Mittwoch, 7. März 2018

Der Robin Hood von Berlin... Helden in roten Strumpfhosen...

von Thomas Heck...

Kevin Kühnert hat eine Eigenschaft, die in der alten Tante SPD nicht mehr so verbreitet ist. Er scheint ehrlich zu sein. Das ist aber auch das einzige, was an dem Jung-Revoluzzer sympathisch rüberkommt, der in seinem Leben nicht einen einzigen Handschlag produktiver Arbeit geleistet hat und sich sein restliche Leben von Parteipöstchen zu Parteipöstchen hangeln wird. Aber, wie gesagt, ehrlich scheint er zu sein und lässt im Zeit-Interview deutlich erkennen, was sein Begehr ist. Nämlich das Geld anderer Leute, vornehmlich derer, die mehr Geld verdienen, als er selbst. Kevin Kühnert: "Wir müssen den exorbitant Vermögenden was wegnehmen". Rotlackierte Raubritter mit  dem Anschein sozialer Empathie:
Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert © Michael Kappeler/dpa

ZEIT ONLINE: Sie haben mal gesagt: Wenn die SPD noch einmal eine große Koalition riskiert, dann geht sie unter. Und jetzt?
Kühnert: Jetzt müssen wir versuchen, die Regierungsarbeit von dem zu trennen, was innerhalb der Partei passiert.
ZEIT ONLINE: Was meinen Sie damit?
Kühnert: In der Regierung wird die SPD eine Politik mittragen müssen, die nicht immer ihre ist. Die Mindestlöhne etwa werden kaum steigen. Innerhalb der Partei aber müssen wir für einen höheren Mindestlohn streiten. Wir müssen selbstbewusst neben der Regierung stehen und sagen: Was die dort exekutieren, das ist der maximal mögliche Kompromiss. Das, was wir machen, ist ein eigenständiger Gesellschaftsentwurf, den wir beim nächsten Mal zur Wahl stellen.
ZEIT ONLINE: Wenn Sie den Wählern die ganze Zeit erklären, wie schlecht die Kompromisse der Regierung sind, dann fragen die sich aber irgendwann, warum die SPD so schlecht regiert.
Kühnert: Ich sage ja nicht, dass wir unsere Regierungsarbeit schlechtreden sollen. Wir müssen nur aufhören, sie übereuphorisch zu kommentieren. Sonst halten die Menschen den Kompromiss für unsere Position.
ZEIT ONLINE: Wie soll das klappen, gleichzeitig Regierung und Opposition zu sein?
Kühnert: Es wird mit Sicherheit kräftezehrend, weil es Widersprüche produziert, die wir aushalten müssen. Man muss das durchhalten wollen.
ZEIT ONLINE: Alle in der SPD reden jetzt von Erneuerung. Was verstehen Sie darunter?
Kühnert: Vor allem: Dass wir klar sagen, was wir konkret umsetzen wollen. Ich kann mich nicht darüber beschweren, dass Vermögen zu ungleich verteilt sind, aber dann nichts auf der Pfanne haben, um das zu ändern.
ZEIT ONLINE: Und wie ließe sich das ändern?
Kühnert: Zum Beispiel über die Vermögenssteuer. Oder über die Erbschaftssteuer, da könnten wir uns von dem Ausnahmedschungel befreien, der über Jahre systematisch zugelassen wurde. Oder über einen neuen Spitzensteuersatz. Gerne auch mit einer höheren Einkommensgrenze, aber dann müssten wir auch über mehr als die drei Prozentpunkte Aufschlag reden, die in unserem letzten Wahlprogramm standen. Wir Jusos sind bereit, darüber zu streiten, welche der Maßnahmen am besten geeignet ist. Aber wir werden es der SPD nicht mehr durchgehen lassen, dass sie sich für keine der drei Varianten so richtig ausspricht und am Ende einfach wegduckt. Man kann so ein Thema doch nicht einfach liegenlassen! Wir sind als Parteien immer auf der Suche nach Themen, die große Zustimmung in der Bevölkerung finden. Und dass es nicht sein kann, dass 45 Menschen so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung – da muss ich doch kein volkswirtschaftliches Seminar abhalten, damit die Leute sagen: Da habt ihr recht.
ZEIT ONLINE: Warum schneidet die SPD dann so schlecht ab?
Kühnert: Wir wollen immer Politik für möglichst viele Menschen machen. Bei der letzten Bundestagswahl hat die SPD quer durch alle Milieus zwischen 17 und 23 Prozent der Stimmen bekommen, egal ob bei den Abgehängten oder den Topverdienern. Das ist eine schlechte Nachricht für eine Partei. Parteien sind nicht dafür da, allen Menschen gleichermaßen zu gefallen. Wir müssen vielen Menschen ein Angebot machen, ja. Aber das bedeutet auch, dass wir manchen was wegnehmen müssen.
ZEIT ONLINE: Wem?
Kühnert: Na zum Beispiel denen mit exorbitant hohem Vermögen. Die haben das ja nicht allein durch ihre eigene Arbeit erwirtschaftet, sondern dadurch, dass Menschen in ihren Unternehmen stehen und arbeiten, aber seit 20 Jahren unterdurchschnittlich an den Gewinnen beteiligt werden. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die haben Reallohnverluste. Die werden um ihren gerechten Anteil an unserem Reichtum betrogen.
ZEIT ONLINE: Was gehört noch zur Erneuerung der SPD?
Kühnert: Das Thema Nachhaltigkeit zum Beispiel. Ich halte es für einen großen Fehler, dass wir lange Zeit gesagt haben: Dafür sind die Grünen zuständig. Beim Kohleausstieg, der unweigerlich auf uns zu kommt, bleibt die SPD seit Jahren eine Antwort schuldig. Da gibt es auf der einen Seite Menschen, die haben dank der Kohle gut bezahlte Industriejobs. Auf der anderen Seite stehen Leute, die erwarten, dass wir endlich für eine nachhaltige Energieversorgung sorgen. Und wir stehen dazwischen, haben große Angst irgendjemandem wehzutun – und geben gar keine Antwort. Wer jetzt bei Vattenfall im Braunkohlerevier arbeitet und gut verdient, für den kann es ja nicht die Lösung sein, dass er mal einen Eisladen am Baggersee aufmacht. Wenn wir aus der Kohle aussteigen, müssen wir Geld in die Hand nehmen, um andere Industriezweige aufzubauen.
ZEIT ONLINE: Viele glauben, dass sich die SPD zu sehr auf Themen stürzt, die den meisten Stammwählern gar nicht wichtig sind: Ökothemen oder der Familiennachzug für Flüchtlinge. 
Kühnert: Ökologie ist kein Nischenthema. Gerade junge Menschen, die uns künftig wählen sollen, haben verstanden, dass da die Lebensbedingungen ihrer Zukunft verhandelt werden. Und die ganze Flüchtlingspolitik ist aus meiner Sicht eine Haltungsfrage. Wenn ich mir die Grundwerte der SPD angucke, zu denen bekanntermaßen die Solidarität gehört, kann ich zu keinem anderen Schluss kommen, als dass wir Menschen, die auf absehbare Zeit bei uns leben werden und von denen wir verlangen, dass sie sich integrieren, die bestmöglichen Bedingungen dafür bieten. Dazu gehört, dass wir sie nicht im Unklaren darüber lassen, ob es ihren engsten Verwandten gut geht oder nicht.
ZEIT ONLINE: Viele Ihrer potenziellen Wähler fühlen sich von den Flüchtlingen aber eher verunsichert.
Kühnert: Die Ursachen für dieses Bedrohungsgefühl liegen doch oft nicht bei den Flüchtlingen. Ich habe meine NoGroko-Tour in Pirna in Sachsen begonnen, wo die AfD 40 Prozent geholt hat. Dort hat sich der Staat aus seiner Verantwortung herausgezogen: beim bezahlbaren Wohnen, bei der Sicherung von Arbeitsplätzen, bei der Mobilität im ländlichen Raum. Als dann 2015 die vielen Flüchtlinge kamen, dachten sie: Warum ist jetzt plötzlich Geld da – und vorher nicht? Dass der Staat vielerorts zum Nachtwächter wurde, das wird auch uns angelastet – zu recht. Diese Politik muss sich ändern, und das fängt damit an, dass die SPD sich hinstellt und sagt: Sorry, wir haben da Fehler gemacht. 
ZEIT ONLINE: Die AfD greift dieses Gefühl, vom Staat vernachlässigt zu werden, sehr erfolgreich auf. Wie sollte die SPD mit den Rechtspopulisten umgehen?
Kühnert: Die AfD hat einen völkisch-rassistischen Kern, der gehört nicht zum demokratischen Spektrum. Die Wähler der AfD sind aber nicht die AfD. Sie treiben Themen um, die wir ernst zu nehmen haben. Und diese Themen haben viel mit dem Rückzug des Staates zu tun. Die allermeisten wählen doch nicht die AfD, weil sie ihr irgendeine Problemlösungskompetenz zuschreiben. Sie wählen AfD, weil sie die etablierten Parteien zum Umdenken zwingen wollen. Der Dialog mit diesen Menschen ist eine ganz große Aufgabe für die SPD. Die müssen wir anpacken, vor allem im Osten. 
ZEIT ONLINE: Wo die SPD kaum Strukturen hat: In Sachsen haben Sie gerade mal 5.000 Mitglieder, in Thüringen knapp über 4.000. 
Kühnert: Umso dringender müssen wir unsere Präsenz dort erhöhen. In ganz Mecklenburg-Vorpommern hat die SPD nur noch zwei Regionalbüros. Wir sollten überlegen, ob wir dort künftig mit Kleinbussen die Städte und Dörfer besuchen und Sprechstunden anbieten. Das könnte ein Anfang sein. 
ZEIT ONLINE: Wo werden heute Wahlen gewonnen: rechts, links oder in der Mitte?
Kühnert: Dazu hat Sigmar Gabriel mal was Kluges gesagt: Die Mitte ist kein fester Ort, Parteien können sie verschieben. Sie können Wahlen gewinnen, wenn sie die eigenen Themen zu den Themen der Mehrheit machen. Das ist uns in den letzten Jahren kaum gelungen. Wir haben zu oft den Finger in die Höhe gehalten, um zu erspüren, woher der Wind vermeintlich gerade weht. So was wird nicht gewählt.

"Ich bin und bleibe Juso-Vorsitzender"

ZEIT ONLINE: Bei der letzten Wahl hat sich die Mitte nach rechts verschoben. Was heißt das für die SPD?
Kühnert: Dass wir wieder über andere Themen diskutieren müssen als im jüngsten Wahlkampf. Wir haben uns einreden lassen, alles drehe sich um Flüchtlinge. Dabei haben die meisten Menschen ganz andere Probleme: Arbeit, Verteilung, Soziales. Wir haben aber in der großen Koalition verlernt, bei diesen Themen die Konflikte mit der Union zu kultivieren und stattdessen den Konsens vorweg gedacht. Wir sind handzahm geworden und haben damit Raum für die Themen der anderen gelassen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass die Hauptkonfliktlinie in der Politik künftig lautet: Die vermeintlichen Systemparteien gegen die Neuen.
ZEIT ONLINE: Sie haben jetzt viel über inhaltliche Erneuerung gesprochen. Bei den Grünen und der CDU kann man das Neue vor allem daran erkennen, dass andere Leute an die Spitze kommen: Annalena Baerbock, Annegret Kramp-Karrenbauer, Robert Habeck. Wer ist das bei der SPD? Sie?
Kühnert: Ich bin und bleibe Juso-Vorsitzender. Bei den Landtagswahlen hat die SPD immer dort gut abgeschnitten, wo sie kluge personelle Angebote gemacht hat, zum Beispiel mit Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz. Sie war übrigens auch deshalb so erfolgreich, weil sie beim Thema Flüchtlinge ganz klar Haltung gezeigt hat. Manuela Schwesig gehört auch dazu. Die alte SPD hatte an der Spitze einen enormen Männerüberschuss – das hat uns geschadet. 
ZEIT ONLINE: Wenn man in der Partei herumfragt, sagen alle, dass Kevin Kühnert beim Erneuerungsprozess eine wichtige Rolle spielen soll. Haben ihnen Andrea Nahles und Olaf Scholz schon einen Job angeboten?
Kühnert: Nein, müssen sie auch nicht. Wir stehen noch ganz am Anfang. Wir reden viel miteinander, aber das wäre der dritte Schritt vor dem ersten – und darum geht es auch gar nicht. Für viele von uns kehrt gerade das erste Mal seit einem Jahr ein bisschen Ruhe ein. Diese Ruhe brauchen wir jetzt zum Nachdenken. Wir brauchen keine Schnellschüsse. Aber auf unserem Parteitag im April muss es dann mit der Erneuerung richtig losgehen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie in den vergangenen Wochen etwas über die SPD gelernt, was Sie bisher nicht wussten?
Kühnert: Wir werfen uns selbst gern vor, wir seien zu homogen und nicht genug verankert in der Breite der Bevölkerung. Bei meinen Veranstaltungen habe ich rund 7.000 Leute getroffen – und da war alles dabei, wirklich alles, alle Altersgruppen, alle Berufe, Handwerker, Akademiker, schillernde und schüchterne Persönlichkeiten. So vielschichtig hätte ich uns nicht erwartet.
ZEIT ONLINE: Und was haben Sie über sich selbst erfahren?
Kühnert: Mit wie wenig Schlaf ich auskommen kann.
ZEIT ONLINE: Während Ihrer Tour ist die SPD auf 16 Prozent zurückgefallen, hinter die AfD. Haben Sie mal befürchtet, Sie könnten ihrer Partei den Rest geben?
Kühnert: Eine Kampagne, die nach meiner Einschätzung das Potenzial hat, die SPD zu zerstören, hätte ich nicht gemacht. In den letzten 20 Jahren hat sich die SPD halbiert. Und zwar nicht in der Opposition, sondern in Regierungsverantwortung.
ZEIT ONLINE: Gab es etwas auf Ihrer Tour, was sie berührt hat?
Kühnert: (denkt lange nach) Ich war gerührt und ein bisschen ehrfürchtig, wenn ältere Mitglieder zu mir gekommen sind und – entweder mit strahlendem Gesicht oder mit einer kleinen Träne im Auge – gesagt haben, dass sie wieder Hoffnung für die SPD haben, wegen uns Jusos. Da schluckt man schon. Und es zeigt, dass die SPD mehr ist als ein Zweckverein. Für viele Leute ist sie eine sehr emotionale Angelegenheit.
ZEIT ONLINE: Was nervt Sie an der SPD?
Kühnert: Das, was bei jeder Großorganisation nervt: dass alles so lange dauert.

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