Donnerstag, 12. März 2020

Der katastrophale Umgang mit dem COVID-19

von Thomas Heck...

Jetzt ist sie da, die Pandemie und die Politik ist weitestgehend ratlos und wirkt auch nach außen nicht besonders vertrauenserweckend. Bis letzte Woche noch lautete das Credo, dass es keine Grund zur Sorge gäbe und Notfallpläne zu "überprüfen" seien. Da fragt man sich schon, was die in den vergangenen Wochen nach Ausbruch des Coronavirus in China außer des hin- und herblättern in Akten überhaupt getan haben. Gefühlt so wenig, wie die Kanzlerin als Regierungschefin Deutschland überhaupt öffentlich auftrat. 


Kanzlerin Angela Merkel positionierte sich erstmals zum Coronavirus bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn und dem Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler. Merkel betonte dabei, dass insbesondere die ältere Bevölkerung geschützt werden müsse – dafür sei der Faktor Zeit besonders wichtig. Um eine gezielte gesundheitliche Vorsorge zu sichern, sollen spezielle Maßnahmen dafür sorgen, dass sich die Ausweitung der Krankheit verlangsamt, sodass Krankenhäuser nicht überlastet werden. „Es ist eben nicht egal, was wir tun. Es ist nicht vergeblich. Es ist nicht umsonst“, hob Merkel hervor. Laut Expertenschätzungen würden sich zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung am neuartigen Coronavirus anstecken, eine adäquate Behandlungsmöglichkeit gibt es bisher nicht, ebenso wenig eine Impfung. Merkel rief die Bevölkerung zu Solidarität mit den schwachen Gruppen durch vorsichtiges Verhalten auf. Dazu sprach sie der Wirtschaft Unterstützung bei wirtschaftlichen Konsequenzen durch das Coronavirus zu. Eine Abkehr von der Schwarzen Null halte sie für möglich, ihre Priorität läge gegenwärtig jedoch auf der Bekämpfung des Virus. Merkel fordert zudem eine gute Abstimmung zwischen den Ländern – der Föderalismus solle nicht dazu führen, dass Verantwortungen weitergereicht werden.

Dadurch kam dann auch nicht weiteres Vertrauen auf. Sie mahnte in erster Linie Solidarität an, was bei der Bekämpfung einer Pandemie so sinnvoll ist, wie einem Leukämiekranken kurz vor dem Tode ein Taschentuch zu reichen und wohlwollend mit den Worten "wir schaffen das schon" jovial auf die Schulter zu klopfen. Die so gerühmte Merkelscher Politik der ruhigen Hand erweist sich in der Krise als eiskaltes Händchen mit Leichengeruch.





Warum sollte das in Berlin und berliner Senat anders sein. Immer mehr Berliner Sozialdemokraten beherzigen in der Corona-Krise den Rat der Experten vom Robert-Koch-Institut: Sie setzen auf „soziale Distanzierung“ – und gehen auf Abstand zum Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Von einem „katastrophalen Krisenmanagement“ ist selbst unter Senatsmitgliedern die Rede. „Fassungslos“ nahmen sie zur Kenntnis, wie Müller am Dienstag nach der Anhörung von Corona-Experten herumlamentierte. Ein Teilnehmer der Runde beschrieb die Szenerie so:

„Da sitzt ein Mediziner und sagt, in anderthalb Monaten haben wir italienische Verhältnisse, hunderte Tote, nicht aufzuhalten, es wird im Sommer kaum besser, es geht im Herbst weiter. Er rät, alles abzusagen, um das Tempo der Neuinfektionen zu verlangsamen, damit die Kapazitätsgrenze in den Kliniken nicht überschritten wird. Denn wenn das passiert, dann muss man entscheiden, wer sterben muss und wer eine Chance bekommt.“

Ein anderes Senatsmitglied sagt: „Auf wen sonst sollen wir hören, wenn nicht auf die Experten?“ Müller aber glaubt, dass alle hysterisch werden. Er ist zwar stolz darauf, dass die führenden Corona-Experten in Berlin arbeiten, aber er sieht keinen Sinn darin, das eine abzusagen und das andere nicht. Er ärgert sich über Bayern und Nordrhein-Westfalen, weil die „vorpreschen“ in der Krise, anstatt ihren Terminkalender der Reihe nach in Ruhe abzuarbeiten.

Nur unter größtem Druck stimmt er in der Nacht zum Mittwoch doch noch einem Verbot von Großveranstaltungen zu. Am Donnerstag verkündet Müller dann in beleidigtem Ton die Wende, für die Sorgen und Ängste der Leute findet er dabei kein einziges Wort. Stattdessen nur ein neues Lamento über die Unionskollegen der anderen Länder, denen er parteipolitisch motiviertes Vorgehen unterstellt – und eine Ankündigung von Action à la Müller: „Ich habe eine Verständigungsrunde in Gang gesetzt.“ Das kommt in SARS-CoV-2-Kreisen sicher super an.

Verantwortung sollen laut Müller aber sowieso besser erstmal andere übernehmen – also die Amtsärzte, die Gesundheitsämter, die Bezirke, die Ministerpräsidentenkonferenz, Angela Merkel und natürlich der Gesundheitsminister: „Ich würde mich freuen, wenn es Spahn nicht nur bei Empfehlungen belässt“, sagt Müller. Der kühle Konter der Kanzlerin: „Föderalismus ist nicht dafür da, dass man Verantwortung wegschiebt, sondern Föderalismus ist dafür da, dass jeder an seiner Stelle Verantwortung wahrnimmt.“

Aber gegenüber Verantwortung ist Müller offensichtlich immun: Die Schließung der staatlichen Bühnen wurde dem Regierenden Bürgermeister lediglich vom Kultursenator „mitgeteilt“ – nach der Sitzung des Senats, bei der unter Müllers Leitung darüber nur ergebnislos gesprochen wurde.

Niemand kann ernsthaft erwarten, dass die Politik in der Corona-Krise nur richtige Entscheidungen trifft. Aber immer abzuwarten, wie es der Regierende Bürgermeister für geboten hält, ist ein Offenbarungseid – und ein gefährlicher Tiefpunkt in der langen Geschichte der organisierten Berliner Unzuständigkeit. Die Politik muss dort entscheiden, wo Unsicherheit herrscht. Das ist hier der Fall. Selbst hochspezialisierte Experten können nicht exakt voraussagen, wie sich die Covid-19-Situation entwickelt. Aber sie sagen: Die Lage ist absolut ernst. Gutes Regieren bedeutet, in einer unsicheren, aber ernsten Lage Verantwortung zu tragen, nicht sie abzuschieben. Und wer übernimmt jetzt Verantwortung in der SPD? Es ist höchste Zeit.

Auch die Grünen preschten vor: Sie forderten am Donnerstag theatralisch genau die Maßnahmen, die kurz zuvor dann doch noch beschlossen worden waren. Am Tag zuvor, als es in der Senatssitzung um Corona ging, waren sie dagegen komplett abgetaucht: Ramona Pop fehlte, und von Dirk Behrendt und Regine Günther gab’s kein Wort. Große Empörung in der SPD – mit Koalitionskrach beschäftigen sich Grüne und Sozialdemokraten offenbar lieber als mit der Corona-Krise.

Was der vom Senat vorgeladene, weltweit anerkannte Charité-Virologe Christian Drosten von alledem hält, lässt sich an zwei seiner Tweets ablesen. Der erste galt der Schließung der staatlichen Bühnen durch Klaus Lederer: „Das ist eine vorbildliche und klar ausgerichtete Entscheidung.“ Der zweite war ein Kommentar zu einem Tagesspiegel-Bericht über die erschreckenden Zustände in Italien („Ein Tsunami, der uns überwältigt hat“): „Wird auch bei uns so ablaufen, wenn wir weiter denken, dass ‚Deutschland es besser macht‘ und deswegen nichts tun.“




Was passiert, wenn wegen zögerlichen politischen Verhaltens in den Krankenhäusern die Kapazitätsgrenze überschritten wird, zeigt drastisch ein Interview mit dem Narkosearzt Christian Salaroli aus Bergamo im „Corriere de la Sera“ – hier ein Auszug:

„Wenn jemand zwischen 80 und 95 Jahre alt ist und große Atemprobleme hat, führen wir in der Regel die Behandlung nicht fort. Das gleiche gilt, wenn eine mit dem Virus infizierte Person eine Insuffizienz in drei oder mehr lebenswichtigen Organen aufweist. Diese Personen haben statistisch gesehen keine Chancen, das kritische Stadium der Infektion zu überleben. Diese Personen werden bereits als tot angesehen.“

Sie schicken sie also weg?
„Das ist ein schrecklicher Satz, aber die Antwort lautet ja. Wir haben nicht die Möglichkeiten das zu versuchen, was man gewöhnlich ein Wunder nennt. Auch das ist die traurige Realität.“

Und Sie als Ärzte, ertragen Sie diese Situation gut?

„Einige von uns gehen daran kaputt. Vor allem die Jüngsten, die ganz Jungen, die gerade erst ihre Arbeit begonnen haben und nun plötzlich von jetzt auf nichts über die Frage nach dem Leben und dem Tod eines Menschen entscheiden müssen.“

Und Sie?

„Bis jetzt schaffe ich es noch, nachts zu schlafen. Weil ich weiß, dass die Auswahl auf der Hypothese beruht, dass einige Fälle, fast immer die Jüngeren, bessere Überlebenschancen haben als andere. Wenigstens das tröstet.

Was halten Sie von den Entscheidungen der Regierung?

„Eine Quarantäne, um den Virus auf bestimmte Zonen zu begrenzen, ist eine gute Idee. Aber es ist eine Maßnahme, die mit zwei Wochen Verspätung kommt.“

Das heißt?

„Bleibt zu Hause, bleibt zu Hause, bleibt zu Hause. Ich kann es nicht genug wiederholen. Ich sehe zu viele Leute, die auf der Straße spazieren gehen als sei nichts. Sie haben nicht die geringste Idee davon, was sich in den Krankenhäusern abspielt und Sie wollen es nicht wissen. Bleiben Sie zu Hause!“

Das Berliner Gesundheitssystem wirkt bereits jetzt, bei kaum 100 bekannten Infizierten, völlig überfordert, die Berichte von Betroffenen sind erschreckend. Die Amtsärzte fordern, alle Sport- und Kulturveranstaltungen abzusagen, eine einheitliche Lösung halten sie für „unverzüglich erforderlich“. Auch bei der Feuerwehr herrscht über das zögerliche und chaotische Verhalten im Senat und in den Bezirken „großes Entsetzen“. Das Bezirksamt Tempelhof wies Schulen an, das Gesundheitsamt im Falle eines Verdachtes nicht mehr zu informieren, da alle überlastet seien. Die „Clubcommission“ spricht von der „größten Nachkriegskrise der Berliner Kulturszene“ – auch das Berghain macht dicht, viele Veranstalter stehen vor dem Ruin. Es sieht so aus als müsste der Koalitionsvertrag um einen Warnhinweis erweitert werden: „Das Betreten von und das Verweilen in Berlin geschieht auf eigene Gefahr und Verantwortung – der Senat hat genug mit sich selbst zu tun.“

Und noch ein Blick über die Grenzen, die in Zeiten der Corona-Krise immer dichter werden:

In Dänemark werden alle Schulen, Universitäten und Kindergärten mit sofortiger Wirkung geschlossen. Zudem werden am Freitag alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nach Hause geschickt, sofern sie nicht in wichtigen Funktionen arbeiten.

In Österreich werden die Schulen geschlossen. Kitakinder sollen nach Möglichkeit ebenfalls zu Hause bleiben. Der Unterricht wird digital fortgesetzt.

In Italien werden jetzt auch fast alle Geschäfte geschlossen.

In Madrid wurden alle Schulen, Universitäten und Theater geschlossen.

Die USA erlauben 30 Tage keine Einreisen aus Europa, wie US-Präsident Donald Trump vor wenigen Stunden verkündete.

Und in Berlin? Werden bei der BVG ab sofort die vorderen Bustüren geschlossen. Verantwortungsvoll wäre es, die Schulen und Kindergärten für 2-3 Wochen zu schließen, sämtliche Großveranstaltungen abzusagen, das gesamte Land runterzufahren. Die Menschen sollten zu Hause bleiben und alles absagen. 





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