Montag, 8. Oktober 2018

Abschiebung oder erst vor Gericht? Wie umgehen mit ausländischen Straftätern?

von Thomas Heck...

Wenn man sich als Bürger wundert, warum der Rechtsstaat angesichts sich weiter umgreifender Gewaltexzesse mit der Abschiebung von Straftätern schwertut, muss berücksichtigen, dass beim Umgang mit Straftätern oft das Abschiebe- und das Strafverfolgungsinteresse kollidieren. Wobei man sich schon fragen darf, worin das Strafverfolgungsinteresse besteht, wenn selbst bei schwersten Straftaten milde Urteile bis hin zu der x.-ten Bewährungsstrafe zu erwarten sind und Angehörige zutiefst frustriert und wütend zurücklässt. 

Der Reflex nach Ruf einer sofortigen Abschiebung dagegen verhallt ungehört, dennoch sollte man sich auch hier dessen vergegenwärtigen, was denn eine Abschiebung in diesem Lande überhaupt bringt, tauchen doch Straftäter in schöner Regelmäßigkeit auch nach der 10. Abschiebung wieder auf. Man müsste den Täter schon erschießen um sich endgültig sicher zu sein, dass er keine Probleme mehr macht. Für einen Rechtsstaat undenkbar. So bleibt nur der Weg über Grenzkontrollen.


So titelt die WELT: Straffällige Migranten: Gleich abschieben – oder erst vor Gericht? Beim Umgang mit Straftätern kollidieren oft das Abschiebe- und das Strafverfolgungsinteresse. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries fordert eine Änderung der Praxis. Das Bundesinnenministerium will indes das Gesetz ändern.



Köthen, September 2018: Ein Afghane, gegen den im Zusammenhang mit dem Tod eines 22-jährigen herzkranken Deutschen nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung ermittelt wird, war bereits wegen etlicher Delikte, darunter Körperverletzung, polizeibekannt. Eine Abschiebung, die seitens der Ausländerbehörde bereits für April geplant war, lag jedoch wegen laufender Ermittlungen zu weiteren Straftaten auf Eis.

Hamburg, August 2018: Ein 14-jähriges Mädchen gibt an, von einem mehrfach wegen kleinerer Delikte vorbestraften Afghanen vergewaltigt worden zu sein. Der abgelehnte Asylbewerber wird festgenommen, allerdings nach sechs Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt, weil sich der Tatvorwurf „in wichtigen Punkten nicht mit den inzwischen ausgewerteten Beweismitteln vereinbaren“ lässt, wie die Staatsanwaltschaft mitteilt. Allerdings räumt der Senat ein, dass der 30-Jährige eigentlich ausreisepflichtig sei, aber wegen eines noch ausstehenden Urteils noch nicht abgeschoben worden sei.

Berlin, September 2017: Im Tiergarten wird eine junge Frau erwürgt und beraubt. Als Täter wird wenige Tage später ein vorbestrafter Tschetschene festgenommen. Er hätte abgeschoben werden sollen, doch die Staatsanwaltschaft verweigerte die Zustimmung, weil das Strafverfolgungsinteresse Vorrang habe vor dem Abschiebeinteresse.

Es sind immer wieder Meldungen wie diese, die in der Bevölkerung Zweifel an der Fähigkeit des Rechtsstaats wecken, kriminelle Ausländer in ihre Heimat zurückzuschicken. Tatsächlich scheinen Straftäter unter den abgelehnten Asylbewerbern bessere Aussichten zu haben, in Deutschland zu bleiben, als Migranten, die sich im Land gesetzestreu verhalten. 

Der Grund: Die Staatsanwaltschaften müssen Abschiebungen zustimmen, wenn auf den abgelehnten Asylbewerber noch Strafverfahren warten. Bei kleineren Delikten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln stimmen die meisten Staatsanwaltschaften offenkundig zu. Aber wenn es um Delikte wie Raub oder Körperverletzung geht, gewichten Staatsanwälte das Strafverfolgungsinteresse in der Regel höher als das Abschiebeinteresse.

Das Spannungsverhältnis dieser beiden widerstreitenden Interessen will der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries nun neu regeln. „Wir erleben häufig, dass wir ausreisepflichtige Ausländer haben, deren Abschiebung aufgrund laufender Strafverfahren nicht vollzogen wird und die dann bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Verfahrens weitere Straftaten begehen, weil die Richter zwischenzeitlich keine Haft anordnen“, sagt de Vries, Abgeordneter aus Hamburg, WELT. „Das sind leider keine Einzelfälle. Das müssen wir beenden. In dieser gesellschaftlichen Situation halte ich es für vordringlich, abzuschieben, bevor man ein Strafverfahren zu Ende führt.“

De Vries fordert daher „eine verbindliche Regelung, die das Ausreiseinteresse nach vorne rückt. Das ist möglich über einen Erlass oder eine Dienstanweisung der Landesjustizminister an ihre Staatsanwaltschaften.“ Der CDU-Abgeordnete will die Ausnahmen eng begrenzen. Er sei dafür, „auch bei schweren Verbrechen im Grundsatz abzuschieben. Ausgenommen werden hiervon nur schwerste Kapitalverbrechen wie etwa Tötungsdelikte. In solchen Fällen ist es vordringlich, dass ein Täter abgeurteilt wird und seine Strafe erhält.“



Kein Verbrechen ohne Strafe

Dabei ist das zentrale Argument der Staatsanwälte durchaus schlüssig: kein Verbrechen ohne Strafe. „Jemand, der eine Straftat begeht, soll hierfür auch zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärt etwa der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne). Die Voraussetzungen für Abschiebungen seien „gesetzlich genau geregelt. Sollte es unterschiedliche Auffassungen zu einem Abschiebebescheid geben, kann das Verwaltungsgericht angerufen werden.“

Doch dieses Prinzip führt wegen der langen Wartezeit auf einen sich möglicherweise über mehrere Instanzen hinziehenden Prozess oft dazu, dass gefährliche Kriminelle in Deutschland bleiben. Untersuchungshaft ist in den meisten Fällen nach aktueller Gesetzeslage auch nicht möglich, weil die Delikte dafür zu geringfügig sind oder von Ersttätern begangen wurden.

Der vorige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte 2016 gar, Ausreisepflichtige begingen kurz vor dem Termin Straftaten in dem Wissen, dass dadurch ihre Abschiebung zunächst vom Tisch sei. Es dürfe keine „Mode“ werden, warnte der CDU-Politiker, dass „man kurz vor der Abschiebung als Straftäter eine Straftat begeht und sich dann erwischen lässt, in der Absicht, erneut vor einem deutschen Richter zu landen, um die Abschiebung zu verzögern“.

Ein solches systematisches Vorgehen wird auf Nachfrage in dem inzwischen von Horst Seehofer (CSU) geleiteten Ministerium nicht bestätigt – aber auch nicht dementiert. „Belastbare Anhaltspunkte zum Begehen von Straftaten zur Verhinderung von Abschiebungen liegen der Bundesregierung über anekdotische Schilderungen hinaus nicht vor“, lässt die Pressestelle wissen. 


„Bekannt sind lediglich einzelne Selbstbezichtigungen zu in Wirklichkeit nicht begangenen Straftaten, die allerdings von den Ermittlungsbehörden effizient als solche identifiziert werden und wozu nach Kenntnis der Bundesregierung auch ein länderübergreifender fachlicher Austausch stattfand.“

Soll heißen: Manche Ausländer erfinden Straftaten, die sie gar nicht begangen haben, um von einer Abschiebung verschont zu werden.

Der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sieht keine Notwendigkeit für einen Erlass an die Staatsanwaltschaften, künftig das Abschiebeinteresse höher zu gewichten als das Strafverfolgungsinteresse. Denn bei Gewalttaten werde abgeurteilt und bei Bagatelldelikten abgeschoben. „Nach meiner Kenntnis verfahren die Staatsanwaltschaften – allerdings als Einzelfallentscheidungen der zuständigen Dezernenten und eigener Handhabung – auch ohne richterliche Verfügung, Erlass oder Handreichung bereits genau so“, versichert Biesenbach, Justizminister seit Juni 2017.

In seiner Praxis sei ihm „kein Fall bekannt geworden, in dem bei einem Gewaltverbrechen in einer Haftsache auf das Verfahren und die Vollstreckung verzichtet wurde, während bei einem Bagatelldelikt ohne besondere weitere Umstände stets die Zustimmung zur Abschiebung erklärt wird“. Er habe darum „volles Vertrauen in die Arbeit der Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen“, so Biesenbach.

Gleichwohl haben sich Union und SPD im Koalitionsvertrag auf eine „Verbesserung der Rückkehrpraxis“ festgelegt. Bundesinnenminister Seehofer wolle „zeitnah einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Vereinbarung“ vorlegen, heißt es in seinem Ressort. Derzeit würden Regelungen zur Reform des Paragrafen 72 Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes geprüft. 

In dieser Passage heißt es: „Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden.“ Dieses Einvernehmens bedürfe es unter anderem dann nicht, „wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse besteht“.

Diese Rechtslage, so das Bundesinnenministerium, stellt „für die Ausländerbehörden hohe praktische Hürden auf“.

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