Donnerstag, 14. Juli 2022

Jetzt erst recht!

von Mirjam Lübke...

Na, heute schon etwas Verbotenes, Unerhörtes getan? Etwa ein dickes Stück Fleisch gegessen, dessen Ursprungstier man nicht persönlich vorgestellt worden ist? Über einen sexistischen Witz gelacht oder - Gott behüte - nicht begeistert auf den neuen, politisch korrekten Familienfilm der ARD reagiert, sondern stattdessen einen alten Streifen mit Bruce Willis geschaut? Mir fielen noch weitaus verwerflichere Aktionen ein, aber wenn ich diese niederschreibe, bekomme ich Besuch vom Verfassungsschutz. Nicht etwa, weil ich eine Gewalttat plane, sondern weil man heute nicht mehr weiß, was plötzlich total unmoralisch ist. Dabei machen doch kleine Tabubrüche so richtig Spaß: Früher gröhlten wir bei der Spider Murphy Gang bei der Liedzeile "...und draußen vor der großen Stadt steh'n die N*tt*en sich die Füße platt" besonders laut mit, weil dann ein paar Leute dumm schauten, heute wird derlei Liedgut sicherheitshalber auf Volksfesten gleich verboten. Gegen den Text von "Layla" stellte "Rosi" zwar noch relativ hochwertige Dichtkunst dar, aber wenn wir nun auch noch beginnen, schlechten Geschmack zu verbieten, wird das Meinungskorsett noch enger geschnürt. Obwohl es recht reizvoll wäre, wenn Claudia Roth sich endlich einen Stilberater suchen müsste.
 

Aber lieber ertrage ich ab und an den Anblick von Claudia Roth als noch weitere hochmoralische Forderungen, die dann letztlich so moralisch durchdacht gar nicht sind. In der derzeitigen Energiekrise stellen die Krieger des Guten es häufig so dar, als wären Forderungen nach pragmatischen Lösungen - etwa der Öffnung von Nord Stream 2 - die Ausgeburt von blankem Egoismus. Gerne empören sie sich über böse, selbstsüchtige Bürger, die bei alledem nur an ihre heiße Dusche und eine warme Wohnung im Winter denken würden. Einmal abgesehen davon, dass diese Bedürfnisse durchaus legitim sind, würde es den Krieg in der Ukraine um keinen Tag verkürzen, wenn uns Eiszapfen von der Nase hängen. Ohne Gaslieferungen droht vielen Menschen allerdings die Arbeitslosigkeit - das blenden Moralisten gern aus. Oder es ist ihnen egal, weil sie neben ihrem Ukraine-Engagement auch noch den Klimawandel fürchten - und es heimlich ganz in Ordnung finden, wenn die Industrie den Bach heruntergeht. Und wenn es einem selbst zu kalt wird, setzt man sich eben in den Flieger nach Palau, natürlich nur, um mit eigenen Augen zu sehen, was die Erderwärmung so anrichtet. Was für ein Opfer, um die Menschheit zu retten!
 
Spaßverderben ist allerdings keine deutsche Spezialität: Für einen Beitrag über sozialistische Spartipps erhielt ich den Hinweis, doch einmal einen Blick auf Venezuelas linken Ex-Staatschef Hugo Chavez zu werfen. Und siehe an: Der Mann war Robert Habecks Bruder im Geiste! Limonade wurde knapp? Die ist ohnehin ungesund! Blackout in der Nacht? Man kann auch im Dunkeln auf die Toilette gehen. Chavez ließ die Menschen immerhin eine Minute länger duschen als Habeck - aber dabei zu singen fand er furchtbar. Beiden ist auch gemeinsam, sich so zu geben, als hielte man sich selbst an diese Ratschläge - obwohl man in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Früher nannte man so etwas "leutselig", auch Annalena Baerbocks Barfußauftritt passt in diese Kategorie. Was damals der Firmenbesitzer war, der sich schulterklopfend und Zigarren verteilend unter die "einfachen Arbeiter" mischte, ist heute der Grüne, der vorgibt, bescheiden zu sein. Damit simulieren sie Empathie und Volkstümlichkeit, obwohl eigentlich jeder weiß, dass es eine unsichtbare Glasdecke zwischen ihnen und uns gibt. Das Volk jedoch fühlt sich geschmeichelt - wie menschlich sie doch sind! Gar nicht so mit Schlips und Kragen!

Ihre Regelverstöße werden wortreich begründet, so dass sie uns als etwas Positives erscheinen, das zum großen Weltrettungsplan gehört. Da täuschen allerdings selbst die Löcher in Habecks Socken nicht darüber hinweg, dass uns Welten trennen. Möchte man nicht schon aus purem Trotz gegen die Vorgaben solcher Politiker rebellieren? Sich selbst seine kleinen Alltagsfreuden gönnen? Was bei ihnen ein kleiner Ausrutscher ist, wird bei uns jedoch zum Verbrechen, wir sind "unsolidarisch", "rassistisch" oder "unterstützen den Feind". Und dumm obendrein.
 
Man muss unter diesem moralischen Dauerfeuer aufpassen, nicht den eigenen Kompass zu verlieren, denn die ständigen Moral-, Antirassismus- und Toleranzpredigten gehen einem so auf die Nerven, dass man vollständig in die andere Richtung abdriften möchte. Nach unzähligen Geschichten aus dem Diskriminierungs-Paulanergarten ist man irgendwann geneigt, auch tatsächlich Geschehenes nicht mehr zu glauben, umgekehrt aber alles, was von der Gegenseite kommt. Ohne es zu wollen, wird man bald genauso miesepetrig wie die Moralisten und fängt an, wie sie in Schubladen zu denken. Normalerweise bin ich zum Beispiel sehr diskussionsfreudig, gleichzeitig aber auch bereit, dem anderen einen Schritt entgegenzukommen. Wenn ich allerdings merke, dass derjenige typische, einstudierte Kommunikationstricks anwendet, habe ich keine Lust mehr darauf. Wenn sie auch verlernt haben, einfach mal aus Freude zu lachen, das herablassende Lachen beherrschen sie sehr gut. Zu Beginn ist es noch frustrierend zu erleben, wie jedes noch so durchdachte Argument hier vor eine ideologische Wand prallt - aber irgendwann erkennt man das Schema dahinter. Nicht, weil man dem anderen "keine Plattform bieten will", wie sie es gerne nennen, sondern um die Verschwendung kostbarer Lebenszeit zu vermeiden. Aus diesem Grund quäle ich mich auch nicht mehr durch langweilige Bücher - es gibt genug andere, die spannend sind.
 
Sie haben uns noch viel zu sehr am Wickel mit ihrem medialen Dauerfeuer, dem man sich leider aussetzen muss, um nicht den Überblick zu verlieren, was sie als nächstes auf ihre Agenda setzen. Transgänseblümchen, den nächsten Krieg oder mal wieder eine Impfpflicht? Da hilft nur ein eigenes Entspannungsprogramm: Das zu lesen, zu denken und zu schauen, was man selbst am liebsten mag. Und von ihren Reaktionen ganz unbeeindruckt zu sein.



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