Sonntag, 31. Juli 2022

Schick in den Krieg...

von Mirjam Lübke...

Krieg und die Vogue? Das passt zusammen wie eine Handgranate und ein Porzellanladen. Denn die Vogue ist normalerweise dafür da, uns das schöne Leben im Luxus zu präsentieren. Vor Jahren kaufte ich mir mal ein Exemplar und bestaunte die atemberaubende Werbung für edelste Schmuckkollektionen: So viel zu meiner Eignung für ein Leben im Sozialismus. Mit Bling-Bling bin ich normalerweise zu beeindrucken, es dürfen auch Fälschungen sein - denn die echte Ware liegt preislich weit außerhalb dessen, was sich der Normalbürger leisten kann. Aber ich gehe schließlich auch nicht ins Kino, um die Realität zu sehen. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ein High Society-Modemagazin im Kriegsgebiet finde ich fehl am Platz. Es war schon reichlich schräg, als Luisa Neubauer, die uns "Kleinen" beständig Verzicht predigt, darin edlen Zwirn am verwöhnten Leib präsentierte, aber immerhin stand sie dabei nicht zwischen schwerem Kriegsgerät herum.


Mein Bauchgefühl ist im allgemeinen ein sehr guter Ratgeber - es sagt mir lange vor meinem Kopf, wenn etwas nicht stimmt. Erst dann fährt das Gehirn langsam hoch und beginnt mit der faktenbasierten Situationsanalyse. Der Bauchraum, der mit dem Hirn evolutionsbedingt eng verwandt ist - jetzt keine blöden Witze über mein Essverhalten bitte! - hat zu diesem Zeitpunkt längst auf das Unterbewusstsein zugegriffen und löst Alarm aus, er ist das organische Äquivalent des Radars auf einem Kriegsschiff: "Captain, das müssen sie sich mal ansehen!"

Was Selenskijs öffentliche Auftritte angeht, war mein Bauch von Beginn an in Aufruhr. Das hatte absolut nichts mit der Frage zu tun, wer nun am Ukraine-Krieg die Schuld trägt oder dass es mich nicht interessieren würde, wie es den Betroffenen in der Ostukraine geht. Es ist auch nichts gegen eine gelegentliche Homestory einzuwenden, mit der ein Staatenlenker Einblick in sein Privatleben gibt - ein wenig neugierig sind wir alle und die Selenskijs sind zudem recht nett anzusehen. Aber diese Vogue-Fotostrecke sprengte dann doch den Rahmen des Erträglichen. Da sieht man eben noch Bilder von ausgebombten Menschen im Fernsehen oder Internet - und dann den Präsidenten mit Gattin im schicken Kaminzimmer. Ach, was für eine glückliche Ehe!
 
Was die beiden der eigenen Bevölkerung mit ihrer Charmeoffensive sagen wollen, bleibt schleierhaft. Oder ist die Botschaft gar nicht an die Ukrainer gerichtet, die sich wohl mit anderen Sorgen herumschlagen müssen als der Frage, wo sie jetzt noch ein Hochglanzmagazin herbekommen sollen? Selenskijs Inszenierungen sind ohnehin meist eher auf den Rest der Welt zugeschnitten als auf das eigene Land, zum Beispiel mit englischen Slogans auf dem frisch gebügelten Armee-T-Shirt. So, als hätte er sich mit seinem inzwischen aus Deutschland abgezogenem Botschafter Andrij Melnyk zu einem "Good Cop-Bad Cop"-Team zusammengeschlossen. Melnyk behandelte uns, als wäre Deutschland in die Ukraine einmarschiert und ihr nun etwas schuldig. Sein Präsident hingegen bietet sich uns als Retter in der Not an: Ob wir wohl gerne ein bisschen Atomstrom in der Energiekrise hätten? Zum Glück ist Tschernobyl seit dem Jahr 2000 stillgelegt - das hätte die unfreiwillige Ironie des Angebots sonst rund gemacht.
 
Und so fragt man sich eins ums andere Mal: Was ist da eigentlich los in der Ukraine? Denn die Bilderstrecke in der Vogue stellt nicht die einzige Merkwürdigkeit dar. Immer wieder kommt auch bezüglich der Aktivitäten deutscher Politiker Erklärungsnot auf, und damit meine ich nicht nur das Gläschen Sekt auf dem Balkon, mit dem Nancy Faeser abgelichtet wurde. In Kiew scheint ständig ein Fototermin stattzufinden. Während in der Ostukraine die Kämpfe toben, also dort, wo der Konflikt schon seit Jahren schwelt. Schaut man sich alte Fernsehkommentare aus dem Jahr 2014 an, klingen diese genauso wie heute - man muss nur einen Rollentausch vornehmen, wer der Schurke im Spiel ist. Damals war es die Ukraine, der vorgeworfen wurde, die russische Zivilbevölkerung zu bombardieren.

Die Vorgeschichte des jetzigen Krieges auch nur anzureißen, gilt allerdings als Tabu. Vielleicht, weil man selbst nicht mehr hören möchte, was noch vor ein paar Jahren die richtige moralische Haltung war? Das könnte nämlich auch die Frage betreffen, ob die Lieferung von schweren Waffen tatsächlich eine gute Idee ist. Die deutsche Öffentlichkeit soll glauben, damit würde die Freiheit Europas verteidigt, während eventuell lediglich ein regionaler Konflikt verlängert wird. Ich maße mir nicht an, das vom sicheren Sofa aus als alleingültige Wahrheit zu verkündigen. Aber die schrecklichen Bilder aus der Ostukraine und die scheinbare Normalität in Kiew - das scheint nicht wirklich zusammenzupassen. Um ehrlich zu sein: Ich traue dem Braten nicht.
 
Die "Bild" konterte bereits, Putin habe sich nun mitten im Krieg eine neue Uhr gekauft - das klingt fast wie ein Ablenkungsversuch von den Vogue-Bildern. Die einen haben wegen des Krieges kein Dach mehr über dem Kopf, aber die Präsidenten lassen es sich gut gehen.


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