von Thomas Heck...
So panikerfüllt der deutsche Konsument ist, der Klopapier und Nudeln hortet, als gäbe es kein Morgen mehr, so merkwürdig ist es, dass Deutschland von einer weitaus geringeren Sterberate (Mortalität) in Bezug auf Corona befallen ist, als andere Länder. Entweder ist unser Gesundheitswesen so viel besser, was man allerdings kaum zu glauben vermag, oder hier wird statistisch etwas nachgeholfen, z.B. indem in Deutschland gar nicht post mortem getestet wird.
Bei über 20.000 Infizierten waren es nicht einmal 90 Todesfälle: In Deutschland grassiert Covid-19 weniger schwer als anderswo. Woran liegt die niedrigere Mortalität, fragen sich ausländische Medien – macht Deutschland irgendetwas besser?
Es ist ein deutscher Sonderweg, und er stößt international auf Bewunderung, aber auch Skepsis: Trotz erhöhter Infektionszahlen (22.672 Fälle und 86 Tote laut dem Robert-Koch-Institut vom 23. März) bleibt die Zahl der Todesfälle in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch gering.
Schaut man auf Europa, stehen die Deutschen zurzeit mit einer Covid-19-Todesrate von unter einem Prozent deutlich besser da als etwa Italien (neun Prozent) und Großbritannien (4,6 Prozent). Und das, obwohl auch hierzulande eine ähnlich überalterte Bevölkerung wie in Italien lebt.
Woran also liegt die derzeit vergleichsweise niedrige Mortalität, fragen sich nun etwa die britischen Zeitungen „Guardian“, „Financial Times“ („FT“) und „Daily Mail“. „Deutschlands niedrige Mortalität fasziniert Experten“, schreibt etwa der „Guardian“. Und liegen die Zahlen wirklich niedriger, oder wird einfach nur anders gemessen, fragen sich die Briten weiter.
Momentan noch vor allem Jüngere infiziert?
Abgewogen wird eine große Bandbreite von möglichen Erklärungen. Denkbar sei unter anderem, dass sich, beispielsweise durch die Infektion bei Skireisen (Ischgl in Österreich gilt als Angelpunkt für zahlreiche Infektionsketten), zunächst vor allem jüngere Patienten infiziert haben, die ein niedrigeres Sterberisiko hätten, schreiben der „Guardian“ und die „FT“, die sich dabei auf Medizinprofessor Matthias Stoll von der Universität Hannover berufen.
„Dies sind überwiegend Personen, die jünger als 80 Jahre und fit genug sind, um Ski zu fahren oder ähnliche Aktivitäten auszuführen. Ihr Sterberisiko ist vergleichsweise gering“, so Stoll. Der Wermutstropfen: Diese Begrenzung auf eine jüngere Bevölkerungsschicht werde sich bei einer weiteren Verbreitung des Virus nicht halten lassen.
Deutschland habe allerdings früh und breit angefangen zu testen und die Erkrankten konsequent in Quarantäne geschickt, heißt es in den Medienberichten weiter. Eine Besonderheit der deutschen Infrastruktur sei zudem die hohe Zahl von Testlaboren, die Tests auswerten. Laut dem Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, können in Deutschland bis zu 160.000 Tests pro Woche durchgeführt werden – das ist mehr, als in manchen europäischen Ländern bisher insgesamt durchgeführt wurden.
Wie viele Tests genau in Deutschland insgesamt gemacht wurden, ist allerdings nicht bekannt. Denkbar ist auch, dass beispielsweise in Italien die Zahl der nicht erkannten Infizierten (sprich: die Dunkelziffer) deutlich höher liegt und somit die Mortalität statistisch gesehen eigentlich geringer ausfalle.
Ebenso denkbar: dass das Virus in Italien bereits viel länger kursiert als gedacht. Giuseppe Remuzzi, Direktor des Mario-Negri-Instituts für Pharmakologische Forschung, wird in der englischsprachigen Ausgabe der „South China Morning Post“ mit den Worten zitiert: „Das Virus zirkulierte womöglich bereits, weit bevor wir es identifiziert haben.“
In Teilen der Lombardei habe es etwa bereits im vergangenen November und Dezember „seltsame Fälle von Lungenentzündung“ gegeben, diese hätten sich durch einen schweren Verlauf und eine hohe Sterblichkeit bei älteren Menschen ausgezeichnet, so Remuzzi weiter. Zu diesem Zeitpunkt hatte noch nicht einmal das Ursprungsland China die Existenz der Krankheit offiziell eingeräumt.
Italiens Norden verfügt wegen seiner starken Textilindustrie über zahlreiche wirtschaftliche Verbindungen in die Volksrepublik.
Notaufnahmen in Deutschland noch nicht überlastet
Ein weiterer diskutierter Aspekt für einen zumindest temporären Vorteil Deutschlands gegenüber anderen Ländern: Anders als beispielsweise in Italien und Spanien würden die deutschen Notaufnahmen (noch nicht) von schwer erkrankten Patienten überrannt, es gibt noch keinen Versorgungsnotstand, der die Mortalität weiter steigern könnte.
Immer wieder wird in dem Zusammenhang auf die hohe Quote von Intensivbetten pro Kopf in Deutschland verwiesen: Insgesamt verfügt Deutschland derzeit über 25.000 Intensivbetten, 10.000 weitere sollen in den kommenden Monaten aufgebaut werden. Zum Vergleich: Frankreich hatte vor der Krise 7000 Betten, Großbritannien sogar nur 5000 Plätze auf der Intensivstation.
Aber es gibt auch kulturelle Unterschiede, die die abweichenden Zahlen erklären könnten. Einer von ihnen ist dieser: Deutschlands Rentner leben häufig weniger eng mit ihren Familien zusammen, wie dies beispielsweise in Italien der Fall ist, wo oft mehrere Generationen unter einem Dach wohnen oder Jung und Alt zumindest sehr häufig Kontakt haben. Diese physische Nähe erhöhe natürlich die Ansteckungsgefahr, heißt es in den Medienberichten weiter.
Immer wieder die Frage nach den Post-mortem-Tests
Neben einer gewissen Bewunderung herrscht aber auch Skepsis über die deutschen Messmethoden. So teste Italien beispielsweise auch posthum auf Coronaviren, so Giovanni Maga vom Instituto Genetica Molecular in einen Interview mit Euronews. Dies geschieht bei Todesfällen in Deutschland laut Robert-Koch-Institut nicht routinemäßig, sondern nur auf Anfrage hin. Eine hohe Dunkelziffer an Verstorbenen sei jedoch unwahrscheinlich. Generell werde in Deutschland jede Person, die sterbe und gleichzeitig an Corona erkrankt sei, als „Todesfall im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion” gezählt – auch wenn eine andere Vorerkrankung letztlich den Tod verursacht habe.
Aller Bewunderung zum Trotz: Deutschlands Virologen warnen, dass bei einem Fortschreiten der Pandemie auch hierzulande mit deutlich steigenden Todeszahlen zu rechnen sei. Noch hoffen Politik wie Wissenschaft, das abwenden zu können. „Wir stehen am Anfang und können noch alle erforderlichen Maßnahmen umsetzen“, sagte RKI-Chef Lothar Wieler noch vergangene Woche. Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob schnell genug gehandelt wurde.
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