Dienstag, 12. Juli 2022

Wollt Ihr den totalen Antirassismus, noch totaler, als Ihr ihn Euch vorstellen könnt?

von Thomas Heck...

Wer sich von der Überschrift unangenehm berührt oder erinnert fühlt, liegt vollkommen richtig. Und was hier im Lande in Sachen Antirassismus passiert, lässt böse Erinnerungen an dunkelste Zeiten wach werden. Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Denn nach den Regeln des totalitären Antirassismus gibt es nur Rassisten und Antirassisten. Und. Rassismus kann nur vom Weißen ausgehen. Punkt.

Einer der einflussreichsten identitätspolitischen Autoren der Gegenwart hat die deutsche Hauptstadt besucht. Doch statt seine Thesen kritisch zu diskutieren, blamieren sich die Gastgeber mit serviler Ehrerbietung. Antirassismus, aber totalitär: Ibram X. Kendi lässt sich in Berlin feiern.

Es gibt nur Rassismus und Antirassismus, nichts dazwischen: Ibram X. Kendi.


Als Ordinarius für Historische Theologie wird Christoph Markschies den Begriff «ikonisch» bewusst gewählt haben. «How to Be an Antiracist» sei ein ebensolches Buch, schwärmt der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gleich zu Beginn seiner Veranstaltung mit dem amerikanischen Autor Ibram X. Kendi. Mit diesem sakralen Zungenschlag geht es weiter.

Nicht nur seine Institution, sondern auch andere Berliner Institutionen, ach, ganz Europa: Alle müssten noch antirassistischer werden. «Ohne Antirassismus gibt es keine Freiheit», erklärt der Ordinarius an diesem Juliabend, und er schaut dabei sehr feierlich in den Saal.

Ob Markschies das Buch, das er so in den Himmel lobt, gelesen hat? Es gibt darin durchaus Lesenswertes, etwa über die so populäre wie dumme Behauptung, Rassismus gegen weisse Menschen gebe es nicht.

Für Kendi gibt es nur Rassisten und Antirassisten

Aber mit freiheitlichem Denken hat Antirassismus, wie ihn Kendi definiert, nichts zu tun. Der 39-jährige Professor für Geisteswissenschaften von der Boston University gehört zu den radikalsten Verfechtern der amerikanischen Identitätspolitik, jener zeitgeistigen Strömung, die Menschen im Namen von Antirassismus und Antisexismus (wieder) nach Hautfarben, Geschlechtern und sexuellen Präferenzen sortiert und diese Gruppenzugehörigkeiten zum zentralen Faktor in politischen Auseinandersetzungen erklärt.

In Kendis Augen sind Menschen entweder Rassisten oder Antirassisten; dazwischen existiert nichts, keine «Farbenblindheit» und auch kein «Nichtrassismus». Alles, auch Ideen und Institutionen, ist entweder das eine oder das andere. Und antirassistisch ist für ihn nur, wer daran mitwirkt, Gleichheit herzustellen – und zwar nicht zwischen Individuen, sondern zwischen den besagten «racial» Gruppen.

Wer als Liberaler gehofft hatte, dass dieses Denken in Europa nur auf linke Medienleute und einige lautstarke Aktivisten aus dem akademischen Mittelbau Eindruck mache, der wird am Berliner Gendarmenmarkt an diesem Abend eines Besseren belehrt. Im Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie ist Präsident Markschies nicht der Einzige, der von einer kritischen Auseinandersetzung, die dem Namen seiner Institution gerecht würde, nichts wissen will (zu den vielen berühmten Mitgliedern der vormals Preussischen Akademie der Wissenschaften gehörte unter anderem der berühmteste Physiker aller Zeiten).

Nach der Eloge des Gastgebers folgt noch eine Liebeserklärung des Präsidenten der American Academy in Berlin, Daniel Benjamin; der ist Mitveranstalter des Abends, und auch für ihn ist der Gast aus der amerikanischen Heimat einfach nur ein phantastisches «one-man cultural phenomenon».

Ja, und dann kommt Kendi, und er muss sich in rund eineinhalb Stunden weder von der Journalistin Rose-Anne Clermont, die mit ihm ausnahmslos im Tonfall einer Bewunderin über Werk und Vita spricht, noch vom Publikum kritische Fragen anhören. Ob es an der Sorge des fast ausschliesslich weissen Publikums liegt, öffentlich des Rassismus bezichtigt zu werden?

Kapitalismus? Auch schlimm!

«Das einzige Mittel gegen rassistische Diskriminierung ist antirassistische Diskriminierung», schreibt Kendi. Wer es anders sieht, wer positive Diskriminierung nicht für eine segensreiche Sache, sondern für leistungsfeindlichen Unfug hält und deshalb ablehnt, ist für ihn: genau, ein Rassist. Auch die freie Wirtschaftsordnung gehört für Kendi zu jenen Dingen, die schnellstens überwunden werden müssen. Denn Rassismus und Kapitalismus sind «siamesische Zwillinge».

In einem Gastbeitrag für «Politico» hat Kendi erklärt, wie er seine Überzeugungen mithilfe eines Zusatzes zur amerikanischen Verfassung implementieren will: Ein Ministerium für Antirassismus («Department of Anti-racism», kurz DOA) soll politische Entscheidungen von der lokalen bis zur nationalen Ebene auf fehlende Gleichheit hin kontrollieren und bei Bedarf Disziplinarmassnahmen ergreifen. Die Mitarbeiter sollen «Experten» sein, keine gewählten Volksvertreter.

Autoren wie Andrew Sullivan und Coleman Hughes, die im klassischen Sinne Liberale sind (also keine amerikanischen «liberals»), haben auf den totalitären Charakter dieses Konzepts hingewiesen. Derzeit möge so ein Ministerium keine Chance haben, schreibt Hughes. Aber langfristig werde sich das Meinungsklima in den Vereinigten Staaten wohl in diese Richtung verändern. Es sei daher gut möglich, dass die Unterstützung für Kendis Verfassungszusatz unter progressiven Amerikanern schon in wenigen Jahren zum guten Ton gehöre.

Hughes, selbst Afroamerikaner, hat eine der strengsten Rezensionen von «How to Be an Antiracist» verfasst. Kendis Buch sei zwar in einer klaren Sprache verfasst, die auf unnötigen Jargon verzichte. Das sei ein Wert an sich. Aber der Autor argumentiere schwach, und seine Fakten seien ungenau und mitunter widersprüchlich. Im Ergebnis lerne man weniger, was es bedeute, ein Antirassist zu sein. Man lerne vielmehr, was es bedeute, antiintellektuell zu sein. Hughes’ öffentliche Einladung zum Streitgespräch hat Kendi bisher nicht angenommen. Als der Kritiker in diesem Jahr verkündete, dass die Debatte doch stattfinden könne, handelte es sich leider um einen Aprilscherz.

Im Berliner Einstein-Saal wird es an diesem Abend nur einmal und auch nur beinahe kritisch. Eine Lehrerin erzählt, dass sie mir ihren Schülern über Kendis Vorstellungen gesprochen habe. Diese seien alles andere als begeistert gewesen und hätten sich vor allem mit der Behauptung schwergetan, es gebe keine nichtrassistischen Ideen (sondern nur rassistische oder antirassistische). Ihr sei dann keine gute Antwort eingefallen, sagt die Lehrerin. Doch statt die Ursache dafür in Kendis manichäischem Weltbild zu suchen, sucht sie lieber seine Hilfe. Was sie beim nächsten Mal denn besser machen könne, will sie wissen.

Kendi lächelt sanft und erklärt der Dame, was aus seiner Sicht das Problem ist. Viele Menschen hielten sich beim Thema Rassismus für Experten, sagt er. Das seien sie aber nicht. Wenn er andere auffordere, Rassismus zu definieren, sprächen sie immer über sich selbst und weshalb sie keine Rassisten seien. Das Publikum lacht, die Lehrerin auch. Die Schüler, sagt Kendi, müssten mehr Demut haben und verstehen, dass sie keine Experten seien. Niemand widerspricht.

Die Veranstaltung mit Ibram X. Kendi sei nur der Auftakt im Kampf seiner Institution gegen den Rassismus, kündigt Präsident Markschies an. Weitere Veranstaltungen würden folgen. Nach diesem Abend kann man im Sinne der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Besonderen und des Wissenschaftsstandorts Berlin im Allgemeinen nur sagen: o je.





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