von Mirjam Lübke...
Jens Spahn findet es plötzlich ganz furchtbar, die letzten Kernkraftwerke abzuschalten. Das ist etwas, das man aus den Reihen der CDU nun häufiger hört, die unter kollektivem Gedächtnisverlust zu leiden scheint. Auch wenn die Grünen die Urväter der Anti-Atom-Bewegung sind, kann man nicht oft genug betonen, wer uns den Schlamassel eingebrockt hat: Angela Merkel auf Wählerfang. Nun fangen die Grünen zurück, um die Sache bis zum bitteren Ende durchzusetzen - und Herrn Spahn geht eine Glühbirne auf: In Zeiten der Energiekrise ist das keine gute Idee.
Nun konnte man zwar ahnen, aber nicht wissen, dass es einmal so weit kommen würde, dass auch noch ein schwarzer Schwan wie der Ukraine-Krieg auftaucht. Heute wird zwar viel darüber diskutiert, wie Deutschland sich in der Gasfrage von Russland abhängig gemacht hat, aber dass es auch bei der Stromerzeugung stets nach der Maxime verfuhr "die anderen werden es schon für uns richten", ist kein großes Medienthema. Gern berufen sich die Jünger der Energiewende darauf, dass Deutschland ein großer Energieexporteur sei. Wenn die Wetterlage günstig ist, dann stimmt das auch, aber bekanntlich kann man den kostbaren Strom nicht in ein Sparschwein für schlechte Zeiten stecken. Das funktioniert höchstens für einen Privathaushalt in gewissem Maße, wofür man sich eine sperrige, ziemlich teure Speicherzelle in den Keller stellen muss. Im Grunde hängt man damit an einer aufgemotzten Autobatterie - vielleicht ist das sogar besser als nichts, bei dem, was uns noch erwartet.
Als die Blackout-Gefahr noch nicht von Fehlentscheidungen der alten und neuen Bundesregierung ausging, durfte darüber sogar noch gesprochen werden, denn vor wenigen Dingen hat unsere Gesellschaft größere Angst als vor finsteren Mächten im Internet. Dort tummeln sich nicht nur Menschen mit eigener Meinung, sondern eben auch Hacker, die für fast ebenso gefährlich gehalten werden. Auch wenn der Strom vor etwa zehn Jahren noch nicht knapp war, musste er schließlich auch zur Steckdose geleitet werden, was ein höchst komplizierter Vorgang ist. Wovon man heute in der Regierung legal träumen darf, galt damals noch als Terrorismus: Den Bürgern als "kleine Erziehungsmaßnahme" per Schaltung den Strom abzustellen. Denn auch jene Hacker waren oft überzeugt, damit die Welt zu retten.
Auch wer nicht wie ich von Jugend an gern über apokalyptische Szenarien gelesen hat, kann sich lebhaft vorstellen, welches Chaos ein längerer Stromausfall bedeuten würde. Übrigens wäre es auch das Aus für das von den Grünen bewunderte chinesische Sozialpunkte-System: Ohne Strom hat es auch ein Überwachungsapparat schwer. Die Rücksichtslosen könnten also durchaus davon profitieren, keiner wird sich mehr darum kümmern können, wenn sie ihren Nachbarn die letzten Dosenpfirsiche aus der Speisekammer rauben. Staatliche Maßnahmen sind zwar vonnöten, um Dosenpfirsich-Räuber zu fassen, während die Grünen uns eher deren Verzehr verbieten wollen.
Einen Urlaub lang mag es romantisch sein, einmal eine Weile abseits des Versorgungsnetzes zu leben, mit Plumpsklo, Petroleumlampe und Pumpe. Man lernt dabei auch, wie selbstverständlich vieles für uns geworden ist. Allerdings geschieht das freiwillig und ohne dass man fürchten muss, von Plünderern überfallen zu werden. Und wenn man sich beim Holzhacken den Fuß verletzt, steht irgendwo das Auto, um einen ins Krankenhaus zu bringen. Kurzum: Es ist ein Szenario, das sich nur für fitte und gesunde Menschen eignet, die im Notfall in ein Rettungsnetz fallen. Die Romantik schwindet mit den Problemen.
Es steht also weitaus mehr auf dem Spiel als nur ein "bisschen Sparen gegen Putin und den Klimawandel". Wer sich dazu berufen fühlt, kann schließlich kalt oder gar nicht duschen, im Winter unter einer Wolldecke zittern oder bei Kerzenschein sitzen. Es ist wie beim Maskentragen: Niemand wird davon abgehalten, den Helden zu spielen. Nur scheint langsam allen Beteiligten klar zu werden, wie ernst die Lage ist. Die CDU hat die Energiewende verbockt, und den Grünen wird wohl gerade bewusst, dass sie zwar von vielen gewählt werden, weil es schick ist. Aber sind diese Wähler auch bereit, freiwillig den Energie-Märtyrer zu spielen? Letztlich können Habeck & Co. nicht darauf bauen, wollen ihren Kurs aber auch nicht korrigieren.
Im Grunde überlegt im Moment niemand außer der AfD und den Wagenknecht-Linken niemand, wie man das Ruder herumreißen könnte. Die CDU gibt sich unschuldig, die Grünen arrogant. In Frankreich wären ihnen wahrscheinlich schon von insolventen Mittelständlern aus Protest schimmelige Brote und zerbrochenes Porzellan vor die Parteizentrale gekippt worden. Sie haben Glück, dass die von der Energiekrise Geschädigten in Deutschland so zurückhaltend agieren und höchstens einmal ein wenig in die Kamera schimpfen.
Wenn der Blackout kommt, wird auch das nicht mehr möglich sein. Noch wird durch unsere europäischen Nachbarn einiges aufgefangen - aber begeistert sind sie nicht davon. Das einzig Gute an einem Blackout wäre, dass wir uns dann auch die unwürdigen Diskussionen aus Berlin nicht mehr anhören müssen. Ein schwacher Trost.
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