Montag, 19. Dezember 2022

"Hallo, SPD? Mein Nachbar ist verdächtig!"

von Mirjam Lübke...

In Ray Bradburys "Fahrenheit 451" gab es diese roten Briefkästen, in denen der anständige Bürger Hinweise auf Personen hinterlegen konnte, die er des Bücherlesens verdächtigte. Dann rückte die Feuerwehr aus, um den Bücherwurm festzunehmen und sein Haus zur Abschreckung in Brand zu setzen. Das widersprüchliche Verhalten von Bradburys Feuerwehr erinnert sehr an die deutsche Innenpolitik: Diejenigen, welche vorgeblich unsere Demokratie schützen, unternehmen stattdessen derzeit einmal wieder einige Anstrengungen, um eben jene auszuhebeln. Angeblich befinden wir uns am gleichen Scheideweg wie 1933: Hinter der nächsten Ecke schon könnte das vierte Reich lauern, geplant von Telegramnutzern, welche allerhand Übles im Schilde führen. Einmal wieder sollen nun also private Chats mitgelesen und ein "Hinweisgeberwesen" eingeführt werden. Das Argument, das an dieser Stelle stets ins Feld geführt wird, weist bereits deutliche Gebrauchsspuren auf: "Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten."


Mit dieser Begründung wurden in den Siebzigern in linken Wohngemeinschaften alle Türen ausgehängt, selbst die des Badezimmers. Während auf der ISS trotz der Enge jeder Astronaut wenigstens ein kleines Kämmerlein für sich hat, begriffen die Ideologen damals nicht, wie wichtig ein wenig Privatsphäre für die meisten Menschen ist. Es liegt nun einmal in unserer Natur, kleine Geheimnisse vor anderen haben zu wollen, schließlich sind wir keine Schaufensterpuppen, die jeder nach Belieben anstarren darf. Das liegt gewöhnlich nicht an kriminellen Absichten, welche wir hegen, sondern weil die meisten von uns es einfach nicht mögen, unter Dauerbeobachtung zu stehen. Sogar moderne Zoos gestehen den Tieren zu, sich auch einmal im Gebüsch vor den Besuchern zu verstecken - warum sollten wir geringere Ansprüche haben?
 
Als vor etwa 25 Jahren das Gerücht aufkam, die NSA lese bei unserer elektronischen Post mit, hielten viele das für Spinnerei, vielleicht, weil sie das Bild von Millionen Agenten im Kopf hatten, welche rund um die Uhr bei Frau Müller und Herrn Schmidt die Mails nach Verdächtigem durchwühlen. Bekanntlich lief das Durchsuchen allerdings automatisiert nach Stichworten ab, so wie es für uns heute bei Facebook selbstverständlich ist: Man schreibt ein bestimmtes Wort und schon ploppt unter dem Beitrag ein Warnhinweis an die Menschheit auf, nur nicht alles zu glauben, was dort geschrieben steht. Schon das hat eine Zensurwirkung, weil man sich nicht mehr wagt, alles zu schreiben und erfahrungsgemäß auch einige Leser davor zurückscheuen, den Text zu teilen. Und schon ist der gewünschte Effekt erzielt, ohne dass es weiterer Maßnahmen bedürfte. Für ein offeneres Wort weicht man auf eine persönliche Nachricht zurück.
 
Nun soll noch zusätzlich zur geplanten Chatüberwachung ein "Hinweisgeber-Schutzgesetz" eingeführt werden, um jene zu schützen, die einen Missstand auch unterhalb der Straftatsgrenze anzeigen wollen. Man ahnt Böses, nämlich dass es hier nicht um Schutz vor Mobbing oder ekligen Chefs geht, sondern um das Ausspähen der Kollegen. Als ob es sie nicht ohnehin schon überall gäbe, die Mitarbeiter, die sich für den verlängerten Arm der Geschäftsführung halten und jedes noch so kleine Fehlverhalten derart laut kommentieren, dass der gesamte Betrieb es mitbekommt. Mülldurchwühlende Nachbarn existieren ebenfalls zur Genüge, die ihren Mitbewohnern erklären, wie sie zu leben haben, auch wenn sie von deren Verhalten gar nicht persönlich betroffen sind - es geht bekanntlich ums Prinzip. Jeder soll jeden erziehen, so stellt es sich das Innenministerium vor - ein Hauch von Maoismus weht durch die Flure.
 
Letztens gestand ich einer Kollegin, dass ich bei der letzten Fraktionsklausur am liebsten einen anderen Kollegen im Mettigel auf dem Abendbüffet ertränkt hätte - ein Gedanke, der mir spontan durch den Kopf schoss. Nach dem Willen der Innenministerin hätte sie mich wahrscheinlich sofort als potentielle Mettigel-Mörderin den Behörden melden müssen. Aber Menschen mit gesundem Menschenverstand wissen eben, wie schnell einem derlei Gedanken in den Sinn kommen und wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass man sie in die Tat umsetzt - sonst müsste jeder Krimiautor mit einem Bein im Gefängnis stehen.
 
Aber geben wir nicht ohnehin mit der Nutzung des Internets freiwillig unsere Privatsphäre auf? Durch all die Cookies und Algorithmen, welche einem schon Staubsaugerwerbung auf allen Kanälen anbieten, bevor man überhaupt den Gedanken ausgesprochen hat, sich das Gerät kaufen zu wollen? Das kann einem schon sehr auf die Nerven gehen und wird deshalb ebenfalls häufig ins Feld geführt: Wer das Cookie gewähren lässt, muss auch Frau Faeser den gewünschten Einblick bieten, so die Logik dahinter. Ein Ad-Blocker allerdings kann in diesem Fall viel bewirken. Der Regierungsblocker ist leider noch nicht erfunden, um unerwünschten Gästen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
 
Eine Gefahr heraufzubeschwören, ist eins der ältesten Mittel der Welt, um der Bevölkerung eben jene Maßnahmen überzustülpen, die dem politischen Gegner als Ziel unterstellt werden und funktioniert leider immer wieder. Wir erinnern uns zudem an Horst Seehofers Strategiepapier zum Lockdown, in dem explizit vorgegeben war, den Bürgern Angst zu machen. Diese erhöhen daraufhin gewöhnlich den Druck aufeinander derart, dass der Staat selbst nicht mehr viel eingreifen muss. Sogar manche Polizeigewerkschaft bat darum, doch bitte erst einmal mit den Nachbarn freundlich zu sprechen, bevor man sie wegen einer verrutschen Maske anzeigt. 2020 war das Jahr der selbsternannten Hilfspolizisten, von denen sich einer wichtiger vorkam als der andere, auch das gehört zur Methodik. Ein Klassiker des Totalitarismus: Die Restriktionen müssen zum Selbstläufer werden, damit sie als gerechtfertigt erscheinen. Die Bevölkerung will es so! 75 Prozent der Deutschen stimmen zu, verkünden die Nachrichten. Plötzlich ist der Wille des Volkes maßgeblich, weil man es selbst dazu gebracht hat, so zu wollen.
 
Wenn also die Befürworter des Hinweisgeber-Schutzgesetzes behaupten, den Überbringer von Informationen vor Repressalien bewahren zu wollen, schützen sie nicht denjenigen, der sich berechtigt zu Wort meldet, wie sollte das auch praktisch funktionieren? Es geht um die weitere Absenkung der Hemmschwelle für jene, welche ohnehin bereit sind, andere anzuschwärzen.




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