Mittwoch, 31. August 2022

9-Euro-Ticket: Sozialismus in vollen Zügen genießen...

von Mirjam Lübke...

Was haben das 9-Euro-Ticket und der Sozialismus gemeinsam? Zunächst einmal klingen beide nach einer guten Idee: Ob Gerechtigkeit oder (fast) freie Fahrt für alle, da mag niemand "nein" sagen. Die Bedürfnisse des Alltags für jeden günstig erfüllt, das bedeutet erst einmal eine Erleichterung, niemand muss hungern oder jeder kommt für ein bisschen Geld in ganz Deutschland herum, sogar nach Sylt, das noch immer als der Inbegriff einer schicken, edlen Urlaubsinsel gilt. Daran kann doch niemand etwas auszusetzen haben?
 

Wenn nur die Umsetzung der schönen Theorie so einfach wäre. Es ist eine Sache, sich am Schreibtisch wie Marx oder in einem Gremium wie die Grünen einen Masterplan zur Beglückung der Bevölkerung einfallen zu lassen. Wenn man dabei aber reale Gegebenheiten vollkommen ausblendet, dann ist das Scheitern vorprogrammiert. Das beginnt schon bei der Finanzierung des Großprojekts: Auch eine gute Idee kostet nun einmal Geld. Es hat sich in den letzten Jahren eine "na, dann drucken wir einfach mehr davon"-Mentalität eingeschlichen, die sich in Form von Inflation nun bitter rächt. Tatsächlich war das Ticket - neben seiner Funktion als Lockmittel für den Umstieg auf Bus und Bahn - als finanzieller Ausgleich für die hohen Benzinpreise gedacht. Nun kann ich günstig zum Einkaufen fahren - und stehe dann vor Regalen, in denen sich viele Waren des täglichen Bedarfs extrem verteuert haben. Für den Preis des Tickets bekomme ich selbst beim Discounter gerade einmal zwei Flaschen Speiseöl. Und das gilt schon als Sonderangebot.
 
Das Ticket gilt seinen Erfindern als Erfolg, weil es über 50 Millionen Male verkauft wurde. Auch ich zähle zu den Käufern, man freut sich eben heutzutage, wenn es etwas günstig gibt. Man kann sicherlich auch gute Ideen in Bedenken ersticken, aber ist es zuviel verlangt, von den Initiatoren wenigstens ein Minimum an Planung zu erwarten? Jeder normale Bürger, der etwas Großes vorhat, muss so agieren, wenn er nicht mit seinem Projekt kräftig auf die Nase fallen will. Wer einen Umzug plant, macht sich nicht erst einen Tag vorher Gedanken darüber, woher er den Möbelwagen und die Helfer bekommt. Bei uns Normalbürgern macht eventuell auch schon die Bank einen Strich durch die Rechnung, wenn sie ein Darlehen verweigert, welches man aufgrund des eigenen Einkommens unmöglich pünktlich zurückzahlen kann. Da zerplatzen unrealistische Träume schon im Vorfeld. Oft bekommt man den Eindruck, dass einem Projekt, das von vornherein größenwahnsinnig ist, weniger Hindernisse in den Weg gelegt werden.
 
Ist es nicht zudem merkwürdig, dass gerade jene, die vorgeben, sich um die "Unterprivilegierten" zu kümmern, sich offenbar kaum darum scheren, wie eben diese mit dem ihnen aufgezwungenen Projekt zurechtkommen? Angela Merkels wohl meist zitierter Satz ist "Wir schaffen das!", bezogen auf die Einwanderung seit 2015. Sie ist einfach davon ausgegangen, dass ein Heer von Helfern die eingebrockte Suppe schon auslöffeln wird. Auch die Erfinder des 9-Euro-Tickets überrumpelten Verkehrsverbünde und die Bahn.
 
Schon in einem normalen Unternehmen kann das zu schlechter Stimmung führen, wenn die Firmenleitung beteiligte Mitarbeiter mit ihren Plänen überfährt, denn diese wissen recht gut, was machbar ist. Menschen wollen wissen, ob ihre Arbeit ernst genommen wird. Üblicherweise ist es der Kapitalismus, der eines solchen Verhaltens bezichtigt wird - nicht immer zu unrecht - aber der Sozialismus kann es genauso gut. In vielen sozialistischen Staaten ist man noch nicht einmal frei in der Berufswahl gewesen.
 
Auch diesmal ist die gut gemeinte Idee krachend an mangelnder Absprache gescheitert. Die Ideologie, die Bürger auf Biegen und Brechen vom eigenen Auto abzubringen, scheiterte schon an der fehlenden Infrastruktur. Die ohnehin mit Problemen aller Art kämpfende Bahn konnte wohl kaum neue Züge aus dem Hut zaubern. Es ist ohnehin im Berufsverkehr kein Vergnügen, zwischen anderen eingepfercht zu sein, wenn man so müde ist, dass man nur noch sitzen möchte. Was ist daran arbeitnehmerfreundlich?

Auch wenn es dem Geldbeutel wehtut: Lieber zahle ich für meine gelegentlichen Fahrten ein wenig mehr, als noch länger wie in einer Sardinenbüchse zu reisen. Angesichts der zu erwartenden "Müffeln gegen Putin"-Koalition ist ein Verzicht auf menschliche Nähe im Zug vielleicht gar nicht mal eine schlechte Idee.



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