigen wir einigen wenigen die Macht zu, unsere Meinungsfreiheit in Geiselhaft zu halten. Und bieten den Gegnern der Meinungsfreiheit ein Instrumentarium, uns nach Belieben mit ihnen in einen Topf zu werfen.
Andere Meinungen können uns verletzen, beleidigen, empören oder vor Wut die Wände hochgehen lassen. Aber jedesmal, wenn jemand ruft "das sollte man verbieten", sollte er bedenken, dass er damit auch seine eigene Freiheit beschränkt. Denn seine Meinung könnte die nächste sein, die Empörung hervorruft - und dann fliegt der Bumerang zu ihm selbst zurück.
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