von Mirjam Lübke...
Von welchem Punkt an macht sich ein Land eigentlich vollkommen zum Gespött der Menschheit? Deutschland dürfte sich sehr nah an diesem Punkt befinden - oder hat ihn um schon lange überschritten. Die Dame bei Twitter hat vollkommen recht: Hinzu kommt noch ein heftiges Schwanken zwischen moralischen Leitlinien. Gestern gehörte man noch zu jenen, die vorgeschoben wurden, um allerlei Corona-Maßnahmen zu rechtfertigen - jetzt darf man dafür frieren. Manche Städte bereiten wegen der Gaskrise bereits Wärmehallen für den Winter vor. Hoffentlich gibt es dort wenigstens Erbsensuppe aus dem Hordentopf - dann könnte zumindest ein wenig Zeltlagerromantik aufkommen.
Am 11. Juli dreht Russland den Gashahn zu. Das macht es regelmäßig um diese Jahreszeit, da die alljährliche Wartung von Nord Stream 1 ansteht, die für gewöhnlich etwa 10 Tage dauert. Die Bundesregierung, die vor ein paar Wochen noch trotzig auf russisches Gas verzichten wollte, gerät ins Schwimmen, die Beschaffung von Ersatz funktioniert nicht so reibungslos wie gedacht, denn uns fehlt die Infrastruktur zur Aufnahme von Flüssiggas. Auch die Pipeline aus Norwegen, auf die mancher seine Hoffnung setzte, ist frühestens im Oktober einsatzbereit. Und zu allem Unglück liegt eine zur Wiederinbetriebnahme dringend benötigte Gasturbine in Kanada fest. In Montreal befindet sich die zentrale Wartungsanlage von Siemens Energy. Angeblich darf Kanada die Turbine wegen der Handelssanktionen gegen Russland nicht ausliefern - man munkelt aber in Wirtschaftskreisen, dass die kanadische Regierung auch kein großes Interesse daran hat, sich damit zu beeilen. Denn auch Kanada möchte Flüssiggas an Deutschland verkaufen. Das wir - wie oben bereits erwähnt - aber beim jetzigen technischen Stand der Dinge gar nicht verwerten können. Inzwischen überlegen die ersten Chemiekonzerne - wie etwa die BASF - ihre Produktion ins Ausland zu verlegen, denn im belgischen Antwerpen kommt man an das dringend benötigte Gas. Die noch funktionierende Pipeline Jamal läuft derzeit in umgekehrter Richtung und befördert unsere aus Russland stammenden letzten Vorräte nach Polen. Dort muss man sich keine Sorgen machen, die Speicher sind prall gefüllt. Im Gegensatz zu unseren.
Was nun? Bekanntlich gilt der schonungslose Blick auf die Energiekrise nun auch als "rechte Panikmache" - genau wie die "Blackout"-Kampagne der Thüringer AfD. Wenn das so stimmt, dann beteiligt sich gerade die gesamte deutsche Medienlandschaft an dieser rechten Verschwörung, inklusive des "Spiegels", der den Vorwurf gegen die AfD aufbrachte. In der letzten Woche titelte man mit einem Bild von Putin als Gasteufel und der Unterzeile "Der Kaltmacher". Man darf die Energiekrise also durchaus ansprechen, wenn man die richtigen Schuldigen benennt. Ob Putin auch für die Energiewende an sich verantwortlich ist? Hat er Angela Merkel mit Hypnosestrahlen gefügig gemacht und Olaf Scholz mit Voodoo in seinen Bann geschlagen? Putin ist gewiss nicht zimperlich, seine Interessen durchzusetzen und amüsiert sich gewiss köstlich über die deutsche Zwangslage, aber über magische Kräfte verfügt er wohl kaum. Und jetzt hat der Teufel auch noch das unmoralische Angebot unterbreitet, sich an seinen Part der Lieferverträge zu halten. Was nun? Moralisch standhaft bleiben, Arbeitsplätze aufs Spiel setzen und die Bürger frieren lassen, oder den Pakt mit dem Teufel schließen und sich dafür bei den westlichen Verbündeten unbeliebt machen - die aber selbst noch gar nicht ausreichend liefern können? Von einer Abhängigkeit begeben wir uns in die nächste.
Die Bestrafung Russlands hat ebenfalls nicht so funktioniert, wie die Gerechtigkeitsliga es sich vorgestellt hat, es sei denn, der Entzug von McDonald's-Burgern würde von der Bevölkerung als ernsthafte Beeinträchtigung ihres Lebensstandards empfunden. Seitdem der Fischmäc über vier Euro kostet, kann ich mir das kaum vorstellen. Russland wird sein Gas auch anderweitig los, z.B. an Indien. Die Inder bekommen zudem Entwicklungshilfe aus Deutschland, von der sie das Gas bezahlen können. Es ist schon seltsam, dass wir ein Land bei seiner Entwicklung unterstützen müssen, welches es bereits 2014 geschafft hat, eine Sonde in den Mars-Orbit zu schießen und das beim ersten Versuch. Vielleicht könnte Indien auch seine anderen Probleme ohne deutsche Hilfe lösen - wenn es denn wollte. Aber Deutschland hilft bekanntlich gern Schwellenländern dabei, uns technisch zu überrunden.
Die Bevölkerung ächzt derweil unter der höchsten Inflationsrate seit der Ölkrise der Siebziger und bekommt wortwörtlich die Butter vom Brot gezogen. Eine Bekannte erzählte mir vorgestern, sie habe noch nie eine so lange Warteschlange bei der Viersener Tafel gesehen. Wer sich in diesen Tagen über die geplante Prunkhochzeit von Christian Lindner empört, wird rasch des Neides bezichtigt. Dabei geht es gewiss nicht darum, dem FDP-Mann sein Glück nicht zu gönnen - aber es ist eben ein weiteres Zeichen dafür, wie instinktlos unsere politische Oberklasse geworden ist. Sie kann einerseits nicht über ihren hochmoralischen Schatten springen, um die wirtschaftliche Situation Deutschlands zu entspannen - lebt aber selbst ihr schickes Leben weiter. So lange sie trotzdem noch gewählt wird, wird sich daran auch in absehbarer Zeit nichts ändern.
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