Rot-Rot-Grün fährt mit 16 Limousinen zum Fußgängergipfel
Absurd oder einleuchtend? Politiker predigen Umweltschutz und fahren selbst kurze Strecken mit dem Auto.
„Mitmachen und das Auto auch mal stehen lassen“, twitterte Verkehrssenatorin Regine Günther (46, Grüne) am Montag anlässlich der Europäischen Mobilitätswoche. Am Dienstag, stiegen sie und andere Mitglieder von Berlins rot-rot-grüner Regierung dann in ihre Dienstwagen …
Mitmachen und das Auto auch mal stehen lassen: Heute startet die Europäische Mobilitätswoche 2019.
Eine klimafreundliche Mobilität ist der Schlüssel zu einem lebenswerten Berlin. ^TG#emw2019 #mobilityweek
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Alle paar Monate tagt der Berliner Senat nicht im Roten Rathaus, sondern in einem der Bezirksrathäuser. Gestern saßen u.a. neun Senatoren, der Regierende Bürgermeister und die Fraktionschefs in Hellersdorf zusammen. Es ging um das neue Fußgänger-Gesetz und Klimaschutz. Draußen parkten mindestens 16 Nobelkarossen vorm Bürgeramt Helle Mitte. Darunter auch Elektro-Fahrzeuge.
Wie wäre es – ganz im Sinne des Umweltschutzes – denn mal mit Fahrgemeinschaften?
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (54, SPD): „Wir kommen alle von woanders her. Und heute, wenn alle ihre schweren Akten dabei haben, ist das keine Option.“
Einige Teilnehmer der Sitzung reisten aber durchaus mit der U-Bahn an. Danach ging es per Reisebus (Aufschrift: „Sightseeing“) weiter. Man wollte noch was vom Bezirk sehen: Den Rohbau von ein paar Hundert Wohnungen am Gut Biesdorf, zum Beispiel.
Müller: „Wenn es passt, fahren wir auch von Anfang an im Bus zusammen – wie letztens bei unserer Neubau-Tour.“
Übrigens hat der Senat auch über den Klimastreik am Freitag gesprochen. Wenn Vorgesetzte es erlauben, müssen Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes dann nicht arbeiten. Die Kernzeit (9-14 Uhr) ist aufgehoben. Die FDP kritisiert: Unvertretbar angesichts überlanger Wartezeiten in vielen Bereichen der Verwaltung.
„2030 wird Berlin ganz anders aussehen“
Nach Radlern, Bus- und Bahnfahrern sind jetzt die Fußgänger dran. Als erstes Bundesland fördert Berlin sie mit einem eigenen Kapitel im Mobilitätsgesetz. Denn: Jeder dritte Weg in Berlin wird komplett zu Fuß zurück gelegt.
„Es ist aus traurigem Anlass ein aktuelles Thema“, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (56, Grüne). Vor zwölf Tagen wurden vier Fußgänger beim Porsche-Unfall in Mitte getötet. Für Rot-Rot-Grün ist klar: Bei der künftigen Planung haben Fußgänger Vorrang vor dem Autoverkehr. Die Senatorin: „Das ist zentral, um Berlin zu einer liebenswerten Stadt auszubauen.“
► Weniger Umwege und Wartezeit. So sollen Gehweg-Nasen und Mittelinseln gebaut werden, Bordsteine gerade für Rollatoren und Kinderwagen vollständig abgesenkt werden. Die Grünphasen an Ampeln sollen um 50 % verlängert werden, damit die ganze Fahrbahn überquert werden kann, bevor es wieder Rot wird – ohne Warten an Mittelinseln. Aber: Jedes Jahr können nur zehn Prozent der Ampeln umprogrammiert werden.
► Besserer Aufenthalt, mehr Sicherheit. Gefördert werden sollen Fußgängerzonen, verkehrsberuhigte Straßen, Spielstraßen. Gerade in Randbereichen sollen sollen Fuß- und Radwege besser beleuchtet werden.
► Mehr Barrierefreiheit. Die Gehwege sollen so von E-Scootern, Leihrädern etc. freigeräumt werden, dass sich zwei Rollstühle oder Kinderwagen bequem begegnen können.
► Mehr Schulweg-Sicherheit. Das Umfeld jeder Schule wird von der Verwaltung durchforstet und verbessert: durch bauliche Veränderungen, mehr Schülerlotsen etc. Das Ziel: Schüler sollen selbständig zur Schule gehen können.
Wie hoch die Kosten für all das sein werden, kann noch niemand sagen. Als nächstes müssen der Rat der Bürgermeister und das Abgeordnetenhaus über die Pläne beraten.
Bereits im Juli 2018 sind Teile des Mobilitätsgsetzes in Kraft getreten und verschiedene Themen nehmen langsam Fahrt auf. Zu den umgesetzten Maßnahmen zählen, neben der Aufstockung der für den Radverkehr verantwortlichen Angestellten von drei auf 60 und der Markierung von 26 km Radfahrstreifen, auch die Montage von 7750 Abstellbügeln und Entschärfung von zehn Kreuzungen. „Die Verkehrswende gibt’s nicht auf Knopfdruck“, sagt Günther. „2030 wird Berlin ganz anders aussehen.“