Freitag, 3. März 2023

Islamischer Lobbyismus...

In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich in Deutschland muslimische Organisationen etabliert, die einen ausdrücklich gesellschaftlichen und politischen Anspruch haben. Für diese Entwicklung des politischen Islams kann die Erfolgsgeschichte des muslimischen Inssan e. V. in Berlin als beispielhaft angesehen werden. Dazu ein Bericht über Gründung, Turbulenzen, Vernetzungen, Querverbindungen, juristische Türöffner, religiösen Schulterschluss, Verfassungsschutz, Experten, Politiker und schließlich anerkannter Träger der freien Jugendhilfe.

Von Carsten Frerk.

Dieser Artikel wurde am 17.07.2020 um die Nachbemerkungen Punkt 3. und 4. (am Schluss des Textes) ergänzt.

 I.  Vorbemerkung, 
 II. Ausgangssituation

  1. Gründung, Turbulenzen und erstes Vernetzen
  2. Weitere Probleme und Querverbindungen 
  3. Juristische Türöffner 
  4. Religiöse Rückendeckung 
  5. Konsolidierung und wissenschaftlicher Flankenschutz 
  6. Inssan-Projekte 
  7. Was bin ich? Und wenn, wie viele? 
  8. Was für einen Islam vertritt Inssan e. V. ?
  9. Etablierung, weitere Vernetzungen und Verankerung, 
10. Cui bono?

11. Empowerment  
12. Do ut des 
13. Fazit 
14. Nachbemerkungen

I. Vorbemerkung

Da es sich bei der Recherche und Debatte über die Rolle des Islam in Berlin (und in Deutschland) um ein politisch und emotional „vermintes Gelände“ handelt, erscheint es sinnvoll, die eigene Position vorab zu skizzieren, um Mutmaßungen über die Motive des Autors vorab zu klären.

Meine Position zum Verhältnis von Staat und Religion ist einfach: Ich bin für eine klare Religionsfreiheit, die in Deutschland jedoch so noch nicht vorhanden ist. Religionsfreiheit bedeutet für mich die organisatorische und finanzielle Trennung von Religion und Staat, so dass die Religionsgemeinschaften sich nicht beim Staat einschmeicheln oder ihm gefällig sein müssen, um Vorteile gegenüber anderen zu bewahren oder zu bekommen. Es ist das Konzept des Liberalen Friedrich Naumann, der in der Weimarer Nationalversammlung 1919 forderte: „Freie Kirchen im freien Staat“. Dieses Konzept folgt auch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Staat die „Heimstatt aller Bürger“ sei, sich also in Fragen der Religion oder des Glaubens neutral zu verhalten habe und im Weiteren (entsprechend Art. 135 der Weimarer Reichsverfassung), dass die Staatsgesetze Vorrang vor Religionsgeboten haben.
Zur Themenstellung kam es eher zufällig. Freunde von mir hatten an einem Workshop teilgenommen, auf der eine Teilnehmerliste verteilt wurde. Im Schauen, wer alles teilnimmt, stutzten sie und fragten mich, ob ich wisse wer oder was „Inssan e. V.“ sei. Das wusste ich auch nicht. Eine erste Überblicksrecherche weckte jedoch mein Interesse, den Weg des Inssan e. V. durch die Jahre zu erforschen. Als Politologe habe ich die nötige Distanz, bin selber religiös uninteressiert (ungetauft) und parteilich nicht gebunden. Alle Fakten und Meinungen sind mit Quellen belegt, also überprüfbar.
Als Politikwissenschaftler betrachte ich seit einigen Jahren, wie das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland tatsächlich verhandelt wurde und sich realisiert hat. Nachdem ich bereits eine detaillierte Recherche zum christlichen Lobbyismus publiziert habe („Kirchenrepublik Deutschland“), handelt es sich im Folgenden um einen Beitrag zum islamischen Lobbyismus, dargestellt am politischen Erfolg einer kleineren muslimischen Organisation in Berlin.

II. Ausgangssituation

Seit Mitte der 1990er Jahre wurden in Deutschland auch Integrations-Debatten geführt, wie die Kontroversen über „Leitkultur“ versus „Multikulti“. Bald bildeten sich abgegrenzte Lager, deren Mitglieder sich nicht scheuten, klare Positionen zu äußern. Besonders prominent waren dabei zwei Politikerinnen, die damalige Vorsitzende der Partei Bündnis90/DieGrünen, Claudia Roth und die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU. Bei den Grünen ist es nicht nur Claudia Roth. Im November 2000 sagte Christian Ströbele (MdB):

„Die Grünen haben sich stets mit dem Begriff der multikulturellen Gesellschaft identifiziert. Sie ist nach wie vor Ziel bündnis-grüner Politik. Multikultur, viele Kulturen blühen lassen, ist in der gegenwärtigen Einwanderungsdebatte der beste Gegenbegriff zur ominösen ’deutschen Leitkultur.‘“

Im November 2004 plädieren die Parteivorsitzenden der Grünen, Bütikofer und Roth, für eine neue Begründung der multikulturellen Gesellschaft:

„Es ist in der bundesrepublikanischen Debatte ein Feuer der Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit ausgebrochen. Es schwelte vorher schon. Wir müssen es wieder gelöscht bekommen. Es geht um die multikulturelle Gesellschaft, es geht zugleich um die Freiheit. Denn ohne Multikulturalität ist in modernen Gesellschaften Freiheit nicht buchstabierbar.
Wir Grüne sind seit langem Pioniere der „Multikulturalität“. Sie steht für eine unbestreitbare Realität und zugleich für ein starkes Freiheitsideal, das unterschiedliche Lebensweisen achtet. Multikulturalität verweist dabei nicht nur auf ethnische und religiöse Pluralität, sondern auf den Pluralisierungsprozess westlicher, postmoderner Gesellschaften überhaupt. Dahinter steht eine Kultur des Respekts, die „abweichende Lebensweisen“ anerkennt, nicht nur duldet oder erlaubt. […]
Die Fähigkeit, Deutsch zu sprechen, ist ein Schlüssel für die Teilhabe an unserer Gesellschaft. Deshalb haben wir uns im Zuwanderungsgesetz für ein verpflichtendes Angebot an Sprachkursen eingesetzt.“

Dieser Nachdruck auf Deutsch als gemeinsame Sprache ist dann auch das ‚Verbindungselement‘ zu Rita Süssmuth, CDU, 1988 bis 1998 Bundestagspräsidentin, 2000 zur Vorsitzenden einer Unabhängigen Kommission Zuwanderung berufen, die im Juli 2001 einen umfangreichen Bericht „Zuwanderung gestalten - Integration fördern“ vorlegte, in dem es u. a. heißt (S. 200):

„Die Bereitschaft zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse sowie die Anerkennung des Grundgesetzes, seiner Werte und unserer Rechtsordnung sind notwendige Bedingungen für die Integration. Integration ist ein gesellschaftlicher Prozess, in den alle in einer Gesellschaft Lebenden jederzeit einbezogen sind. Unverzichtbar ist der Integrationswille. Dieser Integrationswille äußert sich darin, dass sich jeder Einzelne aus eigener Initiative darum bemüht, sich sozial zu integrieren. Dies gilt für Einheimische wie Zugewanderte. Als politische Aufgabe zielt Integration darauf ab, Zuwanderern eine gleich-berechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unter Respektierung kultureller Vielfalt zu ermöglichen.“

Und insbesondere zu islamischen Organisationen wird formuliert, dass jeder pauschale Verdacht falsch sei (S. 236):

„Der pauschale Verdacht des Fundamentalismus gegenüber islamischen Organisationen in Deutschland ist falsch. Zweifellos gibt es hier islamische Organisationen, die sich den freiheitlich-demokratischen Werten unserer Gesellschaft nicht verbunden fühlen. Auch gibt es unter den Migranten entsprechende Verhaltensweisen, die mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes – wie etwa der Gleichberechtigung von Frauen – nicht übereinstimmen. Andererseits setzen sich zahlreiche muslimische Vereine für die Integration ihrer Mitglieder in die deutsche Gesellschaft ein und leisten gute und integrativ wirkende Sozial- und Bildungsarbeit. Diese um Integration bemühten muslimischen Vereine und Organisationen könnten Gemeinden und Kommunen als Ansprechpartner für die muslimische Bevölkerung dienen. Gesprächsangebote müssen allerdings ein Ende finden, wenn die Werte des Grundgesetzes in Frage gestellt werden oder eine politische Instrumentalisierung beabsichtigt ist. Wenn Minderheiten der Mehrheitsgesellschaft keine Akzeptanz und Toleranz entgegenbringen, können sie dies auch nicht für sich in Anspruch nehmen.“

Im November 1999 fand in Bonn das erste öffentliche Fachgespräch zu Muslimen in Deutschland bei der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, Marieluise Beck, statt.

Johannes Kandel (Friedrich-Ebert-Stiftung) beschreibt (2004) in seinen Thesen „Organisierter Islam in Deutschland und gesellschaftliche Integration“ die Situation des organisierten Islams in Deutschland als „Modernisierungsprozess- bzw. Anpassungsprozess“:

„Institutionalisierung und Organisierung des Islam haben – beginnend in den achtziger Jahren - stark zugenommen und unterlagen zugleich einem stetigen Wandel. Der Weg führte von den ‚klassischen‘ Ausländervereinen und ‚Hinterhofmoscheen‘ zu einem Netzwerk von Moscheevereinen und islamischen Verbänden, die sowohl gegenüber ihrer Klientel als auch der deutschen Mehrheitsgesellschaft deutlich an Gewicht gewonnen haben. Sie erheben den Anspruch, Muslimen ein ‚ganzheitliches‘ Dienstleistungsangebot bereit zu stellen: Religiöse, soziale, kulturelle Beratung und Betreuung, Organisation von Freizeitaktivitäten (z. B. Kultur- und Sportvereine), Rechtshilfe, Bildung, Ausbildung von theologischem Fach- und Führungspersonal, Mission und politische Interessenvertretung. […]
Das Führungspersonal dieser Gruppen besteht nicht selten aus Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation, es sind Bildungsaufsteiger, selbstbewusst und politisch aktiv. Hier finden wir auch eine wachsende Zahl von Konvertitinnen und Konvertiten. Sie fungieren vielfach als „gatekeeper“ in der Kommunikation zwischen den Funktionären der ersten Generation und der Mehrheitsgesellschaft. Ihre Vertrautheit mit Sprache und heimischen Kulturen und ihr Bildungsniveau prädestiniert sie zu Aktivisten und Sprechern muslimischer Organisationen. Sowohl die ‚alte Garde‘ als auch die jüngeren Konvertiten übernehmen wichtige Funktionen in den Organisationen, insbesondere im Blick auf die theologische und politische Bildung. Sie setzen sich mit großem Enthusiasmus und Selbstbewusstsein für die gesellschaftliche Anerkennung des Islam ein, den sie – als Religionsgemeinschaft - gegenüber den christlichen Kirchen für benachteiligt und gesellschaftlich ausgegrenzt und diskriminiert sehen.“

Einen größeren Zusammenhang skizziert der französische Islamforscher Gilles Kepel, der nach einem Bericht (im Februar 2000), bereits 1996 darauf hingewiesen habe, dass islamische Gruppen ihre Einstellungen zu Westeuropa geändert hätten – von der Konfliktvermeidung hin zur Schaffung „islamisierter Räume“:

„Bis Ende der Achtzigerjahre betrachteten islamistische Gruppen Westeuropa nicht als Gebiet des Islam (Dar al-islam). Westeuropa gehörte, im Gesamtbereich der Gottlosen (Dar al-kufr), zu einem Gebiet vertraglichen Friedens (Dar al-ahd), wo die Muslime es nicht zu einem offenen Konflikt mit der gottlosen Umgebung kommen ließen. „Konkret bedeutete dies, dass Europa heiliges Gebiet war, ein Zufluchtsort für alle in ihren Ursprungsländern verfolgten Bewegungen. Die Gruppen vermieden daher jeden Konflikt“, so Kepel.
Der Wechsel im Selbstverständnis hat stattgefunden. Europa wird nun als Dar al-islam betrachtet. Das heißt, Muslime sind hier zu Hause und müssen nach Regeln der Scharia leben können. Da dies für die Minderheit nur bedingt möglich ist, sind zumindest islamisierte Räume zu schaffen, in denen eine vom Islam bestimmte moralische Ordnung gilt. Das kann eine Schulklasse sein, ein Straßenzug oder ein Stadtviertel. Nur so könne der soziale Frieden gewahrt und könnten Drogensucht und Kriminalität bekämpft werden. […]
Für Gilles Kepel wird mit dieser Logik ein Prozess kultureller Abspaltung zu Ende geführt und eine soziale Organisation begünstigt, in der sich geschlossene Gemeinschaften gegenüberstehen. Wie weit diese Entwicklung von Parallelgesellschaften bereits fortgeschritten ist, lässt sich im Umfeld der Boppstraße in Berlin-Kreuzberg studieren. Dort häufen sich Klagen von Anwohnern, die von extremen Muslimen ob ihrer ‚freizügigen‘ Kleidung angemacht oder manchmal sogar bespuckt werden.“

In Berlin hat die Islamische Föderation sich seit 1980 darum bemüht, an Schulen islamischen Religionsunterricht erteilen zu können. Die Bildungsverwaltung hatte es abgelehnt, da die Islamische Föderation keine Religionsgemeinschaft sei. Diese Anerkennung erstritt sich die Föderation gerichtlich und wurde 1998 vom Oberverwaltungsgericht Berlin als Religionsgemeinschaft anerkannt. Die Bildungsverwaltung verzögerte den Beginn weiterhin, da die Lehrinhalte – so ein Zeitungsbericht – vor allem „die Befähigung zur eigenen Entscheidung und zur freien Entwicklung des Gewissens sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ vermissen lasse. Doch das Oberverwaltungsbericht beschied, dass die Schulverwaltung das inhaltlich nicht prüfen dürfe:

„Das geltende Berliner Schulgesetz jedoch läßt keinen Zweifel an der Zuständigkeit. In Paragraf 23 heißt es, der Religionsunterricht sei Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Dementsprechend auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin: Die Richter haben der Schulverwaltung das Recht abgesprochen, die inhaltliche Konzeption des Unterrichts zu beurteilen.
Die Islamische Föderation ist umstritten, weil sie als extremistisch eingestuft und vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet wird. Bisher aber offenbar ohne Befund. Das Oberverwaltungsgericht sagte in seinem Urteil, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Unterricht von den staatlichen Bildungszielen abweiche.
Trotzdem befürchtet der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg einen Missbrauch für politische Zwecke und fordert, den Streitpunkt zur Chefsache zu machen.“

Als der Senat nicht handelte, beschied das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2000, der Schulsenator müsse das OVG-Urteil „unverzüglich umsetzen“. Ab September 2001 durfte die Islamische Föderation, nach einer erneuten Klage vor dem Verwaltungsgericht, mit dem Islamunterricht in zwei Schulklassen beginnen.

In dieser Zeit und unter diesen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gründete und entwickelte sich der muslimische Inssan e. V., an dessen Entwicklung sich beispielhaft die verschiedenen Etappen auf dem Weg zum Erfolg darstellen lässt.

1. Gründung, Turbulenzen und erstes Vernetzen

Am 7. Januar 2003 wurde der „inssan für kulturelle Interaktion e. V.“ in das Berliner Vereinsregister eingetragen. Die Satzung wurde bereits am 25.10.2002 genehmigt und wie Inssan selber schreibt: „Es musste noch einige Vorarbeit geleistet werden, bis sich die ersten Mitglieder am 25. Oktober 2002 zur feierlichen Gründungsversammlung zusammenfanden.“

Vor der formellen Eintragung gab es natürlich die Gründungsdiskussionen, die 2001 begonnen haben. Es soll sich um etwa 40 Personen gehandelt haben, die sich im Herbst 2001 zusammenfanden. Genaueres wird darüber nicht berichtet. In „Islamisches Gemeindeleben in Berlin, 2006“ heißt es dazu:

„Der Verein Inssan, was sowohl auf Türkisch, Arabisch als auch auf Urdu soviel wie Mensch oder Menschlichkeit bedeutet, wurde im Jahr 2001 von jungen Menschen mit arabischem Hintergrund mit der Idee gegründet, ‚neue Wege‘ zu gehen. Trotz der nur ca. 40 Mitglieder ist der professionell organisierte Verein mit seinen zwei fest angestellten Mitarbeitern und Praktikanten/innen in Berlin sehr aktiv.“[1]

Und das Neue an Inssan wird so beschrieben:

„Wie in Berlin auch, ringt in vielen Großstädten in Europa eine neue Generation von Muslimen und Musliminnen auf allen Seiten um Akzeptanz, um sowohl als Muslime als auch als Deutsche, Franzosen oder Engländer anerkannt zu werden. Die Räume, die dabei entstehen und die sie selbst organisieren, sind nicht allein Ergebnis der Unterschiede zwischen Generationen. Sie sind auch Ausdruck des Versuchs, sich gegenüber einer vorwiegend negativen Wahrnehmung des Islams in westlichen Gesellschaften zu positionieren – eine selbst gestellte Aufgabe, die diese jungen Muslime und Musliminnen täglich beschäftigt. Sie werden dabei oft mit Skepsis und Misstrauen beobachtet, treffen aber auch auf Resonanz und bieten Diskussionsstoff für den Umgang mit islamischen Organisationen.“[2]

Bemerkenswert an dieser Darstellung ist, dass sie mit der Selbstdarstellung der Muslimischen Jugend in Deutschland e. V. nahezu identisch ist, der sich bereits 1994 (unter dem Motto: „Muslim? Jung? Deutsch? Gut so!“), also acht Jahre vor Inssan (2002) gegründet hat.

„Die Muslimische Jugend in Deutschland e. V. (MJD) ist die einzige deutsche, unabhängige, muslimische Jugendorganisation. Sie hat es sich zum Ziel gemacht, muslimische Jugendliche zusammenzubringen und sie bei ihrer Identitätsfindung und Persönlichkeitsentfaltung zu unterstützen. Durch diverse Angebote werden Jugendliche motiviert, ihre Talente zu entdecken und sich gesellschaftlich zu engagieren.
Mitte der 1990er Jahre gab es in der Jugendarbeit nur wenige Angebote, die meist von Moscheegemeinden organisiert wurden und in den Herkunftssprachen der Mitglieder stattfanden. Oft orientierten sich die Angebote nicht nah genug an den Lebensumständen der Jugendlichen.
Das wollte die MJD ändern: Sie verstand sich von Anfang an nicht nur als deutschsprachige, sondern als deutsche Organisation. Sie wollte junge Muslime vertreten, die Deutschland als ihren Lebensmittelpunkt und ihre Heimat betrachteten. Der muslimische Glaube und der Alltag in Deutschland stehen nicht in Widerspruch und die Jugendlichen wollten sich aktiv in gesellschaftliche Diskussionen und Prozesse einbringen.
Die überwiegende Zahl der Mitglieder hat einen Migrationshintergrund, wobei kein bestimmtes Herkunftsland dominiert. Ihre Eltern stammen neben Deutschland aus unterschiedlichen Ländern wie beispielsweise Deutschland, Afghanistan, Algerien, Marokko, Iran, Jordanien, Ägypten, Pakistan, Syrien, der Türkei oder Usbekistan. Die kulturelle Vielfalt unter den Mitgliedern ist eine Besonderheit der MJD und unterscheidet sie von allen anderen muslimischen Jugendorganisationen in Deutschland. Sämtliche Angebote der MJD, selbst das Jahrestreffen mit etwa 1000 Teilnehmern, werden von Jugendlichen für Jugendliche eigenständig geplant und durchgeführt.
Ein wesentlicher Bestandteil des Selbstverständnisses der MJD ist die deutsch-muslimische Identität. Jugendliche erleben aktiv, dass ein religiöses Bewusstsein sehr gut mit der westlichen Lebensweise vereinbar ist. Auch stärkt die MJD durch ihre Arbeit das Demokratiebewusstsein der Jugendlichen. Ihnen werden Chancen und Perspektiven aufgezeigt, die ein Leben in einer demokratischen Gesellschaft ermöglicht.“

Das gleiche gilt auch für das JUMA-Projekt (dazu später).

Diese Sichtweise findet eine Parallele zu den Entwicklungen in Frankreich (auch wenn die Mehrheit der Muslime dort aus Nordafrika stammt), wie sie der französische Soziologie Gilles Kepel  thematisiert, als er auf die Frage antwortet, was sich seit 1987 bei den französischen Muslimen verändert hat – die zugewanderten muslimischen Eltern haben als Kinder Franzosen, die ihre Identität auch im Islam suchen.

„Vor fünfundzwanzig Jahren waren die Muslime eingewanderte Arbeiter, die ihre Religion nur in geringem Maße praktizierten. Sie mieden Schweinefleisch, tranken aber Alkohol und verhielten sich gegenüber den Halal-Vorschriften ebenso flexibel wie gegenüber dem Ramadan. Sie verrichteten ihre Gebete, so gut sie konnten. Es war ein Islam der Unterwerfung. Ein Vierteljahrhundert später ist aus dem Islam in Frankreich der Islam Frankreichs geworden. Die Väter sind geblieben, ihre Kinder sind Franzosen, sie sind in Frankreich erzogen worden, aber sie fühlen sich zum Teil fremd und entfremdet, vor allem wegen der Arbeitslosigkeit. In ihrer Jugend wurden sie von Muslimbrüdern, die aus Nordafrika kamen, ‚reislamisiert‘ und lösten sich von der französischen Gesellschaft. Die Jungen haben sich eine Ersatzidentität geschaffen, die sich auf das stützt, was sie für die Quelle ihrer Identität halten: den Islam, den der Muslimbrüder oder - noch minoritärer - den der Salafisten. Dieser Islam geht über den ihrer Eltern, den der ursprünglichen nordafrikanischen Landbevölkerung, hinaus.“

Was bei dem Zeitraum der Inssan-Gründung noch auffallen kann, ist, dass der islamistische Terroranschlag auf das World-Trade-Center in New York am 9.11.2001 stattfand. Entsprechend wurde die Vermutung genannt, dass der Inssan e. V. – nach dem Terror-Image des Islam -, eine bewusste Neugründung mit einem legalistischen Konzept sein könne.[3] Immerhin hat die Diskussion um die Vereinssatzung etc. ein Jahr gedauert.

Allerdings hat diese Vermutung keine hohe Plausibilität – außer dem zeitlichen Zusammentreffen. Eine andere Annahme, zur Vorgeschichte des Inssan e. V. - erscheint plausibler. So berichtet Barbara Berreßen, Projektleiterin und Initiatorin des Arbeitskreis Berliner Muslime (S. 27):

„Aktion Courage e. V. wurde 1992 gegründet. Anlass waren die fremdenfeindlichen Brandanschläge unter anderem in den Städten Mölln und Hoyerswerda. Diese zeigten, dass Gewalt und Rassismus in Deutschland zunehmend aggressiver wurden. Aktion Courage e. V. wollte durch gezielte Antidiskriminierungsarbeit diesen bedrohlichen Tendenzen entgegenwirken. Ihre Hauptaufgabe sieht Aktion Courage e. V. darin, Menschen dazu zu bewegen, sich im Alltaggegen Diskriminierung und rassistische Anfeindungen zur Wehr zu setzen. Mit dieser Thematik beschäftigt sich unser, im Juli 1999 begonnenes Projekt Integration von Muslimen und muslimischen Organisationen in Deutschland. In Berlin und Mainz wird eine Vernetzung zwischen muslimischen Organisationen und Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft hergestellt. Ziel des Projektes ist es dazu beizutragen, den rund 3 Millionen Muslimen in Deutschland, gesellschaftlichen Respekt zu verschaffen, dem Islam als drittgrößter Religionsgemeinschaft in Deutschland neben Christentum und Judentum, soll zur Anerkennung verholfen werden. Das Modellprojekt ist auf 3 Jahre angelegt und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung gefördert.
Das Kernstück unseres Berliner Projektes ist der Arbeitskreis Berliner Muslime. Er gründete sich bei unserer Büroeröffnung und besteht aus den verschiedenen Moschee- und Kulturvereinen und Dachverbänden. In regelmäßigen Abständen von 6-8 Wochen trifft sich dieser Arbeitskreis in den Räumen von Aktion Courage e. V. in der Hohenfriedbergstraße. Aus diesem Arbeitskreis Berliner Muslime heraus werden Wünsche an die Mehrheitsgesellschaft formuliert in Bezug auf Integration der Muslime. Zu den verschiedenen Schwerpunkten werden dann aus dem Arbeitskreis heraus Arbeitsgruppen gebildet wie z. B. Zusammenarbeit mit dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, mit den Bezirksämtern Friedrichhain Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Mitte, den Quartiersmanagements, Gründung einer muslimischen Expertengruppe, die sich mit der psychosozialen Beratung und Versorgung von Muslimen beschäftigt, in Gemeinschaftsarbeit mit der VHS Mitte Initiierung von Sprachkursen in Moscheevereinen sowie religiöse Betreuung in Gefängnissen und Krankenhäusern. Aktion Courage e. V. versteht sich im diesem Kontext als Türöffner und stellt die Kontakte zu den Institutionen der Mehrheitsgesellschaften her.“

Das ist passgenau das gesellschaftspolitische ‚Programm‘ mit dem Inssan sich 2002, nach Auslaufen der 3-Jahresförderung (seit 1999) des Arbeitskreis Berliner Muslime gründete.

Die damalige Geschäftsführerin von Inssan, Lydia Nofal, antwortet im November 2003 der Berliner Stadtzeitung „Scheinschlag“ auf die Frage: „Wie setzt sich euer Verein zusammen“:

„Die meisten sind Studenten oder Akademiker, und immer mehr Schülerinnen. Die Nationalitäten sind gemischt: Araber, Türken und Deutsche, Bosnier, Pakistanis und Kurden, Sunniten und Schiiten. Derzeit beten wir in unterschiedlichen Moscheen, bei DITIB, einige gehen zur Islamischen Föderation, viele in arabische Moscheen.“

Die Anthropologin Esra Özyürek hat 2014/2015 mit Konvertiten in Deutschland gesprochen und kommt hinsichtlich der Gründung von Inssan zu einer erweiterten Darstellung:[4]

„Eine andere […] islamische Organisation ohne Bindung an eine bestimmte Glaubensrichtung und repräsentativen Charakter ist Inssan („Mensch“). Sie wurde überwiegend von Konvertiten gegründet, die einer wesentlich orthodoxeren Islamauslegung folgen als die Muslimische Akademie und die die Organisation bis heute maßgeblich prägen. Finanziert wird Inssan von einer Gruppe von Muslimen, die einen islamischen Dachverband schaffen wollen, dessen Aktivitäten zur kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt in Deutschland beitragen. Inssan organisiert Veranstaltungen für den interreligiösen Dialog und eine Kampagne gegen Zwangsehen, versucht das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen zu fördern, dokumentiert Fälle von Diskriminierung und bietet Präventionstraining gegen diese an. Die Gründer berichteten mir, für den Aufbau einer neuen Organisation hätten sie sich entschieden, weil die türkisch-islamischen so hierarchisch seien und sie in ihnen keinen Platz gefunden hätten. Als seine Stärke definiert der Verein die Offenheit für den Dialog mit allen anderen religiösen Gruppen - ein Aspekt, der ihn von den Organisationen migrantischer Muslime unterscheidet. Diese sind ihm sogar mit einem gewissen Widerstand begegnet, weil sie in ihm für den Fall, dass der Islam einmal den Status einer staatlich anerkannten Religion erhalten sollte, eine Konkurrenz bei der Repräsentation von Muslimen in Deutschland sehen.“

Keine weiteren Angaben. Weder zur Frage, was für ein „Dachverband“ das sein sollte, keine Erläuterung, was „orthodoxe Islamauslegung“ inhaltlich heißt, keine Mitgliederzahlen. Auch in weiteren Jahren werden seitdem selten Zahlen genannt, weder zur Anzahl der Mitglieder noch zu den Teilnehmern von Projekten, alles bleibt im Vagen von „die meisten“, „viele“, „relativ wenige“.

Entsprechend dieser „Offenheit für den Dialog mit allen anderen religiösen Gruppen“ führt der Inssan e. V. die ersten zehn Jahre (2002-2012) die Bezeichnung „Inssan für kulturelle Interaktion e. V.“. Ab 2012, nachdem die Anerkennung und erste Förderung erreicht ist und man sich in einer ‚Muslimisierung‘ der Arbeit enger fokussiert und profiliert, wird die „kulturelle Interaktion“ im Vereinsnamen gestrichen.

1.1. Internetseite

Die erste Erfassung der Internetseite von Inssan auf der „Wayback Machine“ des Internet-Archivs datiert vom 1. März 2003. Die Seite wird in fünf Sprachversionen angeboten, wobei die Wichtigkeit sich in der Reihenfolge darstellt (dort so geschrieben): 1. Türkisch, 2. English, 3. Frensch, 4. Deutsch, 5. Arabic. Bemerkenswert ist dabei, dass für einen Verein - mit Deutsch als der ausdrücklich erklärten Vereinssprache -, Deutsch nicht die erste, also wichtigste Sprache ist, sondern türkisch, dass „English“ und „Arabic“ in Englisch geschrieben sind, und „Frensch“ auch Englisch ist, aber lautmalerisch auf Deutsch geschrieben wurde.

Von April bis November heißt es: „Unsere Webseite steht Ihnen in Kürze wieder zur Verfügung!“, was dann am 22.12.2003 registriert wurde. Dort heißt es: „Was ist inssan?“ Antwort:

„Inssan bedeutet Mensch sein, human sein. Das Wort stammt aus dem Arabischen und ist in alle orientalischen Sprachen eingegangen. Inssan ist die Basis: für ein friedliches Zusammenleben, für einen fruchtbaren Austausch, für ein Miteinander statt Nebeneinander, für Aufklärung, Entwicklung, Bildung und Kultur.“

Oben links ist ein Logo abgebildet, das zwei tuchschwingende, stilisierte Menschen vor der gläsernen Kuppel des Reichstagsgebäudes zeigt.

Diese Figuren erinnern sofort an den „Humping Man“ das (fröhlich, dynamische) Symbol und (in Variationen) Erkennungszeichen verschiedener humanistischer Verbände, einschließlich des Dachverbandes, der IHEU (International Humanistic and Ethical Union). Es wurde 1965 von der British Humanist Association entwickelt. Anscheinend wurde der Begriff „human“ (Mensch) und das dazu passende Logo direkt aus dem englischen Kontext übernommen.

1.2. Vorstandsmitglieder

Aus den Angaben im Vereinsregister lässt sich eine Übersicht zu den Vorstandsmitgliedern von 2003 bis 2020 erstellen (vgl. Anlage 1). Das ist ein bewegtes Geschehen, da von 2003-2007 jedes Jahr Wechsel im Vorstand stattfinden, sich von 2009-2012 eine ruhigere Phase darstellt, bis der Verein im Mai 2012 seine Vereinsbezeichnung auf „Inssan e. V.“ verkürzt und bis 2015 weder verstärkt Wechsel im Vorstand registriert werden. Von 2003-2020 sind es 17 verschiedene Personen. Eine relative Konstante dabei ist die Diplom-Politologin Lydia Nofal, die annähernd konstant (von 2003-2004, 2005-2014 und seit 2015) im Vorstand ist, seit November 2015 als Vorsitzende.

Die Geschäftsführer des Vereins sind seit 2006 ‚geborene Mitglieder‘ des Vorstandes, werden jedoch bei den Vorstandmitgliedern nicht benannt. 2003 war es Lydia Nofal, 2008 war es Imran Sagir und aktuell (seit 2015) ist es Mohamad Hajjaj.

Einige der Vorstandsmitglieder sind öffentlich nicht in Erscheinung getreten, andere zeigen die Vernetzung des Vorstandes mit anderen Organisationen.
Lydia Nofal: 1969 im Sauerland geboren, katholisch aufgewachsen. Studium der Politikwissenschaft in Berlin (Otto-Suhr-Institut) und London. 1991 Konversion zum Islam. 1998 Diplom-Politologin, Thema der Diplomarbeit: „Hamas, zwischen Idealismus und Pragmatismus“, Freie Universität Berlin. Familienstand: Verheiratet (Arabischer Ehemann, Palästinenser). Arbeitete u. a. für das Palestine Human Rights Information Center (PHRIC) in Jerusalem und die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) Justice Department in Gaza. SPD-Mitglied, 2014 Mitbegründerin und eine der Sprecherinnen des Arbeitskreis Muslime (AKMS) in der SPD, seit 2015 Stellv. Vorsitzende des ZDM (Zentralrat der Muslime) Landesverband Berlin, 2019 Mitglied im Beirat des Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin.
Lydia Nofal wird medial entsprechend unterschiedlich genannt, wen oder was sie vertritt (vgl. Anlage 4): Vorsitzende INSSAN e. V. / Mitwirkende am juma-Projekt / Politologin / Zentralrat der Muslime Berlin / Projektleiterin RAA Berlin / AK Muslime in der SPD. Wie sehr das durcheinander gehen kann zeigt die folgende Darstellung in einer Studie zum „Europäischen Islam“:[5]

„So stehen die Professoren Ruggero Vimercato Sanseverino und Mouhanad Khorchide für die Institutionalisierung der islamischen Theologie in Deutschland, Lamya Kaddor gilt als Vorkämpferin für die Einführung islamischen Religionsunterrichts und ist zudem eine wichtige Stimme, die sich um eine in der europäischen Lebenswelt verankerte Islamauslegung bemüht. Lydia Nofal von der Organisation Juma und die Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüşay beschreiben, wie sehr sich diese Arbeit in den vergangenen Jahren institutionalisiert und professionalisiert hat. Lydia Nofal spricht zudem als Vertreterin des Zentralrates der Muslime.“

Mohamad Hajjaj, der (seit 2015) derzeitige Geschäftsführer des Inssan e. V. (ebenfalls in Palästina geboren), ist (seit 2017) Vorsitzender des Landesverband Berlins des Zentralrats der Muslime (ZDM) und wird dort als Vertreter der Teiba-Moschee/Teiba Kulturverein genannt, deren stellvertretender Vorsitzender er seit Februar 2013 ist. Er ist ebenfalls in der SPD und Mitglied im AKMS. Zudem sei er Leiter des Hauptstadtbüros der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland. Er hat an der Humboldt-Universität zu Berlin Wirtschaftsrecht studiert und war seit 2002 Öffentlichkeitsreferent der Muslimischen Jugend, die ihre Büroräume in Berlin direkt neben Inssan haben bzw. hatten.
Imran Sagir (Jg. 1973) Mitglied des Inssan Vorstandes von 2007 bis 2013, war davor (2001 bis 2003) einer der Vorsitzenden der Muslimischen Jugend, ist Gründer und Geschäftsführer von MuTes (Muslimisches Seelsorgetelefon), engagiert sich in der Gefängnisseelsorge und im Verein Leadership Berlin, in dem auch Lydia Nofal Mitglied ist.

1.3. Beirat

Seit Herbst 2003 besteht ein Inssan-Beirat (nach Inssan-Angaben seit Oktober 2004) „mit Leuten aus dem Interkulturellen Bereich“, von denen im Stadtzeitungs-Interview genannt werden (2003): Barbara John (CDU, ehemalige Berliner Integrationsbeauftragte), Dr. Gerdien Jonker (Religionswissenschaftlerin) sowie Ismet Misirlioglu (aus dem Migrationsbeirat von Friedrichshain-Kreuzberg). Auf der Inssan-Internetseite wird im Oktober 2007 eine längere Beiratsmitgliederliste genannt und bei Ismet Misirlioglu steht: „Kaum jemand ist unter Berliner Muslimen so bekannt wie Ismet Misirlioglu. Er leitet das Büro der Hilfsorganisation Islamic Relief und war einer der Mitbegründer des Runden Tischs der muslimischen Organisationen in Friedrichshain-Kreuzberg.“

Für die renommierte Politikerin Barbara John, gibt es mehrere Berührungspunkte zu Inssan. Sie ist nicht nur Diplom-Politologin wie das Vorstandsmitglied Lydia Nofal, sondern hat mehrere Jahre in der Lehrerausbildung der Freien Universität Berlin im Fach „Deutsch als Fremdsprache“ gearbeitet. Seit Juli 2003 ist sie Koordinatorin für Sprachförderung bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung und zudem Vorsitzende des Expertengremiums für Integrationssprachkurse beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). 2003 berichtet der Tagesspiegel:

„‘Wir sind deutsch‘, sagt Lydia Nofal. Viele hätten auch die deutsche Staatsangehörigkeit, sagt Salah Bouabdallah, Vereinsvorsitzender und arabischer Psychologe, der vor zehn Jahren aus Frankreich nach Deutschland kam. „Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft und wir identifizieren uns mit ihr.
Die gemeinsame Sprache der rund 40 aktiven Vereinsmitglieder aus Arabien, der Türkei oder aus Frankreich ist Deutsch. Und das soll sie auch für die vielen anderen Muslime in Berlin sein, fordert Nofal. Sie will auf die Ausländer im Land Druck machen: ‚Die Sprache ist das wichtigste Instrument.‘ Über Integration sprechen ohne Sprachkenntnis ‚das macht keinen Sinn‘. Sätze und Ansichten, wie sie auch von der ehemaligen Ausländerbeauftragten und jetzigen Senatsbeauftragten für Sprachförderung für Migranten, Barbara John, immer wieder geäußert wurden. John hält auch viel von Inssan. Sie soll im September in den Beirat des Vereins gewählt werden. Barbara John lobt Inssans Unabhängigkeit von Religion, Gruppen und Institutionen.“

2007 werden zusätzliche Beiratsmitglieder benannt, „die zweimal im Jahr zusammenkommen, um den Vorstand bei seiner Vereinsarbeit zu beraten und Kontakte zu verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen herzustellen“. Dabei handelt es sich um Michael Freiberg, CDU-Politiker und ehemaliger stellv. Bezirksbürgermeister von Neukölln, der sich „immer wieder für INSSAN im Stadtteil einsetzt“, und Ernst Pulsfort, bis 2006 geistlicher Rektor der Katholischen Akademie Berlin, sowie Thomas Hartmann, der erste Chefredakteur der taz. „Für INSSAN stellt er immer wieder Kontakte in die Kulturszene oder auch zu Journalisten her.“

1.4 Turbulenzen

Bereits nach Genehmigung der Vereinsatzung wurde im Oktober 2002 der Bauantrag für ein großes muslimisches Kulturhaus mit Moschee an der Pflügerstraße in Neukölln gestellt. Das geplante Kulturhaus sollte eine Fläche von 6.400 qm haben, davon eine Moschee mit 1.200 qm, nebst Bibliothek, Seminarräume und Gastronomie.

Ein Millionenprojekt durch einen kleinen Akademikerverein in Gründung? Es wäre die mit Abstand größte Moschee in Berlin geworden und verweist aufgrund dieser Größenordnung auf einen möglichen anderen Gründungsaspekt des Inssan e. V.: Der politische Islam sucht die Öffentlichkeit, d. h. die Sichtbarkeit großer, repräsentativer Moscheen mit entsprechend hohen Minaretten. Das geschieht analog zu den christlichen Großkirchen in Deutschland, die sich vehement dagegen wehren, dass Religion eine Privatangelegenheit sei. Gerade nach 9/11 und dem negativen Image des Islams gehen jüngere Politologen in die Offensive, nach dem Motto: „Heraus aus den Hinterhöfen, hinaus ins Licht der Öffentlichkeit!“ und die Beiratsmitglieder unterstützen den Verein.

Lydia Nofal: „Der Bezirk bat Barbara John um eine Stellungnahme, und sie hat unseren Verein sehr positiv dargestellt. Wir erhielten trotzdem eine Ablehnung.“

Inssan wich in den Berliner Stadtteil Charlottenburg aus, wo der Widerstand aber ebenfalls groß war. Auf die Frage, warum denn nun gerade in Charlottenburg, antwortet Lydia Nofal im Januar 2008 in einem Interview im Tagesspiegel (‚‚Ich trage ja auch kein Kopftuch”), dass Inssan die Muslime aus den Hinterhöfen herausholen möchte und dass in den Moscheen deutsch gesprochen wird:

„Der Verein Inssan hat seinen Sitz in Kreuzberg, will aber in Charlottenburg eine Moschee für 700 Menschen bauen. Wirkt die Moschee dort nicht wie ein Ufo?
Einige Mitglieder von uns wohnen in Charlottenburg. Außerdem ist das ein bunter Bezirk, in dem viele Muslime leben. In der Klasse der Tochter eines Mitglieds sind muslimische Kinder in der Mehrzahl. Auch gibt es zwei Moscheen.
Können die Mitglieder von Inssan nicht dort beten?
Nein. Zum einen sind das keine richtigen Moscheen, sondern Fabriketagen, die als Gebetsräume genutzt werden. Wenn man Integration will, müssen die Muslime rauskommen dürfen aus den Hinterhöfen. Außerdem wird in diesen Moscheen türkisch gesprochen. Wir wollen deutschsprachige Angebote machen. Nur so kann man die Heimatorientierung und ethnische Teilung der muslimischen Community überwinden und eine europäische Identität der Muslime erreichen. Für viele junge Leute macht es keinen Sinn mehr, sich am Land ihrer Großeltern zu orientieren. Sie sind hier aufgewachsen, für sie ist Deutschland die Heimat. Für sie wollen wir Angebote machen – in einem repräsentativen Zentrum.“

Die Größenordnung des Projektes wird aus der Drucksache DS-Nr: 0828/3 der Bezirksverordnetenversammlung deutlich:

„Auf dem ehemaligen Industriegebietsgrundstück soll unter Einbeziehung des Gebäudekörpers zur Keplerstraße hin ein muslimisches Kulturzentrum entstehen, das neben einer Moschee (715 qm) auch einen Verkaufsraum (400 qm), einen Gemeindesaal (500 qm), ein Restaurant, ein Café und eine Kantine (250 qm), ein Dialog- und Informationszentrum (200 qm), Geschäftsräume (200 qm), Verwaltungsräume (150 qm), Seminarräume (270 qm), eine Bibliothek mit Medienraum (90 qm), einen Kindergarten (300 qm), Jugendclub (200 qm), ein Frauenzentrum (130 qm), Büroflächen (450 qm) sowie Wohneinheiten (500 qm) mit einbezieht.
Das Konzept geht von insgesamt 4.355 qm Geschossfläche, 79 Kfz- und 40 Fahrradstellplätzen aus. Das Baugebiet soll als Sondergebiet ausgewiesen werden, um die oben genannten Nutzungen im Gesamtkonzept zu ermöglichen.“

Es war nicht nur die Größe des Kulturzentrums/Moscheebaus oder der Aspekt, dass in Charlottenburg nur wenige Muslime leben würden, wozu also so eine Moschee?, sondern vor allem auch die Frage nach der Finanzierung. Als sich herausstellte, dass das Grundstück von Ibrahim El-Zayat gekauft werden sollte, der im Auftrag der Stiftung European Trust bereits den Kaufvertrag unterzeichnet hatte, geriet das Projekt in die politische und mediale Öffentlichkeit. Ibrahim El-Zayat gilt als „Schüsselfigur für die politische und organisatorische Annäherung der arabischen und türkischen Islamisten.“ Da Milli Görüs (1972/1995 für Deutschland gegründet) als die „türkische Variante der Muslimbrüder“ gilt (1960/1982 für Deutschland gegründet), organisatorisch eigenständig aber inhaltlich übereinstimmend, wäre diese Gemeinsamkeit bezüglich der Förderung von Inssan naheliegend.

Ibrahim El-Zayat war von 2002 bis 2010 Präsident der Islamischen Gemeinschaft Deutschland (IGD), seit 2018 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG), die vom Verfassungsschutz als „Zweig der Muslimbruderschaft“ eingeordnet wird. El-Zayat saß im Vorstand von Islamic Relief Deutschland sowie Islamic Relief Worldwide und ist Generalbevollmächtigter der EMUG (Europäische Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft), die in Deutschland mittlerweile rund 300 Milli-Görüs-Moscheen verwaltet. „Auch familiär steht El-Zayat für die Verbindung der beiden Milieus: Seine Ehefrau Sabiha el-Zayat-Erbakan ist die Schwester des früheren Vorsitzenden von Millî Görüş in Deutschland, Mehmet Erbakan. Der 2011 verstorbene Gründer der Organisation, der türkische Islamist Necmettin Erbakan, war ihr Onkel.“ 1997 hatte El-Zayat die „Consulting Form SLM“ gegründet (eine Liegenschaftsverwaltung), die in Charlottenburg für Inssan aktiv geworden war. Inssan erklärte, dass die Kontakte sich auf „eine rein technische Ebene“ beschränkt haben. Alle Vorwürfe einer Nähe zur Muslimbruderschaft wurden von Inssan in einer Pressemitteilung vom 23.02.2004 als „nicht belegt“ zurückgewiesen.

Abgesehen davon haben Islamic Relief und Inssan e. V. die gleiche Adresse: Gitschiner Straße 17, linkes und rechtes Ladengeschäft. (Das Gebäude gehört der Deutsche Wohnen.) Und im INSSAN-Beirat befindet sich seit 2003 ebenfalls der Büroleiter von Islamic Relief in Berlin, Ismet Misirlioglu. In der Pressemitteilung von 23.02.2004 schreibt Inssan davon unbeeindruckt:

„Die gegen Kooperationspartner von inssan erhobenen Vorwürfe konnten bisher nicht belegt werden und inssan verwehrt sich dagegen, seine Arbeit durch nicht nachweisbare Vorwürfe kaputt machen zu lassen. Eine andere Lage entstünde sicherlich für den Verein, wenn Kooperationspartnern eine Ablehnung der Grundwerte unserer Gesellschaftsordnung oder gar die Befürwortung von Gewalt nachgewiesen würde.
Ist dies nicht der Fall, sucht der Verein den Dialog und die Kooperation mit Vertretern muslimischer wie nicht-muslimischer Organisationen, um so seine integrative Rolle wahrnehmen zu können. Denn als vehementer Verfechter von Demokratie, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung aller Menschen ist der Verein der Überzeugung, dass nur durch Dialog und Kooperation diese Werte überall durchgesetzt und die Integration der Muslime in unsere Gesellschaft erreicht werden kann.“

Die Diskussionen in der BVV (Bezirksverordnetenversammlung) sind vielfältig und kontrovers, schließlich wird das Projekt nicht genehmigt.

Der entscheidende Punkt ist, wie die Organisationen Muslimbruderschaft und Milli Görüs bewertet werden. Dabei ist „Muslimbruderschaft“ offensichtlich verständlich (‚Patriarchalische Muslime‘), doch wer weiß schon, was „Milli Görüs“ („Nationale Sicht“) bedeutet?

Dieses offensive zweimalige „nicht kleckern, sondern klotzen!“ hatte den kleinen Verein schlagartig in ein negatives öffentliches Rampenlicht gebracht – sowohl in den Medien, wie in den Bezirksverordnetenversammlungen – und Inssan musste sich über zwei, drei Jahre ‚klein bei klein‘ wieder eine Akzeptanz erarbeiten: Mit Postkartenaktionen gegen Zwangsheiraten, Aufrufen zu Blutspenden, Fußballspielen Pfarrer gegen Imame, Islamwochen, Kreuzberg im Gespräch, Hadsch-Ausstellung, Jüdisch-muslimische Begegnungen, Gemeinsame Stellungnahme zur Homophobie, Nachbarschaftsaktionen, Literarische Moschee, Gemeinsam gegen Terrorismus, Weltfrauentag, Tagungen, in Schulen: Peaceful Minds, u. a. m.

1.5. Erste Vernetzungen

Neben der unvorteilhaften politischen und medialen Öffentlichkeit knüpft Inssan still Kontakte in alle Richtungen. Die Geschäftsführerin im November 2003 über die Kontakte zur Partei Bündnis90/DieGrünen:

„Mit dem Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung haben wir eine Moscheenrallye durchgeführt. Dabei konnten Mädchen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen einen Eindruck von der Vielfalt innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gewinnen. Das ist sehr gut angekommen, und wir werden es auch wiederholen.
Jetzt planen wir mit dem Bildungswerk, der überparteilichen Fraueninitiative, Aktion Courage und anderen Vereinen ein Projekt zur Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen.“

Am 11. Juni 2004 wird zu einer zu einer Veranstaltung in der Inssan-Geschäftsstelle zum Thema „Was verstehen Christen unter der Dreifaltigkeit Gottes?“ eingeladen. Referent ist der Geistliche Rektor der Katholischen Akademie Berlin, Dr. Pulsfort. Zweck: Dialog im „interreligiösen Zusammenleben“. (Dr. Ernst Pulsort wird Mitglied im Inssan-Beirat)

Mitte Januar 2005 heißt es auf der Inssan-Internetseite:

„Viel Zuspruch für die 1. Umweltschutzaktion von Berliner Muslimen. Die erste Umweltschutzaktion von Berliner Muslimen – organisiert von dem Verein INSSAN – war am Samstag am Paul-Lincke-Ufer ein voller Erfolg. Zunächst besuchten ungefähr 20 Teilnehmer das Seminar zu den Themen ‚Umweltschutz im Islam‘ und ‚Praktische Tipps für den Alltag‘. Anschließend sammelten sie Müll am Paul-Lincke-Ufer und hingen Hinweisschilder zum umweltbewussteren Handeln auf.“

Am 7. April 2005 schreibt „INSSAN zum Tod von Johannes Paul II. Auch Muslime trauern um den Tod von Johannes Paul II. Der Berliner Verein INSSAN drückt den Katholiken in aller Welt sein Beileid aus und würdigt den Papst als eine der herausragendsten Persönlichkeiten des Jahrhunderts.“

Am 12. Mai 2005 spricht Rita Süssmuth in der Jerusalemskirche in Berlin auf der Inssan-Veranstaltung „Integration kann klappen“ zum Thema: „Welche Anforderungen stellt eine gelungene Integration an MigrantInnen und an die Mehrheitsgesellschaft?“ Ganz in ihrem Sinne schreibt Inssan (in halbfett hervorgehoben):

„Wir sind fest überzeugt, dass Multikulti nicht gescheitert ist. Das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen und Religionen mag vielleicht manchmal schwierig sein, aber wenn sich alle bemühen und auch einmal Kompromisse eingehen, dann werden auch alle davon profitieren.“

2. Weitere Probleme und Querverbindungen

Die Kernfrage ist, wie gesagt, neben der Einschätzung von Islamic Relief, die Frage der Bewertung von Muslimbruderschaft und Milli Görüs. Das Thema dabei ist, dass der Berliner Verfassungsschutz beide Organisationen in seinen Jahresberichten als „legalistischen Islamismus“ eingestuft hatte.

„Legalistisch“ bedeutet dabei, dass sie (in Deutschland) nicht gewaltbereit sind, sondern im Rahmen der Gesetzesordnung bleiben („Marsch durch die Institutionen“), und „Islamismus“, dass sie dennoch Bestrebungen verfolgen, ihre Vorstellungen einer islamischen Gesellschaft (Stichworte: Einheit von Religion und Staat, Scharia) umzusetzen.

Die Erwähnung in einem Bericht des Verfassungsschutzes hat dabei auch ganz praktische Nachteile. Ein Verein, nach deutschem Recht, verliert dadurch als juristische Person seine Einstufung als „gemeinnützig“ und kann keine Spendenbescheinigung ausstellen.

Für die Muslimbruderschaft, Islamic Relief und die IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) ist das nebensächlich, da sie in internationalen Zusammenhängen agieren, für Inssan ist das schon wesentlicher, da neben der fehlenden Gemeinnützigkeit auch die politische Bewertung als „nicht förderungswürdig“ erfolgen kann, was tatsächlich geschehen ist.

Im Berliner Verfassungsschutzbericht 2006 (veröffentlicht im Juni 2007) heißt es grundsätzlich (S. 5)

„Entscheidend ist die möglichst frühzeitige Gewinnung von Informationen über potenzielle und das Ergreifen von Maßnahmen gegen tatsächliche Gefährder. Genauso wichtig ist es aber auch, Radikalisierungstendenzen im islamistischen Bereich schon im Ansatz zu begegnen.
Wirkliche Sicherheit werden wir ohne den Dialog mit allen, die guten Willens sind, nicht erreichen. Von besonderer Bedeutung ist deshalb der Dialog mit den Muslimen in unserer Stadt. Wir müssen miteinander statt übereinander reden. Der Berliner Verfassungsschutz nimmt regelmäßig am Berliner Islamforum teil, das [2005] vom Integrationsbeauftragten ins Leben gerufen wurde. Auf Bundesebene gibt es Gespräche der Sicherheitsbehörden mit muslimischen Verbänden. Schließlich geht auch die deutsche Islamkonferenz in diese Richtung. Dieser Dialog macht unsere Zukunft sicherer. Deshalb ist es richtig, dass auch auf Bundesebene diejenigen nicht ausgeschlossen werden, die mit ihrer Staatsvorstellung von unserer Idee des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats abweichen – wenn sie nicht gewaltbereit sind. Deshalb ist es richtig, dass es auch Gespräche mit Gruppierungen gibt, die etwa der „Muslimbruderschaft“ und der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş“ nahe stehen. Es geht nicht darum, die Grenzen zu verwischen; die freiheitliche demokratische Grundordnung ist nicht verhandelbar. Über religiöse Freiräume muss man aber reden können.“

Zu den Muslimbrüdern heißt es (Seite 258):

„In Deutschland werden die Interessen der MB von der 1960 gegründeten „Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V.“ (IGD) vertreten, die unter dem Einfluss der ägyptischen MB steht. Der IGD gehören mehrere Islamische Zentren in Deutschland an. Ihre Hauptaktivitäten sind gegenwärtig auf die Organisierung und die Ausrichtung der in Deutschland lebenden Muslime im Sinne der Ideologie der MB gerichtet. Als Berliner Treffpunkt für Anhänger der MB gilt das „Islamische Kultur und Erziehungszentrum Berlin e. V.“

Und bei Milli Görüs (S. 104) sei „keine ideologische Neuausrichtung erkennbar“:

„In der türkisch islamistischen „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş e. V.“ (IGMG) ist keine ideologische Neuausrichtung erkennbar. Es gab weder öffentliche Diskussionen zwischen Reformern und Traditionalisten noch wurden konkrete Reform-Projekte angestoßen. Die Reformer können sich offenbar nicht gegen die Traditionalisten in der Organisation durchsetzen. Fortbestehende enge Verbindungen zu Necmettin Erbakan, zu seiner Partei, der „Saadet Partisi“ (SP), sowie deren Sprachrohr „Milli Gazete“ („Nationale Zeitung“) belegen, dass die IGMG nach wie vor Teil der „Milli Görüş“-Bewegung ist, die weiter islamistische Positionen propagiert. Handlungsschwerpunkte der IGMG waren die Rekrutierung neuer Mitglieder und die Intensivierung der Kontakte zu Politik und Gesellschaft.“

Das ist nicht nur ein Problem des Inssan e. V. sondern betrifft auch die befreundete „Muslimische Jugend“, aus der auch Inssan-Vorstandsmitglieder stammen:

„So wurde, wie Vorstandsmitglieder im Interview erklären, die Muslimische Jugend in Deutschland (MJD) nicht als Träger der Jugendarbeit anerkannt, weil sie in den Berichten der Landesämter für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz erwähnt wurde. Im Anschluss an ihre Erwähnung in Verfassungsschutzberichten verlor die seit 1998 auch in Berlin tätige deutschsprachige Organisation die Anerkennung als gemeinnütziger Verein und die damit einhergehende Befreiung von Ertrags- und Vermögenssteuern und hat diese bis Anfang 2018 nicht wiedererlangt. Im Gespräch berichtet die ehemalige Vorsitzende der Muslimischen Jugend, dass die Robert Bosch Stiftung, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie das Bundesjugendministerium, die prinzipiell an der Förderung von Projekten des Vereins interessiert seien, sich entweder aufgrund seiner Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder weil der Verein keine Gemeinnützigkeit vorweisen könne, nicht zur Kooperation imstande sähen.„[6]

In dieser Hinsicht wäre es für Inssan evtl. sinnvoll gewesen, sich in der Öffentlichkeit von den Muslimbrüdern und Milli Görüs zu distanzieren, doch das Gegenteil geschieht.

2.1. Inssan-Festival 2006

Am 10. September 2006 veranstaltet INSSAN auf dem Zentralen Festplatz in Berlin-Tegel ein Festival mit großer Bühne wie in Pop-Konzerten, mit Showprogramm und Basar. Es kommen rund 5.000 Zuschauer aus ganz Deutschland. Stargäste sind (1) der berühmte Pop-Sänger Sami Yusuf, er singt auf Arabisch /Englisch aber kein Deutsch. (2) die bekannte MTV-Moderatorin und Konvertitin Kristiane Backer, die in London eine diskrete, dreijährige Liebesaffäre mit einem berühmten strenggläubigen muslimischen Pakistani hatte (Imran Khan, damaliger „Nationalheld“ als Kricketspieler und aktuell Premierminister Pakistans) - die sie nachträglich in ihrem Buch „Von MTV nach Mekka“ ausführlich beschreibt -, und öffentlich kein Kopftuch trägt (außer auf dem Buchumschlag der englischen Ausgabe und der deutschen Taschenbuchausgabe ihres Buches). Der mediale Erfolg und die Anerkennung sind groß.

Hauptsponsor ist die Organisation „muslime helfen“, Bühnensponsor ist „Safadi-Touristik“, Basar-Sponsoren sind „em2-Kommunikation“ (eine Agentur, die das ökonomische Potential der Muslime in Deutschland aktivieren will), „MuslimeReisen“ sowie das „Tahira-Restaurant“, das mit „The Halal Choice“ wirbt. Als Unterstützer werden genannt: IBMus (Initiative Berliner Muslime / Moscheegemeinden), IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görrüs), sowie das IZDB (Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung) und das IKEZ (Islamisches Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e. V.), die beide im Berliner Verfassungsschutzbericht 2007 der Muslimbruderschaft zugeordnet werden. Zum IKEZ heißt es zudem (S. 235): ‚Als Berliner Treffpunkt von HAMAS-Anhängern gilt das ‚Islamische Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e. V.‘ (IKEZ).‘ Der Hauptsponsor „muslime helfen e. V.“ hatte 1993 bis 2011 als Vorsitzenden Ahmad von Denffer, der beruflich und inhaltlich enge Beziehungen zur Muslimbruderschaft unterhält und sich dafür einsetzt, die deutsche Gesellschaft in eine islamgemäße umzugestalten.

Der Inssan e. V. stellt sein ‚Vereinsdach‘ also weiterhin ausdrücklich und offen-sichtlich auf zwei starke Säulen: die Deutschlandorganisationen der Muslimbruderschaft und von Milli Görüs. (vgl. Anlage 2)

Das geschieht auch in anderen Zusammenhängen, wie das ZDF (2007) berichtet:

„Als das ZDF ‚Heute-Journal‘ einen Beitrag über den Vorsitzenden der IGD, Ibrahim el-Zayat, macht und unter dem Titel ‚Top-Manager des politischen Islamismus?‘ am 11.07.2007 sendet, führt el-Zayat, der in dem Beitrag seine geistige Nähe zur Muslimbruderschaft nicht bestreitet und deren Islaminterpretation als ‚Mainstream‘ bezeichnet, das TV-Team ins IZDB und lässt sich dort filmen. ‚Ohnehin widmet el-Zayat sich lieber der nächsten Generation.
Dank seiner Kontakte wurde der junge deutsche Imam, hier neben ihm, in Frankreich und Ägypten ausgebildet. Welchen Islam er dort lernte? Sicher einen, der el-Zayats Vorstellungen entspricht‘ heißt es kommentierend zu diesen Aufnahmen. Der im Beitrag als ‚junger deutscher Imam‘ vorgestellte und im Bild freundlich redend mit el-Zayat zu sehende junge Mann ist Ferid Heider. Der Hinweis auf seine Ausbildung in Frankreich ist ebenfalls von Bedeutung, denn damit ist die IESH mit der Europäischen Hochschule für islamische Studien bei Château-Chinon gemeint.
Ferid Heider ist nicht zufällig an diesem Tag im IZDB. Seit Bestehen des IZDB und der offiziellen Eröffnung der Räumlichkeiten in der Drontheimer Straße im Oktober 2004 gibt es zahlreiche gemeinsam Aktivitäten des IZDB mit den Bruderorganisationen des Berliner Netzwerkes, das unter der Bezeichnung „Initiative Berliner Muslime – IBMus“ bekannt ist, besonders mit den Vereinen Muslimische Jugend in Deutschland (MJD), INSSAN - für kulturelle Interaktion e. V. und dem Kultur- und Erziehungszentrum (IKEZ) und dessen Jugendtreff Assalam e. V.“ [7]

Entsprechend heißt es im Berliner Verfassungsschutzbericht 2007 (S. 251)

„Die in Deutschland mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der „Muslimbruderschaft“ (MB) ist die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V.“ (IGD), […]. Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das ‚Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e. V.‘ (IZDB), das ‚Islamische Kultur- und Erziehungszentrum e. V.‘ (IKEZ), aber auch ‚INSSAN für kulturelle Interaktion e. V.‘ sowie der ‚Verband Interkultureller Zentren VIZ e. V.‘“

Ebenso im Berliner Verfassungsschutzbericht 2008 (S. 188):

„Seit 2002 wird die IGD von Ibrahim El-Zayat geleitet. Er bestreitet seine Zugehörigkeit zur MB. Er wurde jedoch vom derzeitigen Führer der MB, Mohammad Mahdi Akif, in einem Interview der ARD, das am 23. Februar 2007 ausgestrahlt wurde, als der ‚Chef der Muslimbrüder in Deutschland‘ bezeichnet. Als die Zeitung ‚Die Welt‘ diese Aussage in einem Artikel verbreitete, erwirkte El-Zayat eine Gegendarstellung. […] Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das ‚Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e. V.‘ (IZDB), das ‚Islamische Kultur- und Erziehungszentrum e. V.‘ (IKEZ), aber auch ‚INSSAN für kulturelle Interaktion e. V.‘ sowie der ,Verband Interkultureller Zentren VIZ e. V.‘“

Diese Darstellungen werden wortgleich im VS-Bericht 2009 wiederholt. Ab 2010 wird der Inssan e. V. jedoch nicht mehr erwähnt. Es heißt nur noch (S. 176):

„Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das ‚Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e. V.‘ (IZDB), das ‚Islamische Kultur- und Erziehungszentrum e. V.‘ (IKEZ) sowie der ‚Verband Interkultureller Zentren e. V.‘ (VIZ).“

Ab dem VS-Bericht 2014 wird die Darstellung zur Muslimbrüderschaft und zu Milli-Görüs deutlich kürzer und zurückhaltender. So heißt es 2014 (S. 66):

„Mittlerweile verfolgen Teile der IGMG-Anhänger in Berlin keine extremistischen Ziele mehr. Insgesamt ist ein Wandlungsprozess festzustellen, der die schrittweise Loslösung von der extremistischen Ideologie Erbakans erkennen lässt. Zudem wurden interne Posten mit reformorientierten Funktionären besetzt.
Dieser Entwicklung wird Rechnung getragen, indem nicht länger die Gesamtorganisation der IGMG als extremistisch bewertet wird, sondern nur noch die Träger der extremistischen „Millî Görüş“-Ideologie. Der Berliner Verfassungsschutz schaut folglich auf jene Organisationen und Bestrebungen, zu deren Zielen die Umsetzung der „Milli Görüş“- Ideologie gehört. Damit reduziert sich das Personenpotenzial in Berlin von einstmals 2 900 Personen bei der IGMG auf nunmehr 500 IGMG-Mitglieder, die die „Millî Görüş“-Bewegung unterstützen.“

Zur Muslimbruderschaft wird nur ein kurzer historischer Überblick publiziert und dann geschrieben (S. 63):

„Die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland ist die 1960 gegründete ‚Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V.‘ (IGD). Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das ‚Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e. V.‘ (IZDB), das ‚Islamische Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e. V.‘ (IKEZ), die ‚Neuköllner Begegnungsstätte e. V.‘ (NBS), auch bekannt als ‚Dar as-Salam Moschee‘, und das ‚Teiba Kulturzentrum zur Förderung der Bildung und Verständigung e. V.‘ (TKZ).“

Im Berlin VS-Berichten 2017 und 2018 werden keine ‚verbundenen‘ Organisationen mehr genannt.

3. Juristisches und andere Barrieren

Was war bis 2009/2010 geschehen, dass der Inssan e. V. nicht mehr vom Verfassungsschutz erwähnt wurde? Dazu nennt Julia Gerlach[8] (2017) drei Gründe:

„Bald schon tauchte der Verein jedoch im Berliner Verfassungsschutzbericht auf. Er wurde in die Nähe der Muslimbruderschaft gerückt; ähnlich sieht es mit vielen arabisch geprägten Organisationen und Gemeinden in Berlin aus. Etwa auch dem Daras-Salam in Neukölln. Das Besondere an Inssan e. V. ist jedoch, dass es gelang, das Stigma der Erwähnung im Verfassungsschutz wieder loszuwerden. Dies gelang durch viel Überzeugungsarbeit, Kampagnen, zum Beispiel gegen Zwangsheirat und Extremismus, und ein ständiges Bemühen um gute Kontakte zur Politik.“

Neben Überzeugungsarbeit, Kampagnen und Kontakten wird eine weitere Komponente ab 2010/2011 deutlicher: die Einschaltung der Gerichte durch Klagen gegen Bewertungen des Berliner Verfassungsschutzes.

Wesentlich für mit Inssan befreundete Organisationen, wie die Muslimische Jugend, war das Urteil des Berliner Verwaltungsgericht im Februar 2012: „Verfassungsschutz darf nur eingeschränkt über Muslimische Jugend berichten.

„Der Verfassungsschutzbericht 2009 muss zum Teil überarbeitet werden. Das haben die Berliner Richter am Donnerstag auf die Klage des Muslimische Jugend in Deutschland e. V. hin entschieden.
Grundsätzlich besteht zwar das Recht, über Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu berichten, so das Verwaltungsgericht (VG). Dies setze allerdings voraus, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz auf belegbare Tatsachen stützen könne. Anderenfalls stehe das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen einer Berichterstattung entgegen (Urt. v. 16.02.2012, Az. 1 K 237.10).
Im Verfassungsschutzbericht 2009 wird unter anderem berichtet, dass in einem Schulungsleitfaden des Muslimische Jugend in Deutschland e. V. bestimmte verfassungsfeindliche Äußerungen enthalten seien. Des Weiteren empfehle der Verein seinen Mitgliedern, sich in allen Fragen der islamischen Rechtsauslegung an den Maßgaben des European Council for Fatwa and Research (ECFR) zu orientieren.
Nach Ansicht des VG ist hinsichtlich eines Teil der vom Verfassungsschutz als verfassungswidrig angesehenen Äußerungen nicht hinreichend durch Tatsachen gesichert, dass der Verein diese als Teil eines Schulungsleitfadens verwendet habe. Trotz entsprechender Indizien hätten die Verfassungsschützer nicht vermocht, einen tatsächlichen Einsatz des Materials zu belegen.
Gleiches gelte für die Behauptung, der Verein empfehle seinen Mitgliedern, sich an den Maßgaben des ECFR zu orientieren. Es sei nicht mit hinreichender Sicherheit belegt, dass eine solche Empfehlung ausgesprochen wurde.“

Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e. V. (aej), die seit 2000 eine Verbandsfreundschaft mit der Muslimischen Jugend in Deutschland e. V. (MJD) pflegt, freut sich.

Mit diesem Urteil wird eine hohe juristische Hürde aufgestellt, denn welche „belegbare Tatsachen“ können bzw. müssen erbracht werden? Das eröffnet einen weiten Spielraum, der auch von anderen muslimischen Akteuren erfolgreich genutzt wird.

Dieser Klage war 1998 ein anderes wesentliches Urteil vorangegangen (OVG Berlin Entscheidung 7 B 4/98), in dem die Islamischen Föderation als Religionsgemeinschaft anerkannt wird und sie einen weitgehend staatlich finanzierten Religionsunterricht erteilen darf. Inhaltlich prüfen darf die Bildungsverwaltung nichts (Religionsfreiheit) und die Grenzen der Verfassungstreue werden weit gezogen:

„Die Grenzen für die Gestattung zum Erteilen von Religionsunterricht sind dort zu ziehen, wo zu befürchten ist, daß die Lehrer der betreffenden Religionsgemeinschaft in diesem Unterricht in vollem Umfang oder doch hinsichtlich tragender Prinzipien der Verfassung von den staatlichen Bildungszielen abweichen. Das schließt nicht aus, daß die Religionslehrer aus ihrer religiösen Überzeugung heraus punktuell von der Verfassungs- und Rechtslage abweichende Standpunkte vertreten dürfen.“

Damit war allerdings die Absicht, den Koranunterricht aus den Moscheen ‚herauszuholen‘ konterkariert, denn nun konnte dieser selbe Unterricht, falls beabsichtigt, an staatlichen Schulen erteilt werden.

Im Berliner Verfassungsschutzbericht 2016 waren vier Einrichtungen („Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e. V.“ (IZDB), das „Islamische Kultur- und Erziehungszentrum e. V.“ (IKEZ) und das „Teiba Kulturzentrum zur Förderung der Bildung und Verständigung e. V.“ (TKZ) mit der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD), und damit der Muslim-Bruderschaft, in Verbindung gebracht worden. Das ist insofern für Inssan von Bedeutung, das der Inssan-Geschäftsführer Mohammad Hajjaj stellv. Vorsitzender des Teiba-Kulturzentrums ist. Der Vorsitzende und Imam des teiba-Kulturzentrums, Ferid Heider, zeigt auch öffentlich den „R4bia“-Gruß der Muslimbruderschaft und ihrer Unterstützer.

Über die vierte Einrichtung, die Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) / Dar-as-Salam Moschee war geschrieben worden (S. 78, inzwischen gelöscht), „Die NBS bewegt sich damit in einem Spannungsfeld, das typisch für Bestrebungen im Bereich des legalistischen Islamismus ist.“ Danach folgte (S. 78, nicht gelöscht):

„Einerseits positioniert sie sich gegen jedwede Gewaltausübung im Namen des Islam und engagiert sich in der Integrations- und Präventionsarbeit. Andererseits unterhält sie Verbindungen zur MB. Die ‚Muslimbruderschaft‘ und die ihr nahestehenden Organisationen in Deutschland und in Europa wie die FIOE und der FAD lehnen die Demokratie nicht prinzipiell ab und sind durchaus für freie Wahlen und die Gewaltenteilung.
Allerdings streben sie nach der Ausformung einer Rechtspraxis auf der Grundlage traditioneller und als authentisch erachteter islamischer Schriften. Damit fordern sie eine Form islamischer Rechtsschöpfung, die auf die Scharia als Hauptquelle des Rechts Bezug nimmt – zumindest für die in Deutschland lebenden Muslime. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird derart nicht vorbehaltslos mitgetragen, sondern eine rein opportunistische Position zum deutschen Recht eingenommen.“

Gegen den (inzwischen gelöschten) Satz und weitere Feststellungen klagte die NBS. Die Klage wurde vom Verwaltungsgericht Berlin am 25. April 2018 abgewiesen, da die „im angegriffenen Bericht angeführten Verbindungen auf wahren Tatsachenfeststellungen“ beruhen.[9] (Das Grundstück war von der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD) für 550.000 Euro gekauft worden, die NBS zahlt symbolisch 700 Euro Miete monatlich und die IGD nutze es auch für Treffen und Tagungen.) Die Neuköllner Begegnungsstätte ging in Berufung und das Oberverwaltungsgericht Berlin fasste am 23. Juli 2018 den Beschluss, dass Teile der Darstellung des Verfassungsschutzes für 2016 gelöscht und 2017 nicht weiter verwendet werden dürfen, „solange die Erwähnung des Antragstellers im Hinblick auf die Bewertung seiner Funktion im Gefüge des legalistischen Islamismus nicht klargestellt wird.“ Es werde nicht ad personam belegt, dass eine verfassungsfeindliche Tätigkeit ausgeübt werde, und ein Verfassungsschutzbericht sei „kein Tätigkeits- sondern ein Ergebnisbericht“, für die eine „Verdachtsberichterstattung“ unzulässig ist.

Das Konzept des legalistischen Islamismus war damit juristisch geschützt.

Diese Gerichtsurteile zeigen sehr deutlich, wie es um das generelle Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland steht. Die Gerichte urteilen entsprechend der Verfassung und der Gesetzeslage, die von der Politik gesetzt wird. Die Anerkennung des Vereins der Islamischen Föderation unterliegt nicht der staatlichen Genehmigung. Religionsgesellschaften (als Verein) können sich gründen und definieren, wie sie es selber wollen – das ist der Kern der Religionsfreiheit. Dass die Unterrichtsinhalte nicht im Detail der Rechtsordnung entsprechen müssen, ist als Rücksicht auf die katholische Kirche zu sehen, bei der aus religiösen Gründen die Gleichberechtigung der Frauen für das Priesteramt abgelehnt wird, und damit eine geschlechtsspezifische Diskriminierung besteht. Insofern ist es kein Versagen der Gerichte, sondern die Untätigkeit bzw. das Desinteresse der Politik sich auf religiöse Veränderungen einzustellen und genauere Grenzen der Religionsfreiheit zu definieren, sofern sie mit Grundrechten im Grundgesetz kollidieren. Religionsfreiheit ist kein Meta-Grundrecht, das alle anderen Grundrecht toppt, sondern steht ggf. in Konkurrenz zu anderen Grundrechten.

Im Mai 2020 fragte ich beim Berliner Verfassungsschutz wegen eines Hintergrundgesprächs zur Thematik des „legalistischen Islamismus“ an („Hintergrundgespräche fallen „unter drei“, d. h. es darf daraus nicht zitiert werden) und bekam zeitnah eine Antwort:

“[…] vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihrem Interesse an einem Hintergrundgespräch. Leider besteht aus terminlichen Gründen in absehbarer Zeit keine Möglichkeit, ein Hintergrundgespräch zu der angefragten Thematik bei uns im Haus führen zu können.“

Davon abgesehen werden Islamic Relief, das Teiba-Kulturzentrum, die Muslimische Jugend Deutschlands u. a. m. in einer Ausarbeitung der Bundeszentrale für politische Bildungsarbeit (vom Mai 2019) über die „Die Muslimbruderschaft in Deutschland“ als Teile des Netzwerks der Muslimbruderschaft in Deutschland genannt. Ebenso nennt die Bunderegierung im April 2019 (BT-Drucksache 19/9415, Seite 11) personelle Verbindungen:

„Nach Kenntnis der Bundesregierung verfügen sowohl ‚Islamic Relief Worldwide‘ als auch ‚Islamic Relief Deutschland e. V.‘ über signifikante personelle Verbindungen zur ‚Muslimbruderschaft‘ (MB) oder ihr nahestehende Organisationen.“

4. Religiöse Rückendeckung

Eine der ersten religiösen Quer-Verbindungen war der Kontakt zur Katholischen Akademie in Berlin, dessen Geistlicher Rektor, Dr. Ernst Pulsfort, 2004 bei Inssan einen Vortrag im Dialog des „interreligiösen Zusammenlebens“ hält und Mitglied im Inssan-Beirat wird. Aber die Katholiken sind in Berlin parlamentarisch in der Minderheit und eher mit der CDU verbunden, die aber eher Vorbehalte gegen eine islamische Ausbreitung hatte – wie es sich in Charlottenburg zeigte, als schließlich ein CDU-Geschäftsmann das Grundstück, auf dem Inssan das Kulturzentrum mit Moschee bauen wollte, weggekauft hatte.

Die maßgebliche Religion in Berlin ist evangelisch – zwar auch in der Minderheit, aber an ‚Schaltstellen‘ der Macht sitzend, wie dem Vorsitz des Rundfunkrates von Radio Berlin-Brandenburg und einem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (= Ministerpräsident), der den Evangelischen Kirchentag finanziell mit Millionenbeträgen aus seiner ‚Privatschatulle‘ (der Berliner Lottostiftung) unterstützt.

Zwar beobachtet auch die Katholische Bischofskonferenz die Situation des Islam in Deutschland, stellt aber in ihrer Arbeitshilfe 172: „Christen und Muslime in Deutschland“ (bereits im September 2003) fest: „die dynamisch wachsenden islamischen Strukturen sind noch nicht in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Vielmehr scheint der Islam neben der deutschen Gesellschaft zu existieren statt in sie integriert zu sein.“

„Der geringe Anteil islamischer Einrichtungen, die als private Träger anerkannt sind, mag erstaunen. Wo immer man die Ursachen dafür sieht – in einem mangelnden Willen, islamische Einrichtungen als freie Träger zu akzeptieren oder in einem vielleicht ebenfalls mangelnden Willen, die für die Anerkennung als freie Träger notwendigen Voraussetzungen zu schaffen –, es drängt sich doch folgender Schluss auf: die dynamisch wachsenden islamischen Strukturen sind noch nicht in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Vielmehr scheint der Islam neben der deutschen Gesellschaft zu existieren statt in sie integriert zu sein.“

Die evangelische Kirche verhält sich in dieser Zeit des Paradigmenwechsels – der Verfassungsschutz hat zu schweigen -, aktiv und unterstützt die muslimischen Vereine: Vom 15.-17. Mai 2009 findet an der Evangelischen Akademie Loccum eine Tagung statt: „Coole Muslime?“  (Typisch evangelisch = englisch, katholisch hätte es vielleicht lateinisch geheißen „Musulmani fantastici?“) mit dem Untertitel: „Was wollen und können muslimische Jugendorganisationen zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen?“ Gefördert durch die Dr. Buhmann Stiftung zur Förderung christlicher-islamischer Verständigung. Im Einladungstext heißt es:

„Das Potenzial junger, organisierter Muslime für den Aufbau einer pluralen Gesellschaft wird weitgehend unterschätzt. Inzwischen hat sich eine vielfältige Landschaft muslimischer Jugendkultur in Deutschland entwickelt. Junge Muslime sollen sich ihrer Identität und ihres Glaubens – jenseits kulturell-nationaler Traditionen – vergewissern. Gleichzeitig engagieren sie sich sozial und möchten in einer Gesellschaft aktiv werden, die noch immer von Misstrauen gegenüber ihrer Religion geprägt ist. […]
Angesichts der Fülle des Potentials engagierter und gut ausgebildeter junger Menschen, die sich in diesen Organisationen engagieren, ist es dringend erforderlich, sie auch als Gesprächs- und Kooperationspartner ernst zu nehmen und am Aufbau einer pluralen Gesellschaft zu beteiligen. Bisher werden jedoch die Chancen kaum wahrgenommen, die sich durch eine Kooperation mit muslimischen Jugendorganisationen in der Kommune oder mit etablierten Jugendverbänden und in der Jugendhilfe ergeben können.
Die Tagung will ein Forum für die unterschiedlichen Inhalte und Organisationsformen muslimischer Jugendkultur in Deutschland bieten und Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Jugendverbänden, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen eruieren.“

Neben den Referenten aus dem evangelischen Spektrum werden u. a. genannt („Thema“/Referentin/Organisation), in der Reihenfolge des Auftretens:

„Yes we can, too!“ / Hischam Abdul Ola / Vorstand Muslimische Jugend in Deutschland (MJD), Karlsruhe
„Yes we can, too“ / Mesud Gülbahar / Bundesjugendvorstand, Islamische Gemeinschaft Milli Görüs,
„Aktionsbündnis gegen Zwangsheirat“ / Lydia Nofal / Vorstand, Inssan e.V., Berlin
„Wie und wo kann interreligiös zusammengearbeitet werden?“ / Hakan Tosuner / Muslimische Jugend Deutschlands, Berlin
„Ein Blick über den nationale Tellerrand: Muslimische Jugendarbeit in Österreich / N.N. / Muslimische Jugend in Österreich
„Wie können muslimische Jugendorganisationen zukünftig in gesellschaftliche Aktivitäten eingebunden und gefördert werden?“ Podiumsdiskussion / Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Bundesjugendkuratorium, Bremen / Dr. Götz Nordbruch, ufuq, Berlin / Ralf Harnisch, Referat Jugendarbeit des BMFSFJ, Bonn / Hischam Abdul Ola, Muslimische Jugend Deutschland, Karlsruhe.

Von besonderen Interesse dürfte der Vertreter des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Ralf Harnisch, gewesen sein, der auch noch 2020 als Referatsleiter für den Kinder- und Jugendplan des Bundes (Referat 505) zuständig ist.

BMFSFJ, Inssan, Milli Görüs und Muslimische Jugend in Deutschland an einem Tisch – das wäre 2007/2008 wohl noch nicht möglich gewesen.

Zu dieser Tagung gibt es seitens der Akademie Loccum keinen Tagungsbericht, was sehr selten ist, aber den ausführlichen Bericht einer Zeitung in dem allgemein berichtet wird, „dass muslimische Jugendarbeit – wie islamische Arbeit insgesamt – in Deutschland fast immer rein ehrenamtlich geleistet wird und es ein chronisches Finanzierungsproblem gibt.“ Im speziellen wird die Thematik erörtert, dass Förderungen auch abgelehnt werden, wegen der Beobachtungen durch den Verfassungsschutz.

„Tasnim El-Naggar [Muslimische Jugend Deutschlands, MJD] vom Berliner Aktionsbündnis gegen Zwangsheirat stellte den präventiven Ansatz ihrer Initiative vor, die – anders als andere Projekte gegen Zwangsheirat wie etwa von diversen nichtmuslimischen Frauenorganisationen – den ‚Islam nicht als Problem, sondern als Lösung‘ für diese Problematik betrachte, insbesondere bei der Prävention. Obgleich ihre Initiative in Berlin von maßgeblichen Stellen wohlwollend unterstützt werde, unter anderem vom Beauftragten für Integration und Migration Piening und Innensenator Körting, sei von der für die Vergabe von Geldern zuständigen Stelle die Gewährung einer Förderung abgelehnt worden, da einige der Kooperationspartner des Bündnisses vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Marissa Turac vom Landesjugendring NRW erinnerte in ihrer Vorstellung der gerade erst begonnen interkulturellen Öffnung der Landesjugendverbände daran, dass die Jugendringe bisher kaum mit Migrantenvereinen und muslimischen Vereinen zu tun hatten, obwohl diese ja teils schon seit langem bestehen. Dass eine solche institutionelle Vernetzung der vorgestellten muslimischen Ini­tiativen und Projekten noch fehle, war eine der Erkenntnisse dieser Runde.“

Dieser Loccumer Tagung (von 2009) waren drei andere Tagungen an der Evangelischen Akademie Loccum voraus gegangen: „Wie weit geht die Religionsfreiheit? Der säkulare Rechtsstaat und religiöse Pluralität“, 17.-19. Dezember 2004, und „Zwischen Politik und Religion. Wohin entwickelt sich der organisierte Islam in Deutschland?“ vom 15.-17. April 2005, deren Tagungsbeiträge in den Loccumer Protokollen 17/05 veröffentlicht wurden, wobei Titel programmatisch ist: „Recht, Religion, Politik. Auf dem Weg zu einer Anerkennung des Islam in Deutschland“.[10] Unter den Referenten werden auch Lydia Nofal genannt („Erfahrungen und Positionen des Vereins Inssan für kulturelle Interaktion e. V.“) und Prof. Werner Schiffauer („Vom Exil- zum Diaspora-Islam. Muslimische Identitäten in Europa“.) Der kurze Beitrag von Lydia Nofal [11] beschränkt sich im Wesentlichen auf die Feststellung: „Die Beziehungen zwischen der deutschen Politik und muslimischen Organisationen beschränken sich zumeist auf ein gegenseitiges Anschweigen.“

2006 folgt die Tagung „Religionen in der Stadt. Chancen für das urbane Zusammenleben.“[12] Unter den Referenten befinden sich Barbara Berreßen („Projekt: Integration von Muslimen und muslimischen Organisationen in Deutschland – Aktion Courage e.V.“) – ein Projekt in dem auch Lydia Nofal Mitglied ist -, sowie Ismet Misirlioglu („Die Notwendigkeit von ‚Türöffnern‘ für die Beziehung zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft“) von Islamic Relief, der seit 2003 im Beirat von Inssan Sitz und Stimme hat. Der sehr kurze Beitrag von Ismet Misirlioglu beschränkt sich darauf, seinen Vorrednerin Barbara Berreßen zuzustimmen. Aber das Wesentliche an Tagungen sind nicht die Reden, sondern das Netzwerken und persönliche Kennenlernen.

Die Evangelische Akademie Loccum gehört zur Landeskirche Hannover, in der auch der Nestor des evangelischen Staatskirchenrechts, Prof. Dr. Axel Freiherr von Campenhausen, ‚zu Hause‘ ist. Bereits 2006 forderte von Campenhausen im Deutschlandradio „die muslimischen Gemeinschaften in Deutschland auf, genau wie die Kirchen ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Bisher seien derartige Versuche fehlgeschlagen, weil es die Muslime stets versäumt hätten, sich zu organisieren.“ Insofern dürfen die Loccumer Tagungen auch als Teil einer ‚Geburtshilfe‘ des politischen Islams in Deutschland verstanden werden.

Ebenfalls 2006 erscheint ein Text der EKD: „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD.“ Darin heißt es zum Schluss, unter dem Titel „Ausblick“, dass die Evangelische Kirche den Muslimen eine gute Partnerin sein wird.

„Der Dialog mit den Muslimen, den die evangelische Kirche auf den geschilderten Ebenen sowohl in theologischer Hinsicht wie im Blick auf die Fragen des Lebens der Muslime in Deutschland führt und pflegen möchte, ist seinem Wesen nach nicht nur zeitweilig zu führen. Es ist ein Dialogprozess, durch den die evangelische Kirche ausdauernd zu erkennen gibt, wie wichtig die gegenseitige Information, der geistige Austausch, die gemeinsame Beratung von Konfliktfällen und ein einvernehmliches Handeln in religiösen und gesellschaftlichen Fragen für ein gutes Leben der Muslime in Deutschland sind. Die Muslime sind nicht auf sich alleine gestellt, wenn die Ausübung ihrer Religion, die Pflege ihrer Kultur und die vielfältigen Probleme der gesellschaftlichen Integration ihnen selbst und der Gesellschaft als ganzer Sorgen bereiten. Sie können in der evangelischen Kirche eine Partnerin sehen, die ihnen nach bestem Wissen und Gewissen gerecht zu werden versucht und für ihre Achtung und Anerkennung eintritt. Sie können wissen und sollen merken, dass dieses Engagement für sie auch durch kritische Fragen, die aus dem Raum der evangelischen Kirche an sie gestellt werden, nicht erschüttert werden kann. Der eingangsformulierte Grundsatz gilt, dass es zu einem Dialogprozess, der gegenseitiges Verstehen, respektvollen Umgang miteinander und gute Nachbarschaft wachsen und gedeihen lässt, keine Alternative gibt. Alles Denken und Trachten, welches Gewalt, Feindschaft und Hass zwischen Christentum und Islam schafft, muss endgültig der Vergangenheit angehören. Die evangelische Kirche und die Muslime in Deutschland können dafür der ganzen Welt, in der diese Vergangenheit leider immer wieder hervorbricht, wichtige Signale geben. Sie können gemeinsam einen wesentlichen Beitrag leisten, die Wunden der Vergangenheit zu heilen.“

Einer der maßgeblichen Autoren dieser EKD-Handreichung ist der Akademiedirektor der Friedrich Ebert-Stiftung in Berlin, Dr. Johannes Kandel, womit sich wieder die Kooperation zwischen EKD und SPD zeigt. Die Inssan Vorsitzende und der Insan Geschäftsführer sind ebenfalls Mitglied in der Berliner SPD.

4. Konsolidierung und wissenschaftlicher Flankenschutz

Die Vernetzung war vorangekommen und der Kontakt zum Open Society Institut der Open Society Foundation des Milliardärs George Soros zeigte sich nicht nur darin, dass die Open Society Foundation offiziell als „Unterstützer“ genannt wird, der Inssan „strukturell fördert“, was heißt vorrangig in der Vernetzungsarbeit, sondern auch in der Publikation (2010) einer Studie, die vom Open Society Institut finanziert wurde „Muslime in Berlin“ (auf Deutsch und Englisch). Anknüpfungspunkt zur Open Society Foundation ist ihr Selbstverständnis:

„Ein zentrales Anliegen des Open Society Institute (OSI) ist die Gleichwertigkeit und Chancengleichheit aller Menschen in einer offenen Gesellschaft. Ziel der Arbeit des OSI ist zum einen die Verringerung der Diskriminierung, insbesondere der Schäden, die Minderheiten durch diskriminierende Behandlung erfahren haben. Ein weiteres Ziel ist die Sicherung der Chancengleichheit für alle durch ihre Einbeziehung in Regierungsprogramme für soziale Integration.“

Die Feldarbeit und die Interviews für „Muslime in Berlin“ fanden bereits 2008 sowie 2009 statt und die leitende Wissenschaftlerin/Autorin ist Nina Mühe, Ethnologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kulturwissenschaft von Prof. Dr. Werner Schiffauer, Europa Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, dem im Vorwort ausdrücklich gedankt wird.

„Prof. Schiffauer unterstützte die OSI-Studie in Berlin Kreuzberg während der gesamten Forschungsdauer, er wirkte am Hintergrundbericht zu Deutschland mit und brachte bis zur Veröffentlichung des Berichts seine Erfahrungen und sein Wissen über Muslime in Deutschland ein. Seine Unterstützung war von unschätzbarem Wert.“

Wesentliche Teile des Berichts beruhen auf Interviews u. a. mit den Politikern Prof. Dr. Barbara John, erste Beauftragte für Integration in Berlin von 1981 bis 2003 (CDU), Berlin / Günter Piening, Beauftragter für Integration und Migration in Berlin seit 2003, Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Berlin.

Für muslimische Organisationen waren die Interviewpartner:
- Burhan Kesici, Generalsekretär des Islamrats der Bundesrepublik und stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Föderation von Berlin, Berlin
Imran Sagir, Vorsitzender der ortsansässigen Organisation Inssan e. V. und Vorstandsmitglied von DMK (Deutschsprachiger Muslim Kreis), Berlin
Lydia Nofal, Vorstandsmitglied von Inssan e. V.
Hakan Tosuner, Vorstandsmitglied der muslimischen Jugendorganisation MJD (Muslimische Jugend Deutschland), Berlin
Meho Travljanin, Bosnisches Islamisches Kulturzentrum, Berlin
Abdul Razzaque, Mitglied von IBMus und dem Urdu-sprachigen Moscheeverein Bilal-Moschee, Schulmediator in Charlottenburg, Berlin

Mit diesen Quellen überrascht es nicht, dass in diesem Bericht der Inssan e. V. und Freunde gut präsentiert wird. So heißt es als Beispiel:

„Auf der Ebene der Stadtverwaltung richtete Berlin im Jahr 2005 das Islamforum ein, welches viermal im Jahr den Vertretern der meisten muslimischen Vereine die Gelegenheit gibt, sich mit offiziellen Politikvertretern, wie dem Innensenator oder dem Integrationsbeauftragten und selbst Vertretern des Verfassungsschutzes zu treffen. Nach der Wahrnehmung sowohl der muslimischen Teilnehmer wie auch der Politikvertreter, die an dem Forum teilnehmen, hat dieses bereits sehr viel zum gegenseitigen Verständnis und Vertrauen beigetragen.
Inssan hat den Eindruck, dass die Kontakte möglicherweise dazu beigetragen haben, dass sich Lokalpolitiker für ihr Moschee-Bauprojekt in Charlottenburg-Wilmersdorf eingesetzt haben, obwohl das Projekt wie auch die Organisation zeitweise auf sehr viel Ablehnung bei einigen Politikern und in den lokalen Medien getroffen hätte. Der Innensenator hatte sogar einen offiziellen Brief an die Bezirksverwaltung von Charlottenburg geschrieben, in dem er bestätigte, dass Inssan die Integration der muslimischen Bewohner befördere und daher unterstützt werden solle. Dieser Brief stellte einen bedeutenden politischen Schritt dar, da Inssan in der Vergangenheit vom Verfassungsschutz beobachtet worden war.“

Auch hinsichtlich der Frage, ob die muslimischen Verbände überhaupt repräsentativ für die Muslime in Deutschland seien, bekommt Inssan das Wort (S. 143):

„Eine neuere Umfrage der Islamkonferenz über Muslime in Deutschland scheint die Aussage, dass muslimische Organisationen nicht die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime vertreten, zu stützen. Sie gibt an, dass weniger als ein Drittel der Befragten sich durch die Organisationen vertreten fühle, über die sie befragt wurden. Diese Ergebnisse werden jedoch von Interviewpartnern wie Lydia Nofal von Inssan bestritten. Sie bezeichnet diese als systematische Irreführung und Verfälschung, um die politische Abweisung und Ablehnung des Körperschaftsstatus für muslimische Organisationen zu stützen, da die Teilnehmer der Studie nur zu bestimmten Dachorganisationen befragt wurden. Einige dieser Dachorganisationen sind unter den Befragten kaum bekannt, während andere, bekannte Organisationen wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in der Umfrage gar nicht direkt genannt wurden. Begründet wurde dies dadurch, dass diese keine direkten Mitglieder der Islamkonferenz seien. (Bundesamt für Migration, Muslimisches Leben, S. 179.)“

Diese politischen Kontakte spielen einerseits eine Rolle, dass der Inssan e. V. vom Verfassungsschutz nicht mehr erwähnt wurde und somit nicht den Weg über die Gerichte gehen muss. Eine besondere Rolle dabei spielt andererseits auch der bereits erwähnte Ethnologe und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Werner Schiffauer.

Werner Schiffauer ist bzw. war (er ist inzwischen emeritiert) einer der einflussreichsten Islamforscher in Deutschland. Er war nicht nur Vorsitzender des Rates für Migration (einem Zusammenschluss von rund 170 Migrationsforschern), wissenschaftliche Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl waren nicht nur die bereits erwähnte Nina Mühe, deren Doktorvater er ist und die seit 2017 Projektkoordinatorin der CLAIM-Konferenz ist, sondern, als nur zweites Beispiel, Hakan Tosuner, Geschäftsführer des 2013 gegründeten „Avicenna-Studienwerk“ (Begabtenförderung für Muslime), der mehrere Jahre Mitglied der Muslimischen Jugend in Berlin und im Forum of European Muslim Youth and Student Organisations (FEMYSO) in Brüssel aktiv war.

Schiffauer hat bereits relativ früh seine Position gegenüber dem Verfassungsschutz im Migrationsreport 2006 unmissverständlich öffentlich vorgetragen:

„Als Mitherausgeber des Migrationsreports, der alle zwei Jahre erscheint, analysiert Schiffauer die Auswirkungen der präventiven Sicherheitspolitik auf Muslime. Neben eindeutig extremistischen Gruppen (‚Kalifatsstaat‘) werden auch Organisationen wie die Islamische Gemeinde Deutschlands und Milli Görüs vom Verfassungsschutz observiert, obwohl sich innerhalb dieser Verbände ein Richtungswechsel vollzogen habe, meint der Migrationsforscher. Nach eigener Aussage bekennt man sich zum Grundgesetz und distanziert sich von Gewalt. Nötig wäre es, diesen Anspruch sachlich zu überprüfen. Stattdessen werden Informationen in den veröffentlichten Verfassungsschutzberichten höchst selektiv wiedergegeben, kritisiert Schiffauer. So wird der Versuch dieser Gemeinden, in der Jugendarbeit islamisches Selbstbewusstsein zu fördern, als anti-integrationistisch verurteilt. Wenn jedoch in denselben Gemeinden gleichzeitig dafür geworben wird, die Kinder auf deutsche weiterführende Schulen zu schicken, bleibt dies in den Berichten unberücksichtigt. Widersprüchliche Aussagen werden nicht als Ausdruck innerer Auseinandersetzungen gewertet, sondern als Doppelzüngigkeit denunziert. Nach Ansicht Schiffauers spiegelt sich darin der Zwang wieder, mit der Aufnahme einer Organisation in den Verfassungsschutzbericht zugleich zeigen zu müssen, dass diese Aufnahme gerechtfertigt ist.“

Werner Schiffauer hat dann 2008 eine umstrittene Studie publiziert: „ Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş.“ Grundtenor ist, als Einleitung:

„Die Islamische Gemeinde Millî Görüş ist eine der umstrittensten Gemeinden des türkischen Islam in Deutschland. In den Verfassungsschutzberichten wird das Bild einer straff organisierten Gemeinde gezeichnet, deren Nahziel in der Errichtung eines Gottesstaats in der Türkei besteht und deren Fernziel die islamische Weltherrschaft ist. Für die Zwischenzeit werde die Etablierung ‚parallelgesellschaftlicher Strukturen‘ angestrebt, in denen das Gottesreich vorweggenommen werden soll. Eine sozio-historische Analyse der Gemeinde zeigt ein anderes Bild, nämlich das einer transnationalen Gemeinde von Arbeiter-Migranten, deren Beziehungen zur deutschen Gesellschaft, zur türkischen Gemeinde in der Migration und zum Herkunftsland eine komplexe Geschichte erfahren hat.“

Seine Hauptthese ist, dass mittlerweile eine Gruppe von Reformern nachgewachsen ist, und dass Milli Görüs in einer ähnlichen Entwicklung ist, wie die radikale deutsche Studentenbewegung (zu denen sich Schiffauer auch selber zählt) und die mittlerweile alles recht brave Bürger geworden sind. Seine Schlussbetrachtung ist:

„Was die weitere institutionelle Entwicklung der Millî Görüş Gemeinde betrifft sind zwei Szenarien denkbar: Das erste Szenario ist, dass die Reformer sich mit ihrem Versuch, ein wertekonservatives Programm innerhalb der Gesellschaft zu formulieren, durchsetzen. Dies böte die Chance einer Überwindung der nach wie vor vorhandenen islamistischen Positionen von innen. Es böte ebenfalls die Möglichkeit, dass die erheblichen Potenziale der Gemeinde an Selbstorganisation und Mobilisierung der Gläubigen für die Integration in die Gesellschaft genutzt werden. Das zweite Szenario ist, dass die Reformer scheitern: Dies würde bedeuten, dass die Gemeinde zerbricht. Die bildungsnahen Schichten würden sie verlassen und entweder sich resignativ zurückziehen oder sich radikalisieren. Die Restgemeinde würde sich wahrscheinlich zurückziehen und verkapseln. Der erhebliche Druck, der seitens der Politik im Augenblick auf die Millî Görüş ausgeübt wird, arbeitet im Sinn des zweiten Szenarios.  Den Reformern in der Gemeinde wird zur Zeit das Wasser abgegraben - und diejenigen in der Gemeinde, die ohnehin der Meinung sind, dass eine Öffnung gegenüber der Gesellschaft sich nicht auszahlt, fühlen sich bestätigt.“

Diese ‚schützende Hand‘ formuliert Werner Schiffauer dann später auch explizit in seinem Beitrag auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu „Handlungsempfehlungen zur Auseinandersetzung mit islamistischem Extremismus und Islamfeindlichkeit“ mit dem Titel: „Sicherheitswissen und Deradikalisierung“.
In diesem Text setzt er sich mit dem Verfassungsschutz und seinen Bewertungen auseinander. Er gesteht dem Verfassungsschutz zwar zu, dass der in Bezug auf seine Funktion (Informationsbeschaffung für politische Entscheidungen) korrekt „kategorial“ vorgeht und bewertet, aber weist ihn in die Schranken, da diese kategorialen Einordnungen an der Lebensrealität der Verbände vorbei gehe und nicht die Lebendigkeit und Differenziertheit der Organisationen erfassen können. Das können nur Wissenschaftler (wie er selbst) und er fordert die Politik auf, sich von den Empfehlungen des Verfassungsschutzes zu befreien (S. 241):

„Es geht […] um die politischen und gesellschaftlichen Instanzen, die den Dialog führen und die Deradikalisierungsarbeit tragen. Letztendlich sind sie gefordert, selbstbewusster als bisher mit dem vom Verfassungsschutz produzierten Wissen umzugehen. Damit würden sie letztlich den Gebrauch von diesem Wissen machen, der ursprünglich vorgesehen war. Es wäre zu diesem Zweck mehr als hilfreich, wenn der Verfassungsschutz selbst die Grenzen des von ihm produzierten Wissens deutlicher machen und die diesbezüglich bislang ausgeübte Zurückhaltung aufgeben würde.“

Der Inssan e. V. wird namentlich als eines der Beispiele der Opfer des Verfassungsschutzes genannt (S. 238/239):

„Dies ist bei weitem nicht die einzige Ablehnung, die mir vorliegt. In einer mir vorliegenden Mail von Peter Amsler an Lydia Nofal von INSSAN vom 26.10.2006 wird beklagt, dass eine geplante Veranstaltung in der Katholischen Akademie mangels Finanzierung durch das Bundesministerium des Inneren abgesagt werden müsste, wenn man auf der geplanten Einladung von INSSAN beharren würde:
‚Gestern rief uns Herr […] aus dem Bundesministerium des Innern an und teilte mit, dass einer Finanzierung der Veranstaltung nichts im Wege stünde, sofern wir bereit wären, INSSAN aus dem Programm zu nehmen. INSSAN werde vom BMI als eine islamistische Vereinigung angesehen, so dass das BMI eine Veranstaltung mit ihrer Beteiligung nicht finanzieren könne; ansonsten wäre die Politik des Hauses nicht stringent. Herr […] bat hier um Verständnis und sagte, dies sei Leitlinie des Ministeriums. Insofern bat er um Entschuldigung, dass es sich erst jetzt diesbezüglich melde, nachdem er noch einmal Rücksprache gehalten habe.‘
Diese Passage ist deshalb interessant, weil sie deutlich belegt, welche Bindungskraft das kategoriale Wissen produziert. Sie transformiert sich in die Policy eines Hauses, an die auch die Beamten gebunden sind, die persönlich den Sachverhalt anders bewerten. Andere, aus den gleichen Gründen abgelehnte Projekte waren „Dialogistan – Jugendliche für Menschenrechte“, bei dem INSSAN 2007 vom Berliner Entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrum (EPIZ) angesprochen wurde zu kooperieren, und das Projekt ‚Jugend gegen Gewalt‘, bei der das mit der IGMG verbundene Bildungs- und Interkulturelle Zentrum in Goslar ein Kooperationsprojekt mit der Polizei gegen Alltagsgewalt vorgeschlagen hatte.
Die Ablehnungen sind auch deshalb bemerkenswert, weil sie die Neutralisierung von Informationen zeigen, die nicht ins Bild passen.“

Diese ‚Flankendeckung‘ hat den gewünschten Erfolg und die öffentlichen Förderungen wurden nicht mehr abgelehnt.

Im Juni 2014 pointiert Schiffauer seine Position noch einmal: „Muslime in Deutschland: Verfassungsschutz als Reformbremser“ und spricht von „Gesinnungsschnüffelei“:

„Die zweite Generation brachte so scheinbar Unvereinbares zusammen: Nämlich die Orientierung an einem recht-geleiteten Islam und am Grundgesetz. Ihre postislamistische Suche führt zu einer intellektuell überzeugenden Antwort auf den Radikalislamismus und dessen Entgegensetzung von Westen und Islam.
Im Verfassungsschutz gab es immer wieder Mitarbeiter, die auf diese Entwicklungen hinwiesen. Sie wurden aus politischen Gründen ausgebremst. In den Berichten nach außen dominierte die Bewertung, diese Entwicklungen seien nur eine Fassade, die die eigentlich noch vorhandene islamistische Ausrichtung verschleiere. […]
Für die Schwerfälligkeit der Ämter zahlte die deutsche Gesellschaft einen hohen Preis. Dabei waren die Kosten für die Observation noch der geringste Teil. Wesentlich höher waren die politischen Kosten. Der Argwohn des Verfassungsschutzes führte dazu, dass den Reformanstrengungen der zweiten Generation immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden. Zahlreiche vielversprechende Projekte wurden vereitelt. Ein Gipfel an Absurdität war etwa, dass das Familienministerium der Initiative „Isl’amour Muslime gegen Zwangsheirat“ eine Förderung verweigerte, weil die Muslimische Jugend und Milli Görüs beteiligt waren – also genau die konservativen Gemeinden, die wegen ihres Familienbildes sonst immer kritisiert werden. Damit konnten sich innerhalb der muslimischen Organisationen genau die bestätigt fühlen, die derartige Öffnungsinitiativen ohnehin ablehnten.[…]
Die Beobachtung von Gruppierungen, von denen keine Gewalt ausgeht und die nicht zum Umsturz der Verfassung aufrufen, ist Gesinnungsschnüffelei. Der Verfassungsschutz sieht sich gern als ‚Verfassungs-TÜV‘ – er ist aber viel zu abhängig von der Politik, um diese Aufgabe bewältigen zu können. Wenn man überhaupt an dem Amt festhalten möchte, sollte es sich auf die Beobachtung gewaltbereiter Extremisten konzentrieren.“

2013 kann Prof. Werner Schiffauer – ebenfalls mit der finanziellen Unterstützung der Open Society Foundation im Rahmen des Network Turkey der Universität Oxford ausführlich zu einer Publikation beitragen: „Signale aus der Mehrheitsgesellschaft“ in der ausführlich der Verfassungsschutz als Integrationshemmnis dargestellt wird.
Der Einfluss von Prof. Werner Schiffauer reicht auch so weit, dass er – 2008 bis 2015 als Mitglied im Beirat der Stiftung Brandenburger Tor der Berliner Sparkasse – gutachterlich begründet, initiiert und durchsetzt, dass für das Stiftungsprojekt „Brücken im Kiez“ nicht nur Moscheevereine sondern auch die IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) sowie der Inssan e.V. Projektpartner vor Ort werden. 2015 beschloss die Stiftung, die Zusammenarbeit mit den Moscheevereinen zu beenden. Die IGMG und Inssan e.V. werden weiterhin als Partner genannt.

Das sind nur wenige Beispiele für die ‚Flankendeckung‘ durch wissenschaftliches Ansehen. Diese Beispiele lassen sich beliebig erweitern:
-  So gehört Prof. Werner Schiffauer (zusammen mit Prof. Iman Attia, Alice-Salomon Hochschule Berlin und Daniel Bax, die Tageszeitung, sowie Lydia Nofal, Inssan e.V., u. a.) zum Expertengremium der CLAIM- Allianz.
-  2013: „.. wie im Film? Muslimische Vielfalt in Berlin“, Filme und Gespräche, 02. März 2013: Museum für islamische Kunst im Pergamonmuseum, Gesprächsrunde: Moderation: Ferda Ataman (Mediendienst Integration), Samir Nasr (Regisseur) , Lydia Nofal (Vorsitzende INSSAN e.V.), Werner Schiffauer (Professor für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie, Europa-Universität Viadrina)
-  2016: Auf der Inssan-Fachtagung „Muslime machen das!“ (23.11.2016) stellt Prof. Schiffauer zusammen mit Fidel Barthold die Ergebnisse des Forschungsprojektes „So schaffen wir das“ vor.
-  2017: Berlin gegen Nazis: Tagung „Zuschreibung und Abwertung – Diskriminierung von muslimischen Menschen gemeinsam entgegentreten“ (Referenten am 5. April 2017 u. a. Werner SchiffauerLydia Nofal und Zeynep Cetin, Inssan, und Daniel Batz, taz).
-  2017: Kooperationstagung der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem muslimischen Avicenna Studienwerk „Demokratie unter Druck?“ (19.-21-05.2017). Referenten u.a. Prof. Werner Schiffauer (Vorsitzender des Rates für Migration), sowie Frau Lydia Nofal (Vorsitzende von Inssan e.V.)
-  2018: Professor Dr. Werner Schiffauer ist (nach seiner Emeritierung) für neun Monate als Mercator Senior Fellow an der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies zu Gast. Während seines Aufenthalts forscht er an dem Projekt „Die Islampolitik der deutschen Innenministerien – Ein Beitrag zur Anthropologie der Staatsapparate“.
-  2019: Schiffauer unterschreibt u. a. mit Inssan im Rahmen der CLAIM-Allianz einen Offenen Brief mit der Forderung einer Experteninnenkommission „Antimuslimischer Rassismus“. (19. Juni 2019)
- 2019: Open Petition für einen Beauftragten gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. (28.12.2019: Geänderter Text) Unterzeichner u. a. Werner Schiffauer und Nina Mühe.
-  2020: Teilnehmer der geschlossenen Fachtagung der Evangelischen Akademie Berlin (zusammen  mit u. a. Lydia Nofal, Inssan e.V.) „Innere Sicherheit und christlich-muslimischer Dialog. Herausforderungen, Erfahrungen, Zukunftsperspektiven.“ 14.02.2020,

6. Inssan-Projekte

Über die Finanzen, d. h. die Finanzierung des Inssan e. V. als Verein selber, ist bisher nirgendwo etwas publiziert worden. Der Anfängerfehler, bei den beiden versuchten Groß-Projekten der Kulturzentren/Moscheebauten öffentlich auf Spenden vor Ort und hohe Zuschüsse durch die Golfstaaten zu setzen, wurde nicht wiederholt. Insofern ist Inssan als Verein so gut wie unsichtbar und zeigt sich nur in seinen Projekten.

Nachdem 2009/2010 die Blockierungen durch den Verfassungsschutz beiseite geräumt worden waren, konnten auch die Projekte – mit staatlicher Förderung - beginnen.

Zum Beginn der Projektarbeit macht Inssan unterschiedliche Angaben. Auf der Seite zum Projekt Wegweiser heißt es: „Projektträger ist der gemeinnützige Verein Inssan (Mensch auf Arabisch), der seit 2001 Projekte in Berlin durchführt mit dem Ziel das Miteinander in unserer Stadt positiv zu prägen.“ Und im „Jahresbericht 2018“ heißt es, ebenso wie auf der Internetseite: „Seit 2002 in der sozialen Arbeit aktiv“. Der Verein wurde aber erst im Januar 2003 in das Vereinsregister eingetragen und 2010 gab es das erste realisierte Projekt.

Für die Projekte sind unterschiedliche Elemente konstituierend. Zum einen sind es innermuslimische Probleme mit Jugendlichen, an die - entsprechend kulturell-religiöser Einflussnahme - der Staat über die Schulen integrativ nicht mehr herankommt, und wo sich nun ein in der Ansprache moderneres muslimisches Projekt anstatt der Moscheen als ‚Sozialarbeiter‘ und ‚Prävention gegen Radikalisierung‘ anbietet.

Zum anderen ist es ein alt-bekanntes Prinzip: „Pars pro toto“ (Ein Teil steht – stellvertretend - für das Ganze). Es wird in den verschiedensten Kontexten genutzt, seien es die britischen Fischerei-Rechte in den Brexit-Verhandlungen wie auch bei den Diskriminierungsfällen gegen Muslime: Ein zwar bestehendes aber - von der Zahl her gesehen - Randphänomen wird zentralisiert und als ‚typisch für das Ganze‘ propagandistisch emotional aufgeladen (z. B. Kopftuchdebatte) und in einem ersten Schritt als ‚Diskriminierung von Muslimen‘ organisiert, im zweiten Schritt folgt dann der Schulterschluss mit anderen Organisationen, die das ebenfalls für sich propagieren, und es wird dann ein breiteres „Komitee gegen Antirassismus“ gebildet, das sich durch die Beteiligung der Jüdischen Gemeinde vom Vorwurf des Antisemitismus gegen ehemals vom Verfassungsschutz beobachtete, darin beteiligte islamistische Gruppen befreit. (Erstaunlich dabei ist zudem, dass der Begriff „Rasse“, den man im liberalen Deutschland zu überwinden geglaubt hatte, in „Rassismus“ wieder auflebt und implizit diejenigen, die diesen Begriff gebrauchen, sich selbst als „Rasse“ verstehen, was bei Muslimen allerdings mehr als verwunderlich ist. Auch das Konzept eines „Rassismus ohne Rassen“ vermag nicht zu überzeugen.) Und drittens erfreut sich Inssan und verbundene muslimische Organisationen der Unterstützung der großen christlichen, vor allem der evangelischen Kirchen, die tatkräftig und organisatorisch bereit sind, die muslimischen Organisationen mit ins ‚religiöse Boot‘ zu holen.

6.1. Das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (in Selbstdarstellung von Inssan)

“[…] wurde im August 2010 gegründet, um aktiv gegen Diskriminierung von Musliminnen und Muslimen in unserer Gesellschaft vorzugehen.
Das Projekt verfolgt einen Empowerment Ansatz. Ziel ist es, bei Betroffenen das Bewusstsein zu stärken, gleichberechtigte Bürger dieses Staates zu sein, und Ihnen Handlungsoptionen im Falle von Diskriminierung aufzuzeigen.
Wir gehen in die Moscheen und muslimischen Einrichtungen. Ausgehend von den Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bieten wir in den Veranstaltungen vor Ort Aufklärung über die rechtlichen Grundlagen, zeigen Handlungsoptionen auf und informieren über die bestehende Unterstützungs- und Beratungsinfrastruktur.“

Der Berliner Senat beschreibt das Projekt (Drucksache 18/16 203)  ähnlich, aber mit spezifischer Begründung der „Förderung der Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe“:

„Das geförderte Projekt ‚Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit‘ (Projektname bis 2013: ‚Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen‘) bildet Aktive in verschiedenen Moscheegemeinden in Fragen der Diskriminierung, der aktuellen Rechtslage nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) fort und unterstützt deren Vernetzung und gegenseitige Unterstützung. Darüber hinaus erfolgt eine (juristische) Erstberatung von Diskriminierungsbetroffenen und ggf. die Weitervermittlung an spezialisierte Beratungseinrichtungen. Das Projekt informiert über Diskriminierungen von Muslimen sowie über die Rechtslage und berät und stärkt Betroffene. Es leistet deshalb auch einen Beitrag zur Erhöhung des Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit und fördert die Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe.“

Allerdings steckt diese Aufklärungsarbeit in einem gewissen Dilemma der Unkenntnis der davon Betroffenen, von dem die Anthropologin Esra Özyürek berichtet, nachdem sie mit Aktivisten in Berlin darüber gesprochen hat:[13]

„Migrantische Muslime, insbesondere praktizierende, ergreifen solche entschiedenen Maßnahmen meines Erachtens deshalb seltener, weil sie sich bereits marginalisiert und entfremdet fühlen. Sie erwarten von der Mehrheitsgesellschaft so wenig, dass sie Ungerechtigkeiten gewöhnlich nicht als etwas erleben, das sich ändern oder beseitigen ließe. Die Erfahrungen eines Teams, das in Moscheen Seminare zur Sensibilisierung für Diskriminierung durchführt, zeigen dies sehr deutlich. Lydia Nofal, Inssan-Vorsitzende und Konvertitin, berichtete bei einer Vorstellung des ‚Trainings gegen Antisemitismus. Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit‘: ‚Wenn wir in Moscheen gehen und die Leute fragen, ob sie sich gesellschaftlich diskriminiert fühlen, sagen sie oft: Nein, werden wir nicht. Und wenn wir ihnen dann erklären, wie Diskriminierung funktioniert, sagen sie: Ach, wenn Sie das meinen, klar, das passiert uns ständig!‘ Ähnlich äußerte sich Safter Ḉinar vom Vorstand des Türkischen Bundes in Berlin, als wir uns über die Antidiskriminierungsarbeit seiner Organisation unterhielten.“

2019 sieht der Sprecher der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne, Walter Otte, in einem Interview bei Inssan zudem eine spezifische Opfer-Mentalität:

„Inssan e. V. ist eine Antidiskriminierungsstelle, die aus dem Haus des Justizsenators von der Landesstelle für Gleichstellung mitfinanziert wird, übrigens schon vor Senator Behrendt. Da fährt man seit Jahr und Tag auf der Schiene der Diskriminierung, sobald es um Personen mit Migrationshintergrund geht. Die betroffenen Personen und Verbände verstehen sich in der Regel als Opfer und verkaufen sich auch so. Das ist eine – bislang jedenfalls– erfolgreiche Masche, und ein ganz wesentlicher Teil der Linksliberalen fährt darauf ab und sieht Diskriminierung, wo keine existiert. Es wäre interessant, diese multikulturalistische Position einmal auf ihre inhaltliche Nähe zum rechtsextremen Ethnopluralismus abzuklopfen. Das Neutralitätsgesetz ist jedenfalls kein „Kopftuchverbot“, die betreffenden Frauen können außerhalb der Schule, wann und wo immer sie möchten, ein Kopftuch tragen.“

2020 heißt es unbeirrt: „Übergriffe auf Muslim*innen sind in ihrer Intensität deutlich ungehemmter“.

„Das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.) verzeichnet mit 265 Vorfällen für das Jahr 2019 einen besorgniserregenden Zustand in Berlin. Im Vergleich zum Jahr 2018 ist das ein Anstieg um 88 Vorfälle. […]
Von der Berliner Politik fordert Inssan e.V. den Ausbau der Beratungs- und Dokumentationsstelle und eine gesicherte Förderung der oft ehrenamtlich geleisteten Beratungsarbeit. Wir begrüßen ausdrücklich das Vorhaben der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung-gegen Diskriminierung zur Förderung eines Projektes zum Themenfeld „Beschwerdestrukturen und Empowerment gegen antimuslimischen Rassismus.“

Zeynep Çetin, Projektkoordinantion des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit/Inssan e. V., wird mit 28 Wochenstunden finanziert. (Drucksache 18/15 795)

Diese Zahlenangaben zur Diskriminierung sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten. (1) In Berlin leben nach Schätzungen zu den Religionen in Berlin 220.000 – 300.000 Muslime. Unter den von Inssan gemeldeten 265 Übergriffe sind, wie es im weiteren Text der Inssan-Meldung heißt, 225 aus religiösen Gründen. Das betrifft – was für die einzelnen Personen schwierig genug ist – allerdings nur 0,1 bis 0,08 Prozent der Muslime in Berlin. (2) Die gemeldeten Übergriffe sind in ihrer Qualität sehr unterschiedlich, von „Beleidigungen, Anfeindungen bis tätliche Angriffe“. (3) Die Subjektivität der Betroffenen und die tatsächliche Situation der Übergriffe ist daher nicht nachvollziehbar, (4) Wer mehr fragt – 2019 wurde die Online-Meldemöglichkeit erstmals eingeführt – wird auch mehr Antworten bekommen, d. h. beruht der Anstieg der Meldungen (2016: 110, 2017: 115, 201: 176, 2019: 265) tatsächlich auf mehr Übergriffen, oder auf einer Erweiterung der Meldungsmöglichkeiten? Falls das zutrifft, wären das Elemente einer (im wahrsten Sinne des Wortes) Meinungs-mache.

Generell ist die Datenlage zu Diskriminierungen in Deutschland sehr dürftig und die Bedeutung der Diskriminierung wegen der Religion ist nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auch 2019 nicht vorrangiges Diskriminierungsmerkmal.

„Die Zahl der Beratungsanfragen zu Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft bzw. rassistischen Zuschreibungen stieg 2019 um knapp zehn Prozent auf 1176 Fälle oder 33 % aller Anfragen bei der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle. […] Neben der Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft verteilen sich die Anfragen auf die anderen im Allgemeinen Gleichbehandlungs-gesetz (AGG) geschützten Diskriminierungsmerkmale wie folgt: Zu Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts gingen 29 % der Beschwerden ein. Es folgen Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung (26 %), des Lebensalters (12 %), der Religion (7 %), der sexuellen Identität (4 %) und der Weltanschauung (2 %). Der größte Anteil der berichteten Diskriminierungen geschieht im Arbeitsleben: 36 % der Anfragen bezogen sich 2019 auf Benachteiligungen im Beruf oder bei der Jobsuche. Am zweithäufigsten (26 %) ging es um Diskriminierung bei Alltagsgeschäften, also bei der Wohnungssuche, beim Einkauf, in der Gastronomie oder bei Versicherungs- und Bankgeschäften.“

Finanziert wurde das Projekt „zunächst für zwei Jahre zu einem Drittel von den in London ansässigen und vom Fondsmanager und Philanthropen Georges Soros gegründeten Open Society Foundations (OSF) sowie zu zwei Dritteln aus dem Haushalt des Senats von Berlin. Seit 2015 wird das Netzwerk von der Landesstelle für Gleichbehandlung − gegen Diskriminierung der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung mitgetragen.“[14]  Genauere Zahlen finden sich gelegentlich in Anfragen im Berliner Abgeordnetenhaus, wie in der Drucksache 18/15 483. Von der Open Society Foundation waren es (2011) 38.000 Euro, (2012) 29.622,21 und (2013) 32.472,90 Euro. 2015 waren es, laut der Anfrage 18/15 795  100.000 US$. Der Berliner Senat überwies (laut Drucksache 18/13 944) im Rahmen des Landesprogramms „Demokratie. Vielfalt. Respekt. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ in den Jahren 2010: Euro 26.799,-  / 2011: 22.509,- / 2012: 34.210,- / 2013: 32.915,- / 2014: 35.756,- / 2015: 45.461,- / 2016: 54.081,- / 2017: 60.879, / 2018: 78.729,-. (Die Zahlenabgaben wurden teilweise aufgrund der Angaben in der Zuwendungsdatenbank korrigiert.)

Der Vollständigkeit halber, und auch zur Erläuterung der Eingangsbemerkung, dass man sich bei der Islam-Thematik auf „verminten Gelände“ bewege, sei erwähnt, dass es im gleichen Zeitraum (Sommer 2010), als sich das Inssan-Netzwerk gründete, einen Workshop der Berlin GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) gegeben hat, der sich (laut FAZ: „Das Gift der muslimischen Intoleranz“) mit dem „seit Jahren schwelenden Konflikt überbordender, häufig gewalttätiger Intoleranz an Schulen mit einem hohen Anteil ab muslimischen Schülern“ beschäftigte. Dieser Workshop basierte auf einem Artikel in der „Berliner Lehrerzeitung“ 2009. Der Bericht hat den Titel: „Deutschenfeindlichkeit in Schulen – Über die Ursachen einer zunehmenden Tendenz unter türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen“ und ist nicht mehr auffindbar. In dem FAZ-Bericht heißt es zu den Erfahrungen eines Lehrers, wie die Thematik „abgewiegelt wird“:

„Der Hauptschullehrer Wolfgang Schenk etwa, einst Sprecher der Alternativen Liste, hat einschlägige Erfahrungen sammeln müssen, wie Gewerkschaft und Schulbehörde ihn abwiegelten, wenn er sich wegen frauenfeindlicher Übergriffe auf Lehrerinnen oder Beschimpfungen wie „Nazi“, „Schlampen“, „Rassist“ oder der drohenden Zwangsverheiratung einer Schülerin an sie wandte. Man bedeutete ihm, sich ruhig zu verhalten, um den Rechtsradikalen keine Vorlage zu liefern. Diese erbarmungslose Ignoranz wird durchgehalten bis heute. Schon in den frühen neunziger Jahren habe sich der Einfluss der Islamverbände und bestimmter Moscheevereine bemerkbar gemacht, deren antiwestliche, antidemokratische Ressentiments inzwischen das Klima an vielen Schulen immer erfolgreicher vergifteten, sagt Schenk. Die ‚Deutschenfeindlichkeit‘ sei tatsächlich nur eines von vielen Ausgrenzungsphänomenen.“

Die GEW selber hat auf der Landesdelegiertenversammlung einen Monat später (02.-03.11.2010) solidarisch erklärt und beschlossen, dass sie den „wachsenden antimuslimischen Rassismus“ verurteile und den Begriff der Deutschenfeindlichkeit ablehnt: Die GEW BERLIN “ - verurteilt den wachsenden antimuslimischen Rassismus / - tritt ein für die positive und negative Religionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz und in der Deklaration der Menschenrechte garantiert werden / - lehnt die Verwendung des Begriffs Deutschenfeindlichkeit ab, der von Rechtspopulisten als Kampfbegriff gegen das Wort Ausländerfeindlichkeit erfunden wurde und die soziale Realität demagogisch verdreht.“

Damit war ein weiterer Schutzschirm gesetzt: Wer über Integrationsprobleme mit Verbindung zum Islam/Muslimen berichtet, ist ein demagogischer „Rechtspopulist“.

6.2. Wegweiser: Mentor_innen für Flüchtlinge  (Anfang 2016)

“[…] ist ein Projekt, das aktiv die Flüchtlingsarbeit von Ehrenamtlichen gestaltet. Das Mentoringprogramm wurde entwickelt, um junge Erwachsene (17 bis 30 Jahre) mit Zuwanderungsgeschichte für das Bürgerschaftliche Engagement für Geflüchtete zu begeistern und dabei zu begleiten.
Die Mentoren im Projekt durchlaufen eine Ausbildung (1 Workshop und monatliche Coachings), in dem sie auf ihre Aufgaben vorbereitet und gestärkt werden. Gemeinsam planen und setzen die Mentoren mit den Geflüchteten von Einrichtungen (wie Notunterkünfte und Wohnheimen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) Aktionen durch, die einen Mehrwert für die gesamten Bewohner der Einrichtungen haben sollen.“

Über die Anzahl der Ausgebildeten werden selten Zahlen genannt. Von Anfang 2015 bis Ende 2016 haben (nach dem Wegweiser-Jahresbericht 2016) ca. 30 Freiwillige die Mentoring-Ausbildung durchlaufen. Die Projektleitung hat Natalia Amina Loinaz.

Projektpartner sind zwei Organisationen, die durch die Vorstandvorsitzende persönlich mit Inssan verbunden sind (der ZDM (Zentralrat der Muslime) und das JUMA-Projekt der RAA Berlin) sowie die Robert‐Bosch‐Stiftung. Finanziert und unterstützt wird das Projekt zum einen durch den Paritätischen Wohlfahrtverband über das Programm „Koordinierung, Qualifizierung und Förderung des ehrenamtlichen Engagements für Flüchtlinge“ der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und zum anderen durch das „Partizipations- und Integrationsprogramm“ (PartInt) des Beauftragten des Senats Berlin für Integration und Migration.

Im „Abschlussbericht Programmdialog“ werden für dieses Inssan Projekt als Ansätze genannt: 2016: Euro 42.219 und für 2017: Euro 42.219. Der Berliner Senat finanzierte das Projekt ebenfalls, (lt. Drucksache 18/13 944) mit: in 2016: 53.263,40 / 2017: 53.263,40 / 2018: 55.000,- / 2019: 55.000,-.

Laut BT-Drucksache 18/13658  wurde aus dem Programm „Demokratie leben!“ (2018) ein Betrag von 95.947 Euro ausgezahlt.

6.3. ASMA „Aktive Stärkung Muslimischer Akteur*innen“ (2016/2017)

“[…] umfasst das Angebot eines Leadership-Programmes für muslimische Akteur*innen und offene Austausch- und Qualifizierungsformate, wie das Netzwerk muslimischer Akteure in der sozialen und Gemeindearbeit, dass bereits seit 2016 innerhalb des Wegweiser Projektes entstanden ist. Die Erkenntnisse aus unserer Arbeit möchten wir im neuen Projekt ASMA vertiefen und durch die Ausbildung von Community-Leader*innen nachhaltig in den muslimischen Organisationen wirken. Durch die Förderung eines organisierten und auf Nachhaltigkeit angelegten Engagement stärken wir die Akteure und damit auch ihre Organisationen.“

Schulungen: Neue Medienmacher (Daniel Bax, u.a.) , Finanzierung: House of Ressources.

6.4. „Muslime machen das - Netzwerk muslimischer Akteure in der Integration“. (2016-2022)

Im Rahmen des Projekts „Wegweiser“ gibt es dieses Unterprojekt: Dazu schreibt das House of Resources:

„Das Projekt ‚Muslime machen das‘ hatte zum Ziel, das große Engagement muslimischer Organisationen in der Arbeit mit Geflüchteten sichtbar zu machen, indem es ein Netzwerk aus muslimischen Organisationen in Berlin in ihrer Öffentlichkeitsarbeit professionalisiert. Hierzu fand eine Fortbildung zum Verfassen von Newslettern und zur Konzeption eines gemeinsamen Newsletters statt, der im November 2017 zum ersten Mal erschien. Am gemeinsamen Newsletter beteiligen sind neben Inssan auch Islamic Relief, der Zentralrat der Muslime in Deutschland und JUMA (Jung, Muslimisch, Aktiv).“

Finanzierung durch das House of Resources (HoR). Seit 2016 Projektförderung durch das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat. Seit 2019 (bis 2022) wird es vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanziert.

6.5. „Nicht ohne meinen Glauben. (2017-2019)

„Für uns bei Inssan e.V. ist es seit Jahren ein Anliegen gegen Diskriminierung und Rassismus vorzugehen. Mit unserem neuen Projekt werden wir dieselbe Aufgabe mit erweitertem Werkzeug angehen. Dabei geht es sowohl um die Sensibilisierung der Mehrheitsgesellschaft, als auch um das Empowerment der muslimischen Communities.“

Projektleiterin war May Zeidani Yufanyi. Laut Bundestagsdrucksache 19/1012 wurden aus dem Programm „Demokratie leben -  Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit / Unterbereich: Rassismus und rassistische Diskriminierung“ für 2017 ein Betrag von 101.709,76 Euro bewilligt.

Projektpartner ist das Jüdische Museum Berlin, das am 23. Mai 2017, zusammen mit Inssan, in die W. Michael Blumenthal Akademie einlädt.
Impulsreferat: Ozan Keskinkılıç, Alice Salomon Hochschule Berlin. Podium: Eren Ünsal, Leiterin der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS), Dr. Aleksandra Lewicki, Berlin Graduate SRabchool Muslim Cultures and Societies, Freie Universität Berlin, Daniel Bax, Leiter Themengebiet Migration und Integration der taz, Mohamad Hajjaj, Geschäftsführer von Inssan e.V.; Moderation: Zeynep Çetin, Leiterin des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit des Inssan e. V.

Dies ist nur eine von mehreren Kooperationen zwischen dem muslimischen Verein Inssan und jüdischen Organisationen, seien es die Fußballspiele Rabbiner gegen Imame oder das gemeinsame Fahrradfahren von Rabbinern und Imamen u. a. m.

Prof. Bassam Tibi, aus Syrien zugewandert und liberaler Muslim, warnt sehr eindringlich vor solchen Kooperationen:[15]

„Propagandistisch setzen Islamisten den Antiislamismus mit dem Antisemitismus gleich. Ignatz Bubis, dem ich sehr verbunden war, schrieb mir einmal, um Rat bittend, nachdem Islamisten an ihn herangetreten waren, um ihn für die Bildung eines jüdisch-islamischen Bündnis zu gewinnen. Der kluge Bubis war weniger blauäugig als viele seiner Mitbürger und ließ einen Mitarbeiter recherchieren, der prompt den Namen jener Gruppe im Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz entdeckte. Bubis verstand die Welt nicht mehr und bat mich als liberalen Muslim und Dialogpartner um Klärung. Ich habe ihm erläutert, wie die Islamisten Europa als Hinterland instrumentalisieren und islamische Zuwanderung für sich missbrauchen, wollen sie durch ein Scheinbündnis auch die jüdische Gemeinde für sich nutzen. Dies können sie erreichen, wenn es gelingen sollte, die falsche Parallele Antisemitismus/Antiislamismus durchzusetzen.
In Vorahnung der Gleichsetzung von Antisemitismus und Antiislamismus riet ich Bubis, von einer Unterstützung der Islamisten Abstand zu nehmen, und er befolgte diesen Rat. Denn wären die Islamisten erfolgreich , eine solche Koalition zu schließen, dann könnte keiner auch nur ein Wort gegen sie sagen und keine Behörde in Europa gegen sie handeln.“

Auch der Psychologe und Autor Ahmad Mansour warnt hinsichtlich „Meet2respect“ (gemeinsames Fahrradfahren von Rabbinern und Imamen) vor einer Gefahr der Instrumentalisierung:

„Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour etwa warnte: ‚Die jüdische Gemeinschaft darf nicht so naiv sein und sich von solchen Initiativen instrumentalisieren lassen.‘ Anlass für die Warnung war die Teilnahme Mohamed Taha ­Sabris, des Imams der Neuköllner Begegnungsstätte (NBS), und Khaled al-Seddiqs, des Imams des Interkulturellen Zentrums für Dialog und Bildung e. V. (IZDB), an der Tandemfahrt. Beide Moscheen werden wegen ihrer Verbindungen zur islamistischen Muslimbruderschaft im Berliner Verfassungsschutzbericht genannt. Im vergangenen Jahr wurde ein Foto öffentlich bekannt, auf dem Sabri die rechte Hand mit ausgestreckten Fingern und eingeklapptem Daumen hochhält. Diese sogenannte Rabia-Geste gilt seit dem Massaker an Muslimbrüdern vor der Rabi’a-al-Adawiya-Moschee in Kairo vom 14. August 2013 als Erkennungszeichen der Muslimbruderschaft.“

6.6 „Ummah Intersektional“ (2018)

„Ein Projekt von Inssan e.V., dessen Ziel ist, muslimischen LGBTQ*I Lebenserfahrungen einen Raum zugeben, sowohl in Form von Safe(er) Space als auch Thematisierung innerhalb der muslimischen Communitys. Es ist mit der Hoffnung entstanden, eine empowernde Community bei ihrer Entstehung zeitlich/räumlich/personell/finanziell zu unterstützen, die auch allein und ohne die Stützräder des Projekts weiter existieren kann, und in Berlin bis jetzt in dieser Form nicht auffindbar ist.“

Treffen einmal im Monat.

6.7. „Manara – Leuchtturm“ (2019 ff.)

„In dem Projekt geht es um die Ausbildung von Multiplikator*innen zum Thema Flucht, Migration und Erinnerungskultur, mit dem Ziel der Förderung und Stärkung des Rechts- und Demokratieverständnisses von jungen Erwachsenen mit Fluchterfahrung oder Migrationshintergrund.  Die Teilnehmer setzen sich aus ihren eigenen Lebenswelten und Erfahrungen heraus, intensiv mit den Themenschwerpunkten: Nationalsozialismus, Antisemitismus, Antidiskriminierung und Erinnerungskultur auseinander und sollen ihr erworbenes Wissen als selbstständige, ausgebildete Multiplikator*innen innerhalb ihrer Communities weitervermitteln.“

Finanzierung durch das Förderprogramm: Migration und Erinnerungskultur 2018 der Stiftung EVZ- Erinnerung, Verantwortung, Zukunft.

Allen diesen Projekten ist gemeinsam, dass sie vollständig von einer öffentlichen Finanzierung abhängig sind und es Inssan bisher noch nicht vermocht hat, Eigenkapital aufzubauen.

Die Finanzierungssummen sind jedoch nur ‚Brösel‘ von verschiedenen ‚großen Kuchen‘. Entsprechend den Angaben in der Bundestagsdrucksache 19/1012 sind zur „Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ sowie für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ zusammen (2015) 78 Mio. Euro (78.419.227), für 2016 sind 99 Mio. Euro (98.552.306) und für 2017 sind 200 Mio. Euro (200.320.537) eingeplant.

„Für Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie (Kapitel 1702 Titel 684 04) waren im Bundeshaushalt für 2015 40 500 000 Euro, für 2016 50 500 000 Euro und für 2017 104 500 000 Euro eingeplant. Die Entwicklung der Höhe der jeweils zur Verfügung stehenden Mittel ist begründet durch die Entscheidungen des Haushaltsgesetzgebers. Die Gesamtausgaben im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ betrugen 37 919 227 Euro (2015), 48 052 306 Euro (2016) und 95 820 537 Euro (2017).“

Die Steigerungsraten sind deutlich und mit den richtigen Kontakten sowie einem gefälligen Projektkonzept sind 50. – 100.00 Euro auch für kleinere Vereine in überschaubarer Reichweite.

Weitere Projekte, mit denen Inssan direkt etwas zu tun hat, bei denen der Verein selbst aber nicht als Projektträger auftritt, veranschaulichen das Verwirrspiel „Wer fördert wen oder was?“.

6.8. Muslimisches SeelsorgeTelefon (MuTes).

Dazu heißt es in der Drucksache 18/10104:

„Seit 2009 existiert in Berlin das Muslimische Seelsorgetelefon (MuTeS). Alleiniger Träger ist der IRD [Islamic Relief Deutschland]. Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. und der Caritasverband des Erzbistums Berlins e.V. sind die beiden Kooperationspartner der Umsetzung des Muslimischen Seelsorgetelefons. Die konkrete Zusammenarbeit wird durch die Kirchliche Telefonseelsorge Berlin gestaltet.“

Die Verbindung zum Inssan e. V. besteht u. a. darin, dass die treibende Kraft hinter diesem Projekt der seinerzeitige Inssan e. V.-Vorstand (2007-2012) Mohammad Imran Sagir ist, der seit dem 1.12.2008 Geschäftsführer des MuTes ist.

Laut Drucksache 18/15738 fand die Gründungsfeier des Muslimischen SeelsorgeTelefons am 2. September 2009 im Berliner Rathaus statt. „Das Muslimische SeelsorgeTelefon wird auf Beschluss des Abgeordnetenhauses zum Doppelhaushalt 2016/17 seit 2016 mit jährlich rd. 150.000 € gefördert. Für das Jahr 2018 wurden 143.000 € beantragt und mit Zuwendungsbescheid bewilligt.“

Die Ausbildung und Fortbildung der MitarbeiterInnen des Muslimischen SeelsorgeTelefons (die es aus markenrechtlichen Gründen nicht Telefonseelsorge nennen dürfen) erfolgt durch die Kirchliche (Evangelische und Katholische) Telefonseelsorge.

6.9. Juma – Jung, muslimisch, aktiv.

2010 auf Initiative der damaligen Referentin des Innensenators Körtning (SPD) und aktuellen Staatssekretärin beim Regierenden Bürgermeister, Sawsan Chebli und anderer Muslime (SPD) gegründet, ist offiziell ein Projekt der RAA (Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie e. V.) und wird von der bei der RAA angestellten Lydia Nofal, damals wie aktuell Inssan-Vorstand, als Projektkoordinatorin neben Kofi Ohene-Dokyi als Projektleiter organisiert.

Auf der JUMA-Internetseite wird erläutert. dass das JUMA-Projekt von ihr „gesteuert“ wurde:

„Zwischen 2010 und 2014 war Sawsan Chebli Grundsatzreferentin im Stab der Senatsverwaltung für Inneres und Sport in Berlin. Hier arbeitete sie eng mit dem jeweiligen Senatoren für Inneres und Sport, Herrn Ehrhart Körting und später Frank Henkel, zu den Themen Islam, interreligiöser Dialog und Integration zusammen. Sawsan Chebli hat das JUMA‐Projekt entwickelt. Für die Senatsverwaltung für Inneres und Sport steuerte sie gemeinsam mit der RAA das Projekt.“

Das Projekt wurde von Sawsan Chebli auch selber auf dem 11. Berliner Präventionstag (2012) vorgestellt:

„Das JUMA-Projekt wurde im Dezember 2010 von der Autorin (Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport) ins Leben gerufen und wird vom Bundesfamilienministerium aus dem Bundesprogramm „Initiative Demokratie starken“ finanziell gefordert. JUMA steht für jung, muslimisch, aktiv. […]
Das Projekt verfolgt zwei Ziele: Erstens geht es darum, muslimischen Jugendlichen eine Stimme zu geben. Sie sollen sich frei darüber austauschen, welche Fragen sie bewegen, was sie von der Politik erwarten und wo sie Defizite, aber auch Chancen sehen. Ein weiteres zentrales Ziel des Projekts ist es, dass muslimische Jugendliche Verantwortung übernehmen und unsere Gesellschaft mitgestalten. JUMA will bei muslimischen Jugendlichen das Interesse an Demokratieerfahrung starken und den Jugendlichen die Möglichkeit bieten, ihre Einstellungen, Meinungen und Positionen in der politischen und medialen Öffentlichkeit zu artikulieren. […] Direkte Zielgruppe des JUMA - Projekts sind muslimische Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren, die sich vor allem über ihre islamische Identität identifizieren. Die Auswahl der Jugendlichen erfolgt u.a. über Moscheevereine, islamische Jugendorganisationen oder Migrantenorganisationen, die sich der Arbeit mit muslimischen Jugendlichen widmen. Bisher nehmen ca. 100 muslimische Jugendliche aus Berlin regelmäßig an den Veranstaltungen des JUMA - Projektes teil.“

In einem Interview berichtet Lydia Nofal unter dem Zitat als Überschrift: „Wenn der Islam Teil Deiner Identität ist, bist Du bei uns richtig!“, was ‚hinter Juma steckt‘:

„JUMA ist eine Plattform, in der sich junge Muslim_innen einbringen können, die sich gesellschaftlich engagieren und mitgestalten wollen. Wir sagen immer, wenn ihr euch angesprochen fühlt, wenn über Muslim_innen und Islam in Deutschland geredet wird, wenn ihr mitreden wollt, euch aber nicht gehört fühlt, dann seid ihr bei uns richtig. Es geht bei uns nicht darum, wie jemand seine Religion lebt. Wir wenden uns an alle, die den Islam als Teil ihrer Identität begreifen und zwischen 16 und 25 Jahren alt sind.“

Juma ist nun aber nicht nur die Abkürzung für „Jung, muslimisch, aktiv“ auf Deutsch, sondern stammt aus dem Arabischen. An einer Stelle heißt es, Juma heiße auf Arabisch das „Freitagstreffen“, an anderer Stelle nennt Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) schon ansatzweise den richtigen Begriff, es sei Arabisch für das „Freitagsgebet“. („Im ‚Juma‘ Projekt, das ich ins Leben gerufen habe (‚Juma‘ steht für das Freitagsgebet, aber auch für ‚jung, muslimisch, aktiv‘), tragen neunzig Prozent der Mädchen ein Kopftuch.“
Das ist allerdings auch noch etwas untertrieben, da Juma das große Gebetsritual ist, das am Freitag während des für alle männlichen Muslime verpflichteten Moscheebesuch zelebriert wird. So schreibt Farid Suleiman von der Universität Erlangen-Nürnberg im Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht über das Freitagsgebet:[16]

„Im Heiligen Koran und in den Ahadith ist die Wichtigkeit und Besonderheit des Juma betont worden. An diesem Tag zu beten und Allahs zu gedenken ist eine Möglichkeit besondere Segnungen zu erhalten. Die Zeit des Juma-Gebets ist dieselbe wie die des Sohr-Gebets. Das Juma-Gebet ist Pflicht für alle männlichen, erwachsenen Muslime, selbst wenn sie nur zu zweit sein sollten. […]
Wie das Juma-Gebet verrichtet wird: Sobald die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel überschritten hat, wird Asan (der erste von zweien, was eine Besonderheit des Juma-Gebets ist) gerufen. Jetzt ist die Zeit, die zum Juma gehörenden Sunna-Gebete zu verrichten. Bevor der Imam dann zur Khutba (Predigt) aufsteht, wird der zweite Asan gerufen. Anschließend erhebt sich der Imam und rezitiert das folgende Gebet sowie gleich daran anschließend die Sure AL-FATEHA.“
Das F[reitagsgebet] ist Pflicht für jeden erwachsenen, männlichen, freien, zurechnungsfähigen, ortsansässigen (d. h. nicht-reisenden) Muslim, der sich nicht weiter als knapp sechs Kilometer vom Ort des F[reitagsgebets] befindet. Nach einem Prophetenwort versiegelt Gott das Herz desjenigen, der das F[reitagsgebet] aus Geringschätzung drei Mal in Folge unterlässt. Frauen u. Kindern ist die Teilnahme freigestellt.
Zurückgeführt wird diese Pflicht auf die in Medina verkündete Sure 62 des Korans mit dem Titel ‚Der Freitag‘.“

Der Orientalist Stefan Wild verweist zudem facettenreif auf den Freitag „als besonderen islamischen Tag“[17] hin, mit dem eine ganze Reihe verschiedener Handlungen am Vorabend bzw. am Freitag als besonders gesegnet galten, u. a. die große rituelle Waschung vor dem Gebet, sich die Nägel zu schneiden und den Bart zu trimmen. „Auch der Geschlechtsverehr am Vorabend des Gebets war besonders segensreich.“

Auf der Jahrestagung der AK Muslime in der SPD 2017 wird auch das JUMA-Projekt vorgestellt:

„Auf die Grußworte folgten drei inhaltliche Impulse. Zunächst sprach Mehmet Senel, Landesprojektkoordinator von „Hessische Muslime für Demokratie und Vielfalt“ (HMDV). Er stellte das Projekt HMDV vor und erläuterte dabei Chancen und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen, insbesondere mit den Religionsverbänden. Daraufhin stellte Loubna Doudouh das Projekt JUMA – „Jung – Muslimisch – Aktiv“ vor. Sie hob hervor, dass JUMA ein Ort gelebter religiöser und kultureller Vielfalt sei. Dabei seien besonders Offenheit, Respekt und Toleranz wichtig. Ziel des Projektes sei das Empowerment muslimischer Jugendlicher.“

Kein Wort von „Islam als Teil der Identität“ sondern „gelebte religiöse Vielfalt“.

Ist es ein Widerspruch, wenn einerseits eine Organisation der freien Jugendhilfe, wie JUMA, junge Frauen motiviert und darin bestärkt („Empowerment“) ihren muslimischen Glauben öffentlich zu bekennen in dem sie u. a. Kopftücher tragen? Andererseits sind die beiden treibenden Kräfte für JUMA, die Staatssekretärin Sawsan Chebli und die Projektkoordinatorin Lydia Nofal beide ausdrücklich gläubige Musliminnen, tragen aber beide kein Kopftuch – Frau Chebli, weil man mit einem Kopftuch keine Karriere machen könne, und Frau Nofal, weil sie nicht angestarrt werden möchte. Von den Mädchen im JUMA-Projekt wird jedoch offensichtlich implizit erwartet – wenn 9 von 10 das tun -, dass sie ein Kopftuch tragen, d. h. dass sie angestarrt und keine Karriere machen werden?
Das klingt eher nach bewusster Instrumentalisierung und Ausgrenzung. Es wäre kein Widerspruch, wenn die Absicht darin liegt, zukünftige Funktionärinnen aufzubauen, die in einem muslimischen ‚Innenbereich‘ verbleiben – außerhalb des säkularen Mainstreams der Gesellschaft -, wo sie unter sich bleiben, also nicht angestarrt werden, und in diesen randständigen Organisationen Karriere machen? Insofern ist zu fragen, ob das JUMA-Projekt etwas zur Integration beiträgt und nicht eher eine explizite Missionierung und Ausgrenzung darstellt?

Dieses JUMA-Projekt fällt zudem in eine Situation, in der in der Studie (2016) „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ festgestellt wird, dass die Jüngeren einerseits seltener in einen Moschee gehen und seltener beten, aber andererseits eine höhere Selbsteinschätzung ihrer Religiosität äußern als die Älteren. Ist es „ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft“?

„Die Muster der Balance zwischen Anpassungsbereitschaft und Selbstbehauptung wiederholen sich, wenn es um die Religiosität der Türkeistämmigen in Deutschland geht. Auf der einen Seite erweist sich im Hinblick auf die traditionelle religiöse Praxis die zweite/dritte Generation als weniger aktiv als die erste Generation. So besucht die zweite/dritte Generation weniger häufig die Moschee als die erste Generation (23 vs. 32 % wöchentlich oder öfter) und bekundet auch deutlich seltener, mehrmals am Tag das persönliche Gebet zu verrichten (35 vs. 55 %). Auf der anderen Seite schätzt sich die zweite/dritte Generation als religiöser ein als die erste Generation (72 % vs. 62 % „tief“, „sehr“ bzw. „eher“ Religiöse). Möglicherweise spiegeln die Antworten auf diese Frage weniger die ‚tatsächlich gelebte‘ Religiosität wider als vielmehr ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft.“

Der große Veranstaltungssaal im ‚Roten Rathaus‘ in Berlin (dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters / im Range eines Ministerpräsidenten) wird für JUMA-Veranstaltungen kostenlos zur Verfügung gestellt.

Nach Angaben der Robert-Bosch-Stiftung zu den Teilnehmerzahlen heißt es: „In enger Zusammenarbeit mit Moscheen und islamischen Organisationen werden zwischen April 2014 und April 2016 rund 100 Jugendliche zu Multiplikatoren und ‚Brückenbauern‘ ihrer Gemeinden geschult.“ Das sind 50 Jugendliche pro Jahr.
Die Finanzierung bleibt unklar, da die Robert-Bosch-Stiftung auf Anfrage keine Auskunft gibt und auf die Leitung des JUMA-Projektes verweist, von der aber, auf Anfrage, keine Antwort oder Auskunft erfolgte.

6.10. CLAIM-Allianz.

Im Juni 2018 gegründet, mit (Stand April 2020) 38 Mitgliedsorganisationen. Der Name trägt im rechten Teil die Anfangsbuchstaben der „Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“ in sich. Und das CL? Wie mir auf Anfrage gesagt wurde, hat „das CL keine Funktion als Akronym. Der Name ist unter anderem gewählt worden, weil er international verwendbar ist und für ein selbstbewusstes Eintreten für unsere Ziele steht.“

Im Haus der Bundespressekonferenz am 26. Juni 2018 vorgestellt. Die Teilnehmer auf dem Podium werden nicht in der Sitzfolge (v.l.n.r.) genannt, sondern entsprechend ihrer Wichtigkeit: Thomas Heppener (Leiter des Referats „Demokratie und Vielfalt“, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), Nina Mühe (Projektverantwortliche CLAIM), Zeynep Cetin (Inssan e.V. - Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit) und Eva Andrades (TBB-Türkischer Bund-Brandenburg Projekt ADNB).
Das Bemerkenswerte ist nicht allein, dass ein zuständiger Ministerialbeamter mit auf dem Podium sitzt, sondern, dass es ein Referatsleiter ist. Thomas Heppener (Jahrgang 1966) leitet Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau und Jugend (BMFSFJ) das Referat 102 „Demokratieförderung“ und ist damit auch zuständig für das Programm „Demokratie leben!“ aus dem im Jahr 2020 insgesamt 115,5 Millionen Euro ausgezahlt werden.

Nach Bundesministerin Dr. Franziska Giffey liegt die Bedeutung auch vor allem in der kommunalen Förderung:

„Zwei Schwerpunkte sind mir in der neuen Förderperiode von ‚Demokratie leben!‘ besonders wichtig: Erstens: Wir verstärken unser Engagement im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Erstmals wird es eigene Kompetenznetzwerke mit erfahrenen Trägern auf Bundesebene geben, um die Arbeit gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus zu bündeln und weiter zu verbessern. Zweitens: Wir haben einen Fokus auf die Zivilgesellschaft vor Ort gelegt. Zusätzliche Mittel fließen an die ‚Partnerschaften für Demokratie‘ in 300 Kommunen, in denen bisher jährlich mehr als 4.000 Einzelprojekte umgesetzt wurden. ‚Demokratie leben!‘ ist auch in der zweiten Förderperiode ein starkes Programm für unsere freiheitliche Demokratie.“

Die Mittelausstattung von „Demokratie leben!“ ist bis 2023 gesichert und zu den Begünstigten gehören u. a. Aktion Courage e. V. , Schule ohne Rassismus, Berlin / RAA Berlin, Berlin / CLAIM / Teilseiend e. V. Geschäftsstelle Berlin / Ufuq e. V., Berlin. (In der „Partnerschaft für Demokratie“ des Berliner Bezirks Neukölln lautet das „Leitziel 1: Vereinbarkeit von Islam und Demokratie verdeutlichen.“)

Damit ergibt sich eine stringente Abfolge im erfolgreichen Lobbyismus von Issan: Erst die „christliche Rückendeckung“ mit Einladungen als Teilnehmer/Referent in die Evangelische Akademie Loccum (2004-2006), dann die Kontaktaufnahme in der Akademie Loccum (2009) zwischen Referatsleiter „Jugendarbeit“ des BMFSFJ, Inssan, Muslimischer Jugend und Milli Görüs. Das allerdings blieb alles außerhalb einer größeren Öffentlichkeit. Die Pressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz verdeutlicht nun die öffentliche Anerkennung durch das zuständige Bundesministerium und damit ‚den Segen (und das Geld) von oben‘.

In der Selbstdarstellung von CLAIM heißt es:

„Rassismus und Diskriminierung sind kein Problem einer Minderheit, sondern gefährden unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt.
Mit CLAIM arbeiten wir an diesem wachsenden gesamtgesellschaftlichen Problem. Wir setzen Entwicklungen, die das Gemeinwohl in Deutschland und in Europa gefährden, Information und Prävention entgegen. Wir bilden eine breite gesellschaftliche Allianz gegen die Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen, gegen Intoleranz, Diskriminierung, Islam- und Muslimfeindlichkeit.“

Die CLAIM-Projektleiterin Nina Mühe ist (nach Bericht von Inssan-Beirätin Barbara John) auch Mitglied im Inssan e.V., und Inssan selbst gehört zum Kreis der Experten, die für die CLAIM-Allianz beratend wirken: „Prof. Iman Attia (Professorin für Critical Diversity Studies, Rassismus und Migration an der Alice Salomon Hochschule, Berlin) / Daniel Bax (Projektleiter beim Mediendienst Integration, im Vorstand der Neuen Deutschen Medienmacher) / Engin Karahan (Politikberater und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft) / Lydia Nofal (Projektleiterin INSSAN e.V.) / Prof. Dr. Werner Schiffauer (Senior Scholar der Europa Universität Viadrina, ehem. Vorsitzender des Rats für Migration / Aliyeh Yegane (Bereichsleitung Diskriminierungsschutz und Diversity an Schulen bei LIFE e.V.) / Lamya Kaddor (Projektleiterin des Forschungsprojekts zur „Islamfeindlichkeit im Jugendalter“, Mitgründerin Liberal-Islamischen Bund e.V. )“

Man könnte diese Experten, die in verschiedenen Variationen immer wieder genannt werden, auch den ‚Schiffauer-Kreis‘ nennen.

„CLAIM“ ist ein Projekt der MUTIK gGmbH und des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und wird von der der Stiftung Mercator gefördert.

Es ist ein intellektueller Spaß und zeigt, dass da intelligente Leute am Arbeiten sind. Wie bei „Juma“ das arabische Original unmissverständlich verdeutlicht, worum es inhaltlich geht (Das große Freitagsgebet und damit „Islam als Identität“) so ist es auch bei „CLAIM“. Es hat (im Englischen) auch die Bedeutung eines abgestecktes Feldes, für das man nur selber die Lizenz hat, darin nach Gold zu schürfen. Wie auch bei anderen Projekten, z. B. dem Feminismus, geht es auch und erst einmal um die Schaffung von staatlich finanzierten Arbeitsplätzen für sich selbst. Dazu schreibt die türkische Anthropologin Esra Özyürek[18]

„Obgleich im öffentlichen Diskurs unsichtbar, sind deutsche Konvertiten in öffentlichen Funktionen, die mit dem Islam zu tun haben, überrepräsentiert - etwa als Vorsitzende bundesweiter islamischer Organisationen, muslimische Vertreter im interreligiösen Dialog. Verfasser islamfreundlicher Zeitungskommentare oder auch als Wissenschaftler, die staatlich geförderte oder universitäre Forschungsprojekte über Muslime durchführen. Viele gebürtige und konvertierte Muslime erklärten mir zwar, zu einer Zeit, als die meisten Anhänger ihres Glaubens in Deutschland Gastarbeiter mit ungenügenden Sprachkenntnisse und sozialen Kompetenzen gewesen seien, habe es dazu keine Alternative gegeben, diese Tendenz scheint jedoch keineswegs nachzulassen, sondern könnte sich zu einer Tradition verfestigen.“

7. Was bin ich? Und wenn, wie viele?

Eines der Kennzeichen von weltanschaulich engagierten Organisationen, die zwar für einen große Anhängerzahl steht, wobei aber die Diskrepanz zwischen Engagierten und Anhängern deutlich wird, sind in Deutschland die Evangelikalen, die wie „Potemkinsche Dörfer“ ständig neue Organisationen und Aktionen gründen, aber immer mit so ziemlich dem gleichen Personal. Zwischen dem Anspruch und der Realität befindet sich anscheinend auch der Inssan e. V. als muslimische Organisation, die für Antidiskriminierung und schrankenlose Religionsfreiheit eintritt.

Betrachtet man sich die persönlichen Mitgliedschaften der Vorsitzenden und des Geschäftsführers des Inssan e.V. so vereinigen die beiden zusammen zehn Organisationen auf sich. (vgl. Anlage 3)

Dabei wird auch eine gewisse Arbeitsteilung sichtbar: Die Vorsitzende Lydia Nofal organisiert (als Frau) eher das zivilgesellschaftlich/politische Spektrum (RAA, Aktion Courage, AK Muslime der SPD, Leadership Berlin und JUMA), der Geschäftsführer Mohamad Hajjaj ist (als Mann) eher für die religiösen Verbindungen zuständig (Muslimische Jugend, Islamische Föderation, IBMus, teiba-Kulturzentrum/Moschee, Zentralrat der Muslime-LV Berlin). In der für Inssan wichtigsten politischen Organisation (SPD) und ebenso in der für Inssan wichtigsten religiösen Organisation (ZDM) sind beide Mitglieder.

Da jede Organisation und auch jedes (noch so kleine) Projekt ein eigenes Logo hat, können jetzt eine ‚bunte Vielfalt‘ von Logos eine ganze Menge darstellen:
- Bei dem Projekt WEGWEISER wird als Träger genannt: Inssan, als Kooperationspartner: Zentralrat der Muslime und JUMA. Den Kooperationsvertrag kann Frau Nofal also dreimal alleine unterschreiben.
- Für die Fachkonferenz (Oktober 2019) „Flucht, Migration, Heimat(en) – Muslim*innen in Deutschland“ sind die Einladenden: Inssan e.V., das Projekt WEGWEISER und das Projekt „Nicht ohne meinen Glauben“ – also alles Inssan-Eigenmarken.
- Zum Workshop (November 2019) „Bloggen gegen Islamfeindlichkeit“ sind die Veranstalter das Teiba Kulturzentrum, Inssan und das Projekt „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“ – das kann der Geschäftsführer dreimal alleine unterschreiben.
- Auf dem „Appell Religiöse Organisationen zur Kausa Amazonas“ (2019) gegen die dortige Feuerkatastrophe, werden die Logos von 17 Erstunterzeichnenden abgebildet, 6 davon sind direkte personelle Inssan-Vernetzungen: Islamische Föderation, IBMus, Zentralrat der Muslime, Teiba e.V., Muslimisches Seelsorge Telefon und Inssan selber.
- Zur Islamwoche (Dezember 2019) werden zwei Veranstalter mit Logo genannt: Islamische Föderation und IBMus, Kooperationspartner sind: Inssan und das IZDB (Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung). Sponsoren sind neben sechs Restaurants wie Halal-Fleischereien und einem Finanzdienstleister auch – ist das IZDB nah, darf es nicht fehlen - Islamic Relief.

Diese Beispiele lassen sich relativ beliebig forstsetzen. Das Grundprinzip ist das gleiche: Es wird eine Vielfalt dargestellt, die so nicht vorhanden ist.

Gleichzeitig zeigen die Ankündigungen von Veranstaltungen und die dabei genannten Sponsoren - so auch die Sponsoren des Inssan Festivals 2006 - dass es in Deutschland für die Organisationen, die ihre Mitglieder anleiten, nach den Regeln des Islams zu leben – vor allem in der Unterteilung in „halal“ (erlaubt) und „haram“ (nicht erlaubt) – auch wirtschaftlich einiges zu verdienen gibt.

Alleine die Türken und Türkeistämmigen in Deutschland haben eine Kaufkraft von mehr als 20 Milliarden Euro und von den 400 Unternehmen, die in Deutschland Halal-Produkte anbieten, werden ca. fünf Milliarden Euro umgesetzt. Von den jährlich rund 40.000 Verstorbenen Muslimen in Deutschland werden rund 85 Prozent in die Heimat überführt, da es kostengünstiger ist (2.000 Euro) als eine Beerdigung in Deutschland (6.000 Euro) und auch im engsten Familienkreis keine rd. 40 Verwandten Visa beantragen und Flüge und Hotel bezahlen müssen. Das ist eine Umsatzgröße von rund 70 Mio. Euro.

Die großen Organisationen wie Milli Görüs nennen auf ihren Internetangeboten (und wohl auch vor Ort) Dienstleistungen wie den IGMG Bestattungshilfeverein e. V. oder für die vorgeschriebene Pilgerreisen nach Mekka eigene Reisebüros wie die IGMG Hadsch und Umra Reisen GmbH.

Da Inssan sich als religiöse Organisation versteht, die politikbezogen aktiv ist, werden derartige Dienstleistungen und Verdienstmöglichkeiten nicht realisiert.

8. Was für einen Islam vertritt Inssan e. V.?

Es gibt kein öffentlich zugängliches Dokument, in dem Inssan erklärt, skizziert oder erläutert, welcher Glaubensrichtung oder Auslegung des Islam der Verein nahe ist oder zugehört. Das ist wie eine Leerstelle oder wie ein Rätsel, was bei einer Organisation, die sich explizit als muslimisch bezeichnet, erstaunlich ist.

Legt man jedoch zugrunde, was das Oberverwaltungsgericht Berlin 1998 in seiner Entscheidung, dass die Islamische Förderation Berlin eine Religionsgemeinschaft sei (OVG 7 B 4/98)[19] dazu ausgeführt hat, ist diese Nachfrage nicht nur völlig überflüssig, weil sinnlos, sondern sogar unzulässig:

„Der auf Koran und Sunna beruhende Glaube reicht für einen Konsens aus. Dabei ist es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtlich unerheblich, daß Koran und Sunna (überlieferte Aussprüche, Handlungen und Entscheidungen des Propheten Mohammed) die Glaubensgrundlage aller Moslems sind. Denn es kann - wie dargelegt - nicht verlangt werden, daß sich der Kläger auf eine bestimmte Glaubensrichtung innerhalb des Islam festlegt, insbesondere sich bei der mehrheitlich sunnitischen Glaubensrichtung seiner türkischen Mitglieder satzungsmäßig von der schiitischen oder einer anderen Glaubensrichtung abgrenzt. Wenn der Kläger, wie er vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, seine umfassende auf Koran und Sunna basierende Glaubensrichtung als ökumenisches Religionsverständnis versteht, so ist dies als Ausdruck seines religiösen Selbstverständnisses zu respektieren. […]
Es ist bekannt, daß der Islam korporative Organisationsformen vergleichbar mit denjenigen der christlichen Kirche nicht kennt, hierarchische Strukturen lehnt er ab. Es bedarf keines Priesters, sondern der Muslim steht - ohne Mittlerfigur - in unmittelbarer Beziehung zu Gott. Der Islam kennt keinen Klerus nach europäisch-christlichem Verständnis und repräsentative Gemeindevertretungen sind ihm fremd. Er verfügt nicht über Instanzen, die verbindlich mit amtlicher Autorität in Glaubensdingen sprechen könnten. Deshalb steht die Tatsache, daß sich der klagende Dachverband nicht über die üblichen Mindeststrukturen eines eingetragenen Vereins hinaus organisiert hat und ein religiöses Oberhaupt satzungsgemäß nicht festgeschrieben ist, im inneren Zusammenhang mit Inhalt und Selbstverständnis des Islam und ist vom Beklagten als Ausfluß des Selbstbestimmungsrechts dieser islamischen Religion hinzunehmen. Es sind also - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - gerade nicht die vorgeblichen Maßstäbe abendländischer Rechtstradition anzulegen und eine Anpassung der inneren Organisationsstruktur islamischer Vereinigungen an vergleichbare Strukturen der christlichen Kirche zu verlangen.“

Allerdings zeigt eine Schilderung über die ersten Sitzungen des Islamforums Berlin, dass die Frage nach „dem Islam“ der Realität entspricht, da die verschiedenen Gemeinschaften sich gegenseitig durchaus absprechen „Muslime“ zu sein.

„Hinsichtlich der von den Veranstaltern auch als ‚explosiv‘ beschriebene Zusammensetzung der muslimischen Beteiligten, äußert ein Teil der Befragten vor allem zu zwei Aspekten Kritik. Ein erster kritischer Punkt stellt für sie die Teilnahme der Ahmadiyya-Gemeinde-Berlin und der Aleviten am Berliner Islamforum dar, da es sich bei diesen Gruppen nicht um ‚Muslime‘ handele und sie somit, nach Ansicht einiger Befragter, auch nicht unter einen „Dialog mit dem Islam“ fallen. […]
Insofern bestätigt sich hier die Einschätzung, dass die verschiedenen muslimischen Beteiligten sich untereinander erstaunlich gut im Forum ‚ertragen‘, ohne sich gegenseitig zu ‚exkommunizieren‘, wozu sie üblicherweise gerne neigen. Auch die von den Veranstaltern gesuchte ‚Vielfalt des Moscheenlebens, des Gemeindelebens‘, die sich in der Zusammensetzung des Forums widerspiegeln soll, wird von einigen der Befragten kritisch als unvollständig betrachtet. Einigen Stimmen geht diese angestrebte Vielfalt noch nichtweit genug und sie fordern die Teilnahme weiterer muslimischer Gruppen und Nationalitäten, die in der bisherigen Zusammensetzung unberücksichtigt geblieben sind. An dieser Stelle zeigen sich deutlich zwei Schwierigkeiten im Austausch mit ‚den Muslimen‘ in Deutschland. Erstens führt die große Heterogenität innerhalb des Islam zu der Überlegung, wer überhaupt an einem ‚Dialog mit dem Islam‘ teilnehmen sollte und andererseits führt die Tatsache, dass es keine zentrale Instanz aller Muslime gibt, zu der schwierigen Abwägung, wer für ‚die Muslime‘ in Berlin einen Repräsentationsanspruch erheben kann.“

Anlässlich der medialen Aufmerksamkeit (2007/2008) um den geplanten Moscheebau am Mierendorffplatz in Berlin hat sich die Mitbegründerin von Issan e.V., Lydia Nofal, in vier Interviews dazu geäußert, welchen Islam der Inssan e.V. vertritt. Das erste war im (November 2007) im Deutschlandfunk:

„Auch Lydia Nofal definiert für sich neu, welche Rolle Konvertiten in der islamischen Gesellschaft einnehmen. Die 40-jährige Politologin und Mutter von drei Kindern studierte in London in einem multikulturellen Umfeld, bekam Kontakt zu Muslimen und fühlt sich seit nunmehr 16 Jahren im Islam heimisch. In Berlin hat sie gemeinsam mit anderen den Verein Inssan gegründet, – eine muslimische Gruppe, die sich ausdrücklich an der Lebenswirklichkeit in Deutschland orientieren will.
‚Wir unterscheiden zwischen Muslimen, die hier sozialisiert sind, deren Muttersprache Deutsch ist, und zwischen Migranten der ersten Generation, die doch immer noch sehr stark heimatorientiert sind und für die Deutsch auch eine Fremdsprache sind. Und für uns ist wichtig, dass die deutschen Muslime, die Muslime der zweiten und dritten Generation oder eben auch Konvertiten, mehr und mehr auch Einfluss nehmen auf die Arbeit in der Community. Es geht drum, ob man hier heimisch ist oder nicht.‘
Moscheevereine, deren Mitglieder mehrheitlich Migranten sind, regeln nach Auffassung von Lydia Nofal ihre Angelegenheiten heute mehr und mehr eigenständig. Die Bedeutung der Konvertiten schwindet, so die deutsche Muslima. Und umgekehrt? Lydia Nofal, die kein Kopftuch trägt, weil sie es hasst, deswegen schief angesehen zu werden, beansprucht, dass ihr Verein Inssan theologisch als unabhängig wahrgenommen wird, auch wenn wohl islamistische Stiftungen die geplante Inssan-Moschee mitfinanzieren werden. ‚Niemand versucht, uns zu unterwandern‘, sagt SPD-Mitglied Nofal. ‚Wir suchen den Kontakt mit den anderen muslimischen Organisationen, wir kooperieren mit ihnen, wir binden sie ein in unsere Arbeit in den Bereichen, wo wir die gleichen Ziele haben, eben auch zusammenzuarbeiten, und ich sehe da eine sehr, sehr breite Übereinstimmung.‘
Es sei eine mal pragmatische, mal herzliche Zusammenarbeit – und wenn die befreundeten Vereine traditionellere Islamvorstellungen vertreten, dann werde das entweder respektiert oder diskutiert.“

Diese Darstellung einer „theologischen Unabhängigkeit“ zeigt sich auch in einem Interview mit BZ-Berlin, in dem sie sich dazu geäußert, dass ihr die „Einfachheit des Islam“ gefalle und Inssan „keinen sehr konservativen Islam“ vertrete:

„Der geplante Moscheebau in Charlottenburg. Für sechs Millionen Euro will der Verein ‚Inssan‘ am Mierendorffplatz ein muslimisches Zentrum errichten. Erstmals äußerte sich jetzt ein Inssan-Vorstandsmitglied zur Finanzierung der Moschee, die 700 Besuchern Platz bieten soll.
60 Prozent der Bausumme soll durch Moschee-Stiftungen in den Golfstaaten zusammenkommen, der Rest durch Spenden‘, sagt Lydia Nofal (40) aus Neukölln. Die gebürtige Sauerländerin ist Gründungsmitglied von ‚Inssan‘. Katholisch erzogen, trat sie vor 17 Jahren zum Islam über. ‚Mir gefällt die Einfachheit des Islam‘, sagt sie. Ein Kopftuch trägt die Mutter dreier Kinder nicht, die mit einem gebürtigen Palästinenser verheiratet ist. Die Finanziers – zwei namhafte arabische Machthaber. Der Eine ist Sultan Alkasimi, Herrscher des Emirats Scharja, der als Großaktionär des VW-Konzerns bereits eine Moschee in Wolfsburg errichten ließ. Der Andere der Herrscher von Katar. Er hat den TV-Sender al-Dschasira mitgegründet. Beide seien ‚keine verbohrten Fundamentalisten‘, so Nofal zu Befürchtungen von Bewohnern des Mierendorffplatzes. ‚Wir vertreten keinen sehr konservativen Islam. In unserer Moschee werden Männer und Frauen gemeinsam in einem Saal beten.‘ Auch werde es für Frauen keinen Druck geben, das Kopftuch zu tragen.
Nofal bestätigte allerdings, dass der 2002 gegründete Moscheeverein ‚Inssan‘ (50 Mitglieder) Kontakte zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) unterhält. Die Gruppierung gilt nach Einschätzung von Verfassungsschutzbehörden als Ableger der fundamentalistischen Muslimbruderschaft aus Ägypten.“

Damit ist inhaltlich aber kaum etwas klarer geworden. Und ob das gemeinsame Beten in gemischter Form - Frauen und Männer nebeneinander in einem Saal – oder in getrennten Bereichen – Männer vorne, Frauen hinten im Saal - wird dadurch auch nicht ersichtlich. Diese „Einfachheit des Islam“ war auch für andere Konvertiten ein wesentlicher Aspekt für die Konversion („Christian heißt jetzt Abdul“).

Im Oktober 2007 druckt die taz ein Interview mit Lydia Nofal unter der Überschrift: „Der Islam braucht keine Kirche“.

„Wie ist denn Ihre Herkunftskultur? Woher kommen Sie?
Ich komme aus einem kleinem Dorf im Sauerland, in NRW. Ein streng katholisches und sehr konservatives Dorf. Die Ecke ist schwärzer als Bayern: In die Kirche ging man dreimal in der Woche. Die SPD trat bei den Kommunalwahlen nicht einmal an.
Haben Sie damals gegen das katholische und konservative Milieu rebelliert?
Anfangs nicht, ich war auch in der Kirche sehr aktiv. Ich habe Bibellesungen gemacht. Ich kann mich erinnern, wie ich aus den Paulus-Briefen gelesen habe und dabei dachte, was liest du da eigentlich für ein Zeug? Mit 17 bin ich aus der Kirche ausgetreten und habe mich politisch eher links orientiert. Ich war taz-Leserin. Jetzt bin ich in der SPD. […]
Warum brauchten Sie eine andere Religion? Hatten Sie nicht die Nase voll davon?
Was heißt brauchen - braucht man das? Man kann natürlich auch als Agnostiker durch die Welt gehen. Aber das ist eigentlich schade, weil man vieles dann gar nicht in der Lage ist wahrzunehmen, finde ich.
Was denn zum Beispiel?
Das finde ich sehr schwierig, in Worte zu fassen. Die ganze spirituelle Ebene ist sehr schwer wahrzunehmen, wenn man nicht an Gott glaubt. Im Koran ist die Rede von den Zeichen Gottes, man erkennt also nicht Gott selbst, aber man erkennt die Zeichen Gottes.
Aber wenn ich an Gott glaube, die Zeichen Gottes erkennen möchte - brauche ich dann eine Religion, die mir Regeln vorschreibt? Die mir beispielsweise sagt: Du darfst jetzt bei Tageslicht nicht essen?
Es geht ja nicht darum, ob ich eine Religion brauche. Ich finde einfach, wenn man an Gott glaubt, dann weitet das den Blick. Und die Regeln sind ja nichts weiter als eine Hilfe, um Gott näher zu kommen. Das Fasten hilft uns zum Beispiel, uns von den alltäglichen Dingen etwas zu lösen und uns mehr auf das Wesentliche im Leben zu besinnen. […] Ich fand im Christentum so einige Sachen nicht nachvollziehbar, nicht annehmbar. Dass Jesus auf die Welt kam, um die Menschen von der Erbsünde zu erlösen - das entspricht nicht meinem Menschenbild. Im Islam ist es anders, im Judentum auch: Dort wird der Mensch frei geboren, er muss nicht erlöst werden. Er ist als freier Mensch voll verantwortlich für seine Taten. Im Islam ist dadurch, dass zwischen dem Menschen und Gott keine Kirche steht, der Einzelne viel freier. Der Papst hat in seiner Regensburger Rede eine Verbindung zwischen griechischer Vernunft und katholischer Kirche hergestellt. Ich finde nicht, dass der katholische Glaube mit Vernunft vereinbar ist. Ich finde aber, dass Islam mit der Vernunft vereinbar ist. Um das zu begreifen, muss man aber erst mal zu den wirklichen religiösen Aussagen vordringen. Und sich damit auseinandersetzen.“

Im Januar 2008 sagt Lydia Nofal in einem Interview im Tagesspiegel (‚‚Ich trage ja auch kein Kopftuch”), dass Inssan „keinen sehr konservativen Islam“ vertrete.

„Wie soll sich der europäische Islam vom Islam arabischer Länder unterscheiden?
In den Grundsätzen unterscheidet sich das nicht. Aber im Islam hat es immer verschiedene Meinungen zu vielen Themen geben. Zum Beispiel beim Thema Frauenrechte entwickeln wir hier andere Positionen. In vielen muslimischen Vereinen in Deutschland sind mittlerweile Frauen in den Vorständen vertreten.
Inssan vertritt einen sehr konservativen Islam. Männliche Mitglieder geben mir, einer Christin, ungern die Hand. Viele Frauen tragen Kopftuch. Soll es in der Charlottenburger Moschee getrennte Räume für Frauen und Männer geben?
Wir vertreten keinen sehr konservativen Islam. In unserer Moschee werden Männer und Frauen gemeinsam in einem Saal beten. Es soll allerdings Frauenräume und eine Beratungsmöglichkeit für Frauen geben, die Probleme in der Ehe haben, bei der Erziehung, bei der Jobsuche. Es gibt auch keinen Druck, Kopftuch zu tragen. Auch wenn wir es als religiöse Pflicht ansehen – ich trage es ja auch nicht.“

Auch in diesem Interview wird auf die Frage nach der Auslegungsvariante des Islam nur pauschal geantwortet. Es klingt eher nach einem ‚Do-it-yourself-Patchwork-Islam‘, wo sich jede und jeder seine Glaubenselemente zusammensucht und das dann als „muslimisch“ benennt, weil es sich auf den Koran bezieht, den man – ebenso wie die Bibel – sehr unterschiedlich und auch gegensätzlich interpretieren kann.

Insofern ist bemerkenswert, was Inssan in dem ‚Kopftuchstreit‘ aufgrund des Berliner Neutralitätsgesetzes‘, in dem sich muslimische Grundschullehrerinnen das Recht erzwingen wollen, ihr religiös begründetes Kopftuch im Unterricht tragen zu dürfen – was nach dem Neutralitätsgesetz nicht erlaubt ist – zur Benennung der liberalen Muslimin und Imamin Seyran Ates als Anwältin der Bildungsverwaltung ablehnend äußert:

„Mit der amtlichen Vertretung durch Frau Ateş hat die Bildungsverwaltung einen politischen Kampf inszeniert. Frau Ateş ist eine Straf- und Familienrechtsanwältin, wenn sie aufgrund ihrer theologischen Kenntnisse den Senat vertritt, soll diese Debatte außerhalb der Justiz stattfinden, denn sie ist irrelevant, wenn man den Kern der Religionsfreiheit berücksichtigt. Das individuelle und gemeindliche Verständnis von Religiosität muss auch vor hypothetischen und nichtexistierenden Gefahren, die allein vom Tragen des Kopftuchs ausgehen sollen, geschützt werden. ‚Das Land Berlin will sich anscheinend in Gestalt von Frau Ateş in Religionsinterpretationen üben, was genau gegen die staatliche Neutralität verstößt‘, so Zeynep Çetin vom Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit.
Inssan e.V. lehnt es ab, in eine solche theologische Auseinandersetzung einzutreten. Es ist weder Aufgabe des Gerichts noch des Staates, eine ‚richtige’ Auslegung des Korans zu erklären. Wenn der Staat wirklich neutral sein will, muss es die Tatsache akzeptieren, dass hier in Berlin und Deutschland mehrere Kulturen, Religionen und Weltanschauungen aufeinandertreffen, und sie als gleich wichtig und gleichberechtigt behandeln. Zudem muss die Berufsfreiheit gewährt sein. Nach unserem Verständnis von Demokratie und Menschenrechten, darf es nicht sein, dass in Deutschland im Jahre 2017 ein Berufsverbot für Frauen legitimiert und durchgesetzt wird.“

Das könnte man durchaus so interpretieren, dass der Inssan e.V. sich nicht in der Lage sieht, seine Auslegung des Korans zu erklären – wobei es in der Sache gleichgültig ist, ob man diese Auffassung als ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ bewertet.

Aus den bisherigen Teil-Feststellungen wird jedoch allmählich ein Bild deutlich – genannt werden Spiritualität, Identität, Rolle der Frauen, sonst wird alles offen gehalten -, dass (1) den Auffassungen von Ali Schariati sowie (2) dem Sufismus sehr nah ist und (3) eine orthodoxe Auslegung bedeutet.

(1) Die bekannte Konvertitin Kristiane Backer, die einer der Stars als Moderatorin des INSSAN-Festivals 2006 war, schreibt von ihrem Weg zum Islam[20] und dem „Grundübel“ der westlichen Welt, d. h. dem „Mangel an Spiritualität“ und die fehlende „intime Erfahrung des Aufgehobenseins in Gott“:

„Ich las. Neugierig bat ich Imran, mir ein paar seiner Bücher zu leihen, und verkroch mich damit in die eigenen vier Wände. Er freute sich über mein Interesse. Gleich das erste Buch, das er mir gab, hinterließ einigen Eindruck bei mir. Es hieß Man and Islam und stammte von Ali Shariati, einem persischen Soziologen, der 1977 auf nie geklärte Weise ums Leben gekommen war. Er hatte lange im Iran an der Universität gelehrt, wurde aber immer wieder inhaftiert, weil seine Thesen den islamischen Regierungsoberen nicht staatskonform schienen.
In dem Buch geht es keineswegs um Schleier, strenge Gebote oder Gebetszeiten, Shariati schreibt vielmehr über philosophische Konzepte und die wahre Erfüllung: ‚Von den Fesseln der Natur und Geschichte kann sich der Mensch durch Wissenschaft befreien. Aber um sich von dem Käfig des Selbst zu befreien und der Seele Schwingen zu geben, braucht er Liebe und Religion.‘ […] Die Grundübel, unter denen insbesondere die westliche Welt leide, diagnostiziert der Autor weiter, seien der Mangel an Spiritualität, der fehlende innere Rückhalt in einer heiligen Sphäre und die intime Erfahrung des Aufgehobenseins in Gott.“

Frau Backer stellt ihrem Buch die Widmung „Bismillahi Rahmani Rahim – Im Namen Gottes des Gnädigen, des Barmherzigen“ voran und beschreibt u. a. : „Mein Sufi-Weg“.

Über den von ihr erwähnten Ali Schariati (dt. Schreibweise) heißt es u. a.:

„Die Idee, dass der Islam einen Dritten Weg, quasi ein alternatives gesellschaftliches Modell gegenüber dem kruden Materialismus des Kommunismus und der schnöden Gier des Kapitalismus aufzeigen konnte, schien zu verlockend zu sein. Der Islam, der immer als rückständig und rückwärtsgewandt gegolten hatte, war mit den Schriften Schariatis plötzlich in der Moderne angekommen. […]
Seine sich um den Kampf der Ideen, den politischen Kampf und um ein neues Erziehungskonzept drehenden Schriften hatten großen Einfluss auf die jungen Intellektuellen des Iran und führten viele der fundamentalistischen Bewegung zu. […]
Mitte der sechziger Jahre hatte der Kreis der Geistlichen um den Ajatollah Chomeini, wie Mahmud Taleghani, Morteza Motahhari und Mohammad Beheschti, die Idee, einen neuen Typ von Moschee, die Hoseiniye-Erschād, zu entwickeln, um die iranische Mittelschicht anzusprechen. In diesem neuen Typus von Moschee saß man nicht auf dem Boden, sondern auf Stühlen und der Prediger stand vor einem Rednerpult und saß nicht auf einer erhöhten Kanzel. Ali Schariati wurde 1965 als Vortragsredner eingeladen und stieg bald zum Starredner der Institution auf, der die immer zahlreicher werdenden Hörer in seinen Bann schlug. Ali Schariati erhob in seinen Reden den Weg des schiitischen Märtyrers ‚zum einzigen Weg, der zur Wahrheit und Gerechtigkeit führt‘, und er forderte seine Zuhörer auf, ‚die Tyrannen zu töten oder zu sterben‘.
Ali Schariati entwickelte die Theorie, dass es zwei Arten des Islams gebe, den ‚reinen und authentischen‘ Islam von Ali und den ‚korrumpierten Islam‘ der Safawiden, der herrschenden Klasse, der nichts als Unterdrückung und Ausbeutung mit sich gebracht hätte. Mit dieser Theorie stellte sich Schariati gegen die Geistlichkeit, die sich mehr und mehr von Schariati distanzierte und Fatwas gegen ihn aussprach. Er wurde beschuldigt, den Wahabismus zu lehren oder vom schiitischen Glauben abgefallen zu sein.“

In seiner Vorlesung „Fatima ist Fatima“ stellt Ali Schariati (im Juli 1971) die Frauen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen:

„In unserer Gesellschaft ändern sich die Frauen rapide. Zeit und Umstände, sowie der Einfluss der Institutionen entfernen sie von dem, ‚was sie sind‘, und berauben sie ihrer traditionellen Eigenschaften und Werte, um aus ihnen das zu machen, ‚was sie wollen‘; wie wir sehen, haben sie Erfolg damit. Daher lautet in dieser Zeit die kritischste Frage einer selbstbewussten Frau: ‚Wie soll ich sein?‘ Denn sie weiß wohl, dass sie nicht so bleiben kann, wie sie ist. Sie bleibt nicht so und kann auch nicht so bleiben, weil man sie nicht lässt. Andererseits möchte sie die moderne Maske, mit der sie ihre alte Erscheinung überdecken soll, nicht akzeptieren. Sie möchte selbst entscheiden, ihre neue Identität selbst wählen. Sie möchte ihr neues Gesicht selbstbewusst, unabhängig und echt schminken. Sie weiß aber nicht, wie. Sie weiß zwar, dass ihr menschliches Antlitz weder das überlieferte Aussehen ist noch die aufgezwungene und nachgeahmte Schminkmaske, weiß aber nicht, wie sie aussehen soll.
Eine zweite Frage ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Wir sind Muslime; die Frau in unserer Gesellschaft, die ihre Unabhängigkeit erlangen will, um eine eigene Wahl zu treffen, ist mit einer Geschichte, Kultur, Religion und Gesellschaft verbunden, die geistig vom Islam beeinflusst worden sind. Eine Frau, die in dieser Gesellschaft ihre Identität bewahren und sich frei entfalten möchte, die in ihrer Wiedergeburt ihre eigene Geburtshelferin, aber kein Produkt der Überlieferung und Nachahmung sein möchte, kann dem Islam gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Es ist ganz natürlich, dass sie sich darüber Gedanken macht.“

Diese beiden Elemente, „Ankunft des Islam in der Moderne“ und die besondere Bedeutung der Identität und der Unabhängigkeit der Frauen, die „ihre eigenen Geburtshelferinnen“ sind, dürfte für deutsche Konvertitinnen von besonderer Bedeutung ein.

(2) Frau Backer, aber auch der von Inssan schon sehr früh eingeladene Autor Navid Kermani sind bzw. gelten als Anhänger des Sufismus. Inssan-Internetseite: 18. Februar 2005, „Literarische Moschee“, Lesung und Diskussion mit Navid Kermani: „Muslime in Deutschland“. „Nur wenige Autoren vermitteln ein so ausgewogenes Urteil … über den Islam.“ (Die Zeit).
Navid Kermani, bekennender Muslim, „wurde mit zahlreichen renommierten Kultur- und Literaturpreisen ausgezeichnet. Von 2006 bis 2009 war er Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und seit 2013 gehört er dem Kuratorium des Avicenna-Studienwerks an. Am 23. Mai 2014 war Navid Kermani der Festredner in einer Feierstunde des Deutschen Bundestages anlässlich der Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949. 2015 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.“

Zum Sufismus schreibt der Kolumnist Syed Qamar Afzal Rizwi (im Februar 2017) in der ZEIT: „Die stärkste Waffe des Islam ist die Liebe.“

„Die aufgeklärtesten Jahrhunderte der muslimischen Zivilisation waren vom Sufismus gekennzeichnet. Daher sollte man heute die Verbreitung seiner Lehren in Schulen und Moscheen global fördern. Denn der Sufismus verkörpert einige wichtige Grundwerte der islamischen Lehre: Humanismus, Mitmenschlichkeit und Philanthropie. Mit der stärkeren Förderung der Ideen des islamischen Sufimus könnten wir nicht nur ein Gegengewicht zum Extremismus schaffen, sondern auch zur zunehmenden Islamfeindlichkeit.
Die Lehre des Islam ist von zwei Denkschulen geprägt: Die erste beruht auf dem Schariat, jenen Vorgaben und Mustern, die von orthodoxen Denkern des Islam übernommen wurden und strikt verpflichtend sind. Die zweite beruht auf dem Tariqat, einer spirituellen Methodologie, die der Sufismus, der als Vorläufer einer liberalen Auslegung des Islams gilt, für sich übernimmt.“
Und als den eigentlichen Kern nennt er den Weg zu einer „inneren Mitte“, in der „alle die gleiche Gotteserfahrung machen“:
„Die Sufis gehen über den traditionellen Gottesbegriff radikal hinaus. Ihnen zufolge sollen sich die Mystiker aus dem herkömmlichen Glaubensbekenntnis lösen und zu einer inneren Mitte gelangen, in der alle die gleiche Gotteserfahrung machen. Ibn al-Arabi zufolge ist Gott umfassender als jede streng fixierte Vorstellung von ihm in einer heiligen Schrift und damit auch größer als der im Koran vorgestellte Gott.“

Im Unterschied dazu weist der Publizist Stefan Weidner darauf hin, dass die Sichtweise des Sufismus, als liberalerer Islam, ein Missverständnis sei.

„Ein Sufi-Orden ist keine sich von der Welt abschließende Gemeinschaft wie ein christlicher Mönchsorden. Eher ähnelt die Mitgliedschaft darin der in einem Sportverein oder einer politischen Partei, nur eben mit religiöser Ausrichtung. Was viele Menschen im Westen daran anzieht, ist nicht zuletzt das erwähnte spirituelle Gemeinschaftserlebnis im Zikir, welches einmal in der Woche die Adepten aus ihrem Alltag hebt.
Indem die Sufi-Orden ihre Mitglieder einbinden und spirituell betreuen, kommt ihnen eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion zu. Man dächte, sie wären die idealen Orte, um die psychisch instabilen, islamisch indoktrinierten Menschen aufzufangen, die für die Terrorpropaganda des sogenannten Islamischen Staates empfänglich scheinen. Doch leider schwindet in der islamischen Welt die Anziehungskraft des Sufismus, während der mit saudischem Geld finanzierte Salafismus zunehmend auch die spirituelle Führerschaft beansprucht. […]
Das Bild der islamischen Mystik als Gegner von Salafismus und Orthodoxie stellt sich somit komplexer dar, als es aus westlicher Perspektive erscheint. Weder ist der Sufismus apolitisch, noch im westlichen Sinn progressiv. . […]
Heute scheint es dagegen so, als sei der Islam die Drohung und der Sufismus die Rettung — nicht nur für den Islam (vor sich selbst), sondern auch für den Westen vor der spirituellen Verarmung. Zahlreiche deutsche Autoren der Gegenwart machen keinen Hehl aus ihrer Nähe zum Sufismus — Ilija Trojanow, Christoph Peters, Navid Kermani und Peter Handke sind nur die bekanntesten.“

(3) In der Betonung des „wahren Glaubens“ und des „wahren Islams“ hat diese Auslegung des Islam durchaus Ähnlichkeiten mit den orthodoxen („rechtgläubigen/strenggläubigen“) evangelikalen Christen, die auch an die „wahre Bibel“ des „Wort Gottes“ glauben, ansonsten aber auch Pop-Festivals mit modernster Technik veranstalten. Insofern besteht auch – in der Glaubensausrichtung auf die „wahre Religion“ - durchaus eine religiöse Nähe zu Salafisten und zu einem „Pop-Dschihad“, d. h. einer Verbindung zwischen einem unbedingten Glauben als Teil der persönlichen Identität und einem ansonsten ‚individuellem ‘ Leben - innerhalb der religiösen Regeln.

Jetzt erklärt sich auch, warum Inssan in der Anfangsphase (2003 – 2008) nicht nur taktisch die Nähe zu Milli Görüs und der Muslimbruderschaft gesucht hat – neben der Ditib sind sie die beiden größten Moscheebetreiber in Deutschland -, sondern auch inhaltlich ihrem Konzept eines „wahren Islam“ nahe steht.

Ebenso klärt sich damit inhaltlich, was die Anthropologin Esra Özyürek gemeint hat als sie Inssan beschrieb:[21]

„Eine andere […] islamische Organisation ohne Bindung an eine bestimmte Glaubensrichtung und repräsentativen Charakter ist Inssan (‚Mensch‘). Sie wurde überwiegend von Konvertiten gegründet, die einer wesentlich orthodoxeren Islamauslegung folgen als die Muslimische Akademie und die die Organisation bis heute maßgeblich prägen.“

Diese Sichtweise wird bestätigt, wenn man auf der Internetseite des Teiba-Kulturzentrums, dessen stellv. Vorsitzender der Inssan-Geschäftsführer Mohammad Hajjaj ist, die Darstellung des Korans  liest:

„Der Quran ist das zu uns vollständig überlieferte Wort Gottes. Nicht nur sind die Worte des Quran fehlerfrei zu uns gelangt, nein, selbst die Aussprache jeden Wortes und jeden Buchstabens ist uns erhalten geblieben.
Die allererste Offenbarung befiehlt dem Propheten Muhammad, Frieden und Heil seien auf ihm, den Koran zu rezitieren, sinngemäß: „Lies im Namen deines Herrn, Der erschaffen hat,“ (96:1)
Das Teiba-Kulturzentrum bietet immer montags in der Zeit von 18.30-20Uhr einen Kurs für Brüder an, um die richtige und gute Aussprache bei der Rezitation des Qurans zu erlernen! Geleitet wird dieser Kurs von Bruder Jasir. Um vorherige Anmeldung wird gebeten.“         

Diese Sichtweisen zeigen eine beachtliche Nähe zum Milieu der extremistischen Salafisten. So benennt eine aktuelle Studie des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück: „Religion als Faktor der Radikalisierung?“ die Funktion der „wahren Religion“, vor allem auch für Konvertiten:

„Laut einigen Expert*innen machen sich Extremist*innen den Wunsch der Jugendlichen nach Zugehörigkeit gezielt zunutze. Sie zielten dabei besonders auf jene Jugendliche, die sich von der ‚Mehrheitsgesellschaft‘ ausgeschlossen fühlten und den Eindruck hätten, nirgends Anschluss zu finden. Der salafistischen Ideologie zufolge sei es egal, aus welchem Land man stamme, welchen sozioökonomischen Hintergrund jemand habe, ob man jung oder alt, arm oder reich sei. Die gemeinsame Klammer sei das Bekenntnis zum Islam sowie das Befolgen der religiösen Lehre. Dies mache den Expert*innen nach besonders auf labile Jugendliche großen Eindruck, aber auch auf solche, die inmitten von Identitäts- und anderen Krisen steckten. Ein in den Interviews wiederholt angeführtes Beispiel hierfür ist das bereits beschriebene Dilemma, dass Angehörige der zweiten und dritten Migrant*innengeneration häufig den Eindruck haben, zwischen allen Stühlen zu stehen. Von allen Seiten werden laut den befragten Expert*innen sich teilweise widersprechende Erwartungen an sie herangetragen. Salafistische Propaganda würde dieses Dilemma zufolge auflösen, indem sie die Zugehörigkeit zum Islam zum einzigen Kriterium der Selbst- und Fremdverortung in der Gesellschaft erhebe.“

In dieser Hinsicht von „Islam als Teil der Identität“ (Inssan/JUMA) und die Selbstdarstellung füllt die anfangs genannte ‚Leerstelle‘, da die „wahre Religion“ das alle verbindende Inssan-Fundament sein dürfte.

„In der Folge warb Inssan bei Muslimen wie Andersgläubigen für seine Ideen und es zeigte sich, dass es einen großen Bedarf gab. Mit neuen Unterstützern stieg auch die Zahl der im Verein vertretenen Kulturen. Heute findet man bei Inssan Mitglieder verschiedenster kultureller Prägung und ethnischer Herkunft.“

Dem entspricht auch eine Darstellung, in der Inssan stolz ist auf die Vielfalt ist, aber nicht klar wird, worin die Gemeinsamkeit der Jugendliche besteht:[22]

„Dahinten, das müssen sie sein!“, ruft dann eine der drei Frauen, die an der Tür Ausschau hielten. Sie trägt die langen Haare zu einem lockeren Zopf gebunden, Jeansjacke und Schlabberhose. Jetzt läuft sie einer Gruppe von jungen Männern entgegen: „Das sind unsere Mentees“, erklärt die andere Frau. „Wir sind von Wegweiser, dem Mentorenprojekt für Geflüchtete“, sagt die Dritte zur Erklärung. Allerdings sorgt sie dadurch eher für mehr als für weniger Verwirrung. Denn Wegweiser ist ein Projekt des Vereins Inssan e. V. und bei einem Projekt eines muslimischen Vereins würde man erwarten, dass sich in erster Linie fromme Muslime engagieren. Diese drei Frauen aber entsprechen so gar nicht dem Klischee der religiösen Aktivistinnen. Statt modischen Kopftuchs tragen sie die Haare offen und bei einer der Dreien baumelt sogar ein kleines Kreuz am Hals über einem tief ausgeschnittenen Dekolleté. Inssan e. V. ist stolz auf diese Vielfalt.“

„Modisches Kopftuch – offene Haare – kleines Kreuz ‒ tiefausgeschnittenes Dekolleté“ – was verbindet diese Mentoren? Allein der Islam – in spezifischer Interpretation als „Teil der persönlichen Identität“?

9. Etablierung, weitere Vernetzungen und Verankerung

Der weitere Weg des Inssan e. V. lässt sich sowohl an Personen darstellen, wie an Mitgliedschaften in anderen Organisationen.

Die bereits mehrfach genannte Inssan-Vorsitzende Lydia Nofal steht auch für weitere Vernetzungen des Vereins, ebenso wie der Inssan-Geschäftsführer Mohammad Hajjaj.

Lydia Nofal ist 2014 Mitbegründerin und Sprecherin des Arbeitskreis Muslime in der SPD, in dem auch Mohammad Hajjaj Mitglied ist. 2015 wird die stellv. Vorsitzende des ZDM- Berlin (Zentralrat der Muslime Landesverband Berlin), dessen Vorsitzender Hajjaj ist - als stellv. Vorsitzender des Teiba-Kulturzentrums. 2019 wird Lydia Nofal (Diplom-Politologin) als theologisch fachkundige Vertreterin des ZDM Mitglied im Beirat des Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin. Mohammad Hajjij ist zudem Mitglied des Verwaltungsrates der Islamischen Föderation Berlin.

9.1.  AK der Muslime in der SPD

Die „Deutschtürken“, d. h. die Mehrheit der Muslime in Deutschland, waren lange Jahre eine ‚feste Bank‘ in der Wählerschaft der SPD. So heißt es 2018 in der FAZ:

„Der SPD war ‚der Arbeiter‘ als treuer Wähler schon lange abhandengekommen, da konnte sie sich noch auf eine Gruppe verlassen: die Deutschtürken. Unter ihnen erreichte sie sagenhafte Ergebnisse. Bei der Bundestagswahl 2013 stimmten laut dem Meinungsforschungsinstitut „Data4U“, das sich auf Umfragen unter Migranten spezialisiert hat, 64 Prozent für die Sozialdemokraten. Da war die SPD noch ganz mit sich im Reinen, denn sie versteht sich seit jeher auch als Migrantenpartei. 2011 führte sie eine Quote ein, nach der in allen Parteigremien Migranten zu mindestens 15 Prozent vertreten sein müssen. Die Bundestagsfraktion hat überdurchschnittlich viele Migranten, vor allem Deutschtürken, in ihren Reihen.“

Es war also nur eine Frage der Zeit, dem politikbezogenen Islam in der Partei auch organisatorisch einen Platz zu verschaffen. Zumal die Grünen bereits einen entsprechenden Arbeitskreis gegründet hatten.

Im SPD-Jahrbuch 2013-2014 heißt es dazu (S.74):

„Im Jahr 2013 wurde die Gründung eines Arbeitskreises in mehreren Sitzungen mit unterschiedlichen Gesprächspartnerinnen und -partnern vorbereitet. Die Initiative ging maßgeblich von Sawsan Chebli aus, die kurz vor der Gründung zur stellvertretenden Pressesprecherin des Außenministeriums berufen wurde (und deshalb auf ein Sprecherinnenmandat verzichtete). Die politische Schirmherrschaft für den Parteivorstand übernahm Aydan Özoğuz.“

Am 14.12.2014 wird in Berlin der „Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten (AMKS)“ gegründet. Nicht-öffentliche Sitzung, auch keine Presse war zugelassen. Islamiq schreibt dazu „SPD als politische Heimat für Muslime?

„Die Gründung fand nach Angaben verschiedener Teilnehmer unter kontroversen Debatten und Diskussionen statt. Mit einem zwinkernden Auge erklärte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoğuz, dass sie selten eine ‚so friedliche‘ Gründung eines Arbeitskreises erlebt habe. […] Die stellvertretende SPD-Vorsitzende beglückwünschte den AKMS zur Konstituierung. Özoğuz stellte die neuen Sprecher Tuba Işık (Religionspädagogin), Atilla Ülger (SPD-Politiker in Duisburg), Lydia Nofal (Mitwirkende am juma-Projekt), Mohammed Ibrahim und Selma Yılmaz-İlkhan erstmals öffentlich vor. […]
Hochrangige Vertreter muslimischer Religionsgemeinschaften und Organisationen waren weder bei der Gründung noch in der Anschluss-Veranstaltung zugegen. Einzelne lokale Vertreter und Dialogbeauftragte verschiedener muslimischer Organisationen in Berlin waren als SPD-Mitglieder erschienen. Das Interesse der Organisationen an der Gründung eines ersten Arbeitskreises dieser Art scheint nicht vorhanden gewesen zu sein.
Die erwartete und angekündigte Begrüßungsrede von Partei-Chef Sigmar Gabriel fiel zudem auch aus. Über die Hintergründe seines Fernbleibens wurde nichts bekannt. Angeblich sollen für die Gründung des AKMS über 1.500 Einladungen an SPD-Mitglieder in ganz Deutschland verschickt worden sein. Angesichts dieser Zahl wirkte die Veranstaltung jedoch wenig besucht. Einige Sitzplätze blieben leer.“

2017 berichtet der Tagesspiegel „SPD auf Tuchfühlung mit Salafisten“. Namentlich genannt wird Mohamed Ibrahim (dem Antisemitismus vorgeworfen wird), sowie Faten El-Dabbas. Dazu heißt es:

„El-Dabbas trat in der Vergangenheit zudem bei der Deutschen Jugend Palästina auf. Der Verband steht laut Auskunft des Berliner Innensenats der terroristischen Hamas nah.
Derlei Engagement hielt die SPD jedoch nicht davon ab, El-Dabbas für Auftritte einzuladen. So trat sie 2015 bei einer SPD-Veranstaltung 2015 auf, bei der auch der damalige Parteichef Gabriel und Familienministerin Manuela Schwesig anwesend waren. Im Juni 2016 wiederum war sie bei der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zu Gast. Ein Jahr später durfte sie bei der Konferenz der sozialdemokratischen Parteiengruppe im Europäischen Parlament über ‚Erfolgsgeschichten von Muslimen in Europa‘ sprechen.
El-Dabbas arbeitet zu dieser Zeit in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Auswärtigen Amtes und stand damit wohl im näheren Kontakt zu Sawsan Chebli, die im Jahr 2014 vom damaligen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als stellvertretende Pressesprecherin berufen wurde. Chebli dürfte sie jedoch bereits zuvor getroffen haben: denn auch im von Chebli unterstützten Verein JUMA war sie aktiv.“

Die Resonanz ist anscheinend auch weiterhin eher verhalten, denn Fotos von den Jahrestagungen der AKMS  zeigen (2016) rund 14 Teilnehmer, (2017) rund 30 Teilnehmer und (2019) rund 20 Teilnehmer.

Dass diese Parteimitgliedschaften nicht nur für den Verein von Nutzen sind (u. a. Fördergelder, Einladungen) sondern sich bis ins Private hineinziehen, zeigt der Bericht (im Interview: „Die Geduldeten“) von Mohammad Hajjaj über die Lösung seiner Zugangsprobleme zum Studium:

„Für uns Kinder tauchte das erste richtige Problem auf, als mein älterer Bruder und ich das Abitur gemacht hatten. Denn mit der Duldung [der Familie, CF], durften wir nicht studieren. Auf unseren Papieren stand ausdrücklich drauf: Aufnahme eines Studiums nicht gestattet. Damit haben uns alle Universitäten, an denen wir uns beworben haben, abgelehnt. Wir waren beide ziemlich gut in der Schule und haben die Ausländerbehörde irgendwann überzeugen können, dieses Verbot für uns aufzuheben. Auch Freunde haben sich für uns eingesetzt, zum Beispiel Raed Saleh [ebenfalls Palästinenser und seit Dezember 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion, CF], der damals schon für die SPD im Abgeordnetenhaus saß. Dann wurde das Verbot auf der Duldung irgendwann tatsächlich einfach durchgestrichen.“

- Teilnahme von Frank-Walter Steinmeier (SPD) als SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag (Juni 2013) an der Spendensammelaktion „Speisen für Waisen“ von Islamic Relief. Als Bundespräsident (10.05.2017) Teilnahme und Ansprache beim Iftar-Essen der Initiative JUMA im Roten Rathaus in Berlin.

- 5. Februar 2020: Treffen des ZDM mit den Vorsitzenden der SPD im Willy-Brandt-Haus:

Spitzengespräch im Willy-Brandt-Haus: ZMD & SPD. Vors. Saskia Esken und Norbert-Walter Borjahn, Referentin Birga Inter und ZMD Vors. Aiman Mazyek, ZMD-Berlin Mohamad Hajjaj. Themen u.a. Islamfeindlichkeit, Imamausbildung, Bundeswehrseelsorge und meToo.

9.2.  ZDM (Zentralrat der Muslime) Landesverband Berlin

Der Geschäftsführer von Inssan, Mohamad Hajjaj, ist Vorsitzender des ZDM – Berlin (als Vorstandmitglied des Teiba-Kulturzentrums) und die Inssan-Vorsitzende Lydia Nofal ist seine Stellvertreterin.

In diesen Funktionen waren sie Mitglied der Kommission zur Etablierung eines Instituts für islamische Theologie an der Humboldt-Universität. Im fachlichen Beirat sitzt für den ZDM die Politologin Nofal.

Diese hochrangige Repräsentanz des ZDM in Berlin verweist noch einmal auf die eingangs bereits beschriebene Nähe des Inssan zur Organisationen, die der Muslimbruderschaft zugerechnet werden. Und die „Islamische Charta“ die der ZMD im Februar 2002 publiziert hat – dem Jahr der Gründungsdiskussionen des Inssan e.V. -  ist in ihrer ganzen Problematik Gründungselement von Inssan. Grundsätze sind: „1. Der Islam ist die Religion des Friedens, 2. Wir glauben an den barmherzigen Gott, 3. Wir glauben an den barmherzigen Gott, 4. Der Koran ist die verbale Offenbarung Gottes („Die Muslime glauben, dass sich Gott über Propheten wiederholt geoffenbart hat, zuletzt im 7. Jahrhundert westlicher Zeitrechnung gegenüber Muhammad, dem „Siegel der Propheten“. Diese Offenbarung findet sich als unverfälschtes Wort Gottes im Koran (Qur´an), welcher von Muhammad erläutert wurde. Seine Aussagen und Verhaltensweisen sind in der so genannten Sunna überliefert. Beide zusammen bilden die Grundlage des islamischen Glaubens, des islamischen Rechts und der islamischen Lebensweise.“), […] 15. Die Herausbildung einer eigenen muslimischen Identität in Europa ist notwendig,  […] 19. Integration unter Bewahrung der islamischen Identität, 20. Eine würdige Lebensweise mitten in der Gesellschaft:

  • Einführung eines deutschsprachigen islamischen Religionsunterrichts,
  • Einrichtung von Lehrstühlen zur akademischen Ausbildung islamischer Religionslehrer und Vorbeter (Imame),
  • Genehmigung des Baus innerstädtischer Moscheen,
  • Erlaubnis des lautsprechverstärkten Gebetsrufs, Respektierung islamischer Bekleidungsvorschriften in Schulen und Behörden,
  • Beteiligung von Muslimen an den Aufsichtsgremien der Medien,
  • Vollzug des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten,
  • Beschäftigung muslimischer Militärbetreuer,
  • Muslimische Betreuung in medizinischen und sozialen Einrichtungen,
  • Staatlicher Schutz der beiden islamischen Feiertage,
  • Einrichtung muslimischer Friedhöfe und Grabfelder.“

Die Einbettungen und Querverbindungen zwischen INSSAN, ZDM und Paritätischem zeigt sich auch 2016 in Berlin.

9.3. Aktionsbündnis Hand in Hand

 - Menschenkette gegen Rassismus und für Vielfalt.

„Ein breites Bündnis von knapp 40 Hilfsorganisationen, Verbänden und religiösen Einrichtungen ruft am Wochenende (18. 19. Juni) in fünf deutschen Städten dazu auf, mit Menschenketten ein Zeichen für ein vielfältiges und tolerantes Zusammenleben in Deutschland zu setzen. Rassismus ist menschenfeindlich , sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, bei der Vorstellung der geplanten Aktion Hand in Hand gegen Rassismus am Dienstag (14.06.2016) in Berlin. (Foto v.li.: Bischof Markus Droege, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz; Mohamad Hajjaj, Zentralrat der Muslime in Deutschland; Andrea Berg, Amnesty International in Deutschland; Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied Deutscher Gewerkschaftsbund; Barbara John, Vorstandsvorsitzende Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin).“

9.4. Barbara John, 2003 bis Oktober 2017 als Mitglied des Inssan-Beirates genannt, (nach dem Relaunch der Internetseite wird der Beirat nicht mehr erwähnt), hatte seinerzeit (2003) im Tagesspiegel „Inssans Unabhängigkeit von Religion, Gruppen und Institutionen“ gelobt. Sie macht Karriere:
- Oktober 2007 wird Dr. Barbara John zur Vorsitzenden des Beirates der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewählt,
- Januar 2020 wird sie, nun Prof. Barbara John, einstimmig in dieser Funktion bestätigt. „Prof. Barbara John ist Vorstandsvorsitzende des PARITÄTISCHEN Berlin und Mitglied des Verbandsrates des PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes“ und das ist sie seit 2003.
-  Im Februar 2014 heißt es für den Inssan e.V. „Herzlich Willkommen“ im Paritätischen Berlin.
Seitdem heißt es zum Inssan e.V.: „Er ist Mitglied beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und damit als Träger von sozialen Projekten anerkannt.“ In anderen Variationen schreibt Inssan selber : „… und damit als Träger der Freien Jugendhilfe anerkannt.“

Grundlage dafür ist das Projekt „Wegweiser: Mentor_innen für Flüchtlinge“. Und mit diesem Projekt geht Inssan - unter dem Dach des Paritätischen Berlin – weitere Schritte zur Etablierung und Verankerung.

-  Auf der Konferenz der BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, der die sechs maßgeblichen Wohlfahrtsverbände angehören) zum Thema „So machen wir das. Workshops und Konferenz zum Engagement für und mit Geflüchteten“ am 17./18. Oktober 2016 in Berlin, ist Inssan dabei. Es werden fünf Projekte vorgestellt, Projekte der Diakonie, der Caritas, der AWO und des DRK sowie als 1. Projekt (für den Paritätischen) „Wegweiser: MentorInnen für Flüchtlinge“.

9.5. „Antirassistische Konferenz“. Am 1. März 2019 veranstaltet die Fraktion DIE LINKE im Bundestag eine „antirassistische Konferenz: ‘Solidarität ist unteilbar‘“. Im Vorfeld dazu hatte Terre des Femmes in einem Offenen Brief Kritik an zwei der Referentinnen ausgesprochen.

“[…] Fragwürdig ist es allerdings, eine Antirassismus-Konferenz mit VertreterInnen fundamentalistischer Gruppierungen zu veranstalten und diesen Personen, unter dem Deckmantel der Solidarität, eine Plattform zu bieten.
Die Ahmadiyya Gruppe, mit Khola Maryam Hübsch, Tochter von Hadayatulla Hübsch, ist eine ultraorthodoxe und fundamentalistische Vereinigung, welches sich auch in ihrem Frauenbild zeigt. Die Außendarstellung der Ahmadiyya als weltoffene und demokratische Gemeinschaft spiegelt in keinerlei Weise die höchst bedenkliche, religiös begründete Geschlechterapartheid wieder. […] Der von den Ahmadiyyan gelebte Islamismus mag in seiner politischen Kommunikation ‚modern‘ wirken und auch Elemente der Frauenbewegung aufnehmen. Er ist aber im Hinblick auf die Interpretationen des Korans beziehungsweise der Sunna und in der Definition der Frauenrechte alles andere als liberal.
Beim Lesen dieser Passagen auf der Website der Ahmadiyya fühlen wir uns als Frauenrechtsorganisation aufgefordert zu protestieren und sind besorgt, dass die Errungenschaften des letzten Jahrhunderts von und für Frauen mit Füßen getreten werden. Eine Vertreterin der Ahmadiyya zu einer Antirassismus-Konferenz einzuladen, bedeutet zur Verbreitung einer antidemokratischen und somit faschistischen Ideologie beizutragen.Die Teilnahme von Inssan e.V. scheint ebenfalls fraglich. Eine vom Verfassungsschutz lange Zeit beobachtete und den Muslimbrüdern nahestehende Organisation als Vertreter zum Thema ‚Antidiskriminierungsarbeit im Alltag‘ einzuladen, ruft bei uns Kopfschütteln und Fassungslosigkeit hervor.
Die Linke steht für Werte wie Selbstbestimmung, Demokratie und Emanzipation. Im Parteiprogramm wird von der Überwindung gesellschaftlicher Verhältnisse gesprochen, in denen Menschen entrechtet und entmündigt werden. Wir stellen uns an dieser Stelle die Frage, ob Sie sich keinerlei Gedanken machen, welche Persönlichkeiten auf Ihren Veranstaltungen die Chance erhalten, Inhalte zu verbreiten, welche in jeglichem Widerspruch zu den Werten Ihrer eigenen Partei stehen.“

Die Antwort der Fraktion DIE LINKE im Bundestag nennt vorrangig nur formal legitimierende Aspekte:

„Nun kritisieren Sie die Einladung einer Frau, die in der Ahmadiyya-Gemeinde aktiv ist, und einer Frau, die bei dem islamischen, interkulturellen Verein Inssan e. V. arbeitet, der sich gegen Diskriminierung engagiert.
Wir machen uns Ihre pauschalisierende Kritik an der Ahmadiyya-Gemeinde und des Vereins Inssan e.V. nicht zu eigen, insbesondere nicht, das in die Nähe rücken zur faschistischen Ideologie.
Die Ahmadiyya-Gemeinde ist eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaft. Inssan e. V. wird vom Berliner Senat gefördert und ist ein anerkannter Verein in der Antidiskriminierungsarbeit.“

Am 5. September 2019 kann Inssan eine weitere Kooperation vermelden:

„Es ist erfreulich, dass die erfolgreiche Zusammenarbeit Inssans mit dem HoR [House of Resources Berlin] in eine langfristige Kooperation [2019-2022] mündet und wir freuen uns sehr, Berliner Engagierte im Bereich der Integration und Partizipation weiterhin durch unsere gemeinsamen Angebote unterstützen zu können.
Seit 2016 gibt es das House of Resources Berlin. Die Projektförderung durch das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat wurde nun vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis 2022 verlängert.“

Und im Frühjahr 2020 heißt es auf der Inssan-Interseite: „Unterstützer/Förderer“: „Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration / Bundesprogramm ‚Demokratie leben‘ / Der Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration / Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung / Open Society Foundation.“

Im Jahresbericht 2018 nennt der Inssan e.V. Organisationen, mit denen 2016-2018 „zusammengearbeitet“ wurde. Dabei werden 17 Organisationen genannt, also ist Inssan gut vernetzt. Was jedoch bemerkenswerter erscheint, sind die Organisationen, mit denen es auch eine Zusammenarbeit gab, bis hin zu persönlichen ‚Überschneidungen‘, die aber nicht genannt werden: u. a. Islamic Relief, Islamische Föderation, JUMA, Islamische Gemeinschaft Milli Görrüs und teiba Kulturzentrum.

Zusätzlich hat sich Inssan zu einer Art offizieller Berichterstatter über das Muslimische Leben in Berlin gemausert. Hatte das Inssan-Mitglied und CLAIM-Leiterin Nina Mühe bereits 2008-2010 den von der Open Society Foundation finanzierten Bericht „Muslime in Berlin“ erarbeitet, so ist sie 2018 ebenfalls für den aus den Mitteln der Senatsverwaltung für Europa finanzierten freundlichen Bericht über „Islamisches Leben in Berlin“ maßgebliche Koautorin.

10. Cui Bono?

Die Frage des „Cui bobo“ („Wem nützt es?“) erscheint auch für diesen Lobbyismus angebracht. So wie es als Volksweisheit heißt: „Ohne Moos nix los!“.

Die evangelische Akademie Loccum ist weiter aktiv und damit nützlich. Vom 14. bis 16. Dezember 2018 gibt es eine „Werkstatt“ zum Thema: „Moscheen in Deutschland.“ Untertitel: „Wohin kann die Entwicklung gehen?“ Lydia Nofal ist dabei, als Vertreterin von RAA und stv. Vorsitzende des ZMD Berlin. Sie referiert im Themenblock „Wo soll es hingehen? Bisherige Erfolgsfaktoren und drängende Herausforderungen“ zum Thema: „Finanzierung der Moscheegemeinden“.

Das und noch viel mehr meint auch der Geschäftsführer des Inssan e.V. in einem Bericht (im Dezember 2018) zur Wiederbelegung des Islamforums in Berlin:

„Bleibt die Frage, wie wichtig ein Staatsvertrag, wie ihn Hamburg 2012 abgeschlossen hat, für Berlin überhaupt wäre. Die Ethnologin und Islamwissenschaftlerin Nina Mühe, die das Islamforum als Vertreterin der muslimischen Seite gemeinsam mit dem Integrationsbeauftragten veranstaltet, sagt: ‚Ein Staatsvertrag wäre vor allem ein Symbol der Anerkennung.‘ Denn viele der praktischen Dinge, die etwa der Hamburger Staatsvertrag regelt, seien ja in Berlin längst Realität. Mühe verweist hier vor allem auf die Möglichkeiten, nach islamischem Ritus zu bestatten, die Regelungen zu islamischen Feiertagen im Schulgesetz, die bereits erwähnte Gefangenenseelsorge sowie das in diesem Jahr gegründete Institut für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität.
Noch Zukunftsmusik.
Dennoch fordert Hajjaj: ‚Ein Staatsvertrag ist nicht nur Symbolik, sondern mit großen finanziellen Vorteilen verbunden.‘ Das zeige auch der Staatsvertrag Berlins mit den jüdischen Gemeinden – an dem sollte sich der Senat orientieren.“

Die „großen finanziellen Vorteile“ aus dem Staatsvertrag des Landes Berlin mit der Jüdischen Gemeinde  (von 1993) lassen sich klären. In Artikel 6 werden 9,8 Mio. DM Personalzuschüsse, nebst Angleichung an Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst vereinbart. Nach Art. 7 gibt es staatliche Zuschüsse zum Pensionsfonds, nach Art. 8 Zuschüsse zum Religionsunterricht und nach Art. 9 weitere staatliche Zuwendungen zur Kulturarbeit, zu Friedhöfen u.a. und nach Art. 10 Zuschüsse für Baumaßnahmen. Diese Beträge wurden dann auf Euro umgerechnet und nachdem es 2013 zum Streit kam, ob die Jüdische Gemeinde alle formalen Verpflichtungen (u.a. Wirtschaftsplan) erfüllt habe, ging es vor Gericht und das Oberverwaltungsgericht gab 2016 der Jüdischen Gemeinde in wesentlichen Punkten recht:

„Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nun im Wesentlichen bestätigt und das Land Berlin verpflichtet, der Jüdischen Gemeinde für das Jahr 2013 eine Grundfinanzierung in Höhe von 6,469 Mio. Euro und für das Jahr 2014 in Höhe von 6,673 Mio. Euro zu bewilligen. Diese Ansprüche ergeben sich dem Grund und der Höhe nach jeweils unmittelbar aus den Bestimmungen des Staatsvertrages. Der Auffassung des Landes Berlin, wonach die Leistungen unter dem Vorbehalt allgemeiner haushaltsrechtlicher Bestimmungen stünden, ist das Gericht nicht gefolgt. Von der Jüdischen Gemeinde geltend gemachte weitergehende Zahlungsansprüche in Höhe von rund 2,4 Mio. Euro hat das Gericht verneint.“

Das sind wahrlich große finanzielle Vorteile, und wenn man dann noch umrechnet, wie viele jüdische Bürger in Berlin leben und wie viele Muslime…, da kommt etwas zusammen. Und der Inssan-Geschäftsführer ist mit seiner Meinung auch nicht alleine. Die Inssan-Vorsitzende Lydia Nofal hat sogar noch weitergehende Vorstellungen, Wünsche bzw. Forderungen. Auf einer Tagung der Friedrich Ebert-Stiftung zur Finanzierung von muslimischen Organisationen fordert sie in dem Beitrag „Gründung einer islamischen Stiftung Berlin zur transparenten Finanzierung des islamischen Lebens“ so etwas wie eine Komplettfinanzierung:

„Bisher fehlt noch immer eine angemessene Grundfinanzierung des muslimischen religiösen Lebens in Berlin. Dies betrifft den Moscheebau, Moscheeunterhalt, die Finanzierung der Imame, religiöse sowie soziale Dienstleistungen, aber zum Beispiel auch die Finanzierung des Eigenanteils der Religionsgemeinschaft bei der Bezahlung der muslimischen Religionslehrer an Berliner Schulen. Und nicht zuletzt fehlt es an der Finanzierung einer dringend notwendigen Öffentlichkeitsarbeit – gerade angesichts der immer wiederkehrenden öffentlichen Debatten über islambezogene Themen.“[23]

Sie focussiert sich dann zwar auf die Gründung einer islamischen Stiftung, aber erläutert nicht, warum die islamischen Verbände in Berlin denn nicht einfach eine derartige Stiftung gründen. Dem würde nichts im Wege stehen. Aber stattdessen: Forderung an den Staat?

Ihr Text schließt mit einer Prognose, die man auch als Drohung verstehen könnte:

„Dieser Beitrag versteht sich als ein Diskussionsbeitrag, wie die Finanzierung islamischen Lebens in Berlin zukünftig ermöglicht werden kann. Kritik und Ergänzungen sind willkommen. Denn bei der Frage nach der zukünftigen Finanzierung islamischen Lebens in Berlin handelt sich um eine Frage, die uns alle angeht – egal ob Muslim oder nicht. Denn die gesellschaftlichen Folgen, die entstehen, wenn wir es nicht schaffen, diese Probleme anzupacken, werden ebenso uns alle betreffen.“

Wenn man es sachlich unter der Frage des „Wem nützt es?“ betrachtet, geht es um Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen für Muslime innerhalb eines muslimischen Teilbereichs in Deutschland. Insofern könnte man den ursprünglichen „Arbeitskreis Berliner Muslime“ (ABM) auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme buchstabieren.

Für beide, Hajjaj und Nofal, ist anzunehmen, dass sie diese Auffassungen nicht als führende Funktionäre des Inssan e.V. gesprochen haben, sondern als Vorsitzende des Landesverbandes Berlin des nationalen Zentralrats der Muslime (ZDM).

Der Inssan e. V. selber gehört zwar zu den einflussreichen und gut vernetzten Akteuren, ist aber in personeller wie finanzieller Hinsicht eine der kleineren Organisationen. Drei Organisationen mögen das als Beispiele verdeutlichen. Alle drei sind im ähnlichen Themenfeld engagiert und alle drei haben ihren Hauptsitz ebenfalls in Berlin und sind alle drei – ebenfalls wie Inssan – anerkannte Träger der freien Jugendhilfe. Sie haben sich alle drei der Initiative Transparente Zivilgesellschaft (ITZ) angeschlossen, so dass die Zahlen der Beschäftigten und der Finanzierung einsehbar sind.

Aktion Courage1992 gegründet, hat das Selbstverständnis:

„Aktion Courage e. V. fordert und fördert die gesellschaftliche Teilhabe und politische Mitbestimmung von Menschen nichtdeutscher Herkunft. […]
Wir sind ein Zusammenschluss von engagierten Bürgern und Organisationen unterschiedlicher Kulturen und Identitäten aus allen Regionen der Welt in Deutschland.
Wir schauen nicht weg. Diskriminierungen jeglicher Art sind ein Angriff auf die Menschenwürde. Deswegen wehren wir uns mit couragierten Aktionen gegen gewalttätigen und offenen Rassismus ebenso wie gegen unterschwelligen und alltäglichen Rassismus im Betrieb und auf Ämtern, in Schule und Universität, im Freizeit- und privaten Bereich, in Politik und Medien.“

Das aktuelle Projekt heißt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Ende 2019 werden dafür 15 hauptberufliche MitarbeiterInnen beschäftigt, sowie mehr als 50 Honorarkräfte. Im Rechnungsjahr 2018 wurden aus „Mitgliedsbeiträgen/Zuschüssen/sonstige nicht steuerbare Einnahmen“ insgesamt 998.120,98 eingenommen und aus „Spenden“ weitere 103.098,64, also insgesamt 1.101.219,62 Euro.

- ufuq e.V. ist, in seiner Selbstdarstellung,

„ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe und in der politischen Bildung und Prävention zu den Themen Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus aktiv. Mit unseren Angeboten sind wir bundesweit Ansprechpartner für Pädagog_innen, Lehrkräfte und Mitarbeiter_innen von Behörden. […]
Dabei ist unser Vereinsname Programm: „ufuq“ ist arabisch und heißt „Horizont“. Bei allen Fragen und Konflikten, die sich im Alltag, in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Politik bei der „Einbürgerung des Islams“ ergeben mögen, geht es uns nicht mehr darum, ob diese stattfindet, sondern darum, wie dieser Prozess gestaltet wird.
„Wie wollen wir leben?“ ist daher eine unserer Leitfragen. Wir interessieren uns für die Lebenswelten von Jugendlichen selbst: Welche Interessen und Wünsche haben junge Muslim_innen? Wie sehen sie sich selbst und andere? Welche Erfahrungen machen sie und wie leben sie ihren Glauben – wenn er ihnen denn überhaupt wichtig ist?“

Ende 2018 hat ufuq e.V. 25 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und laut Jahresbericht 2017 Einnahmen von insgesamt 1.301.547,14 Euro von denen für Löhne und Gehälter 610.432,72 ausgegeben werden, also 24.147,- pro Beschäftigten.

RAA Berlin (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V.) beschreibt sich in seiner Selbstdarstellung als Träger von Partizipationsprojekten in Schule, Schulumfeld und Kommunen:

„RAA Berlin trägt und unterstützt diskriminierungskritische Partizipationsprojekte in Schule und Schulumfeld und in der Kommune. Seit 1991 begleiten wir Schulentwicklungsprozesse und kommunale Entwicklungen, beraten Kita- und Schulpersonal sowie Eltern, Community-Organisationen und Ämter, entwickeln Materialien und führen Fortbildungen durch.
Wir unterstützen alle am Bildungsprozess Beteiligten mit gezielten Angeboten. Dazu gehören u.a. diversitätsorientierte Organisationsentwicklung, bilinguale Sprachförderprogramme, kostenloser Nachhilfeunterricht, Jugendarbeit an Schule, Schulmediation, Elterngruppen und pädagogische Lernwerkstätten. Als gemeinnütziger Verein, Träger der freien Jugendhilfe und Schulentwicklungswerkstatt werden wir durch Stiftungen, öffentliche Mittel und Spenden finanziert.“

RAA e.V. steht ursprünglich für „Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule e.V.“ und wurde in Berlin von der ersten und zugleich letzten Ausländerbeauftragten des Magistrats von Ost-Berlin, Anetta Kabane, 1991 gegründet.

Laut Angaben zur Personalstruktur waren im Jahr 2016 „50 hauptberufliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt und 1 geringfügig Beschäftigter. Die Anzahl der Honorarkräfte im Jahr 2016 betrug 160 Honorarnehmerinnen und Honorarnehmer.“ Laut Gewinn- und Verlustrechnung für 2016 erhielt RAA Berlin insgesamt 2.223.369,55 Euro an Fördermitteln, von denen 1.567.978,07 für Personalausgaben verbucht wurden, also durchschnittlich 31.360 Euro pro hauptberuflich Beschäftigten.

Im Vergleich dieser drei Organisationen zeigen sich zwei Unterschiede: Sie konzentrieren sich alle drei auf Schule und Jugend, was Inssan nicht tut, und bei Ufuq, dem – inhaltlich gesehen, Issan e. V. sehr nahestehendem Verein – tragen von den mit Bild dargestellten Mitarbeiterinnen zwölf Frauen nur eine ein Kopftuch.

Aber das kann sich für Inssan vielleicht ändern. Die Inssan Vorsitzende Lydia Nofal ist hauptberuflich bei RAA Berlin beschäftigt, ist dort die Projektkoordinatorin für JUMA und hat 2015-2019 das RAA-Projekt „Extrem Demokratisch – Muslimische Jugendarbeit stärken“ zusammen mit ihrem JUMA-Kollegen Kofi Ohen-Dokyi geleitet. Das Projekt wird gefördert durch das Programm Demokratie leben des BMFSFJ im Themenfeld Extremismusprävention und das Landesprogramm „Demokratie. Vielfalt. Respekt“ der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung des Landes Berlin. Im Abschlussbericht werden die muslimischen Jugendvereine in Deutschland genannt, die gefördert werden (sollen):

„Muslimische Jugend in Deutschland (MJD) Die Datteltäter, JUMA - Jung, muslimisch, aktiv, Muslimisches Jugendwerk (MJW), Engagierte Muslime in Deutschland (EMD), Jugendarbeit in der Deutschen Islamakademie (DIA), Rat muslimischer Studierender & Akademiker (RAMSA), Bund der Muslimischen Jugend (BDMJ), Islamische Jugend in Bayern (IJB), Jugendorganisation des Zentralrats der Muslime (MuJu), Zahnräder Netzwerk, Interkulturelles Institut für Inklusion, Ahmadiyya Muslim Jugendorganisation.“

Und in der Abschluss-Tagungsdokumentation „Muslimische Jugendarbeit auf dem Weg zur Anerkennung“ werden schon einmal die (finanziellen) Forderungen benannt: 1. Muslimische Jugendarbeit braucht mehr öffentliche Förderung und dafür mehr gesellschaftliche Akzeptanz. Vorbild CLAIM-Allianz. 2. Wie kann erreicht werden, dass muslimische Jugendarbeit dauerhaft Strukturförderung und Finanzierung bekommt? Know-how zugänglich machen, Koordinierungsstelle gründen, Lobby Arbeit machen, Zugang zu Jugendhilfefonds erwirken, Stiftung für muslimische Jugendarbeit gründen.

Wie es aussieht, wird Inssan jedoch thematisch ‚zu eng geführt‘ - auf Islam und Muslime -, als dass man an die ‚größeren Töpfe‘ herankommen würde. Es gibt bereits eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie des Landes Berlin, warum also noch eine muslimische? Dann wollen andere Organisationen vielleicht auch so eine Stelle?

Die Projekte bleiben zudem ‚übersichtlich‘ in den Teilnehmerzahlen und es zeigt sich, dass sie unter ‚den Muslimen‘ nur begrenzt Anklang finden, von der Gesamtgesellschaft ganz zu schweigen.

Barbara John (Vorsitzende des Paritätischen und Inssan-Beirätin) hat (bereits 2007) in dem Beitrag „Kulturelle Anpassungsleistungen muslimischer Jugendlicher in Deutschland unter Wahrung der religiösen Identität“ das generelle Anliegen thematisiert: „Islam: eher Kultur oder eher Religion?“

„Wir Nicht-Muslime haben uns das Bild gezimmert, dass der „eingewanderte“ Islam und die Herkunftskultur zusammengehören wie Pech und Schwefel. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Deshalb bilden Bauchtanz und fromme muslimische Gesänge in einer Veranstaltung keinerlei Gegensatz. Wohl aber sehen wir es, zwar mit Genugtuung, aber auch als geradezu aufrührerisch gegenüber der Herkunftsreligion bzw. -kultur an, wenn muslimische Mädchen Fußball spielen, im Bikini baden oder sowohl ein Kopftuch und enganliegende Hosen tragen. Das passt dann für viele nicht zusammen. Sie stellen Fragen wie: Warum halten sie noch an der Einwanderreligion fest, wenn sie doch schon so kleiden und verhalten wie moderne Christinnen
oder nicht-religiöse junge Frauen?
Gefangen in dieser statischen Denkweise übersehen viele, und dazu gehört auch die Politik, wie sich gerade viele junge Muslime von ihrer Herkunftskultur entfernen, ja befreien, aber nicht von ihrer Religion. Im Gegenteil: Sie suchen nach Anerkennung als Muslime in der hiesigen, der deutschen Kultur, weil sich ihre Religiosität längst abgelöst hat von der kulturellen Umhüllung, die sie noch bei ihren Großeltern bzw. Eltern vorfanden. Ihr Glaube ist der ursprungskulturellen Verwurzelung entwachsen. Was jedoch fehlt ist die Einwurzelung in der deutschen bzw. europäischen Kultur.“

Findet die „Einwurzelung“ dann nach dem Prinzip „Yo, Allah!“ statt? Motto: „Cool und religiös zu sein ist kein Widerspruch. Junge Muslime leben nach dem Koran – und hören Rap.“

„Die jungen Muslime Deutschlands unterscheiden sich jedoch von der älteren Generation: Sie tragen Markenklamotten, hören Rapmusik, wollen Karriere machen und als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Sie sind eine Jugendbewegung und leben den islamischem „Lifestyle“. Die Popmuslime haben Superstars, die die deutsche Öffentlichkeit nicht wahrnimmt. So wie Sami Yusuf. Der Engländer hat mit korankompatiblen Schnulzen weltweit bereits Millionen CDs verkauft. Rehab und Ugur kennen seine Lieder, so wie die meisten jungen Muslime in Deutschland.
Mit Rapper-Gesten und auf Beats gesprochenen Gottpreisungen haben sich auch die zwei Deutschtürken von ‚YaHu‘ Gehör verschafft. Und es gibt Rapperinnen mit modischem Kopftuch, wie ‚Lady Scar‘. Im Internet chatten islamische Jugendliche auf Islam-Portalen wie „Vaybee!“ oder „waymo.de“ – eine Mischung aus Youtube und StudiVZ. Passende Streetwear finden sie im Internet auch, bei Modelabels wie ‚styleislam.de‘ oder ‚muslim-shirt.de‘. Dort kann man Oberteile mit dem eigenen Namen in arabischer Kalligrafie bestellen. ‚Warum sollten diese Jugendlichen ein T-Shirt tragen, auf dem New York oder Manhattan steht?‘, fragt der Berliner Hakan Tosuner. ‚Viele tragen lieber etwas, zu dem sie einen Bezug haben.‘ Er ist Mitglied im Verein ‚Muslimische Jugend Deutschland‘, wo viele den Islamstyle leben.
Doch Mode und Pop allein machen die Jungmuslime nicht aus – der Islam ist für sie eine Lebenseinstellung: Sie gehen lieber in den Koranunterricht als in die Disco. Drogen, Sex oder materielle Exzesse sind für sie tabu. Sie beten und fasten. Die wachsende Zahl praktizierender Jungmuslime erklärt Hakan Tosuner damit, dass islamische Organisationen in den vergangenen Jahren Angebote für Jugendliche geschaffen haben, die es früher nicht gab. Dazu gehört auch eine neue Generation von Imamen: Prediger, die den Bedürfnissen junger Deutschmuslime entsprechen.“

Dem entspricht, was der JUMA-Vorstandvorsitzende, Dennis Kirschbaum, sagt (s. 10): „Wir haben viele Ziele aber eines darf dabei nicht vergessen werden: Wir wollen Spaß haben!“

Muslimische Jugend und JUMA: islamische Bespaßungsvereine?

Es scheint also angebracht zu sein, auch die Projekte der freien Jugendhilfe zu evaluieren, was dort stattfindet und ob dort tatsächlich eine integrative Arbeit geleistet wird.

11. Empowerment

Ein zentraler Begriff, der immer wieder verwendet wird, ist „Empowerment“, auf Deutsch: „Ermächtigung, Übertragung von Verantwortung“, „Selbstkompetenz“. Dazu sagte Lydia Nofal (2012) auf dem 11. Berliner Präventionstag (S.93);

„Betroffene mussten gestärkt werden. Sie sollten sich als Bürger dieses Staates verstehen, wissen, dass sie Rechte haben und für die Durchsetzung dieser Rechte kämpfen und vor Gericht gehen, wenn es Hindernisse gäbe. Empowerment, darum ginge es.“

Wie weit „vor Gericht gehen“ von den angesprochenen Jugendlichen realisiert werden kann, ist fraglich und bedarf wohl einer Unterstützung, die jedoch der „Selbstkompetenz“ widersprechen würde.

Dieses ständige Empowerment steht ebenfalls im Widerspruch dazu, dass – wie im Projekt „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“ – Muslime beständig als Opfer dargestellt werden. Betrachtet man zudem, in welchem Zusammenhang das Empowerment z. B. bei JUMA genannt wird: „Islam als Teil der Identität“ und die Inssan zuordnungsbare Auffassung des Korans der Teiba-Moschee (Imam Ferid Heider) berücksichtigt: „Der Quran ist das zu uns vollständig überlieferte Wort Gottes. Nicht nur sind die Worte des Quran fehlerfrei zu uns gelangt, nein, selbst die Aussprache jeden Wortes und jeden Buchstabens ist uns erhalten geblieben.“, dann ist es nicht vorrangig Jugendhilfe sondern ein islamisches Empowerment = religiöse Missionierung.

Die finanzielle Förderung von religiöser Missionierung gehört in Deutschland nicht zu den Staatsaufgaben.

Dieses „Empowerment“ ‒ das Bestärken und Durchsetzen von muslimischen Ansichten und Ansprüchen ‒ ist so allgegenwärtig auch in den Inssan-Projekten enthalten, dass gefragt werden muss, ob beispielsweise das „Kopftuch als Gradmesser für Toleranz und Religionsfreiheit“ dienen kann und wie es mit der Dialogbereitschaft von muslimischen Organisationen aussieht?

„Doch eine ernsthafte, auf Integration gerichtete Dialogstrategie einer religiösen Minorität müsste auch selbstkritisch fragen, warum bestimmte religiös-kulturelle Praktiken in der Mehrheitsgesellschaft zu Befremden und Abwehr führen, und nach Wegen suchen, die je eigene ‚religiöse Identität‘ sozialverträglich in der Gesellschaft zu verankern. Das gebietet schon die politische Klugheit, sollen Konflikte weder verschleppt noch politisiert und ggf. zur Munition für rechtspopulistische Bewegungen werden. Die von muslimischen ‚Spitzenverbänden‘ gewählte Strategie, ihre Positionen auf dem Wege gerichtlicher Entscheidungen durchzusetzen, ist kontraproduktiv, wenn sie nicht gleichzeitig von einem breiten interreligiös-interkulturellen und politischen Diskurs über diese Fragen begleitet wird. […]
Was treibt eigentlich die ‚Spitzenverbände‘ dazu, das Kopftuch zum Zentralsymbol für die Akzeptanz ihrer Religionsgemeinschaft und den Gradmesser für Toleranz und Religionsfreiheit zu stilisieren? Warum werden neuerrichtete Moscheen in christlicher Umgebung provokativ ‚Fatih‘ (= Eroberer) -Moscheen genannt? Was soll das Insistieren auf dem lautsprecherverstärkten Gebetsruf des Muezzin? Was hier stattfindet, ist einerseits Kampf um Behauptung und Dominanzstreben im inner-islamischen Deutungskampf (wer hat die .richtige. Interpretation von Koran und Sunna?), andererseits geht es um die Politisierung von kulturellen  Differenzen, d.h. eine ‚kulturelle Identitätspolitik‘, die ganz offensichtlich auf gruppenrechtliche Privilegierung und gegen den Vorrang und das Gleichheitsgebot der säkularen Rechtsordnung gerichtet ist.“

Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung in der immer wieder zu beobachteten „Täter-Opfer-Umkehr“. Der Inssan-Verbund attackiert das Berliner Neutralitätsgesetz und will durchsetzen, dass die religiöse Neutralität des Staates aufgehoben wird, und schreibt dann, als die Berliner Senatsverwaltung den Schachzug macht, die liberale muslimische Anwältin Seyran Ates mit der gerichtlichen Verteidigung zu betrauen: „Mit der amtlichen Vertretung durch Frau Ateş hat die Bildungsverwaltung einen politischen Kampf inszeniert.“

12. Do ut des

Ein altes Prinzip der Politik lautet „Do ut des“ („Ich gebe, damit du gibst“ oder „Eine Hand wäscht die andere“ - in Unschuld).

In Berlin wurde beschlossen, auf dem Gelände des ehemaligen Schlosses in Berlin-Mitte – auf den die DDR-Regierung nach dem Abriss der Schlosses den „Palast der Republik“ errichtet hatte, der wiederum nach der deutschen Einheit ebenfalls abgerissen wurde - einen Neubau-Gebäudekomplex aus Beton zu bauen, der mit einer nachgemachten Barock-Fassade ummäntelt wurde. Besonderer Diskussionspunkt war dabei, ob dieser Neubau mit einem christlichen Kuppelkreuz versehen werden soll oder nicht. Das wurde von der Stiftung Humboldt Forum als Thema aufgenommen und es wurden „unterschiedliche Akteure aus Politik, Kultur und Wissenschaft nach ihrer Meinung zum Kreuz auf dem Humboldt Forum gefragt.“

Unter den Akteuren befinden sich auch Aiman Mazyek (Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland) der das positiv sieht:

„Das Kreuz auf der Kuppel gehört als kulturelles und historisches Erbe dazu und ich empfinde dabei kein Gefühl des Störens, zumal man diesen Kontext nicht verschleiern oder zwanghaft abschaffen soll. Wer die Gleichrangigkeit der Religionen durch zukünftige weltliche Bauten darstellen will, kann das Symbol bsp. aller drei abrahamitischen Religionsgemeinschaften, Judentum, Christentum und Islam vereint aufnehmen.“

Ebenso zustimmend äußert sich Seyran Ates (Rechtsanwältin, Initiatorin und Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin), die ihre liberale Moschee im oberen Geschoss einer christlichen Kirche eingerichtet hat und deren Arbeit u. a. von der ZEIT-Stiftung gefördert wird:

„Ich bin eine Befürworterin des Humboldt Forums und als liberale Moscheegemeinde sind wir dankbar, dass wir im Forum eine Vitrine bestücken dürfen. Damit und mit vielem mehr, was im Gebäude passiert und passieren wird, zeigt das Forum wie offen es für die Vielfalt unserer gesellschaftlichen Realität ist. Ich begrüße die komplette Rekonstruktion der Kuppel mit Kreuz. Alles andere würde dem Gesamtkonzept des Humboldt Forums widersprechen und wäre eine Selbstzensur, die weder angebracht noch ehrlich wäre. Der Verzicht auf das Kreuz, im Interesse einer religiös-multikulturellen Gesellschaft, wäre geradezu eine Verleugnung der Geschichte des Ortes und des Gebäudes. Ein Bewusstsein für die eigene Geschichte mit all ihren Widersprüchen verdient stets den Vorrang, vor falscher Rücksichtnahme. Die Kuppel und das von ihr untrennbare Kreuz ist nicht der Ort, an dem heutige Geschichte geschrieben und Herrschaftsansprüche geltend gemacht werden. Die Kuppel mit dem Kreuz und der Inschrift ist lediglich eine saubere und ehrliche Rekonstruktionsarbeit. Sie verdient genau diesen Respekt. Mehr nicht. Das Humboldt Forum wird mit seinem offenen Konzept ganz sicher eine Bereicherung für Europas Debattenkultur werden. Darauf kann die Stadt der Widersprüche stolz sein.“

13. Fazit

1. Aus der Sichtweise des Lobbyismus ist der Erfolg des Inssan e.V. beeindruckend.

Über die Jahre zeigt sich eine beharrliche Arbeit, Widerstände zu überwinden. Erst muss die Einstufung durch den Verfassungsschutz in die Nähe zur Muslimbrüderschaft / Milli Görüs beiseite geräumt werden, wofür wissenschaftlicher Bestand hilfreich ist, dann verschafft man sich Respekt durch viele ‚moderne‘ Aktionen (gegen Zwangsheirat, Blutspenden, Müllsammeln, etc.), findet dann sein erstes Thema („Antirassismus“), dann sein zweites Thema („Flüchtlingshilfe“) und geht in den Schulterschluss mit diversen anerkannten Organisationen, in deren Umfeld staatliche Förderungen kommen, damit ist man als Organisation „anerkannter Träger…, anerkannter Träger….

Im Nachhinein könnte man diese verschiedenen Aspekte wie in einem Lehrbuch analysieren und dokumentieren. Es würde zeigen, dass das Wollen einer Lobby-Organisation nur die eine Seite ist und das Unterstützen und Zulassen durch etablierte Kompetenzträger die notwendige andere Seite darstellt. Insofern ist der Erfolg des islamischen Lobbyismus nicht durch sich selbst ‚stark‘, sondern auch als gewünschter Bestandteil des religiösen Lobbyismus der beiden Großkirchen in Deutschland insgesamt zu sehen. (vgl. Anlage 10 Friedenskundgebung)

2. Unter dem Aspekt des tatsächlichen Erfolgs der Erreichbarkeit und Arbeit mit Jugendlichen erscheint der Erfolg aber eher marginal. Die Teilnehmerzahlen sind – wenn sie überhaupt genannt werden – im unteren zweistelligen Bereich. Das ist aber in den Zeiten des Internets von geringer Bedeutung. Professionell gestaltete Internetseiten vermitteln einen großartigen Eindruck und bestärken den gewünschte politischen Effekt: das Bild eines „bunten Deutschland“ in dem „Demokratie lebt!“

3. Im „Leitfaden Handlungsfelder der Zusammenarbeit mit islamischen Vereinen im Stadtteil Hrsg: Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Der Beauftragte des Senats von Berlin für Integration und Migration“, (2007), der auf der Grundlage von Diskussionen im Islamforum Berlin erstellt worden war, heißt es unmissverständlich (Seite 10) zur Kooperation von Staat und Vereinen:

„Eindeutiges Ausschlusskriterium für jegliche Kooperation und finanzielle Förderung sind die Verherrlichung von Gewalt, die Infragestellung der Trennung von Staat und Religion und die Ablehnung von Teilen unserer Verfassung (z.B. Demokratie, Gleichstellung der Geschlechter, Gewalt, Verletzung der Menschenrechte).“

Daraus folgert: In der Nicht-Beachtung der Trennung von Staat und Religion kann der Anspruch und die Forderung von Inssan zur finanziellen Förderung an den Staat nur aus der Scharia abgeleitet sein (Einheit von Religion und Staat). Das zeigte sich auch in dem Beitrag der Innsan-Vorsitzenden Lydia Nofal zu einem Themenband der Friedrich Ebert-Stiftung zur vollständigen Finanzierung von muslimischen Organisationen.[24] Eine derartige Komplettfinanzierung wäre nicht nur verfassungsfremd, sondern auch realitätsfern, da keine andere Religionsgemeinschaft oder Kirche in Deutschland derartig auch nur ansatzweise ausgestattet wird.

4. Die tatsächliche Achtung von Grundrechten, wie der Gleichheit von Mann und Frau, erscheint nach den Berichten und Fotos von Projekten und Projetpartnern von Issan, in denen eine Geschlechtertrennung sowie ein oben (die Männer) und unten (Frauen) deutlich wird, zumindest fragwürdig.

Allerdings befinden sich die muslimischen Vereine sicher aufgehoben im ‚Windschatten‘ der katholischen Kirche, denen das Bundesfassungsgericht  (Urteil vom September 2003, Rn 124) zugesteht: „Dabei achtet das Grundgesetz – in der Sphäre der Gesellschaft – auch solche religiösen und weltanschaulichen Auffassungen, die ein mit der grundgesetzlichen Wertordnung schwer zu vereinbarendes Verhältnis der Geschlechterbeziehungen dokumentieren, solange sie nicht die Grenzen der staatlichen Friedens- und Rechtsordnung überschreiten.“

5. In der Ausrichtung auf formale Kriterien (u. a. Verbales Bekenntnis zum Grundgesetz) ist Inssan erfolgreich, da die Kultur- und Sozialpolitik nur auf eben diese Formalien achtet. Wenn an der Tür einer Organisation „Demokratie“ steht, schaut niemand dahinter. Wie es der zuständige Referent in der Kulturverwaltung es einmal auf den Punkt brachte: „Wir sind nicht die Inquisition.“

Würde die staatliche Verwaltung auch Inhalte betrachten, müsste die größte Religionsgemeinschaft in Deutschland, die römisch-katholische Kirche, ihre staatliche Akzeptanz (mit allen Konsequenzen) möglicherweise verlieren, da sie ebenfalls ein zentrales Element unserer Verfassung – die Gleichheit aller Menschen und damit auch die Chancengleichheit von Frauen und Männern – nicht anerkennt und Frauen nur dienende Funktionen zubilligt.

Diese formale Betrachtung hat dann auch zur Folge, dass in Berlin Widersprüchliches passiert. So hat der Imam der Kölner Begegnungsstätte / Dar al-Salam Moschee, Mohammed Taher Sabri, 2015 vom Regierenden Bürgermeister den Verdienstorden des Landes Berlin bekommen – für die engagierte Flüchtlingshilfe der Moscheegemeinde - und wurde im gleichen Jahr im Berliner Verfassungsschutzbericht als „islamistisch“ genannt.

An zwei speziellen Situationen lässt sich die mehrdimensionale Thematik des Verhältnisses von Staat und Islam in Berlin besonders verdeutlichen.

6. Die umstrittene Gründung eines Instituts für islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin hat ein besonderes Element in der Besetzung des Beirates, der elementaren Einfluss auf die theologische Ausrichtung des Instituts hat bzw. haben wird. Beiratsmitglieder sind verschiedene religiöse Verbände, die „theologisch ausgewiesen“ sind, also Theologen. Der Zentralrat der Muslime, der als Verband Sitz und Stimme hat, benannte seine stellvertretende Landesvorsitzende als theologische Fachfrau, die Diplom-Politologin Lydia Nofal, Ihres Zeichens auch Vorsitzende des Inssan e. V.

Das darf schlicht so verstanden werden, dass es bei dem ganzen Institut um Politik und nicht um Theologie geht.

7. In der amtierenden rot-rot-grünen Regierungskoalition in Berlin ist seit dem 8. Dezember 2016 ein Politiker aus der Multi-Kulti-Fraktion der Bündnis90/DieGrünen Justizsenator, Dirk Behrendt, der das Neutralitätsgesetz in Berlin, ebenso wie der Zentralrat der Muslime, als verfassungswidrig betrachtet und es muslimischen Lehrerinnen ermöglichen will, auch an Berliner Grundschulen im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Er ist damit auf der Seite des Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan e.V.) und dem von Inssan mit getragenen Bündnis #GegenBerufsverbot, die mit ihrer eindimensionalen Interpretation des Grundrechtes auf Religionsfreiheit und der Weigerung, die weltanschauliche Neutralität des Staates zu akzeptieren, eine verfassungsfremde Position vertreten.

Die Kopftuch-Klagen haben allerdings das Verdienst, dass die schlampige Hemdsärmeligkeit von Landesregierungen, wie sie sich im Text des Urteils des Bundesverfassungsgerichts 2003 darstellt, hinsichtlich des Religionsverfassungsrechts von 2003 bis 2020 klarere rechtliche Konturen bekommen hat. Das war zwar vermutlich von den klagenden Musliminnen nicht beabsichtigt, aber hat geklärt, was religiöse Neutralität des Staates in der Ausübung hoheitlicher Funktionen bedeutet. So wurde im Januar 2020 die Verfassungsbeschwerde einer Rechtsreferendarin abgewiesen, der in Hessen nicht zugebilligt worden war, im Dienst ein Kopftuch zu tragen.

14. Nachbemerkungen

1. Es wäre eine Herausforderung, das Netzwerk der Islamförderung (die „Claims“), das in Berlin zwischen Politikern der SPD und der Bündnis90/Grünen, der Robert-Bosch- und der Mercator-Stiftung, Journalisten sowie einer überschaubaren Anzahl von Wissenschaftlern wie auch Fachreferenten in der Senatsverwaltung und Bundesministerien besteht, genauer zu beschreiben.

2. Nach Abschluss der Recherche habe ich an die Vorsitzende des Inssan e. V. direkt geschrieben. Ich trug ihr mein Anliegen um einen Gesprächstermin vor, stellte mich vor, wer ich bin, was ich forsche und schrieb: „Während meiner Recherche zum christlichen Lobbyismus war es mir immer auch Anliegen, mit den wichtigsten Akteuren persönlich zu sprechen, und so konnte ich auch Hintergrundgespräche mit den Leitern der beiden kirchlichen Büros führen, Prälat Dr. Karl Jüsten und Prälat Dr. Martin Dutzmann. Das gemeinsame Interesse war: Die Tatsachen müssen stimmen. (Auch wenn die Bewertung unterschiedlich ist.) Das möchte ich mit Ihnen, als Vorstandvorsitzende des Inssan e. V., auch klären und bitte Sie entsprechend um einen Gesprächstermin.“ Antwort: keine.
Auch ein Schreiben an die Geschäftsstelle des Inssan e. V. hatte nur die Reaktion, dass ich meine Fragen bitte vorab schicken solle, was ich tat, einschließlich der Anlagen 1-3. Reaktion: keine.

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Ergänzung am 17. 07.2020:

Nach der Veröffentlichung dieses Textes erhielt ich mehrere Mails mit Hinweisen und Materialien. Das wichtigste Dokument ist dabei eine Kopie des Gutachtens „Menschen am Mierendorffplatz: Positionspapier über lnssan e.V.“ (S. 1-12 als Anlage 11 eingefügt).

3. In diesem Positionspapier wird auf 72 Seiten (12 Seiten Text und 13 Anlagen) das Ergebnis der Recherche zum Inssan e.V. dargestellt und erläutert. Dier ersten drei Absätze seien hier zitiert:

„Nach unserer Recherchen müssen wir davon ausgehen, dass Inssan ein Verein ist, der das Ziel verfolgt, eine konservative, antiintegrative Form des lslams zu fördern, die mit der lslamauffassung der Muslimbruderbruderschaft übereinstimmt.
Auf den ersten Blick mag das als ein heftiger Vorwurf erscheinen, doch liegen gewichtige Anhaltspunkte vor, dass die Gruppe von hinlänglich bekannten lslamisten finanziert und von Menschen gegründet worden ist, die stark mit dem politischen lslam zu tun hatten. Der Verein hat auch in der Vergangenheit den Umgang mit lslamisten gepflegt, welche eine antisemitische Position vertreten.
Es steht zu befürchten, dass lnssan eine Scheinorganisation ist, die die tatsächlichen Anliegen der Hinterleute kaschiert. So passt das Projekt am Mierendorffplatz perfekt in dieses Muster. Laut lnssan soll es sich hierbei um ein prointegratives Projekt handeln. Die bisherigen Anzeichen lassen aber die Errichtung einen Scharia bestimmten Mikrokosmos Welt erahnen. Keines der von lnssan offengelegten Vorhaben (Frauenzentrum, Kita für muslimische Kinder, Jugendklub, Bibliothek, einen Laden mit Spezialitäten, Gemeindesaal, eine Moschee, Wohnungen etc.) ist von echtem integrativen Wert. Das Gegenteil ist der Fall: Solch ein Zentrum schirmt die muslimische Gemeinschaft von der sie umgebenden Mehrheitsgesellschaft ab.“

Die Auffassung, dass die Islamische Gemeinschaft Deutschlands (IGD) in der Hauptstadt Berlin die Errichtung eines Islamischen Zentrums für Deutschland plante (was bisher fehlt) und nach dem 9.11.2001 nicht den Begriff eines Islamischen Zentrums verwenden wollte, sondern die – nach den Vorstellungen der Muslimbruderschaft – kleine Gruppe von Akademikern als Trägerverein anders benannte, eben den „Inssan für kulturelle Interaktion e.V.“, wird durch den Kaufvertrag für das Neuköllner Grundstück in der Pflügerstraße 35-36 bekräftigt. Der Kaufvertrag datiert vom 26. März 2002 und beinhaltet eine Kaufsumme von 357.904,32 Euro plus eine notwendige Altlastenbeseitigung bis zu 300.00 Euro. Dieser Kaufvertrag wurde von Ibrahim El-Zayat unterzeichnet, jedoch nicht als IGD-Präsident, sondern als Bevollmächtigter der Fa. European Trust mit Sitz in Großbritannien. Der Inssan e. V. stellte dann, sieben Monate später, nach seiner Gründung am 25.10.2002, den Bauantrag für eben ein solches Islamisches Zentrum auf ebendiesem Grundstück.

In dem Gutachten von Prof. Dr. Ursula Spuler-Stegemann (Anlage 12) wird dieses Konzept eines islamischen Zentrums in Berlin genau beschrieben und Inssan als Vertreter eines „Scharia-Islams“ bezeichnet:

„Der ‘inssan e.V. für kulturelle Interaktion‘ setzt sich für einen Scharia-lslam ein, den viele hierzulande lebende Muslime nicht nur keineswegs mittragen sondern vor dem sie sogar aus ihren Herkunftsländern hierher geflohen sind.“

4. Dieser Bogen zur Muslimbruderschaft ist jedoch kein historisches Relikt, sondern ebenfalls noch aktuell vorhanden. So heißt es auf der Internetseite „jugendarbeit staerken“:

„Vom 4.-15. März [2018] nahmen Projektteilnehmer*innen von „Extrem Demokratisch – Muslimische Jugendarbeit stärken“ und Multiplikator*innen der muslimischen Jugendarbeit z.B. von JUMA an einer internationalen Besucherreise in die Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen des  International Visitor Leadership Program des U.S. Department of State und der U.S. Embassy Berlin, koordiniert durch den U.S. Exchanges Coordinator, teil.“

Es handelt sich um ein RAA-Projekt, das durch das Programm ‚Demokratie leben‘ des BMFSFJ im Themenfeld Extremismusprävention, das Landesprogramm ‚Demokratie. Vielfalt. Respekt‘ der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung des Landes Berlin gefördert wird. Sponsor der Reise - im Rahmen des „International Visitor Leadership Program“ - ist das US-Außenministeriums. Zweck der Besuchsreise ist u. a. der Kontakt mit „Organisationen der Zivilgesellschaft ihrer jeweiligen Branche“:

„Während ihres Aufenthalts halten sich die ausländischen Teilnehmenden Washington D.C. und drei wechselnde Städte oder Gemeinden auf, um verschiedene politische, soziale und kulturelle Sphären abzudecken. Dort treten sie mit dem Programm assoziierten Organisationen der Zivilgesellschaft ihrer jeweiligen Branche in Kontakt und besuchen öffentliche Einrichtungen.“

Unter den Teilnehmern der Besuchsreise ist u. a. der Vorsitzende des JUMA e.V., Dennis Sadik Kirschbaum, Leiterin der Besuchsgruppe ist die RAA-Angestellte und Inssan e.V.-Vorsitzende Lydia Nofal. Welche Organisationen der ‚Muslim-Branche‘ wurden besucht?

Am Tag 3 ist es u. a. das Office for Civil Rights and Civil Liberties (CRCL) und das Office of Terrorism Prevention Partnership (OTPP). Dazu schreibt der JUMA-Vorsitzende:

“Besonders beeindruckend war der persönliche Werdegang des Beamten der CRCL, denn dieser hatte für viele Jahre, vor seines jetzigen Dienstes für die Vereinigten Staaten von Amerika, die Präsidentschaft der Muslim Youth North America (MYNA) inne, einer mit JUMA vergleichbaren Organisation in den USA.“

Die MYNA wurde 1985 von Ahmed Elkhadi gegründet, der von 1984 bis 1994 Führer der US-Muslimbruderschaft war.

Am Tag 4 geht es zum ADAMS Center (All Dulles Area Muslim Society) nach Sterling in Virginia.

„Der Besuch und das Gespräch mit dem Imam und einer der Projektmanagerinnen hat uns sehr beeindruckt. Inspirierend für unsere Arbeit war ihre Offenheit und Toleranz, die sie als Organisation auf vielen Ebenen ausleben. In ihrer Arbeit beachten sie zum Beispiel die ethnische und religiöse Diversität eigener Gemeindemitglieder und fördern den gegenseitigen Respekt.“

Es ist eine der größten Moscheen in den USA, geleitet von Mohamed Magid, der von 2010 – 2014 Präsident der Islamic Society of North America war. Mohamed Magid und das ADAMS Center gelten nach sachkundigen Beobachtern als Teile der US-Muslimbruderschaft.

Am Tag 5 wird die Anti-Defamation League (ADL) besucht.

„Es ist eine religiöse Organisation (26 regionale Büros und ein Büro in Israel), die gegen die Diskriminierung von Juden auftritt. Neben den Themen wie Antisemitismus oder ´networking´ setzt sich die ADL auch für Menschen- oder Frauenrechte ein und veranstaltet Projekte in Kooperation mit den Kirchen, Moscheen und Schulen.“

In der Selbstdarstellung der ADL heißt es dazu:

„ADL ist eine führende Anti-Hass-Organisation. Sie wurde 1913 als Reaktion auf ein eskalierendes Klima von Antisemitismus und Bigotterie gegründet und hat die zeitlose Mission, das jüdische Volk zu schützen und Gerechtigkeit und faire Behandlung für alle sicherzustellen. Auch heute noch bekämpft ADL alle Formen des Hasses mit der gleichen Kraft und Leidenschaft. ADL ist weltweit führend bei der Aufdeckung von Extremismus und der Aufklärung gegen Vorurteile und ist eine führende Organisation bei der Schulung von Strafverfolgungsbehörden.“

Am Tag 8 ist die Gruppe in Dallas und besucht u. a. das VRIC (Valley Ranch Islamic Center) und danach geht es zum Council on American-Islamic Relations (CAIR):

„Nach dem Mittagessen im Cafe Izmir haben wir uns zum Council on American-Islamic Relations begeben und unser Meeting mit dem Vorstand von CAIR Texas wahrgenommen. Diese NGO leistet starke Arbeit bezüglich Hassrede und Islamophobie. Zum einen werden Programme angeboten, in denen Redner ausgebildet werden, zum anderen werden Hatespeech-Anzeigen entgegengenommen und protokolliert.“

CAIR, 1994 gegründet, erfasst und publiziert einen Diskriminierungs-Report und beschreibt sich selbst als Lobbyist für muslimische Interessen:

„Seit seiner Gründung im Jahr 1994 setzt sich das CAIR für ein positives Bild des Islam und der Muslime in Amerika ein. Durch Medienarbeit, Regierungsbeziehungen, Bildung und Anwaltschaft vermittelt CAIR eine islamische Perspektive, um sicherzustellen, dass die muslimische Stimme vertreten ist. Mit dieser Perspektive versucht das CAIR, die amerikanische muslimische Gemeinschaft zu stärken und ihre Beteiligung am politischen und sozialen Aktivismus zu fördern.“

CAIR wird nicht nur von der bereits genannten ADL als antisemitisch und HAMAS-Freund beschrieben sondern wird auch von einer Vielzahl von Autoren als „Front-Organisation“ der US-Muslimbruderschaft angesehen.

Zufall oder nicht, nach Rückkehr der Besuchsgruppe von RAA/Inssan aus den USA (am 15.März 2018) wird drei Monate später in Berlin die CLAIM-Allianz im Haus der Bundespressekonferenz  am 26. Juni 2018 vorgestellt. Die Projektleitung der CLAIM-Allianz hat das Inssan-Mitglied Nina Mühe.

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[1]  Riem Spielhaus / Alexa Färber (Hrsg.) „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“, im Auftrag des Beauftragten des Senats für Integration und Migration, Berlin, 2006. Seite 60.

[2]  ebendort, Seite 63.

[3]   So (nachrichtlich) in dem Gutachten der Bürgerinitiative gegen den Moscheebau am Mierendorffplatz in Berlin Charlottenburg 2005.

[4]  Esra Özyürek: „Deutsche Muslime - muslimische Deutsche. Begegnungen mit Konvertiten zum Islam.“ Heidelberg: 2017, 176 Seiten. Seite 51.

[5]  Julia Gerlach: „Auf dem Weg zu einem Europäischen Islam – oder ist dieser längst Realität?“, Hrsg. von der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh: 2016, 74 Seiten, Seite 13.

[6]  Riem Spielhaus / Nina Mühe: „Islamisches Gemeinedeleben in Berlin“. Herausgeben vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa EZIRE, 2018, S. 55.

[7]  Claudia Dantschke / Claudia Luzar: „Aspekte der Demokratiegefährdung im Berliner Bezirk Mitte und Möglichkeiten der demokratischen Intervention“. Hrsg. vom Zentrum Demokratische Kultur. Berlin, 2007. Seite 28.

[8]  Julia Gerlach: „Hilfsbereite Partner: Muslimische Gemeinden und ihr Engagement für Geflüchtete“, Hrsg. von Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2017, 92 Seiten. S.27/28.
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Gr…

[9]  Beide Urteile sind auf der Internetseite des Berliner Verfassungsschutzes als Download abrufbar. https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/verfas…

[10]  Lidwina Meyer (Hrsg.): „Recht, Religion, Politik. Auf dem Weg zu einer Anerkennung des Islam in Deutschland“. Loccum, 2007, 350 Seiten.

[11]  Lydia Nofal: „Erfahrungen und Positionen des Vereins Inssan für kulturelle Interaktion e.V.“, in. Lidwina Meyer (Hrsg.): „Recht, Religion, Politik. Auf dem Weg zu einer Anerkennung des Islam in Deutschland“. Loccum, 2007, Seite 69-74.

[12]  Lidwina Meyer (Hrsg.): „Religionen in der Stadt. Chancen für das urbane Zusammenleben.“ Loccum, 2006, 178 Seiten.

[13]  Esra Özyürek: „Deutsche Muslime - muslimische Deutsche. Begegnungen mit Konvertiten zum Islam.“ Heidelberg: 2017, 176 Seiten. Seite 56.

[14]  Riem Spielhaus / Nina Mühe: „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“. Herausgeben vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa EZIRE, 2018, S. 142.

[15]  Bassam Tibi: „Islamische Zuwanderung und ihre Folgen. Der neue Antisemitismus, Sicherheit und die ‚neuen Deutschen‘.“ Stuttgart: 2018, 516 Seiten, S. 124 ff.

[16]  Farid Suleiman, “Freitag”, in: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht, Herausgeber: Heribert Hallermann, Thomas Meckel, Michael Droege, Heinrich de Wall, 2019, Bad. 2.

[17]  Stefan Wild: „Alle Tage ist kein Freitag. Bemerkungen zu Freitag, Feiertag und Alltag in der islamischen Welt“, in: Alltagsleben und materielle Kultur in der arabischen Sprache und Literatur, Hrsg. von Thomas Bauer und Ulrike Stehli-Werbeck, Wiesbaden, 2005, S.399-409.

[18]  Esra Özyürek: „Deutsche Muslime - muslimische Deutsche. Begegnungen mit Konvertiten zum Islam.“ Heidelberg: 2017, 176 Seiten. Seite 50.

[19]  Die Entscheidungen des OVG sind über die Dienstelle des Entscheidungsversands (https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/entscheidungen/ent… ) erhältlich.

[20]  Kristiane Backer: „Von MTV nach Mekka. Wie der Islam mein Leben veränderte.“ Berlin, 2009, 331 Seiten. Seite 68/69.

[21]  Esta Özyürek, ebd.

[22]  Julia Gerlach: „Hilfsbereite Partner: Muslimische Gemeinden und ihr Engagement für Geflüchtete“, Hrsg. von Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2017, 92 Seiten. S.14.
https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Gr…

[23]  Lydia Nofal: „Gründung einer islamischen Stiftung Berlin zur transparenten Finanzierung des islamischen Lebens“, S. 44-49 in: Dietmar Molthagen, Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin (Hrsg.) „Die Finanzierung muslimischer Organisationen in Deutschland“, Berlin: 2018, 63 Seiten. Seite 44.

[24]  Lydia Nofal, ebd.

Richter zum Vergewaltiger: „Sie sind ja auf einem guten Weg, hier ein ganz normaler Mitbürger zu werden“

von Thomas Heck...

Und ein weiteres Skandal-Urteil für einen 30jährigen syrischen Vergewaltiger eines 15jährigen Mädchens. "... müsse das Gericht hart durchgreifen, wenn am helllichten Tag eine 15Jährige vergewaltigt werde. „Ich denke, wir wollen alle in einer Stadt leben, in der man so etwas nicht befürchten muss.“ Sagt der Richter und verhängt eine Bewährungsstrafe. Das Amtsgericht macht sich Entscheidung schwer. Mit aller Milde des Rechtsstaates... Der Syrer muss laut lachend den Gerichtssaal als freier Mann verlassen haben. Laut lachend.


Im Juli 2022 hat ein 30-jähriger Mann in einem Innenhof in der Osnabrücker City ein ihm unbekanntes Mädchen vergewaltigt. Das Amtsgericht verurteilte den syrischen Flüchtling nun zu der höchstmöglichen Bewährungsstrafe.

Zwei Jahre Haft sind die längste Strafe, die in Deutschland noch zur Bewährung ausgesetzt werden können. Nur ein Tag mehr, und der Täter muss seine Strafe hinter Gittern absitzen. Der 30jährige Osnabrücker, der sich jetzt vor dem Amtsgericht verantworten musste, hatte Glück – wenn er nicht wieder in ähnlicher Weise straffällig wird, kann er die nächsten Jahre in Freiheit verbringen.

15Jährige wollte ihren Freund besuchen

Beim ersten Blick auf die Tat mag das verstören, denn das Jugendschöffengericht bestätigte die Anklage, wonach der 30-Jährige ein ihm völlig unbekanntes 15-jähriges Mädchen vergewaltigt hat. Die Tat ereignete sich am frühen Morgen des 10. Juli 2022, einem Sonntag. Die 15Jährige wollte zu ihrem Freund, der in der Möserstraße lebt (auch das noch, Anm. des Heck Tickers), der Angeklagte kam aus einer Disco und wollte eigentlich nach Hause.

„Er ist ihr nicht schon, wie es in der Anklage heißt, vom Neumarkt aus hinterhergerannt, sondern hat sie erst in der Möserstraße getroffen und angesprochen“, sagte Verteidiger Frank Otten, der für seinen Mandanten eine Erklärung abgab. Der 30Jährige fragte die Teenagerin offenbar nach einer Zigarette, man habe zusammengestanden, geraucht und sich unterhalten. „Jedenfalls so weit, wie es die Sprachkenntnisse zuließen.“

Verteidiger: „Möglicherweise war er durch den Alkohol angepiekst“

Warum genau der Angeklagte, der noch nie wegen eines sexuellen Übergriffs auffällig geworden ist (oder noch nie erwischt wurde, Anm. des Heck Tickers), dann die Jugendliche vergewaltigte, blieb offen. „Möglicherweise war er durch den Alkohol angepiekst, er dachte wahrscheinlich, ,die kann ich noch überzeugen‘“, sagte Otten. „Es war das erste Mal, dass ich Alkohol getrunken habe“, ergänzte sein Mandant.

Für einvernehmliche sexuelle Handlungen mit einer 15-Jährigen hätte sich der Angeklagte auch tatsächlich nicht vor Gericht verantworten müssen, sie lässt das deutsche Strafrecht grundsätzlich zu. Doch von Einvernehmlichkeit konnte in diesem Fall keine Rede sein: Gegen ihren Willen drückte der Angeklagte sein Opfer an die Wand „und hörte auch nicht auf, an ihr herumzufummeln, als sie in einen Treppenaufgang flüchtete“, sagte der Vorsitzende Richter Michael Hune in seiner Urteilsbegründung. Schließlich kam es unter dem Einsatz von Gewalt zu einer Vergewaltigung. Eine DNA-Analyse überführte den Täter.

Verurteilt wurde der 30-Jährige schließlich auch wegen der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige. Irgendwann während des Zusammentreffens hatte er dem 15-jährigen Mädchen ein Tütchen mit einem halben Gramm Cannabis übergeben.

Richter: „Sie sind ja auf einem guten Weg, hier ein ganz normaler Mitbürger zu werden“

„Über den Inhalt der Beratung darf ich nichts sagen, aber wir haben uns schwer getan“, erklärte der Vorsitzende Richter Michael Hune in seiner Urteilsbegründung. Schon im Sinne der Generalprävention müsse das Gericht hart durchgreifen, wenn am helllichten Tag mitten in Osnabrück ein 15jähriges Mädchen vergewaltigt werde. „Ich denke, wir wollen alle in einer Stadt leben, in der man so etwas nicht befürchten muss.“

Für den Angeklagten spreche aber, dass er alkoholbedingt enthemmt gewesen und nicht nennenswert vorbestraft sei. Die Intensität der Vergewaltigung sei aus rein rechtlicher Sicht zudem „am unteren Rand“ gewesen. Zur Erläuterung: Während die meisten Menschen bei einer Vergewaltigung lediglich an einen unter Einsatz von Gewalt vollzogenen Geschlechtsverkehr denken, sieht das Strafrecht vor, dass auch einige andere sexuelle Handlungen rechtlich als Vergewaltigung angesehen werden, wenn sie gegen den Willen der betroffenen Person durchgeführt werden.

Schließlich hob Hune noch hervor, dass der 30Jährige, der 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet war, eine Wohnung und demnächst auch einen Job habe. „Sie sind ja auf einem guten Weg, hier ein ganz normaler Mitbürger zu werden.“ (Da muss man für eine Vergewaltigung schon mal Verständnis aufbringen, weil hier das ganz normal ist. Anm. des Heck Tickers)

3000 Euro Schmerzensgeld

All das rettete den Angeklagten vor einer Gefängnisstrafe, die er hätte absitzen müssen. Das Gericht machte ihm allerdings für die dreijährige Bewährungszeit noch einige Auflagen: Er darf sich ab sofort seinem Opfer nicht mehr als 50 Meter nähern und muss sich sofort entfernen, wenn er das Mädchen irgendwo sehen sollte. Außerdem muss der Syrer ein Schmerzensgeld in Höhe von 3000 Euro zahlen. Damit, so der Vorsitzende Michael Hune, habe die 15Jährige von der Bewährungsstrafe schließlich auch mehr, als sie von einem Gefängnisaufenthalt hätte. „So können Sie nämlich wenigstens arbeiten und ihr das Schmerzensgeld zahlen, das sie sonst mit Sicherheit nie bekäme.“



Unterdessen in einem anderen Teil des besten Deutschlands aller Zeiten. Ein Fehlgriff und ihre Freiheit stand auf der Kippe... Eine Rentnerin steckte im Edeka-Center Bothfeld eine Packung Zigaretten (Wert: 6 Euro) ein, wurde erwischt. Ein Mal zu viel....

Für die Staatsanwaltschaft ist sie unbelehrbar!

Das Amtsgericht hatte keine Gnade mit Uschi S. (62, Name geändert): Für den Diebstahl bekam sie zwei Monate Haft! Das Urteil war für die Ex-Krankenschwester (lebt von 778 Euro im Monat) ein Schock: „Für ein paar Zigaretten gleich Gefängnis.“ Grund für die harte Entscheidung: Seit 2001 sammelte die Rentnerin sieben Vorstrafen wegen Diebstahls.

Uschi S. akzeptierte die Strafe nicht, ging in Berufung. Vorm Landgericht erklärte sie jetzt: „Ich war gerade zwei Schritte aus dem Kassenbereich, wollte nur meinen Lebensgefährten rufen. Ich hatte kein Geld dabei.“ Der Laden-Detektiv (44): „Sie steckte die Zigaretten vorher ein.“

Richter Harald Zimbehl: „Die zwei Schritte waren zu viel, die Strafe ist aber unverhältnismäßig. Laut OLG Celle darf bei Bagatell-Delikten bis 10 Euro Schaden maximal ein Monat Freiheitsstrafe verhängt werden.“ Sein Urteil: ein Monat Haft auf Bewährung.

Dennoch muss die Rentnerin jetzt hinter Gitter! Wegen früherer Diebstähle muss sie noch 18 Monate absitzen – sie hatte gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Am 3. Januar tritt Uschi S. ihre Strafe im Frauengefängnis Vechta an. (Hätte sie mal besser vergewaltigt, Anm. des Heck Tickers)



 

Donnerstag, 2. März 2023

Dänemark streicht einen Feiertag für die Verteidigung...

von Thomas Heck...

Während Deutschland immer noch mit seiner Verteidigung, sagen wir mal, hadert, z.B. die 100 Mrd. Euro "Sondervermögen" kaum angerührt hat und auch das 2%-Ziel wieder wackelt, geht unser nördlicher Nachbar Dänemark neue Wege und kassiert einfach einen Feiertag. Für die Verteidigung. Das wäre doch auch mal einen Ansatz für Deutschland. Ich persönlich würde ja den 1. Mai opfern, ein Feiertag, der in Berlin immer in Gewalt und Randale ausartet. Außerdem ist der 1. Mai eine Erfindung der Nationalsozialisten, das sollten wir mal nicht vergessen.


Deutschlands nördlicher Nachbar Dänemark beweist wieder einmal Einfallsreichtum und Pragmatismus. So hat das Folketing, so der Name des dänischen Parlamentes, gestern mit 95 zu 68 Stimmen die Abschaffung eines Feiertags für die Finanzierung eines höheren Verteidigungsbudgets beschlossen. Dem Plan der sozialdemokratisch geführten Regierung zufolge soll der „Store bededag“ – auf Deutsch: Großer Gebetstag, der seit 1686 begangen wird und auf den vierten Freitag nach Ostern fällt – ab 2024 als allgemeiner Arbeitstag gelten.

Der zusätzliche Werktag soll einer Berechnung der dänischen Regierung zufolge die Staatseinnahmen jährlich um rund 400 Millionen Euro steigern, welche dafür genutzt werden sollen, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO früher als geplant zu erreichen.

Auch wenn diese Maßnahme insbesondere von Gewerkschaften und Kirche stark kritisiert wurde, ermöglicht sie es dem dänischen Staat, die Verteidigungsausgaben zu steigern, ohne an anderer Stelle kürzen zu müssen oder die Steuern zu erhöhen. Bis dato haben die Dänen neun gesetzliche Feiertage im Jahr.

Auch die deutsche Regierung hat im Zuge des Ukrainekrieges angekündigt, die Verteidigungsausgaben (Einzelplan 14) erhöhen zu wollen. Strittig bleiben aber die konkrete Höhe und die Finanzierung des Einzelplans 14 in den nächsten Jahren. Die Bürger in Deutschland haben je nach Bundesland rund zehn bis 14 gesetzliche Feiertage im Jahr, wobei die große Masse in die Hoheit der Bundesländer fällt. Lediglich der Tag der Deutschen Einheit ist durch den Bund festgelegt. Alle Bundesländer übergreifend gelten nur neun Feiertage: Neujahr, Karfreitag, Ostern / Ostermontag, Tag der Arbeit, Christi Himmelfahrt, Pfingsten / Pfingstmontag, Tag der Deutschen Einheit, 1. Weihnachtsfeiertag und 2. Weihnachtsfeiertag.

Die Umsetzung einer solchen Maßnahme in Deutschland wäre somit zwar möglich, aber deutlich schwieriger, da alle 16 Bundesländer an Bord geholt werden müssten, um dem Bund bei der Finanzierung des Einzelplans 14 zu unterstützen.

Erschienen auf Soldat + Technik...


Baerbock will den „feministischen Reflex“ ausbilden

von Thomas Heck...

Wer nichts kann, der gendert... diese zunehmende Weisheit bezieht sich auch auf die weltweit einzige Außenministerin mit Sprachfehler: Annalena Baerbock, das stotternde Honigkuchenpferd, die nun "feministische Reflexe" ausbilden will. Mir selbst ist nicht besonders klar, was damit gemeint ist. Doch es schwingt immer der Tenor mit, dass Frauen irgendwie bessere Menschen seien als Männer. Wobei doch jeder Mann weiß, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Doch die Heuchlerei merkt doch jeder heutzutage im Alltag. So führt feministische Außenpolitik im Ausland zum Ziel, dass Mädchen eigene und saubere Toiletten brauchen. In Innenpolitik nimmt man den Mädchen das Recht auf die eigene Toilette, die sie sich mit selbsternannten Frauen vulgo Transfrauen teilen müssen. So fallen Schutzräume für Frauen einfach weg.


Die Außenpolitik zielt künftig auf die Gleichstellung von Frauen und Mädchen weltweit. Im Auswärtigen Amt sind neue Strukturen und Arbeitsweisen vorgesehen. Söder findet das Konzept „unverständlich“.

„Bitternötig“ sei es, das Konzept zur feministischen Außenpolitik, behauptet Annalena Baerbock. Den Grund liefert die grüne Außenministerin gleich mit: „Weil Männer und Frauen weltweit immer noch nicht gleichgestellt sind.“ Sie will das daher ändern und präsentiert am Mittwoch, 1. März, im Anschluss an die Sitzung des Kabinetts einen 80 Seiten starken Katalog gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). Ihr Konzept soll unter den Augen einer eigenen Botschafterin das neue Arbeitsprinzip im Auswärtigen Amt werden, berichtet das Nachrichtenportal „t-online“.

Vorgaben sollen „innere Arbeitsweise“ prägen

„Frauenrechte sind ein Gradmesser für den Zustand unserer Gesellschaften“, schreibt Baerbock. Eine feministische Außenpolitik ziele auf die Gleichstellung von Frauen und Mädchen weltweit. Das Konzept sei jedoch „keine Außenpolitik für Frauen, sondern für alle Mitglieder einer Gesellschaft“.

Die Leitlinien würden „unser Handeln als Team des Auswärtigen Amts im Sinne eines Mainstreamings durchziehen, in unserer nationalen Außenpolitik, in der Europäischen Union und in den internationalen Foren“. Die Vorgaben sollten „unsere innere Arbeitsweise prägen“. Auch sollten sie dabei helfen, einen „feministischen Reflex auszubilden“.

Investitionen gendersensibel und gendertransformativ

Das Auswärtige Amt soll daher neue Strukturen und Arbeitsweisen entwickeln. „Mainstreaming“ werde dabei eine „Schlüsselrolle spielen“. Baerbock kündigt an, „dass wir hart daran arbeiten werden, unserem Auswärtigen Dienst ein weiblicheres Gesicht zu geben“.

Dazu gehöre auch, dass der Anteil von Frauen in Führungsfunktionen erhöht werde. Ziel sei es, bis zum Ende der Legislaturperiode 85 Prozent der Projektmittel „gendersensibel“ auszugeben, sodass Belange von Frauen mit einbezogen werden. Acht Prozent der Mittel sollten sogar „gendertransformativ“ gezahlt werden, sodass es eine aktive Umgestaltung der Projekte in diese Richtung gebe.

In sechs Leitlinien für ein künftiges außenpolitisches Handeln heißt es unter anderem: „Wir integrieren die Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen in unsere weltweite Arbeit für Frieden und Sicherheit.

Klima- und Energiediplomatie

Das Nachrichtenportal „The Pioneer“ hatte als erstes Baerbocks Pläne ausführlich dargestellt. Dazu gehört auch eine Leitlinie, bei der es um Klima- und Energieaußenpolitik geht. Dort heißt es, dass Frauen und diverse gesellschaftliche Gruppen wichtige Akteure und Akteurinnen sowie Führungspersonen „unserer Klima- und Energiediplomatie“ seien. Und weiter: „Wir helfen, die spezifischen Auswirkungen der Klimakrise auf Frauen und marginalisierte Gruppen auszugleichen.“

Feministische Außenpolitik bereits vor über 100 Jahren Thema

Die Idee der feministischen Außenpolitik ist indes keine Erfindung der Grünen Außenministerin. Das Thema wird seit mehr als 100 Jahren diskutiert. Ein wichtiger Meilenstein war dabei der Internationale Frauenfriedenskongress in Den Haag 1915. Organisiert hatten ihn die beiden Deutschen Anita Augspurg (1857 – 1943) und Lida Gustava Heymann (1868 – 1943). Gastgeberin war die niederländische Ärztin, Pazifistin und Frauenrechtlerin Aletta Jacobs (1854 – 1929).

Schweden bekannte sich 2014 offiziell als erstes Land zu einer feministischen Außenpolitik. Die neue Regierung aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen hat das Konzept im Oktober 2022 gekippt. „Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein grundlegender Wert in Schweden und auch ein grundlegender Wert für diese Regierung“, begründete Außenminister Tobias Billström gegenüber den konservativen Moderaten den Schritt.

Der Ausdruck „feministische Außenpolitik“ werde aber gestrichen, „denn Etiketten haben die Tendenz, den Inhalt zu verschleiern“. Kanada, Mexiko und Spanien gehören laut „Deutsche Welle“ (dw) zu den Ländern, die sich ebenfalls zur feministischen Außenpolitik bekennen.

Scharfe Kritik von CSU und AfD

Scharfe Kritik an Baerbocks Konzept äußerten CSU und AfD. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder findet das Konzept „unverständlich“. Für ihn sei Außenpolitik Diplomatie, nicht Mission. „Wenn man nur noch versucht, die Welt zu missionieren, dann wird man am Ende recht einsam dastehen“, zitiert die „Deutsche Welle den CSU-Politiker. Seiner Ansicht nach sei Baerbocks Plan, „durch die Welt zu reisen und allen anderen zu erzählen, was sie zu tun und zu lassen haben, zum Scheitern verurteilt“.

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel nannte die Idee einen „unsinnigen Etikettenschwindel“. Friedrich Merz (CDU), der das Konzept im vergangenen Jahr noch heftig attackiert hatte, spricht hingegen neuerdings von einem „wichtigen Thema“.

Mittwoch, 1. März 2023

Bürger sollen sparen, Wuppertal gönnt sich goldene Bänke...

von Thomas Heck...

Was sind das für Volksvertreter, die in Zeiten der Krise die Beschaffung von zehn goldenen Bänken für 40.000 Euro das Stück beschließen? 400.000 Euro Steuergeld verschwendet.  Mit dem Geld hätte man übrigens 10 Erzieher für städtische Kitas einstellen können. Wie weit müssen unsere Volksvertreter vom steuerzahlenden Pöbel eigentlich entfernt sein? By the way: Der Bürgermeister von Wuppertal ist Uwe Schneidewind, ein Grüner...


Ausgerechnet die wirklich nicht schöne Stadt in NRW hat vergoldete Bänke aufgestellt. Es folgte: ein Eklat. Über die Vorteile dieser Geldverschwendung redet hingegen leider niemand.

Man tut Wuppertal wohl nicht ganz unrecht, wenn man behauptet: Wuppertal ist keine glamouröse Stadt. Eher im Gegenteil. Wuppertal ist diese nichtssagende Stadt irgendwo in Nordrhein-Westfalen, hier gibt es nicht viel. Außer einer Schwebebahn. Als Hauptattraktion eine Schwebebahn, das muss eine Stadt erst mal schaffen. "Woanders is' auch scheiße", würde man im benachbarten Ruhrpott wohl sagen.

Nun greift Wuppertal aber nach den Sternen - und schafft vergoldete Bänke an. 400.000 Euro hat sich die Stadt die zehn Bänke kosten lassen, fünf Sonderanfertigungen mit einem goldfarbenen Überzug wurden bereits aufgestellt. Die Bänke seien Teil einer "Qualitätsoffensive für die Innenstadt", sagt die Stadt Wuppertal. Viele Bürger hätten sich mehr öffentliche Sitzgelegenheiten zum Verweilen gewünscht.

Die neue Anschaffung hat jedoch nicht direkt für Dankbarkeit gesorgt, eher für eine Welle der Empörung, und das mittlerweile sogar bundesweit. Schließlich schiebt die Stadt einen Schuldenberg von 1,6 Milliarden Euro vor sich her. "Vornehm geht der Haushalt zugrunde", stichelt der Bund der Steuerzahler NRW etwa; "Steuerverschwendung" hauen die Menschen auf Twitter wütend in ihre Tastaturen. Eine Frau fordert dort, man hätte das Geld lieber "in Schulen, Kitas oder klimafreundliche Projekte" stecken sollen.

Wuppertal? Da ist Luft nach oben

Viel Spott und Häme also für Wuppertal, alles irgendwie auch berechtigt. Aber nur auf den ersten Blick. Wenn man noch mal auf das nicht gerade glamouröse Image der Stadt zurückkommt, könnte die Anschaffung auch Teil einer ausgeklügelten Imagekampagne sein. In einem Ranking der kreisfreien Städte in Deutschland liegt Wuppertal auf Platz 58 von insgesamt 71 Plätzen (immerhin deutlich vor Hagen und Gelsenkirchen, wird sich der genügsame Wuppertaler denken). Die Damen und Herren in der Stadtverwaltung hingegen wissen: Da ist Luft nach oben. Und ein bisschen Bling-Bling hat ja eigentlich noch nie geschadet.

"Das sind Maßanfertigungen und keine Stadtmöbel aus dem Katalog", lässt eine Sprecherin der Stadt verlauten. Klar: Was will eine Stadt wie Wuppertal schon mit Katalogmöbeln. Schließlich sollen die Menschen in der Innenstadt künftig nicht einfach nur sitzen, sondern schön sitzen. Aber Achtung: Zu schön darf das Ganze auch wieder nicht sein. Die Bänke sollen sich ja ins Stadtbild einfügen. Auch daran hat Wuppertal - natürlich - gedacht und einfach die Rückenlehnen weggelassen. Für Bequemlichkeit hat das Budget dann wohl doch nicht gereicht.

Die vergoldeten Bänke könnten wahrlich der Anfang von etwas Großem sein. Wenn man ein bisschen träumt, kann man sich durchaus ein komplett vergoldetes Wuppertal vorstellen: goldene Straßenlaternen, goldene Bushaltestelle, ja, sogar eine goldene Wuppertaler Schwebebahn. Das Image der Stadt wäre auf jeden Fall aufpoliert, im wahrsten Sinne des Wortes. Und Gold ist ja auch inflationssicher. Eine Win-win-win-Situation sozusagen.

Bleibt zu hoffen, dass die goldenen Bänke auch der klammen Stadtkasse etwas Gutes tun. Vielleicht kommen ja bald tatsächlich Edel-Touristen aus ganz Deutschland nach Wuppertal, um sich auf den neuen Bänken zu fotografieren. Düsseldorf und München? Das war gestern. Wuppertal ist jetzt Place to be für die Schönen und Reichen.





SPD + CDU in Berlin: Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben..

von Thomas Heck...

Das war knapp. Berlin und der Wähler hat nochmal Schwein gehabt. Die CDU und die SPD wollen wieder zusammen. Feuchte grüne Träume einer Bettina Jarasch vom autofreien Kuhkaff Berlin, linksgrüne Träume verstaatlichter Wohnungsbauunternehmen haben sich erstmal ausgeträumt. Es ist die Chance für die von linksgrünen Politikern gebeutelte Stadt, endlich mal wieder zur Ruhe zu kommen. Bleibt nur zu hoffen, dass die SPD-Basis dem zustimmen wird.

Das alte SPD-Schlachtross Franziska Giffey kann nochmal auf 4 Jahre festen Job hoffen, auch wenn es nur der Job der Bürgermeisterin mit einem wichtigen Senatsressort sein wird. Regierender Bürgermeister würde wohl Kai Wegner werden. Die SED-Mauermörder-Nachfolgepartei Die Linke bliebe außen vor. Gottseidank.


Berlins Noch-Regierende Franziska Giffey (44, SPD) setzt auf Schwarz-Rot!

Nach nur 13 Monaten Rot-Grün-Rot will die Berliner SPD-Spitze in eine GroKo mit Wahlsieger CDU wechseln. Co-Parteichef Raed Saleh (45) teilte die Entscheidung den beiden Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken mit – sie wurde im Willy-Brandt-Haus befürwortet.

Aber die Partnerwahl bleibt bis zuletzt ein Pokerspiel.

►15 Uhr, Abgeordnetenhaus: Die SPD-Abgeordneten treffen sich zu ihrer Fraktionssitzung. Aus erster Quelle werden sie von den sieben SPD-Sondierern informiert. Die einhellige Meinung nach drei Gesprächsrunden: Ein Politikwechsel ist mit Grünen und Linken nicht möglich. Giffey will nach ihrem Wahldesaster aber Änderungen in den Bereichen Sicherheit, Bauen, Sauberkeit, funktionierende Behörden. Vor allem ist sie nicht bereit, Enteignungen von Wohnungsunternehmen blind umzusetzen.

Aber nicht nur die SPD buhlt um ein Bündnis mit Wahlsieger CDU.

► 14 Uhr, Euref-Campus (Schöneberg): Betont gut gelaunt trifft sich der wahrscheinlich nächste Regierende Bürgermeister Kai Wegner (50, CDU) mit Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (54, Grüne) & Co. – im Wahlkampf hatte er deren Politik noch heftig kritisiert.

Nach sieben Stunden trennt man sich. „Wir haben die ganz großen Brocken lösen können“, sagt Jarasch, meint u.a. den Weiterbau der A100. CDU-Wegner: „Es waren sehr, sehr gute Gespräche.“

Bei der Wiederholungswahl (12. Februar) hatte Rot-Grün-Rot zusammen rund 250.000 Wähler verloren – die CDU war haushoch Sieger mit zehn Prozent Vorsprung.

Schwarz-Rot würde bedeuten: Als Regierende Bürgermeisterin muss Giffey im Roten Rathaus den Chefsessel für Kai Wegner (50, CDU) räumen. Sie könnte aber seine Vize werden, als Bürgermeisterin dann auch ein gewichtiges Senatsressort übernehmen.

Am Mittwoch tritt der SPD-Landesvorstand um 16.30 Uhr zusammen, um über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der CDU am Freitag oder spätestens Montag abzustimmen. Dabei geht es auch um die Frage, ob am Ende ein linkslastiger SPD-Parteitag oder eine Befragung der eher breit aufgestellten Mitgliederschaft das schwarz-rote Regierungsprogramm absegnen würde. Die CDU entscheidet Donnerstag.


Franziska Giffey strebt eine Koalition mit der CDU an. Für die Grünen kam der Schritt der Sozialdemokraten "überraschend".

Die grüne Spitzenkandidatin bei der Wiederholungswahl, Bettina Jarasch, hatte nach eigenen Angaben keine Kenntnis von den Überlegungen der SPD zu Koalitionsverhandlungen mit der CDU, über die übereinstimmend mehrere Medien am Dienstagabend berichtet haben.

"Von den Plänen der SPD wurden auch wir aus der Presse überrascht", sagte Jarasch am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Montag sind wir mit der Verabredung auseinandergegangen, dass wir Mittwoch unsere rot-grün-roten Gespräche gemeinsam bewerten und abschließen", sagte Jarasch. "Nun hat sich Franziska Giffey gegen die Fortsetzung einer progressiven Politik für Berlin ausgesprochen."

Der Linken-Bundesvorsitzende Martin Schirdewan übt scharfe Kritik an möglichen Plänen für eine schwarz-rote Koalition in Berlin. «Die Ankündigung, dass die SPD sich in Berlin in eine Koalition mit der CDU begeben will, ist ein Schlag ins Gesicht aller Wählerinnen und Wähler, die eine gerechtere, ökologischere und weltoffene Stadt wollen», sagte Schirdewan am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Er appellierte an die SPD-Basis, dies nicht mitzutragen.

Schirdewan ging die CDU hart an. Diese habe den Wahlkampf mit «trumpesker Hetze» gegen Migrantinnen und Migranten und mit «billigem Autopopulismus» bestritten. Die Partei stehe gegen Maßnahmen für faire Mieten und sozialen Zusammenhalt. «Eine Wiederauflage der Groko wäre daher eine rückwärtsgewandte Betonkoalition, die der Union auch im Bund eine Blockademehrheit sichern würde», meinte der Parteichef. «Das ist gefährlich und bestimmt nicht das, was Stadt und Land in der Krise brauchen.»

Was sind die Gründe?

Franziska Giffey hat sich gegen eine neue Koalition mit Grünen und Linken in Berlin ausgesprochen.

Den Grünen sei nicht zu trauen, die Linken stecken in der Krise und nur mit der CDU sei aktuell ein realistisches Bündnis möglich. – Zu diesem Urteil ist die Sondierungskommission der Berliner SPD gekommen, der unter anderem Berlins regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey, angehört. Der interne Bericht liegt Business Insider vor. Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Berliner SPD eine Koalition mit der CDU anstrebt.

Vor allem in Bezug auf die Berliner Grünen werden in dem internen Schreiben harte Worte gewählt. "In nahezu allen politischen Teilbereichen haben die Grünen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Verabredungsfähigkeit aufkommen lassen", heißt es darin unter anderem. Demnach hätten die Grünen auch den aktuellen Koalitionsvertrag der Parteien relativiert. Unter anderem bei den Themen Wohnungsbau, Schulneubau und -sanierung und Lehrkräftebildung wurde in den Gesprächen demnach "die Verbindlichkeit der Absprachen in Abrede gestellt". Die Sondierungskommission kommt deshalb zu dem Schluss, dass die Eigeninteressen der Grünen überwiegen würden.

Berliner SPD will einen Neuanfang

Kaum weniger zuversichtlich fällt das Urteil der Kommission zu den Berliner Linken aus. Auch wenn kein Zweifel an der "Verabredungsfähigkeit der politischen Führung der Linkspartei" bestehe, glaubt man bei der SPD, dass die Partei vor einer Zerreißprobe stehe. "Zentrale Protagonist:innen arbeiten derzeit aktiv an einer Spaltung der Partei", heißt es in dem Schreiben. Für eine mögliche Koalition sei das einfach zu unsicher.

Auch in Hinblick auf das schlechte Wahlergebnis (18,4 Prozent für die SPD) bei der vergangenen Berlin-Wahl kommt die Kommission zu dem Schluss, dass es für die Berliner SPD in einer erneuten Koalition mit Grünen und Linken schwer werde, "einen echten Neuanfang zu vermitteln". "Die hohe Anzahl ungelöster koalitionsinterner Konflikte im Verlauf der vergangenen sechs Jahren legen nahe, dass eine Verbesserung der Bilanz in für die SPD Berlin wesentlichen Themenfeldern, etwa beim Bau bezahlbarer Wohnungen oder der Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit im derzeitigen Bündnis kaum glaubhaft darstellbar ist", heißt es in dem Bericht.

Allein mit der CDU sei aus diesen Gründen eine realistisch umsetzbare Koalition möglich, heißt es in dem Bericht. "Im Ergebnis konnten mit der CDU in allen Bereichen große Schnittmengen festgestellt werden", lautet das Urteil der Kommission.

Hierauf konnten sich CDU und SPD einigen:
  • Der Neubau soll gemeinsam und mit ambitionierten Zielsetzungen vorangetrieben werden. 
  • Das Neubauziel von durchschnittlich bis zu 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr soll erhalten bleiben. Dabei sollen alle Akteure einbezogen werden: Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und private Akteure. 
  • Bau- und Verkehrsplanung sollen stärker miteinander verzahnt sein. Vereinbarte Neubauprojekte sollen von allen Beteiligten Akteuren unterstützt und zur Realisierung gebracht werden.
  • Auf Landes- und Bundesebene soll für eine Verschärfung der Mietpreisbremse und weiterer Maßnahmen zum Schutz von Mieterinnen und Mietern und zur Mietpreisregulierung eingetreten werden.
  • In der Liegenschaftspolitik soll weiter gelten: keine Privatisierungen, keine Verkäufe.
  • Dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ soll im Fall eines entsprechenden Votums der Expertenkommission durch die Entwicklung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes und dem weiteren Ankauf von Wohnungsbeständen für die kommunale Hand Rechnung getragen werden.
Verwaltung:
  • Gemeinsam mit den Bezirken soll die Verwaltungsreform ohne Verzögerungen und mit klarem Zielbild vorangetrieben werden. 
  • Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken sollen klarer gefasst und eine Verfassungsänderung angestrebt werden. 
  • Alle Verfahren sollen im Laufe der Legislatur bis 2026 abgeschlossen werden.
  • Im Mittelpunkt der Verwaltungsreform soll die Dienstleistung gegenüber Berlinern stehen. Dafür sollen die Digitalisierung und Vereinfachung von Verfahren gezielt vorangebracht werden.
Innere Sicherheit:
  • CDU und SPD wollen die Haltung etablieren, unmissverständlich und unterstützend hinter der Arbeit von Polizei und Rettungskräften in Berlin zu stehen.
  • Mehr Personal, bessere Ausstattung und Modernisierung der Infrastruktur der Dienststellen und Wachen von Polizei und Rettungskräften zählen demnach zu den prioritären Projekten.
  • Sicherheit und Sauberkeit sollen stärker zusammen gedacht werden. Dafür sollen insbesondere auch in den Bezirken die personellen Voraussetzungen geschaffen werden.
  • Die Ergebnisse des Gipfels gegen Jugendgewalt, speziell auch im Bereich der Präventionsarbeit, sollen umgesetzt werden.
Verkehr:
  • Die Umsetzung der Verkehrswende habe Priorität. 
  • Dabei soll stärker als bislang der Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmer gesucht werden.
  • Der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin und die Zusammenarbeit mit dem Bund und dem Land Brandenburg habe einen hohen Stellenwert. 
  • Dazu gehören demnach S- und U-Bahnlinien ebenso wie die Tram.
  • Preisgünstige Angebote für den ÖPNV in Berlin sollen erhalten bleiben. Es gebe ein klares Bekenntnis für die Fortführung des 29-Euro-Tickets.
  • In der Friedrichstraße soll gemeinsam mit Anwohnenden und Gewerbetreibenden an Lösungen für eine Stadtraumgestaltung gearbeitet werden, die einer modernen europäischen Metropole gerecht wird.
Klimaschutz:
  • Berlin soll früher als 2045 klimaneutral werden. 
  • Dazu soll die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts Berlin genutzt und bestehende Programme zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Energieeffizienz weiter verstärkt werden.
  • Zur Umsetzung zusätzlicher Maßnahmen für die klimaneutrale Stadt soll ein Sondervermögen eingerichtet werden.
Bildung:
  • Berlin soll deutlich mehr Lehrkräfte ausbilden als bisher, um den wachsenden Schülerzahlen gerecht zu werden.
  • Die Schulbauoffensive soll weiter vorangetrieben werden.
  • Die Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule soll erhalten bleiben.
Vielfalt:
  • Der Kampf gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit müsse weiter verstärkt werden. 
  • Die vielfältige und weltoffene Stadt Berlin sei zu fördern.
  • Berlin soll die Stadt der Frauen bleiben und will seine moderne Gleichstellungspolitik fortsetzen.
  • Das Landesantidiskriminierungsgesetz soll erhalten bleiben und weiter umgesetzt werden.
  • Die Erhöhung der Zahl von Einbürgerungen, die Errichtung eines Landeseinbürgerungszentrums und die Beschleunigung der Verfahren seien wichtige Anliegen.
  • Das Neutralitätsgesetz soll gerichtsfest angepasst werden.
  • Zur Einführung des Wahlalters 16 sollen verfassungsändernde Mehrheiten im Parlament ausgelotet werden.
Wirtschaft:
  • Die Wirtschaftspolitik der vergangenen Monate und die Umsetzung des Neustart-Programms sollen fortgesetzt werden.
  • Die Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge über landeseigene Unternehmen soll fortgesetzt werden. 
  • Dazu gehöre auch der Erwerb der Fernwärme und von Anteilen an der GASAG.
Arbeit und Soziales:
  • Landesmindestlohn und Vergabemindestlohn sollen erhalten bleiben und dynamisch erhöht werden.
  • Perspektivisch sollen die Töchterfirmen von Charité und Vivantes zu den Mutterkonzernen zurückgeholt werden. Das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ soll gelten.
  • Die Bekämpfung der Kinderarmut bleibe ein wichtiges Ziel.
  • Die Arbeit zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und die Unterstützung von Menschen bei der Vermeidung von Wohnungslosigkeit sollen fortgeführt werden.
  • Berlin müsse weiter die Unterbringung von Geflüchteten gewährleisten. Dafür seien weitere Flächen für die Errichtung modularer Unterkünfte für Geflüchtete zu erschließen und der Bau dieser Unterkünfte in allen Bezirken zügig voranzubringen.


Dienstag, 28. Februar 2023

Habeck plant Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen

von Thomas Heck...

Der Irre im Wirtschaftsministerium schreitet uneghindert weiter vorhin, dass Land und seine Wirtschaft weiter mit Vollgas in den Abgrund zu steuern. Nachdem die Stromversorgung "reformiert" wurde ist nun der Wohnungsbau dran, dem immer mehr Steine in den Weg gelegt werden. Wer das alles umsetzen soll, ist ungeklärt. Wo der Strom herkommen soll, der diese neuen Geräte zuverlässig versorgen soll, steht in den Sternen. Ideologie schlägt Wirtschaftskompetenz. Grüne Politik halt. Habeck lenkt die Wirtschaft nach Gutsherrenart.


Laut einem Bericht der „Bild", will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) neue Öl- und Gasheizungen nahezu verbieten. Bereits ab 2024 sollen die ersten Schritte erfolgen. Habeck werde dazu bald einen Gesetzentwurf vorlegen, der dem Blatt vorliegt, heißt es.

Konkret wird berichtet, dass ab 2024 ausschließlich Heizungen neu eingebaut werden dürfen, die aus „mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien“ Wärme gewinnen. Damit sei es nicht mehr möglich, reine Gas- oder Ölheizungen neu zu verbauen. Bereits eingebaute Heizungen sollen 30 Jahre weiter betrieben werden dürfen. Danach sei ein Austausch von Nöten.

Was sonst noch im Gesetzentwurf steht:Ab 2025 sollen außerdem die neuen Anlagen mit sogenannten Smartmetern ausgestattet werden, damit diese aus der Ferne ablesbar sind.

Ab 2045 sei ein generelles Betriebsverbot für Öl- und Gasheizungen geplant.

Der Ökologie- und Umweltforscher Stefan Holzheu erklärt auf Twitter, dass es auch Klimaschutzgründen „absolut vernünftig“ sei, dass ab 2024 keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden sollen. Grundsätzlich sei dies kein Totalverbot, da auch noch immer „eine Hybridlösung aus Wärmepumpe und Gasbrennwert“ eingebaut werden könne.

Habeck plant Verbot von Öl- und Gasheizungen

Vor einigen Tagen hatte Bundeswirtschaftsminister Habeck bereits einen starken Förderbedarf für den verstärkten Umstieg auf klimafreundliche Heizungen angekündigt. Der Grünen-Politiker sagte am Mittwoch, die Förderung müsse so sein, dass Menschen auch mit kleinerem Geldbeutel nicht davon abgehalten würden, ein Haus zu sanieren, eine Wärmepumpe einzubauen oder den Gasbrenner rauszunehmen.

Die Bundesregierung müsse finanziell die Möglichkeiten schaffen, dass man die Differenz zu einer Gasheizung, die günstiger sei, tragen könne - bis der Hochlauf da sei und die Technik günstiger geworden sei. Das werde sich zwar auf der Strecke relativieren, so Habeck: „Aber am Anfang sehe ich einen starken Förderbedarf, damit die Notwendigkeit, klimaneutrale Wärme zu erzeugen, nicht zu sozialpolitischen Problemen führt.“

Habeck sieht starken Förderbedarf bei Heizungsumbau - Kritik von der FDP

Geplant ist laut Medienbericht, dass Habeck das Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen ab Anfang März von der Ampel-Koalition absegnen lässt. Bereits vor einigen Monaten zitierte der „Spiegel“ ein gemeinsames Papier des Bau- und Wirtschaftsministeriums. Auch darin hieß es, dass Hausbesitzer ab 2024 nur noch Heizungen installieren, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. Damals wurde jedoch berichtet, dass die Regierung den Hausbesitzern gewisse Möglichkeiten bieten wolle, um die eigens beschlossenen Vorgaben einzuhalten: Wärmepumpen und Hybridgeräte, Gasheizungen mit nachhaltigem Biomethan, grünem Wasserstoff oder anderen grünen Gasen, Biomasseheizungen, Stromdirektheizungen oder der Anschluss an ein Fernwärmenetz.





Frisch Erbrochenes von Sahra Wagenknecht...

von Thomas Heck...

Die gestrige "Hart aber Fair"-Sendung hätte eigentlich die Mischung gehabt, die man sich in der derzeitigen Medienlandschaft eher öfter wünschen würde: Unterschiedliche Meinungen, Diskurs anstatt den üblichen regierungskonformen Einheitsbrei. Doch die Realität ist dann doch wieder nur die  übliche übelriechende weil ideologische Melange, die in ihrer populistischen Militanz brandgefährlich ist. Ich weiß dabei nicht, was ich mehr verachten soll.

Auf der einen Seite eine der Stellvertreter Putins in Deutschland, die Linke Sahra Wagenknecht, die man in ihrer ideologischen Verbohrtheit überhaupt nicht mehr ertragen kann, der man aber auch den Mund nicht wirklich verbieten kann, solange keine russischen Truppen kurz vor Berlin stehen. Bei ihr weiß man allerdings, es gibt auch Ossi, die die Mauer wiederhaben wollen. Und zwar 3 Meter höher. Auf der anderen Seite Politiker, die in ihrer nationalen Besoffenheit zugunsten der Ukraine eine Tatkraft an den Tag legen, die ihnen angesichts einer deutschen Flagge niemals in den Sinn gekommen wäre, die in ihrer gesamten politischen Laufbahn Bundeswehr und NATO abgelehnt hatten und heute plötzlich zu Militärexperten bis hin zum Militaristen mutieren. Am Ende die übliche Erkenntnis, dass man sich diese Sendung auch hätte ersparen können.


„Hart aber fair“ führt die Irrtümer der Linken Sahra Wagenknecht gnadenlos vor Augen. Doch das kümmert sie nicht. Herfried Münkler findet das „Manifest“ von ihr und Alice Schwarzer zum Ukrainekrieg „gewissenlos“. So ging es rund.

Geirrt hatten sich vor einem Jahr viele, doch es ist schon frappierend, Sahra Wagenknecht bei „Hart aber fair“ zu erleben, diese Mischung aus Pikiertheit und scheinbar genauer Argumentation, um sie dann mit genau derselben Miene einer zu Unrecht Angefeindeten Folgendes sagen zu hören, in einem Einspieler der Talkshow „Anne Will“ vom 20. Februar vorigen Jahres, vier Tage vor Putins Überfall auf die Ukraine: Russland habe „faktisch kein Interesse“ an einem Einmarsch in die Ukraine und weiter: „Wir können heilfroh sein, dass Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird, nämlich ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben. Denn wäre es tatsächlich so, dann wäre wahrscheinlich Diplomatie hoffnungslos verloren, und ich möchte mir eigentlich nicht ausmalen, wie lange Europa noch bewohnbar wäre.“

Selbsttäuschung einer Berauschten

Wie gesagt, geirrt hatten sich damals viele, aber diese komplette Fehleinschätzung, so selbstbewusst vorgetragen wie alles, was Wagenknecht vorträgt, ihr völliges Falschliegen bei „Anne Will“, bestimmt unentrinnbar ihre Wahrnehmung im weiteren Verlauf von „Hart aber fair“, wo unter der Überschrift „Frieden mit Putins Russland: Eine Illusion?“ noch einmal politisches Illusionstheater geboten wurde. Der Eyeopener gleich zu Beginn: Wagenknechts Stimme ist ja dieselbe, mit der sie vor einem Jahr sich so verhauen hatte! Mit diesem Tonfall einer zu Unrecht Angefeindeten! Mit diesem Gestus einer Geschundenen, die sich was traut!

Stimme und Gestus halten nun nicht mehr, was sie versprechen, mit „Anne Will“ im Ohr erscheinen sie wie Makulatur, wie Selbsttäuschungen einer Berauschten. Was natürlich wiederum eine Täuschung des Publikums ist, denn, erstens, irren ist menschlich, und Wagenknecht redet – zweitens – zu intelligent, als nun sämtliche ihrer Worte in den Wind eines ein Jahr alten Zitats zu schlagen, das, noch einmal, so ähnlich seinerzeit von vielen Leuten zu hören war.

Aber warum nun, nachdem sich Putins Bild des Grenzen verschiebenden Neoimperialisten bestätigt hat, die ganze Hoffnung auf sofortige Verhandlungen setzen, wo Diplomatie für Wagenknecht bei diesem Putin-Bild doch erst hoffnungslos verloren galt? Darauf, auf diesen ihren Selbstwiderspruch, geht die „Noch“-Linke, wie sie sich selbst beschreibt, lieber gar nicht erst ein.


Münkler: Ein „gewissenloses Manifest“

Ein ebenbürtiger Gegner wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler dekonstruierte bei „Hart aber fair“ das Gespinst der Wagenknecht dann doch auch ohne jede Bezugnahme auf eine vorab von „Anne Will“ gelenkte Wahrnehmung. Münkler nahm zum täglichen Talkshow-Thema „Alle wollen Frieden, bloß wie?“ noch einmal den Akzent auf, den er im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gesetzt hatte, wo er den Aufruf von Wagenknecht und Alice Schwarzer als ein „gewissenloses Manifest“ disqualifizierte: „Die Vorstellung, man könne Frieden herstellen, indem man ,Frieden!' ruft, ist mir zuwider. Dieses Manifest, und das nehme ich Schwarzer und Wagenknecht besonders übel, desavouiert die gesamte Idee des Pazifismus. Wer das Wort Frieden nicht bloß für eine beliebige Wünsch-dir-was-Vokabel hält, muss dem mit Entschiedenheit entgegentreten.“

Auch wenn Münklers Schwerpunkte Politische Theorie und Ideengeschichte ihn etwas theorie- und ideenverliebt erscheinen ließen, so als habe er mit einer handhabbaren Typologie der Kriege den Masterplan zum Frieden in der Tasche – also trotz dieser gewissen Seminarseligkeit, die Münkler verströmt –, traf sein Spott während der Sendung dann doch mitten ins Herz der Wagenknecht-Versteher, als er meinte, es reiche nicht, „mit Füßchen“ aufzutreten und zu sagen: „Ich will aber, dass Frieden herrscht.“ Vielmehr müsse man, den aufs Ganze gehenden Putin vor Augen, „die ukrainische Armee befähigen, den Russen deutlich zu machen auf dem Schlachtfeld, dass sie ihre Kriegsziele nicht erreichen können oder dass sie einen Preis dafür bezahlen müssen, der höher ist, als sie ihn bezahlen können.“

„Den Frieden gemeinsam erkämpfen“

Der zugeschaltete Sergij Osatschuk, Oberstleutnant der ukrainischen Armee, brachte diese Friedensoption auf die Formel „den Frieden gemeinsam erkämpfen und bekommen“. Sie hob sich von der österlichen Metaphersprache des Publizisten Heribert Prantl ab, dem auf der Linie von Münklers im „Spiegel“ geäußerten Programmsatz „Man muss einen Krieg gedanklich erfassen, um ihn beenden zu können“ folgendes Bild einfiel: „Der Friede ist ein ungelegtes Ei, aber man kann das Nest bereiten, in dem das Ei gelegt werden soll.“


Die unbewegte Miene der wettererprobten Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP war erkennbar keine der Ergriffenheit, sondern eher eine solche der Entschlossenheit, auch diese Wunschpoetik der ungelegten Eier an sich vorüberziehen zu lassen, zumal Prantl, der Dichterkappe ledig, durchaus eine waffenliefernde Bereitschaft zu erkennen gab, die Strack-Zimmermann wiederum Gnade walten ließ gegenüber Prantls nächster, mit Wagenknecht anbändelnder Aufreizung: „Ich denke und hoffe inständig, dass man Verhandlungsbereitschaft auch herbeiverhandeln kann.“ Da war er Willy Brandts bedeutungsschwer intonierten Satz schon losgeworden: „Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Um keine blumigen Missverständnisse aufkommen zu lassen, stellte Münkler klar, dass jedes Hantieren im Ungefähren (pauschale Vorschläge wie „Land gegen Frieden“) dem reinen Herzen mehr als dem klaren Verstand entspringe. Damit spielte er abermals auf sein Denkstück im „Spiegel“ zum Thema „Wie denke ich den Krieg?“ an, wo es heißt: „Die Formel vom ,Nichtseinsollen des Krieges' (Habermas) bleibt kraftlos, wenn es keinen gibt, der das Nichtseinsollen durchzusetzen bereit und in der Lage ist.“ Wer nur auf den Frieden schaue, begreife nichts und vor allem: bewirke nichts.

Das Patentrezeptartige, das von Münklers kühler Analytik ausgeht, ist der etwas falsche Ton, der seine Ausführungen über Leben und Tod auf dem Schlachtfeld begleitet. Wer hätte Strack-Zimmermann zugetraut, bei „Hart aber fair“ die Berliner Demonstration mit Wagenknecht und Schwarzer dann doch „richtig und wichtig“ zu finden? Denn in Russland bleibe so eine Demonstration bis auf Weiteres ein Traum.