Ich muss zugeben, mein trans Selbst ist relativ spät und über die Jahre nur zögerlich aus seinem Schrank mit dem "Do not open"-Schild in diese Welt getreten: vorsichtige Schritte, hier und da eine Anspielung bei Freunden, ein bedachtes Herantasten. Doch als es geschah, dachte ich: Jetzt, jetzt sehen sie es.
2019, ungefähr um den 31. März 'rum, hatte ich – das Datum lässt mich heute schmunzeln – beschlossen, das Bild auf meinem ohnehin, aber eigentlich erst in einem halben Jahr ablaufenden Personalausweis zu erneuern. Ein ernster Gesichtsausdruck, die paar eben erst kurz geschnittenen Haarsträhnen nach vorne, den langen Rest nach hinten gesteckt, wo man sie nicht sieht. Fast ein Kurzhaarschnitt. Ein Hemd, eine Krawatte, ein Trenchcoat. Mit demselben Outfit bin ich dann zur Antragstellung gegangen. Ein Ausweis zum ersten Mal mit Gültigkeit für zehn Jahre. Eine ganze Dekade.
Der erste offiziell behördliche Akt, für dich vielleicht nur ein Foto, für mich ein großer Act. Keine Chance mehr für ein Herausreden, es sei alles nur ein Spiel, ein Ausprobieren gewesen. Ich habe Angst vor deiner Reaktion. Ich habe Angst, was es für mich bedeutet. Maskulin blicke ich vom Bild zu mir selbst. Ich sehe mich. Ich war überzeugt: Ab jetzt sehen sie mich endlich auch.
Was darauf folgte, war "Frau" als Anrede, bald darauf ein "Ist mir egal, du nervst", ein "Ich kenne mich 'damit' nicht aus", "Ich weiß nicht, bist du jetzt ein 'es'?" und viele weitere schmerzhafte Dinge mehr, die auch im Familien- und Freundeskreis geschahen, vor denen mich das "Do not open"-Schild in der nervösen Handschrift meines 20-jährigen Ichs warnen wollte.
Trotz alledem bereue ich es nicht, die Schranktür geöffnet zu haben. Ich sehe mich. Ich gehe raumgreifend, energisch und breitbeinig durch die Welt – ein Gang, der nach meinem Coming-out so natürlich und automatisch kam, dass ich ihn nie erlernen musste. Ich spreche bestimmt und mit männlicher Kadenz. Nach meiner Einschätzung mache ich nichts "falsch", um nicht irgendwie ein entsprechendes Passing für dich an den Tag zu legen. Und ich falle jeden Tag aus allen Wolken: Denn es scheint, als zwingt mich die Welt da draußen, obwohl es mir vor vier Jahren ernst geworden ist, mit mir doch ein Spiel zu spielen: "Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist: mich."
Ich werde nicht müde, dich zu korrigieren.
Ein von Google als LGBT-freundlich ausgewiesenes Bistro. Drei auf seichtem Niveau mit der Bedienung an der Theke schäkernde Typen: Die Ice-Balls wären letztens im Cocktail perfekt gewesen. Every pun intended. Der unterschwellige Sexismus in der Luft scheint der Kellnerin nichts auszumachen. Sie lacht, sie ist zu ihnen überaus freundlich. Schlimm genug, diese Internalisierung, ein Armutszeugnis unserer sexistischen Gesellschaft.
Es kommt bald ein "Dame" an mich, es kommt freundlich, aber bestimmt, ein "Keine Dame. Ich bin ein Herr wie jeder andere hier" von mir, es kommt ein aufbrausend wütendes "Das kann ich ja nicht riechen" zurück. Stimmt, meine Schuld: Vermutlich roch ich nicht stark genug nach Moschus, Martini sowie toxisch-fragiler Männlichkeit und habe sie nicht ekelhaft genug an ihrem Arbeitsplatz angegraben, um in diesem Moment als männlich genug durchzugehen. Doch wenn das die Mittel sind, lasse ich dieses Ziel diesmal aus.
Ich strebe für mich kein cis passing an. Ich bin gerne trans, gerne sichtbar trans. Ich empfinde mich nicht im falschen Körper. Ich bin weit gekommen.
Ob ich medizinisch transitioniere oder nicht, macht mich nicht weniger oder mehr trans, nicht mehr oder weniger Mann, ich muss mich für nichts rechtfertigen, und trotzdem muss ich es doch, sonst würde ich diesen Satz eben nicht schreiben müssen.
Immer wenn es um Trans*-Sichtbarkeit geht, begegnen mir Widersprüchlichkeiten: Offenbare ich dir, dass ich trans bin, kommt es zu der absurden Situation, dass nicht-queere Leute ganz schnell und plötzlich keine Geschlechter sehen würden und nur Menschen oder weil sie mich als Mensch sehen, ihnen deshalb mein Geschlecht egal sei. Oft gefolgt auf ein vorangegangenes Misgendering.
Doch diese Aussage ist genauso wenig ein Kompliment für mich wie ein "Für mich siehst du nicht behindert aus" im Fall von Ableismus, ein "Man hört ja gar keinen Akzent" als Kommentar zum Migrationshintergrund, ein "Du bist nicht wie andere Frauen" bezüglich Sexismus und ein "Ich sehe keine Hautfarben" im Kontext von Rassismus. Es ist nämlich gar keins. Es ist eine Verlegenheitsantwort aus einer privilegierten Position heraus. Einer Position, die die entsprechende Diskriminierungserfahrung nicht macht, an eine Person, die sie macht.
Du musst dich nicht vor einem Restaurantbesuch fragen, ob die Servicekraft mit Beleidigungen um sich wirft oder dich lächerlich macht, wenn du deine Anrede klarstellst. Wenn du mein Geschlecht angeblich nicht siehst, negierst du meine Diskriminierungserfahrung, die ich täglich aufgrund meiner Transidentität mache. Du versuchst, mich in dein Privileg zu integrieren, das tatsächlich keinen Platz für mich hat. Und noch viel schlimmer, du negierst meine Identität als Mann. Du negierst einen Teil von mir. Und dabei beschleicht mich die bittere Ahnung, dass du mein Geschlecht tatsächlich nicht siehst: Ich bin für dich kein Mann. Und wenn du dir für einen kurzen Moment bei dem Aufeinandertreffen mit mir einreden kannst, keine Geschlechter zu sehen, ist es ein Kunstgriff von dir, dich nicht schlecht fühlen zu müssen. Und das Perfide ist es, mir es dann auch noch als ein Kompliment und eine Geste der Akzeptanz zu verkaufen.
Immer wenn es um Trans*-Sichtbarkeit geht, begegnen uns Diskrepanzen.
Wir sollen am besten cis aussehen, damit wir nicht irritieren, und gleichzeitig haben Leute noch nie eine trans Person getroffen und kennen sich "mit dem Thema" nicht aus. Anscheinend sieht man uns nie und gleichzeitig sind wir doch ein Trend und plötzlich überall und ganz viele. Und gleichzeitig hat gleich auf einmal jede*r ganz besonders gut in Bio damals aufgepasst, wenn es um das "biologische Geschlecht", was auch immer das wieder sein soll, ging oder wird ganz "philosophisch", um uns den ontologischen Sex-Gender-Dualismus zu erklären. Ehrlich gesagt, weckt für mich der Begriff "biological sex" Assoziationen, die mich in meiner Lebensrealität mehr an ein veganes Kondom und einen grünen Smoothie danach erinnern. Und es mag sein, dass das Im-falschen-Körper-Narrativ für manche von uns eine greifbare Metapher ist. Aber doch auch längst nicht für alle.
Und gleichzeitig weiß anscheinend jede*r, wie trans Personen und ihre Körper aussehen, wenn sie sie denn auf der Straße treffen würden, wohl definitiv nicht "voll schön", da helfe ja anscheinend auch kein Filter. Und Influencer reproduzieren Transfeindlichkeit, entschuldigen sich für das Falsche, und entschuldigen sich damit gar nicht, und im selben Akt reproduzieren sie gleich mit ableistischer Sprache Ableismus. Natürlich, sicher ist nicht alles "bewusst" und "böse" gemeint. Doch das ist nie der Punkt. Ich glaube dir, dass du mir nicht auf die Füße treten wolltest. Tatsache ist aber, dass du es tust. Dein Privileg trägt Verantwortung. Und du legst einen Filter darüber.
In der Begegnung mit dir wird meine Sichtbarkeit herausgefiltert. Ich werde herausgefiltert. Ich muss dich korrigieren. Ich muss mich korrigieren: Oben sagte ich, ich strebe kein cis passing an. Gleichzeitig passe ich für dich als cis. Nur für dich leider unerfreulicher Weise nicht als Mann. Als solcher bin ich unsichtbar. Sondern als das mir bei der Geburt zugewiesene Geschlecht. Eine Zuweisung, die kein Ende zu nehmen scheint. Deine Vorstellungen an dem Tor, wo du "männlich" darübergeschrieben hast, wie ich auszusehen habe, filtern mein Ich heraus. Ich werde nicht müde, dich zu korrigieren.
Immer wenn es um Trans*-Sichtbarkeit geht, begegnen uns Diskrepanzen.
Du hast Sorgen, welche Rechtsfolgen mein Geschlechtseintrag haben wird. Es ist nicht neu, wenn du wieder etwas von "Sorgen" redest, während wir auf der Straße und im Bus und in der Straßenbahn öffentlich beschimpft, bedroht, verprügelt und umgebracht werden. Wenn "besorgte Eltern" Elternbriefe an Lehrpersonen schreiben, dass der Aufklärungsunterricht ihr Kind schwul macht. Oder trans. Der neue "Trend". Dass die "Sorgen" von deinem privilegierten cis Ich (ja, Cis-Sein ist ein Privileg, das merkt man übrigens daran, dass dir das Obige als cis Person aus diesem Grund eher vergleichsweise wenig geschieht) ernst zu nehmen sind, während um unsere Existenz verhandelt wird, als wären wir Ananas auf einer Pizza.
Trans Körper, insbesondere die von trans Frauen, werden fetischisiert, erfahren Gewalt und Übergriffe aufgrund ihres Trans*-Seins. Das ist besorgniserregend. Sie sollten besonderem Schutz unterliegen. Aber dich bringt die Sorge einer Betreiberin einer Frauensauna ins Schwitzen, welche die Intimsphäre ihrer Kundinnen schützen will und daher an die äußere Erscheinung eines Menschen anknüpfen darf.
Wann hört es auf, dass trans Frauen immer wieder als Sündenbock und abschreckendes Narrativ der bösen gefährlichen trans Frauen, die am Ende doch nur verkleidete, gaffende, übergriffige Männer sind und in Frauenschutzräume eindringen wollen, für das Verhalten von übergriffigen Männern herhalten müssen?
Immer wenn es um trans Körper geht, begegnen uns Widersprüchlichkeiten und Diskrepanzen: Die meisten haben noch bislang keine trans Person getroffen, die meisten kennen sich "mit dem Thema" nicht aus, sehen keine Geschlechter, außer, es geht um Genitalien, dann wird Geschlecht plötzlich wichtig, die meisten meinen, noch nie eine trans Person getroffen zu haben, gleichzeitig sind wir ein gefährlicher Trend und irritieren mit unseren Körpern plötzlich überall, da wir ganz viele sind.
Ich bin trans. Ich bin kein Thema, ich bin eine Person. Eine Person, die du jeden Tag triffst und hinterher behauptest, nicht getroffen zu haben. Ich bin der Mann, den du nicht siehst. Ich bin kein Thema, keine Dame, kein es, und allem voran ganz bestimmt nicht egal, aber ich filtere für dich gerne das wirklich Wichtige heraus: Es ist gefährlich, sichtbar zu sein. Unsichtbar zu bleiben, tut weh. Zu korrigieren macht müde.
Dein Privileg ist deine Verantwortung. Meine Sichtbarkeit endet bei dir. Sie kann aber auch nur bei dir beginnen.