Sonntag, 2. Oktober 2022

Was ist mit der TAZ los?

von Mirjam Lübke...

Da muss sich Karl Marx vor Schreck erst einmal hinsetzen: Die TAZ verteidigt den imperialistischen Klassenfeind USA! Das ist grundsätzlich natürlich legitim - aber doch recht ungewöhnlich für ein stramm linkes Blatt. Fast so, als würde das "Neue Deutschland" plötzlich McDonald's als kulinarisches Ereignis bewerben oder die "Vogue" Mode von C&A auf ihren Hochglanzseiten mit dicken Models präsentieren. Seitdem sich im Playboy die Damen nicht mehr nackt räkeln, steht die Presselandschaft offensichtlich Kopf.


Im großen NordStream-Krimi stehen weder Gärtner noch Butler als Verdächtige bereit, bei der Frage nach Motiv und Gelegenheit haben die USA die Nase vorn. Auch wenn das kein Beweis, sondern lediglich ein Anfangsverdacht ist, muss nun auch Hauptgegner Putin um jeden Preis in den Topf der Verdächtigen geworfen werden. Ein nachvollziehbares Interesse an der Sprengung der Pipelines fehlt zwar in seinem Falle, aber dann bastelt man schnell eins: Es ginge ihm um die Spaltung Europas.

Seltsame Erläuterungen sind in jüngster Zeit an der Tagesordnung, was mich - wieder einmal - dazu bewegt, einen Blick auf die Grünen zu werfen: Annalena Baerbock etwa ist jetzt nicht mehr nur Expertin für Rüstungsgüter aller Art, sondern auch Islamwissenschaftlerin: Im Bundestag erklärte sie, Frauen würden im Iran nicht um der Religion willen verprügelt, wenn sie keine Kopfbedeckung tragen wollen. Vielmehr habe dies nur mit allgemeiner Frauenfeindlichkeit zu tun. Vielleicht gehen die Mullahs in ihrer Vorstellung als "alte weiße Männer" durch, weil einige von ihnen weiße Turbane tragen. Wenn man das als Grund angeben könnte, warum so etwas immer nur in muslimischen Ländern geschieht, dann wäre es ein gelungener Coup, und der Prophet Mohammed fein heraus. Mit den "alten weißen Männern" stimmt das Feindbild wieder - doch leider passiert es eben vorwiegend in muslimischen Ländern, deshalb kommt Frau Baerbock auch nicht unwidersprochen damit durch.
 
Das passende Feindbild ist derzeit ohnehin die Leitlinie aller politischen und medialen Äußerungen, auch deshalb, weil es damit einfach ist, jede sachliche Diskussion von vornherein zu diskreditieren: Dieser Feind mag tatsächlich ein übler Unmensch sein und einiges auf dem Kerbholz haben, das erleichtert es aber ungemein, alles, was aus seinem Umfeld kommt, als grundsätzliches Teufelswerk zu markieren. Manchmal kann man durch Beharrlichkeit diese Mauer durchbrechen: So lange sich nur ein paar hundert Leute zu den Montagsspaziergängen trafen, war es viel leichter, sie als "Spinner" und "Radikale" oder gar "Verfassungsfeinde" abzutun, wie Innenministerin Faeser es seit Monaten versucht. Je mehr Menschen aber gegen den Preiswahnsinn und die Energiekosten demonstrieren, desto eher sehen auch andere mit eigenen Augen, dass hier auch ihre friedlichen Nachbarn unterwegs sind.
 
Zwar versucht die Gegenseite noch immer die üblichen Register der Diffamierung zu ziehen - "Da laufen auch Nazis mit!" - aber gleichzeitig springt die Linke auf die Protestwelle auf. Auch die Bundesregierung weiß: Lange kommt sie nicht mehr mit ihrer Politik durch, zumindest durch den Winter muss sie sich mit ihrem "Doppelwumms" durchmogeln, in der Hoffnung, dann würden sich die Bürger schon wieder beruhigen. Leider zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, wie leicht und bereitwillig sich die Bevölkerung derart einseifen lässt. Früher störte mich das planlose Geschimpfe auf "die da oben!" ungemein, weil es sich die Menschen damit zu einfach machten, wie ich glaubte. Heute wäre ich schon mit derlei Grummelei glücklich, weil darin wenigstens ein Hauch von Rebellion steckt.

In die angespannte Lage platzte die Sabotage von NordStream buchstäblich wie eine Bombe. Würden wir argumentieren wie die politische Elite unserer Zeit, dann dürften wir nun auch Luisa Neubauer zum Kreis der Verdächtigen zählen. Denn kündigte sie nicht an, eine Pipeline sprengen zu wollen? Natürlich wäre das Unfug, denn Fräulein Neubauer erzählt viel Unsinniges in den Medien. Sie besitzt auch nicht die notwendige Ausrüstung für einen solchen Anschlag. Aber hält so etwas die Gegenseite von Verdächtigungen ab? Eher nicht - denn es kommt nicht auf das Herausfinden der Wahrheit an, sondern darum, den "richtigen" Schurken zu finden, um die Debatte in die richtige Richtung zu lenken. Wer Argumente für dessen Unschuld einbringt, ist automatisch sein Mitstreiter, so sachlich richtig sie auch sein mögen.
 
Es gibt sicherlich genug, was man Putin ankreiden kann, dazu braucht es keine ominösen russischen Fischkutter, die plötzlich in der Nähe der Pipelines aufgetaucht sein sollen. Auch wenn die "Cui Bono"-Frage kein Schuldbeweis ist, so gibt sie wichtige Hinweise darauf, wer nahezu verrückt sein müsste, um den Anschlag durchgeführt zu haben. Jetzt nur einmal herumgesponnen, Putin hätte seinen Gegnern etwas anhängen wollen: Warum dann nicht einfach eine Turbine beschädigen und das dann ukrainischen Separatisten anhängen? In diesem Fall wäre ich tatsächlich misstrauisch geworden, aber es hätte wenigstens einen Sinn ergeben.
 
Es muss endlich wieder eine saubere, kriminalistische Herangehensweise bei solchen Attentaten geben, bei der Fakten gesammelt werden und der Täter nicht von vornherein feststeht. Jede Seite will, dass ihr "Lieblingsfeind" verurteilt wird, ob dieser nun Selenskij, Biden oder Putin heißt - vielleicht war es dann jemand ganz anderes, den wir derzeit noch nicht im Visier haben? Leider kann man sich nicht mehr darauf verlassen, dass wenigstens die Medien ihre Arbeit machen - bei den Regierungen konnte man es in diesem Fall wohl noch nie.



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