Mittwoch, 23. November 2016

Was bringt die schwarze Null?

von Thomas Heck...

Im fünften Jahr in Folge präsentierte ein sichtlich stolzer Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag die schwarze Null, jenes magische Phänomen, von der nur flüsternd und hinter vorgehaltener Hand abweichend gesprochen werden darf. Ein weiterer Beitrag zur Alternativlosigkeit.

Schäubles Haushaltsplan für das kommende Jahr sieht zum vierten Mal in Folge keine neuen Schulden des Bundes vor. "Wir haben eine glückliche Entwicklung gehabt", räumte der Finanzminister angesichts der guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland und der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ein. "Dass die Zinsen so stark zurückgegangen sind, hat uns sehr bei dieser Entwicklung geholfen."


Weniger als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl warnte der CDU-Politiker davor, aufgrund der derzeitigen Lage von der Politik der "schwarzen Null" abzurücken. Die Spielräume würden in den kommenden Jahren nicht größer. Denn einerseits könnten die derzeitigen Nullzinsen nicht weiter sinken und auch die Steuereinnahmen würden andererseits in den kommenden Jahren eher zurückgehen.

Doch um welchen Preis wird hier die an sich wichtige Konsolidierung des Haushalts betrieben? Nicht funktionierende Verwaltungen, eine überforderte und unterfinanzierte Polizei und Bundeswehr, eine marode Infrastruktur, ein marodes Bildungswesen. All dies wird Deutschland langfristig teuer zu stehen bekommen. 

Und dennoch wird getrickst. Wolfgang Schäuble hat im Bundeshaushalt knapp vier Milliarden Euro aus dem Verkauf von Bundesanleihen verbucht. Die zusätzlichen Einnahmen stammen aus einer Zinsersparnis. Das Problem: Sie fällt eigentlich über zehn Jahre an. Dennoch wurde die komplette Summe auf einen Schlag verbucht. Für 2016 werden es sogar sieben Milliarden Euro sein. 


Die Bilanz des Bundesfinanzministers ist gedopt. Schäuble sieht nicht nur wegen der niedrigen Zinsen so gut aus. Vielmehr auch deshalb, weil er trickst. Das zeigt eine Berechnung des Analysehauses Barkos Consulting.

Im vergangenen Jahr hat Schäuble durch einen Trick beim Verkauf von Bundesanleihen knapp vier Milliarden Euro zusätzlich erlöst und damit seinen Haushalt aufgepeppt – obwohl er die vier Milliarden eigentlich einer deutschen Ausnahmesituation verdankt. In diesem Jahr werden ihm so sogar sieben Milliarden Euro unverhofft in den Schoß fallen. Bis 2020, so haben die Barkow-Analysten berechnet, werden es insgesamt 30 Milliarden Euro sein – vorausgesetzt die Zinsen verharren auf einem ähnlichen Niveau.

Dass es diese 30 Milliarden gibt, ist nicht verwerflich. Es ist vielmehr der Art geschuldet, wie die Verkaufserlöse von Bundesanleihen verbucht werden. Doch die Verwendung des Geldes ist fragwürdig. Denn es handelt sich um Geld, das aus einem Zinsvorteil entsteht, der eigentlich über zehn oder noch mehr Jahre anfällt. Diese Summe wird jedoch schon heute auf einen Schlag realisiert und ausgegeben. 

„Finanzminister Schäuble verfrühstückt die Zinsersparnisse zumindest teilweise zulasten der kommenden Jahre“, sagt Wolfgang Schnorr, Stratege beim Beratungsunternehmen Barkow Consulting. „Dass die künftigen Steuerzahler das gut finden, kann man bezweifeln.“ Politisch sei das jedenfalls ein fatales Signal und setze ganz sicher die falschen Anreize, sowohl im öffentlichen Haushalt als auch im Schuldenmanagement.

Der Trick mit den Milliarden funktioniert folgendermaßen. Die Finanzagentur, die im Auftrag des Bundes frisches Geld an den Märkten einsammelt, macht das auf zweifache Weise. Entweder begeben die Profis neue Schuldtitel, von sechsmonatigen unverzinslichen Schatzanweisungen bis hin zu 30-jährigen Anleihen. In der Regel werden die Neuemissionen zu einem Kurs um die 100 Prozent, also ohne große Auf- oder Abschläge, platziert. Das ist auf dem Markt für deutsche Staatstitel, der zu den weltweit größten und liquidesten seiner Art gehört, reine Routine. 

Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, mit der die Finanzagentur für den Bund neue Mittel einwerben kann: durch die Aufstockung von bereits am Markt platzierten Schuldpapieren. Angesicht der seit Jahren sinkenden Zinsen hat diese Variante den ganz speziellen Charme, dass die bereits vor einiger Zeit platzierten Titel mit einem Kupon (Nominalzins) ausgestattet sind, der über dem derzeit marktüblichen liegt. 

Aber natürlich wird an den Finanzmärkten nichts verschenkt. Denn der Vorteil des Anlegers, über die Laufzeit der Anleihe einen höheren Zins vereinnahmen zu können, muss von ihm in Form einer Prämie, im Jargon ist von Agio die Rede, vorab bezahlt werden. Die Anleihen notieren mit Kursen weit über 100 Prozent. Und genau an dieser Stelle macht Schäuble die wundersamen Milliarden. 
Investoren werden mit hohem Zinskupon angelockt

Die Arithmetik lässt sich an der erst kürzlich aufgestockten Bundesanleihe von 2014 mit 30-jähriger Laufzeit leicht erkennen. Das Papier mit einer Verzinsung von 2,5 Prozent notierte zum Zeitpunkt der Aufstockung bei 150,2 Prozent. Und so konnte sich der Finanzminister bei einem Aufstockungsbetrag von einer Milliarde Euro dank dieses Kurses über die stattliche Summe von 1,502 Milliarden Euro freuen. Das Geld zahlen ihm große Investoren, die unbedingt diese Bundesanleihen wollen – angelockt von dem hohen Zinskupon. 

„Bemerkenswert ist nicht dieses Agio von gut 50 Prozent, das ja lediglich den zu hohen Zinskupon an die Marktrealitäten anpasst. Kritisch ist vielmehr seine kameralistische Verbuchung. Denn sie basiert einzig und allein auf kassenwirksamen Vorgängen und schlägt daher das Aufgeld in voller Höhe dem laufenden Jahr 2016 zu”, sagt Barkow-Mann Schnorr. Die Folgen seien mehr als bedenklich. 

„Das Agio verkörpert ja nichts anderes als die über die Restlaufzeit zu leistenden höheren Zinszahlungen.“ In der Privatwirtschaft einschließlich der Banken würden derartige Prämien in der Rechnungslegung „abgegrenzt“ und auf die verbleibende Laufzeit verteilt. Sie werden also auf keinen Fall sofort in die Bilanz gesteckt.

Der Bund tickt offenbar anders. „Damit verbleiben für die kommenden Jahre nicht nur keine Zinsersparnisse, sondern sogar höhere Zinsbelastungen, als sie sonst sein müssten“, erklärt Analyst Schnorr. Die Methode kann auch schnell zum fiskalischen Bumerang werden, wenn die Zinsen steigen und bei der Aufstockung einer bereits laufenden Anleihe statt eines Gewinns ein Verlust entsteht.

„Meines Erachtens fehlt es in den öffentlichen Haushalten an Transparenz über die Struktur der Staatsverschuldung“, kommentiert Clemens Fuest, Präsident der Ifo-Institutes, die Zahlen der Studie. „Über Agios und Laufzeitgestaltungen können Lasten in die Zukunft verschoben werden. Es wäre dringend nötig, dass die Laufzeitstruktur der Staatsschulden ebenso wie Agios/Disagios öffentlich ausgewiesen werden. Das sollte nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU gelten.“ Der renommierte Ökonom prangert damit das System der sogenannten Kameralistik an. 

Diese Methode ermöglicht die aktuelle wirtschaftspolitische Schönfärberei und verschleiert zukünftige Risiken. „Das Kameralistik-Problem haben wir in vielen Bereichen, etwa auch bei Pensionsverpflichtungen der öffentlichen Hand“, sagt Jan Körnert, Professor an der Uni Greifswald. „Hier werden einfach Lasten in die Zukunft gebucht.“ Das folge dem Prinzip der Politik. „Man lässt sich jetzt feiern, und die Nachfolger müssen es ausbaden.“

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