Dienstag, 19. Juli 2022

Die Bundeswehr kapituliert, noch bevor der Feind angegriffen hat...

von Thomas Heck...

Es ist schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet eine CDU-Kanzlerin mit CDU oder CSU-Verteidigungsministern mit der Bundeswehr das gemacht hat, was Merkel schon seit Jahren mit ihrem Mann nicht mehr gemacht hatte: nämlich fix und fertig gemacht. Dabei war Geld nicht das eigentliche Problem der Truppe, eher Mißmanagement, eine unfähige Führung, vor allem seitens der Verteidigungsminister, die den Job eher als Karriereschritt denn als Berufung gesehen haben. 

Nach drei Frauen als Verteidigungsminister, die fachfremder nicht sein konnten, steht die Truppe vor dem Nichts. Keiner hat auch nur im Ansatz die Expertise, die nötig wäre, die Truppe aus der Krise zu führen. Doch hier wurde ganze Arbeit geleistet. Offensichtlich besteht gar kein Interesse, eine schlagkräftige Truppe aufzustellen. Scholz Ankündigung, die schlagkräftogste Armee Europas aufzubauen, reine Lippenbekenntnisse bestenfalls, faktisch eine dreiste Lüge.

Viel Geld reicht nicht: Deutschland bleibt auch nach der «Zeitenwende» ein militärisches Vakuum mitten in Europa

Die Bundeswehr erhält zusätzliche 100 Milliarden, doch dies reicht nur für eine Minimalsanierung. Die Bodentruppen werden kaum verstärkt. Deutschland ist weit davon entfernt, die «schlagkräftigste Armee Europas» aufzubauen.

Mit den zusätzlichen 100 Milliarden Euro können bei der Bundeswehr bloss längst erkannte Lücken geschlossen werden.


Der Auftrag war umfassend, die Zeit knapp und die Anzahl Soldaten zu klein: Der erste mechanisierte Vorstoss deutscher Truppen seit dem Zweiten Weltkrieg war eine Herkulesaufgabe. Brigadegeneral Fritz von Korff rückte am 12. Juni 1999 von Süden her nach Kosovo ein. Einerseits sollte er den Abzug der serbischen Verbände im Raum Prizren durchsetzen, andererseits sofort für ein Minimum an Sicherheit in seinem Sektor sorgen.

Von Korff stand unter gewaltigem Erfolgsdruck. Trotz einem Abkommen der serbischen Generalität mit der Nato hätte es jederzeit zu Kämpfen kommen können. Die Lage war unübersichtlich, teilweise chaotisch. Flüchtlinge strömten zurück ins Land, andere mussten ihre Heimat verlassen. Der konventionelle Teil der Aktion, die Koordination von Panzerverbänden und einer taktischen Luftlandung, glückte von Korff und seinen Bataillonskommandanten ziemlich nach Plan.

Die Stabilisierung der Stadt Prizren und von deren Umfeld gestaltete sich allerdings schwieriger als erwartet, wie eine niederländische Studie ausführt. Zunächst geriet der Zeitplan aus dem Ruder, dann fehlten die Kräfte, um überall gleichzeitig zu sein. Im weiteren Verlauf des Kosovo-Einsatzes erwies sich die schwere Bewaffnung eher als Nachteil. Gefragt war eine verstärkte Polizeitruppe, vergleichbar mit der Gendarmerie in Frankreich oder den Carabinieri in Italien. Die Soldaten, die primär für Kampfaufträge ausgebildet waren, mussten schützende Aufgaben übernehmen.

Abrüstung bis über die Schmerzgrenze hinaus

Spätestens mit dem Einsatz in Kosovo begann für die Bundeswehr eine sukzessive Transformation. Der Primärauftrag, die Landesverteidigung und der robuste Teil der Bündnisverpflichtung für die Nato, rückte in den Hintergrund. Die deutschen Streitkräfte wurden auf Auslandseinsätze ausgerichtet, akzentuiert nach den Anschlägen vom 11. September 2001: Die USA brauchten ihre Verbündeten für den «war on terror». Die deutschen Streitkräfte verlagerten ihr Zentrum der Kraftentfaltung nach Afghanistan.

Das Hauptaugenmerk lag bis zum Abzug aus Kabul vor einem Jahr auf dem Kampf gegen Aufständische. Ein Krieg gegen einen ebenbürtigen Gegner in Europa wurde in der Ausbildung zu einer theoretischen Grösse aus der fernen Vergangenheit.

Ein Leopard 2 der Bundeswehr: Kampfpanzer sind im gegenwärtigen Krieg wieder zu einer Art militärischen Währung geworden.


Das Handwerk, das von Korff bei seinem Vorstoss nach Prizren noch im Schlaf beherrscht hatte, ist unterdessen verkümmert. Die Bundeswehr hat ihren harten Kern bis über die Schmerzgrenze hinaus reduziert. Die deutschen Bodentruppen, das Heer, verfügen nur noch über zwei Grossverbände, die dem Namen nach etwas mit Krieg zu tun haben: Von den einst sechs deutschen Panzerdivisionen der Heeresstruktur 4 im Kalten Krieg sind nur noch die erste und die zehnte Panzerdivision übrig geblieben.

Die Namen entstammen der Tradition der Bundeswehr. Doch eigentlich ist die Bezeichnung der beiden Grossverbände ein Etikettenschwindel. Die Kampfpanzer, die harte Währung der Bodentruppen, wurden so weit zusammengestrichen, dass sie innerhalb der zwei deutschen Panzerdivisionen fast schon Seltenheitswert haben. Dem deutschen Heer fehlt die Kampfkraft, um in einem konventionellen Krieg bestehen zu können. Erst mit starken Panzerverbänden kann ein Angreifer am Boden auch wirklich vertrieben werden.

Selbst die Kampfpanzer, über die das Heer verfügen sollte, sind zurzeit nicht alle einsatzbereit: Zwischen dem Soll- und dem Ist-Bestand besteht eine beträchtliche Lücke. Ähnlich dürfte es sich mit anderen Waffensystemen wie der Artillerie verhalten: Schauergeschichten über den militärischen Lotterbetrieb gibt es viele, aber harte Fakten kaum. Das Bundesministerium für Verteidigung hält die konkreten Zahlen unter Verschluss. Den Gegnern der Nato soll die Schwäche der Bundeswehr nicht unter die Nase gerieben werden.

Die NZZ hat deshalb bei den Kampfpanzern die Probe aufs Exempel gemacht. Ausgangspunkt ist die «ordre de bataille» der beiden Panzerdivisionen. Dieses taktische Organigramm lässt sich über die Angaben auf der Homepage der Bundeswehr nachzeichnen. Daraus wird klar, wie weit die deutsche Abrüstung wirklich gegangen ist. Dazu gelang es, ein vertrauliches Papier mit den gegenwärtigen Beständen an Leopard-2-Kampfpanzern zu beschaffen. Natürlich funktionieren moderne Streitkräfte im Verbund. Der Fokus auf die Kampfpanzer illustriert indes das grundsätzliche Malaise.

Ein Viertel der Kampfpanzer Leopard 2 zu wenig?

Innerhalb der beiden erwähnten Panzerdivisionen verfügt die Bundeswehr noch über fünf aktive Panzerbataillone. Davon ist eines ein niederländisch-deutscher Mischverband. Im Organigramm stehen noch zwei weitere Bataillone, doch beim Gebirgspanzerbataillon 8 handelt es sich um einen Reserververband. Ein zusätzlicher Truppenkörper wird als «Panzerlehrbataillon» geführt.

Um alle Verbände auszurüsten, benötigt die Bundeswehr 264 Leopard-2-Panzer

Panzerverbände der 1. und 10. Panzerdivision


Das Hauptkampfmittel der deutschen Panzerverbände ist der Kampfpanzer Leopard 2. Jedes Bataillon hat 44 Stück davon. Abweichungen sind möglich, können aber für das Gesamtbild über die Einsatzfähigkeit der deutschen Leopard-Flotte vernachlässigt werden.

Berücksichtigt man nur die fünf aktiven Panzerbataillone, besteht ein Soll-Bestand von 220 Leopard 2. Dazu kommen mindestens 44 weitere Kampfpanzer für die Ausbildung. Das Panzerlehrbataillon 93 kann überdies ebenfalls in den Einsatz geschickt werden. Minimal benötigt die Bundeswehr gemäss dieser Rechnung also 264 Leopard 2, damit alle Verbände vollständig ausgerüstet sind.

Doch selbst dem abgerüsteten Heer fehlen zurzeit einsatzbereite Panzer: Ein aktuelles, intern klassifiziertes Dokument, das der NZZ vorliegt, listet die Anzahl Leopard-Panzer der Bundeswehr detailliert auf:

Aktive Leopard-2-Kampfpanzer der Bundeswehr Typ A7V (ausgerüstet für den Kampf im überbauten Gebiet): 53
Typ A6 (Programm «Erhalt der Einsatzbereitschaft»): 110
Typ A6M (besonderer Minenschutz): 30
Im Umbau: 99 (44 A6, 20 A6M, 18 A7, 17 A7V)
Typ A5 zur Zieldarstellung: 19

Relevant für die Panzerbataillone sind die Typen A7V, A6M und A6. Davon hat die Bundeswehr gemäss dieser Übersicht Stand Mai dieses Jahres 193 Stück. Damit fehlt gegenwärtig wohl rund ein Viertel der minimal benötigten 264 Leopard-Panzer. Kommen später die 99 Panzer dazu, die zurzeit umgebaut werden, erreicht die Bundeswehr wieder den Soll-Bestand. Bei den Leopard-Panzern versucht das deutsche Heer also das Image einer Papierarmee loszuwerden.

Die Bundeswehr hat zurzeit nicht die nötigen Panzer, um ihre Truppen auszurüsten

Soll- und Ist-Bestand Leopard 2


Zum Vergleich: Die ebenfalls bis aufs Gerippe abgerüstete Schweizer Armee hat heute 134 Leopard 2 im Einsatz, die einer Fitnesskur zum «Werterhalt» unterzogen worden sind. Dazu stehen 96 weitere Exemplare in einer Lagerhalle als Reserve bereit, mit denen bei Bedarf mindestens zwei weitere Panzerbataillone ausgerüstet werden könnten. Die Ausgangslage der Schweiz für den Wiederaufbau ihrer Armee ist also deutlich komfortabler als im zehnmal grösseren Nachbarland Deutschland.

«Die Bundeswehr steht mehr oder weniger blank da»

Der Nachholbedarf der Bundeswehr ist gewaltig: Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine rief der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar eine «Zeitenwende» im Bundestag aus. Mit einem «Sondervermögen» von 100 Milliarden Euro sollte die Bundeswehr in wenigen Jahren zur schlagkräftigsten konventionellen Truppe in Europa ausgebaut werden. Das Ziel sei eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr, wie sie «für ein Land unserer Grösse und Bedeutung in Europa» angemessen sei.

Schon drei Tage zuvor hatte der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, seinem Ärger Luft gemacht. Auf seiner Linkedin-Seite schrieb der Generalleutnant: «Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.» Auch acht Jahre nach der Krim-Annexion, so Mais, habe Deutschland nicht die Konsequenzen gezogen und in die eigene Verteidigungsbereitschaft investiert. Dieser Offenbarungseid des ranghöchsten Soldaten des deutschen Heeres sorgte intern für Ärger, war aber für die Politik ein Anstoss zum Handeln.

Laut einem Thesenpapier des deutschen Heeres von 2017 ist das Ambitionsniveau klar: «Nehmen, Halten, Kontrollieren und Beherrschen von Räumen bleiben als Kernanforderungen für Landstreitkräfte bestehen.»


Über Nacht stieg das Verteidigungsministerium wieder in die höchste Polit-Liga auf. Noch Monate zuvor hatte es die Ampelkoalition mit einer Verlegenheitskandidatin ohne vertieftes militärisches Fachwissen besetzt: Christine Lambrecht, Anwältin und Spezialistin für rechtspolitische Fragen, soll die Bundeswehr wieder zu einer ernstzunehmenden Armee transformieren.

Inhaltlich kann die Ministerin auf solide Grundlagen ihrer Vorgängerinnen zurückgreifen. Bereits 2016 gab die Bundesregierung ein Weissbuch zur Zukunft der deutschen Sicherheitspolitik heraus. Die Überlegungen standen unter dem Eindruck von Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim. Die Essenz des Weissbuchs geht vor lauter abstrakten Begriffen beinahe unter: Deutschland muss endlich seine militärische Verantwortung in der Mitte Europas wahrnehmen.

Stringente Prioritäten des Wirtschaftsplans

Ein Jahr später veröffentlichte das deutsche Heer ein Thesenpapier mit dem Titel «Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?». Darin werden in bemerkenswerter Klarheit die wesentlichen Trends aufgezeigt, die heute den Kriegsverlauf in der Ukraine prägen. So wird etwa auf die russische Taktik der Feuerwalze hingewiesen, also auf den massiven Einsatz von Artillerie zur Abnützung des Gegners. Genau so versuchen die Truppen des Kremls jetzt der ukrainischen Armee wichtige Geländeteile im Donbass zu entreissen.

Weiter werden «schnellere Entscheidungs- und Bekämpfungszyklen» als wesentliche Herausforderungen für die Landstreitkräfte genannt. Die Zeit zwischen der Meldung eines möglichen Ziels, dem Entscheid, dieses zu bekämpfen, und dem Einsatz einer Waffe wurde mit der Digitalisierung der Führungssysteme erheblich verkürzt. Auch dies zeigt sich im jetzigen Krieg: Der technische Fortschritt ermöglicht es der ukrainischen Armee, ihre Kräfte wesentlich agiler einzusetzen, als dies die russischen Angreifer mit ihrer Führung per Sprechfunk können.

Kurzfristig will Deutschland bis 2025 eine Division für die Bündnisverpflichtung zur Verfügung stellen können. Ein A400M-Transportflugzeug der deutschen Luftwaffe.


Die digitale Aufrüstung des «Sensor-Führungs-Wirkungsverbunds» ist deshalb bei der Modernisierung der Bundeswehr ein zentrales Thema. Dies zeigen die Prioritäten im Wirtschaftsplan 2022 zum Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das Scholz in seiner Rede über die Zeitenwende angekündigt hatte. Für Beschaffungen in der «Dimension Führungsfähigkeit / Digitalisierung» wird mehr Geld ausgegeben als für die Erneuerung der Bodentruppen. Etwas salopp ausgedrückt: Statt zusätzlicher Kampfpanzer werden militärische Tablet-Computer angeschafft.

Die Gewichtung der einzelnen Budgetposten im Wirtschaftsplan des Sondervermögens folgt konsequent der Konzeption der Bundeswehr von 2018. Dieses dritte Grundlagenpapier, eine Art Dachphilosophie, fokussierte auf Entwicklung von Fähigkeiten zum Operieren im Verbund.

Verwendung des Sondervermögens Bundeswehr20,7 Milliarden für die Dimension Führungsfähigkeit / Digitalisierung. Dazu gehören ein Verbund von Rechenzentren, modernen Funkgeräten, Satellitenkommunikation und ein taktisches Informationsnetzwerk für die Bodentruppen.

1,9 Milliarden für Bekleidung und persönliche Ausrüstung. Erwähnt wird das Soldatensystem «Infanterist der Zukunft», damit die deutschen Soldaten dem Standard der Nato-Einsatzgruppe mit hoher Bereitschaft entsprechen.

16,6 Milliarden für die Bodentruppen. Ein Schwergewicht bilden die Puma-Schützenpanzer. Aufgeführt wird auch das Main Ground Combat System. Dieses deutsch-französische Projekt soll ab 2035 den Leopard 2 ablösen. Auch hier steht die Vernetzung im Vordergrund. Doch die Entwicklung kommt nicht voran.
 
8,8 Milliarden für die Marine.

33,4 Milliarden für die Luftwaffe. Das markanteste Projekt ist die Beschaffung des F-35 als Tornado-Ersatz für die nukleare Teilhabe. Der amerikanische Jet der fünften Generation dürfte in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern zum neuen Standard werden. Der F-35 ist ein fliegender Datenstaubsauger, der im Sensor-Führungs-Wirkungsverbund eine zentrale Rolle spielt.

0,4 Milliarden Euro für Forschung und Technologie, darunter Überwachung und Sicherung grosser Räume mittels künstlicher Intelligenz. Die fehlende Masse an Mensch und Material («lack of mass») soll mit der technischen Überlegenheit kompensiert werden.

Die Bundeswehr wird mit dem Technologieschub ihre Fähigkeiten wirkungsvoller als zuvor in den Nato-Verbund einbringen können. Die physische Kampfkraft insbesondere der Bodentruppen wird aber nicht signifikant erhöht.

Zu wenig Kraft, um selbständig zu kämpfen

Bereits nach der Krim-Annexion 2014 wurde vollmundig eine «Trendwende» angekündigt. Das Verteidigungsministerium sah für den Zeitraum 2016 bis 2030 einen Investitionsbedarf von 130 Milliarden Euro vor. Offensichtlich liess aber erst der russische Angriff auf die Ukraine den Worten auch Taten folgen.

Mit dem Sondervermögen «ausserhalb des regulären Verteidigungshaushaltes» soll die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nun schnell erhöht werden. Oder anders ausgedrückt: Der längst erkannte Investitionsbedarf wird nun tatsächlich finanziert.

Damit Deutschland auch wirklich über «die schlagkräftigste Armee in Europa» verfügt, braucht es allerdings mehr als die 100 Milliarden des Sondervermögens. Anfang Juni sagte es die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, in einem Interview klipp und klar: «Der Bedarf der Bundeswehr geht weit über das Sondervermögen hinaus.»

Das tatsächliche Ambitionsniveau der Bodentruppen steht im Thesenpapier des Heeres von 2017: «Nehmen, Halten, Kontrollieren und Beherrschen von Räumen bleiben als Kernanforderungen für Landstreitkräfte bestehen.» Was dies gegen einen Gegner wie die russische Armee bedeutet, belegt der Kriegsverlauf in der Ukraine: Kiew kann zwar Gebiete halten und kleine Geländeteile zurückgewinnen. Um aber wirklich die Initiative ergreifen zu können, ist die ukrainische Armee auf moderne, schwere Waffen aus dem Westen angewiesen, ganz zu schweigen von hinreichendem Nachschub an Treibstoff und Munition.

Zwei Scharfschützen des deutschen Heeres. Das Sondervermögen sieht gemäss Haushaltsplan 1,93 Milliarden Euro für Bekleidung und persönliche Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten vor.


Mit Blick auf die «ordre de bataille» des deutschen Heeres sind allerdings Zweifel angebracht, welche Gefechtsleistung die deutschen Bodentruppen im Alleingang wirklich erbringen können. Auch eine mit viel Geld ertüchtigte Bundeswehr dürfte nicht in der Lage sein, mit Gegenangriffen grössere Gebiete wieder in Besitz zu nehmen und einen Gegner entscheidend zu schlagen. Dafür reichen fünf aktive Panzerbataillone nicht aus.

Auch ist fraglich, ob für die künftig knapp 300 deutschen Leopard-Panzer auch wirklich genug Panzergranaten vorhanden sind. In einer Rede sagte Verteidigungsministerin Lambrecht, der Bundeswehr fehle Munition im Wert von 20 Milliarden Euro. Ein zweites Indiz: Die Ukraine erhält nur drei deutsche Mars-Raketenwerfer. Es fehlen die benötigten Raketen. In einem Echteinsatz müssten die deutschen Kampftruppen wohl nach kurzer Zeit das Feuer einstellen.

Natürlich ist die Bundeswehr nicht allein, sondern in die Strukturen der Nato integriert. Doch bis vor kurzem konnte sie nicht einmal der Bündnisverpflichtung nachkommen, wie die Episode der «Besenstiel-Armee» vom September 2014 zeigt. Bei der Nato-Übung «Noble Ledger» in Norwegen montierten die deutschen Soldaten schwarz angestrichene Besenstiele an ihre gepanzerten Fahrzeuge, um das Problem fehlender Kanonenrohre auszugleichen.

Zu wenig Mittel für die Landesverteidigung

Der ehemalige Nato-General Harald Kujat sprach in einem Interview Anfang 2015 von einer Situation, die an Peinlichkeit nicht zu überbieten sei. Kujat gehört zu den Gründungsvätern der Nato Response Force (NRF), einer Eingreiftruppe, die im Kriegsfall besonders schnell marschbereit sein soll. «Noble Ledger» bereitete die Truppen damals auf ihre Aufgaben als NRF vor. Genau dieses Element will die Nato nun auf 300 000 Soldatinnen und Soldaten aufstocken, wie die Bündnispartner bei ihrem Gipfeltreffen in Madrid beschlossen haben.

Die Bundeswehr wird damit noch mehr in die Pflicht genommen als bisher. Die Bodentruppen müssen in der Lage sein, Truppen, Material und Munition für folgende Nato-Formate zur Verfügung zu stellen.

Ein Panzerbataillon steht als Kern einer multinationalen Kampftruppe in Litauen (Enhanced Forward Presence).

Mindestens eine Brigade soll sich in erhöhter Bereitschaft für die Nato Response Force bereithalten.

Eine weitere Brigade bereitet sich darauf vor, die schnelle Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task Force) der NRF zu ergänzen.

Kurzfristig will Deutschland bis 2025 eine Division für die Bündnisverpflichtung zur Verfügung stellen können, wie das Verteidigungsministerium seit 2016 in verschiedenen Papieren versprochen hat. Mit den vorhandenen Kräften plus dem Sondervermögen dürfte dies klappen. Das Gefecht der verbundenen Waffen, wie es von Brigadegeneral von Korff bei seinem Vorstoss praktiziert worden ist, wird wieder das Kerngeschäft der Bundeswehr. Hoch im Kurs sind die deutschen Leopard. Auf die fünf deutschen Panzerbataillone kommt eine strenge Zeit zu.

Die robusten Kräfte des Heeres sind somit bis auf weiteres im Osten Europas gebunden. Die Bundeswehr kann entweder der Bündnisverpflichtung nachkommen oder für die Landesverteidigung eingesetzt werden. Beides zusammen geht nicht. Selbst wenn bis 2031 neben der 1. und der 10. Panzerdivision eine weitere Division aufgestellt wird, kann sich Deutschland nicht selbständig verteidigen.

Das mag in der Bündnislogik zunächst niemanden erschrecken. Verteidigung ist in der Nato eine Gemeinschaftsaufgabe. Deutschland, seit 1990 wieder ein vollständig souveräner Staat, verlässt sich weiterhin auf die starke Präsenz von Truppen der USA. Doch dies ist nicht in Stein gemeisselt. Unter Präsident Donald Trump wurde das Engagement der amerikanischen Steuerzahler für die deutsche Sicherheit offen infrage gestellt.

Doch ganz unabhängig von Mensch, Material und Munition: Selbst wenn Deutschland den Beschaffungsrückstand aufholen kann, ändert dies nichts am verkrampften Verhältnis zwischen der Bundeswehr und der Bevölkerung. In einem demokratischen Staatswesen liegt der eigentliche Schwerpunkt der militärischen Kraft bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ohne deren Unterstützung helfen weder Milliarden noch modernste Technologie.

So wurde von Korffs wahres Verdienst im Kosovo-Einsatz von 1999 in Deutschland kaum honoriert. Trotz chaotischen Zuständen gelang es ihm, in seinem Raum dank kluger Vorbereitung die Minderheiten einer multiethnischen Stadt vor der Vertreibung zu retten. Gefragt wäre ein gesundes Mass an Respekt der Öffentlichkeit gegenüber der militärischen Leistung – ob in Afghanistan, auf dem Westbalkan oder jetzt im Baltikum.

Noch immer assoziiert ein guter Teil der deutschen Bevölkerung seine Streitkräfte mit der Vergangenheit in der Nazizeit. Solange sich dies nicht ändert, bleibt Deutschland ein militärisches Vakuum mitten in Europa.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen