Grenzübergang Semalka (irakisch-syrische Grenze) – brisante Geheimaktion kurz vor Weihnachten!
Erstmals ist die Bundesregierung selbst aktiv geworden und holt gefangene deutsche ISIS-Mitglieder aus Nordsyrien zurück nach Deutschland. Für den lange geplanten Rücktransport von drei Frauen und deren Kindern sowie mehreren Waisenkindern aus kurdischen Camps hat das Auswärtige Amt eine Maschine gechartert, Bundespolizisten begleiten den Flug.
Bei den drei Erwachsenen handelt es sich nach BILD-Informationen um Leonora M. (21) aus Sangerhausen, Merve A. (24) aus Hamburg sowie Yasmin A. aus Bonn.
Die Bundesregierung hatte die Rückführung gefangener deutscher ISIS-Mitglieder aus Syrien bislang abgelehnt. Offizielle Begründung aus dem Auswärtigen Amt (AA): Man könne in Syrien nicht helfen, da man dort keine Botschaft unterhalte.
Allerdings: In Nordsyrien herrscht nicht das Regime von Diktator Baschar al-Assad (55), sondern die kurdische PYD mit ihrer YPG-Miliz. Zu dieser unterhält Berlin aber offiziell keine Beziehungen – wohl auch aus Rücksicht auf die Türkei, die in der YPG den syrischen Ableger der verbotenen Terrorgruppe PKK sieht.
Die YPG trug bislang die Hauptlast des Kampfes gegen die ISIS-Terrorgruppe, die sich „Islamischer Staat“ nannte: Im Frühjahr 2019 eroberten ihre Kämpfer mit Unterstützung amerikanischer Spezialeinheiten und der US-Luftwaffe die letzte ISIS-Stellung im Dorf Baghuz. Tausende ISIS-Mitglieder samt ihren Familien wurden gefangenen genommen, darunter Dutzende Deutsche. Die Gefängnisse der YPG füllten sich mit den gefangenen Kämpfern, die Frauen und Kinder wurden in bewachte Camps gesteckt. Die Bedingungen dort sind teilweise katastrophal, die medizinische Versorgungslage schlecht.
2019 berichtete BILD mehrfach über den Fall eines Kleinkindes, die Tochter einer Berliner Dschihad-Reisenden: Das Mädchen litt an einem sogenannten Wasserkopf und schwebte in Lebensgefahr. Zudem lebten in dem Flüchtlingscamp al-Hol drei Waisenkinder, deren deutsche Eltern in Syrien getötet wurden. Nach einem BILD-Bericht erkannte eine in Deutschland lebende Großmutter ihren Enkel, im August schließlich holte das Auswärtige Amt die drei Waisenkinder und das schwer kranke Baby nach Deutschland. Einige Wochen später gelangte durch Vermittlung der USA erstmals eine deutsche ISIS-Frau aus kurdischer Gefangenschaft mithilfe des Auswärtigen Amtes nach Deutschland zurück.
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Nun jedoch führt das Auswärtige Amt (AA) erstmals selbst aktiv deutsche ISIS-Frauen zurück. Die Entscheidung sei dabei allein aus humanitären Gründen gefallen, heißt es im AA. Denn mehrere Angehörige gefangener Deutscher hatten die Bundesregierung zuvor erfolgreich auf Rückführung verklagt, allerdings wurde bislang keine der Gerichtsentscheidungen umgesetzt.
Wer sind die drei Frauen?
► Leonora M. verschwand 2015 aus ihrem Heimatort Sangerhausen (Sachsen-Anhalt) – die Schülerin war damals erst 15 Jahre alt. Wie BILD 2017 öffentlich machte, wurde Leonora Drittfrau des deutschen ISIS-Schergen Martin Lemke aus Zeitz. Lemke war im Sicherheitsapparat der Terrormiliz tätig, wohnte längere Zeit in Raqqa, kontrollierte und verhörte dort andere Deutsche.
Nach BILD-Informationen soll Leonora ihn dabei unterstützt haben. Anfang 2019 wurde Lemke von der YPG-Miliz gefasst, Leonora kam mit ihren zwei Töchtern ins Camp al-Hol. Dort war sie massiven Anfeindungen durch andere deutsche Frauen ausgesetzt, die Bedrohungslage soll bei der Entscheidung für die Rückführung eine Rolle gespielt haben.
► Merve A. zog 2014 in den Dschihad, heiratete dort Bilal Z., den sie bereits aus Hamburg kannte. 2017 starb ihr Mann bei Gefechten, Merve floh mit den zwei gemeinsamen Kindern, wurde von der YPG verhaftet und lebte seitdem im Camp Roj.
Der Gesundheitszustand beider Kinder verschlechterte sich zuletzt massiv, weswegen sich das Auswärtige Amt zu einer Rückführung entschied.
► Yasmin A. wanderte 2015 nach Syrien aus – ihr Bruder Yamin war damals bereits berüchtigt. Denn kurz zuvor hatte die ISIS-Medienabteilung das einzige offizielle deutschsprachige Propagandavideo veröffentlicht: In der antiken Ruinenstadt Palmyra waren mehrere deutsche Dschihadisten versammelt, der Österreicher Mohamed Mahmoud rief zum Dschihad auf und beleidigte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schließlich erschoss Mahmoud gemeinsam mit Yamin A. zwei wehrlose Gefangene.
Zwei Jahre später wurde Yamin A. bei Kämpfen getötet, Yasmin floh mit ihren Kindern, wurde von der YPG-Miliz verhaftet und nach Camp Roj gebracht. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich massiv, weswegen sie ebenfalls auf die Liste für Rückführungen kam.
Was geschieht mit den ISIS-Rückkehrerinnen?
Gegen alle drei ermittelt der Generalbundesanwalt unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation im Ausland (Paragraph 129b StGB). Allerdings: Da keine Fluchtgefahr besteht und auch sonstige Haftgründe (zum Beispiel Beweismittelvernichtung) nicht vorliegen, werden wohl keine Haftbefehle vollstreckt, vorerst bleiben die drei also auf freiem Fuß. Doch nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens müssen sie sich vor Gericht verantworten.
Die Höchststrafe für § 129b liegt bei zehn Jahren Haft, dazu dürften Anklagen wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und wegen Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch kommen.
Warum wurden die Frauen jetzt zurückgeholt?
Tatsächlich war die Rückführung bereits länger geplant, doch die ohnehin schwierige Lage in Nordsyrien wurde durch die Corona-Pandemie zusätzlich erschwert. Zudem sind die Verhandlungen mit der PYD für Berlin schwierig: Denn die kurdische Partei drängt zwar darauf, dass die Herkunftsländer ihre gefangenen Staatsbürger zurückholen, doch verlangt sie dafür auch Gegenleistungen: mindestens die Anwesenheit eines offiziellen Vertreters. So erhofft sich die PYD, politische Legitimität zu erhalten, sowie Unterstützung für ihre Autonomie-Region, die immer wieder durch Militärinterventionen der Türkei und mit ihr verbündeter syrischer Milizen bedroht wird.
Das Problem der deutschen Staatsbürger in Nordsyrien wird die Bundesregierung jedoch weiter beschäftigen: Knapp 70 Erwachsene und ungefähr 150 Kinder warten noch immer auf Rückführung. Unter ihnen befinden sich teils schwer kranke Kleinkinder. Einige Kinder leben bereits seit mehr als drei Jahren in den Camps – obwohl in einigen Fällen die Sorgeberechtigten in Deutschland leben und auf Rückkehr ihrer nach Syrien entführten Kinder drängen.
Neben humanitären Gründen sprechen auch Sicherheitsaspekte für eine Rückkehr: Denn seit dem vergangenen Jahr sind nach BILD-Informationen fast zwei Dutzend deutsche Syrienreisende aus der Gefangenschaft geflohen, zehn von ihnen wurden anschließend von der Türkei aus nach Deutschland abgeschoben.
Doch weiterhin besteht die Gefahr, dass aus den schlecht bewachten kurdischen Gefängnissen und Camps bald auch Deutsche ausbrechen und unentdeckt zurückkehren könnten.