Hass gegen Dana MahrTRANSFEINDLICHER MOB AUF TWITTER
Dieser Artikel thematisiert Transfeindlichkeit.
Leider scheitert die Plattform Twitter leider immer noch an dem Selbstanspruch, einen sicheren Raum für alle seine Nutzer*innen zu bieten. Gerade in den letzten Wochen scheint der Ton zunehmend rauer geworden zu sein: Immer mehr progressive Menschen verlassen die Plattform, unter anderem die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl oder der Anwalt Chan-jo Jun. Beleidigungen und Drohungen aus reaktionären Milieus werden häufiger und in ihrem Tonfall brutaler, sodass wichtige Stimmen aus Selbstschutz die Plattform verlassen.
Eine Person, die trotz vehementer Angriffe bleibt, ist die Medizinsoziologin Dr. Dana Mahr. Mahr geriet ins Visier des transfeindlichen Milieus, als sie Kritik an den Thesen der Meeresbiologin Marie-Luise Vollbrecht geübt hatte. Vollbrecht ist Mitautorin eines viel kritisierten Welt-Artikels, der unter anderem das verschwörungsideologische Narrativ einer kinderverführenden „Trans-Lobby“ breit aufrollte. Vollbrechts Twitter-Account war zugleich eine Ansammlung von Polemiken gegen trans Personen. Die Meeresbiologin sollte als Referentin auf der „Langen Nacht der Wissenschaften“ der Berliner Humboldt-Universität sprechen, nach Kritik wurde die Veranstaltung jedoch abgesagt.
Der inzwischen aus den USA sattsam bekannte „Cancel Culture“-Diskurs ließ nicht lange auf sich warten. Er wurde ignorant gegenüber der Tatsache geführt, dass transgeschlechtlichen Menschen die Identität abzusprechen keine legitime Meinung ist, sondern eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Auch die Behauptung „Es gibt nur zwei Geschlechter“ entspricht eher dem Stand des Biologie-Unterrichts der siebten Klasse als einer wissenschaftlichen Erörterung. Trotzdem wurde die Kritik an Vollbrechts Thesen als Ausdruck einer totalitären Gender-Diktatur gelabelt. Dies geschah sowohl auf angeblich „radikalfeministischen“ Social Media-Accounts, in bürgerlichen Publikationen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, rechtsalternativen Portalen wie Tichy’s Einblick oder auf rechtsradikalen Troll-Accounts. Auch auf Twitter diskutierten User*innen aus unterschiedlichen Spektren darüber, ob eine Person das Recht haben sollte, Transgeschlechtlichkeit öffentlich leugnen zu dürfen, ohne dafür Kritik zu erfahren. Auch eine Vortragsabsage ist eine Form von Kritik – und nicht etwa ein Aufruf, die Verfasserin nie wieder sprechen zu lassen.
Um die eigene Seriosität als Wissenschaftlerin zu wahren, begann Marie-Luise Vollbrecht Anfang Juli, einige Tweets zu löschen, inzwischen ist ihr Account auch auf privat gestellt. Vollbrecht betont, dass keiner ihrer Tweets justitiabel sei. Dies ist, in einer Gesellschaft, in der Hass auf trans Personen nach wie vor kaum geahndet wird, vermutlich weitestgehend korrekt. Menschenfeindlich sind die Aussagen aber dennoch.
Marie-Luise Vollbrecht veröffentlicht online Kritiker*innen mit Erwähnungen auf ihrem Twitter-Account und sogenannten „Dogwhistles“. So hat sie ihre Follower und Unterstützer*innen auch auf Dr. Mahr aufmerksam gemacht. Dana Mahr berichtet im Gespräch mit Belltower.News, dass die Angriffe gegen sie begannen, als sie auf Twitter eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Can we embody truth(s)?“ zwischen ihr und der Philosophin und Professorin Paula Irene-Villa bewarb. Vollbrecht teilte den Tweet auf ihrem Account mit der Überschrift „Pssssst, can we embody some truth über diesen pissigen Soziologen“? Daraufhin, so Mahr, erhielt sie zunehmend beleidigende und übergriffige Kommentare.
Dana Mahr beschloss, sich zu wehren. Sie schrieb schließlich auf ihrem Twitter-Account: „Liebe Alle, wenn ihr unter den menschenverachtenden Akteuren um Frau Vollbrecht gelitten habt. Bitte sendet mir Screenshots von den Bedrohungen etc. zu. Sofern ihr diese noch habt. Eine gelöschte Twitter time-line darf nicht zu einer ‚weissen Weste‘ werden.“ Des Weiteren gab sie an, eine Netzwerkanalyse transfeindlicher Accounts anfertigen zu wollen, um zu analysieren und zu verbildlichen, inwieweit es Vernetzungen zwischen sich bürgerlich gebenden und eindeutig rechtsradikalen transfeindlichen Accounts gäbe.
Angesichts der Welle an Hassangriffen gegen trans Menschen ist dies ein Aufruf der Vernetzung und des Informationsgewinns, um all den oftmals grob menschenfeindlichen Beleidigungen vereinte Solidarität entgegenzusetzen. Marie Vollbrecht hingegen bezeichnet diesen Tweet als Teil einer gegen sie gerichteten Kampagne.
In Transfeindlichkeit vereint
Seit der Veranstaltungsabsage der Humboldt-Universität hat Marie-Luise Vollbrecht ein ideologisch transfeindlich motiviertes Unterstützer*innen-Umfeld. Dieses besteht aus Personen, die sich ansonsten politisch durchaus spinnefeind sind, aber sobald es um den Hass gegen transidente Personen geht, ihre Differenzen auch beiseitelegen können.
Nach dem Aufruf von Dana Mahr zur Vernetzung startete Vollbrecht eine inzwischen ausgesprochen erfolgreiche Spendenkampagne – laut Selbstangabe von Vollbrecht, um sich juristisch gegen eventuelle Klagen wappnen zu können. Juristische Beratung erhält sie dabei, wie sie selbst offen gelegt hat, von der Rechtsanwaltskanzlei Höcker, die unter anderem Alice Weidel, Recep Tayyip Erdogan oder Frauke Petry vertreten hat. Solidaritätsbekundungen erhielt Vollbrecht unter anderem auch von Feminismus ansonsten eher abgeneigten Charakteren wie den Publizist*innen Rainer Meyer, besser bekannt unter dem Pseudonym Don Alphonso, Judith-Sevinc Basad, Anna Dobler und der antifeministischen Organisation Demo für alle.
Die Unterstützung von Marie-Luise Vollbrecht ging fast immer mit Attacken gegen Dana Mahr einher: die beiden Frauen wurden zu Symbolen einer größeren, politischen Debatte erklärt, an denen es sich abarbeiten lässt. Dass auch Marie-Luise Vollbrecht auf Twitter beleidigt und angegriffen wurde, verurteilt Dana Mahr entschieden. Gleichzeitig hält sie es für wichtig aufzuzeigen, wie die Strategie hinter einem Shitstorm funktioniert, wie ihn ihre Familie und mit ihr solidarische Menschen gerade erfahren. „Es gibt auf Social Media Menschen, die machen sich nicht die Finger schmutzig, die deuten nur auf die Leute, die angegriffen werden sollen“, so Mahr gegenüber Belltower.News. „Es gibt Menschen, die Opfer aussuchen, und Leute, die Opfer attackieren. Sie suchen sich bewusst vulnerable Menschen aus“, fügt ihre Ehefrau im Gespräch hinzu. Vor allem, nachdem sehr öffentlichkeitswirksame Personen wie Rainer Meyer sich zu dem Fall geäußert hätten, seien die Angriffe signifikant häufiger und heftiger geworden.
Die Angriffe verblieben, wie so oft, nicht im Internet. Die Fensterscheibe in der Familienwohnung von Dana Mahr wurde eingeworfen, sie erhielt „etwas Ekliges“ im Briefkasten. Die Soziologin sah sich genötigt, mit ihren Angehörigen zu ihren Eltern zu fliehen. Eine Twitter-Userin, die es besonders auf Mahr abgesehen hatte, veröffentlichte Hinweise zum Wohnort der Eltern, die seitdem, so Mahrs Partnerin im Gespräch mit Belltower.News, anonyme Anrufe erhalten.
Geschichtsrevisionismus – in Ordnung, solange es gegen trans Menschen geht?
„Godwin’s Law“ ist eine Internet-Weisheit, das voraussagt, dass jede online geführte Diskussion irgendwann unweigerlich bei Nazi-Vergleichen lande. So weit ging es bei der Debatte zwischen Vollbrecht, Mahr und deren Unterstützer*innen zum Glück nicht, aber ohne Geschichtsrevisionismus kam diese Debatte nicht aus. In einem Tweet schrieb Vollbrecht darüber, dass trans Personen aufgrund des sogenannten „Transvestitenscheins“ von der Vernichtung queerer Menschen im Nationalsozialismus verschont geblieben seien. Außerdem hätten trans Personen sich auch einfach die Kleidung, die ihrem zugewiesenen Geschlecht zugeordnet seien, tragen können, um so der Verfolgung zu entkommen. Der Diskurs endete in dem Vorwurf, dass transsolidarische Menschen den Holocaust und dessen Singularität relativieren würden, da sie die Verfolgung queerer Menschen mit der Shoah gleichsetzen würden.
Der Historiker Dr. Bodie A. Ashton, der zu der Verfolgung und Vernichtung queerer Menschen im Nationalsozialismus forscht, sagt dazu: „Es ist einfach nicht glaubwürdig zu behaupten, dass trans* Menschen und Personen, die nicht dem ihnen zugewiesenen Geschlecht entsprechen, nicht unter der gewalttätigen und oftmals mörderischen Verfolgung des nationalsozialistischen Regimes gelitten hätten. Zahlreiche erhaltene Aufzeichnungen, einschließlich derjenigen der NS-Behörden aus dieser Zeit selbst, belegen dies. Dies wird in der Regel mit dem Hinweis darauf bestritten, dass die Verfolgten oft unter anderen bestehenden Gesetzen und Verordnungen litten – so wurden beispielsweise viele als homosexuelle Männer angeklagt, auch wenn sie sich ihrem Umfeld ausdrücklich als Frau präsentiert und jahrelang als solche gelebt haben. Diese Art der Argumentation gegen die Realität der Verfolgung von trans* Personen hat zwei Konsequenzen: Erstens stellt sie historisch gesehen die Stimmen der Täter in den Vordergrund, was dazu führt, dass wir uns nicht an die Opfer erinnern, wie sie gelebt haben, sondern wie sie von ihren Verfolgern und Mördern gelesen wurden; zweitens ist die Verleugnung der Geschichte einer Gemeinschaft ein wesentlicher Schritt im Prozess der Delegitimierung ihrer Existenz. Gegen dieses Vorgehen solidarisiere ich mich mit allen, die von historisch unbegründeten und skrupellosen Aussagen, die das Leid der Opfer des Naziregimes verharmlosen, betroffen waren und sind. Weiterhin solidarisiere ich mich mit all jenen, die im Zuge dieses Diskurses mit Hass und Hetze konfrontiert wurden.“
Auch Ashton wurde für seine Kritik an Vollbrechts Aussagen und seine Solidarität gegenüber Mahr so massiv attackiert, dass er seinen Twitter-Account momentan auf privat gestellt hat.
Täter-Opfer-Umkehr, Dämonisierung und andere Strategien
Sicherheit von Frauen, Indoktrination von Kindern, die Massenvernichtung im Nationalsozialismus: dass transfeindliche Personen derart schwere rhetorische Geschütze auffahren, kann als Teil einer Strategie begriffen werden. Menschen, die schlicht und ergreifend nur für ihr Recht kämpfen, in einem Körper zu leben, in dem sie nicht leiden, werden so zu einer gewaltigen Bedrohung stilisiert. Diese ist notwendig, um die brutale Kampagne gegen trans Personen zu legitimieren. Die Selbstdarstellung transfeindlicher Aktivist*innen und die Angriffe gegen Mahr und andere trans Personen sind Teil einer größeren Kampagne, deren Ziel es ist, transgeschlechtliche und intersexuelle Menschen zu diskreditieren und das inhärent antifeministische Bild einer biologistisch determinierten Zweigeschlechtlichkeit politisch und akademisch zu zementieren. Seit Wochen sieht sich Dana Mahr mit dem Vorwurf der Lüge konfrontiert (Hashtags wie #DanaMahrLügt), weil sie dieser Aussage widerspricht und über Diskriminierung und Wissenschaft spricht. Getroffen werden soll damit aber nicht nur Dr. Mahr, sondern alle trans Personen, die sich für ihre Rechte einsetzen. Es sind Botschaftsangriffe.
Der Kulturwissenschaftler Simon Strick, der unter anderem zu Online-Radikalisierung forscht, analysiert eines aufschlussreichen Twitter-Threads, dass die Diskussion um Vollbrecht so lange anhält, weil sie sämtliche Elemente bedient, die im Kulturkampf von rechts als relevant erachtet werden.
Glücklicherweise kann Dana Mahr auf eine solidarische Struktur zurückgreifen. Der von ihr gestartete Spendenaufruf, der zum Ziel hat, anderen von Shitstorms betroffenen trans Menschen finanziellen Rückhalt zu ermöglichen, hat bereits über 30.000 Euro eingenommen. Die Unterstützungswelle, die Dr. Dana Mahr momentan erfährt, zeigt, dass Solidarität immer stärker sein wird als Hass.
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