Donnerstag, 2. Mai 2019

VEB BMW... laut SPD ein künftiges Erfolgsmodell?

von Thomas Heck...

Das Gespenst der Enteignung und Verstaatlichung geht weiter um sich. Nachdem in den vergangenen Wochen der Versuch gemacht wurde, die Möglichkeiten der Verstaatlichung von Wohnungsbaugesellschaften zu eroieren, legte Jungsozialist Kevn Kühnert noch einen nach. Wihmraumbesitz über die selgstgenutzte Wohnung hinaus dürfte es nicht geben. In einer Talkshow vor ein paar Wochen ging es noch um tausende von Wohnungen. Nun verdichtet sich doch beim Kevin der Wunsch nach einer Demokratie sozialistischen Prägung sichtlich, Reinigungen inklusive. 


Jetzt will er BMW verstaatlichen, einer der prosperierendsten und effektivsten Unternehmen in Deutschland überhaupt. Mit einer Produktivität, von der die VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau nur träumen konnten. Bei einer spontanen Umfrage der Berliner Abendschau vor dem Werkstor in Berlin Spandau unter der Belegschaft war die Botschaft klar. Keine sozialistischen Experimente gewünscht. Zumal BMW-Mitarbeiter über Belegschaftsaktien am Unternehmenserfolg beteiligt sind und Gewinnbeteiligungen in nicht unerheblicher Höhe die Attraktivität des Arbeitgebers BMW mitbestimmen.

Das kann ein Kevin Kühnert natürlich nicht verstehen, der in seinem Leben außer einem abgebrochenem Studium eher nichts vorzuweisen hat. Wer Schwachsinn verzapft, darf sich über Spott, auch aus den eigenen Reihen, nicht wundern, ist doch die SPD in Umfragewerten weiter im Tiefflug und mit der Wahl zum Europaparlament droht das nächste Debakel.  Da muss man dem Jungspund ja schon fast für die ehrlichen Worte dankbar sein. Und es wird Zeit, dass der SPIEGEL dem Revoluzzer zur Seite springt und seine revolutionäre Stange hält. So schreibt der SPIEGEL im Relotius-Stil:


Fast wäre der "Kampftag der Arbeiterklasse" in diesem Jahr an Deutschland so spurlos wie immer vorbeigezogen: ein paar Tausend friedlich-freundliche Gewerkschafter in Großstädten, ein paar Appelle zu mehr sozialer Gerechtigkeit - dann aber bitte zurück zum Alltag. Hätte Kevin Kühnert der "Zeit" nicht ein Interview über sein Streben nach und seinen Vorstellungen vom Sozialismus gegeben.

Hat er aber. Und so wird an diesem 2. Mai in Deutschland heftig über die Überwindung des Kapitalismus und über eben jenen Kevin Kühnert debattiert. Der Chef der SPD-Nachwuchsorganisation (Jungsozialisten, kurz: Jusos) muss sich von eigenen Parteifreunden fragen lassen, welche Drogen er konsumiert habe, solch "groben Unfug" zu formulieren.

Nur: Was fordert Kevin Kühnert denn da eigentlich genau? Die "Zeit"-Journalisten versuchen, den Juso-Chef im Interview auf eine konkrete Antwort festzunageln, allerdings vergeblich. Stattdessen fallen gleich mehrere jener Begriffe, die vor allem im konservativ-wirtschaftsliberalen Lager für Aufregung sorgen, so als stünde die Republik bereits kurz davor, das Vorbild der DDR nachzuahmen mit ihren "Volkseigenen Betrieben" wie dem Chemiewerk VEB "Walter Ulbricht". 



Dabei bleibt unklar, ob Kühnert seine Vorschläge wirklich im Wortsinne meint. Um diese Begriffe geht es:

Kollektivierung

"Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar", sagt Kühnert. Im ökonomischen Sinne bedeutet Kollektivierung laut dem "Gabler Wirtschaftslexikon" sehr allgemein die "Überführung von Privat- in Gemeinschaftseigentum". Was Kollektivierung im konkreten Fall bewirkt, hängt also entscheidend davon ab, was mit "Kollektiv" - also der "Gemeinschaft" - gemeint ist: ein Zusammenschluss von einem Dutzend Handwerkern, die ein Unternehmen gründen? Die Belegschaft, der die Firma gehört? Oder gleich alle Bürger eines Staats als Eigentümer eines Konzerns?

Was Kevin Kühnert unter dem Kollektiv versteht, bleibt im Interview unklar: Einerseits verwendet er ihn für die Idee, ein Autokonzern wie BMW solle "zu gleichen Anteilen" seinen Mitarbeitern gehören. Es könne nicht sein, dass etwa bei BMW "Zehntausende, die den Wert schaffen, mit einer aus Abhängigkeit heraus verhandelten Lohnsumme abgespeist werden".

Möglich ist, dass Kühnert sich den bayerischen Autobauer als Beispiel ausgesucht hat, weil der Eigentümerclan Quandt zu den reichsten Deutschen gehört - und allein 2018 mehr als eine Milliarde an BMW verdient hat. Auf der anderen Seite taugt der deutsche Automobilbau nicht recht als Beispiel für eine die Arbeiter knechtende Ausbeuterbranche. In deutschen Autofabriken verdient ein Berufsanfänger am Band rund 3700 Euro pro Monat - und damit mehr als mancher Akademiker.

Kühnert geht aber noch weiter: Er findet, "das Kollektiv" könne womöglich in Zukunft auch entscheiden, ob es BMW überhaupt noch brauche - schwer vorstellbar, dass er damit ebenfalls die BMW-Arbeiter meint. 

Verstaatlichung

Isoliert betrachtet lesen sich manche Aussagen des Juso-Chefs ausgesprochen radikal. Allerdings relativiert er viele umgehend selbst, wenn er von der "Zeit" darauf angesprochen wird etwa. So sagt er zunächst, eine demokratische Kontrolle von Profiten "schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebs gibt" - nur um kurz darauf einen Schutz für Eigentum zumindest dann zuzusichern, wenn es "tatsächlich selbst erarbeitet wurde". Dürfte ein deutscher Jeff Bezos also seine Milliarden behalten, weil er Amazon selbst gegründet hat, die BMW-Erben aber nicht?

Der Juso-Chef lässt - vermutlich bewusst - einen sehr breiten Interpretationsspielraum. Die Geschichte und politische Praxis kennen jedenfalls viele und sehr unterschiedliche Varianten der Verstaatlichung - und zwar auch in kapitalistischen Systemen.

Bekannt sind etwa Notfallverstaatlichungen: In der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise wurde so etwa die Krisenbank Hypo Real Estate vollständig und die Commerzbank teilweise verstaatlicht, um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern.

Andere Beispiele sind Bereiche, bei denen Ökonomen von "natürlichen Monopolen" sprechen. Darunter fällt häufig die öffentliche Versorgung. Beim Aufbau eines Energie- oder Wasserversorgungsnetzes etwa fallen in der Regel so hohe Kosten an, dass sich ein Markteintritt für neue Wettbewerber nicht lohnt. Dann kann der Staat eingreifen und den Netzbetreiber verstaatlichen, damit der seine Marktmacht nicht ausnutzt.

Apropos Marktmacht: Damit argumentieren auch viele Kritiker von Amazon, Facebook und Google, die wahlweise eine Zerschlagung oder eine deutlich striktere Regulierung der Techkonzerne fordern. Bei Kühnert findet sich die Debatte in einem Nebensatz ("Reden wir über den Umgang mit Internetgiganten"), der aber offenlässt, wie eine von Deutschland betriebene Vergesellschaftung der an US-Börsen notierten Firmen aussehen soll.

Kühnert beruft sich in dem Interview allerdings auch explizit auf Karl Marx. Der Vordenker des Kommunismus hat seine Idee einmal so formuliert: Das Proletariat - heute würde man vielleicht eher von abhängig Beschäftigten sprechen - müsse der Bourgeoisie (vulgo: den Reichen) "nach und nach alles Kapital entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats (...) zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch vermehren".

Dahinter steht die Vorstellung, dass ein wie auch immer geartetes "Kollektiv" beziehungsweise ein sozialistischer Staat die besseren Unternehmer sein könnten, weil kapitalistische Eigentümer in der Tendenz Arbeiter und Firmen nur zum eigenen Nutzen ausschlachten. 

Historische Belege für eine Überlegenheit sozialistischen Wirtschaftens sind allerdings spärlich. Während des Kalten Kriegs tat sich der Westen zwar aus Mangel an verlässlichen Daten ziemlich schwer, die tatsächliche Wirtschaftskraft des Ostblocks korrekt einzuschätzen. Spätestens mit dem Fall der Mauer 1989 wurde die Rückständigkeit der Staatsökonomien von DDR und Sowjetunion aber offensichtlich.

Auch das deutlich aktuellere Beispiel Venezuela taugt eher nicht als Beleg für Kühnerts Thesen. 2002 ließ die dortige sozialistische Führung den größten Ölkonzern des Landes verstaatlichen, 18.000 Mitarbeiter wurden ausgewechselt. Davon hat sich das Unternehmen nie erholt, die Ölförderung des ölreichsten Landes der Welt liegt heute nur noch bei knapp der Hälfte des Volumens vor der Verstaatlichung.

Das Modell der Genossenschaften

Kevin Kühnert sagt, er könne sich durchaus eine Umwandlung von BMW in einen "genossenschaftlichen Automobilbetrieb" vorstellen. An anderer Stelle lobt er Genossenschaften als gutes Zukunftsmodell zur Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt.

Als Zusammenschluss von Personen zur Erzielung eines gemeinsamen wirtschaftlichen oder sozialen Zwecks hat die Genossenschaft in Deutschland eine lange Tradition. Am bekanntesten sind die Volks- und Raiffeisenbanken. Darüber hinaus gibt es viele Sektoren, in denen kleinere Betriebe Teile ihrer Geschäftstätigkeit bündeln, um am Markt gemeinsam stärker aufzutreten. Landwirte und Winzer vermarkten so in Genossenschaften ihre Produkte, Einzelhändler bündeln ihren Einkauf. 

Sehr selten ist hingegen das Konstrukt, dass Kühnert für die Umorganisation von BMW beziehungsweise der deutschen Wirtschaft insgesamt vorschwebt. Das Modell wird in Fachkreisen "Produktivgenossenschaft" genannt und in manchen Medien "Mitarbeiterunternehmen": Die Firma gehört dabei nicht irgendwelchen Kapitalgebern oder Eigentümerfamilien, sondern den Angestellten selbst*.

Wie viele solcher Firmen in Deutschland bestehen, ist nicht bekannt. "Unstrittig ist, dass die Zahl der Produktivgenossenschaften (...) sehr gering ist", schreibt die Universität Lüneburg in einem Beitrag zu dem Thema. Ein Grund dafür: Mitarbeiterfirmen haben oft Schwierigkeiten, sich gegenüber der Konkurrenz am Markt zu behaupten. Sie seien deshalb oft nur in "ökonomischen Nischen" zu finden, die für andere Unternehmen "aufgrund ihrer Profitabilität uninteressant sind". Das vermutlich bekannteste deutsche Mitarbeiterunternehmen war Photo Porst. Dessen Eigentümer gewährte den Mitarbeitern in den Siebzigerjahren "totale Mitbestimmung". Allerdings rutschte das Unternehmen schon Anfang der Achtzigerjahre tief in die roten Zahlen, die Mitarbeiter-Beteiligungs-KG musste Konkurs anmelden.

Demokratische Kontrolle

Kühnert begründet sein Ausweichen bei Fragen nach der konkreten Ausgestaltung des Sozialismus explizit damit, dass er darunter kein fertig ausgearbeitetes Konzept verstehe, sondern das "Ergebnis von demokratischen Prozessen, orientiert an unumstößlichen Grundsätzen". Auch die BMW-Kollektivierung will er nur "auf demokratischem Wege". Es ist das überwölbende Prinzip Kühnerts zu einer gerechteren Gesellschaft - und Kollektivierung oder Verstaatlichung nennt er nur als mögliche Instrumente, dieses Prinzip umzusetzen.

Unklar bleibt aber, was der Juso-Chef unter "demokratischen Prozessen" versteht - und was nicht. Ist die Abstimmung von Mitgliedern einer Genossenschaft bereits eine demokratische Legitimation? Aber was ist, wenn es sich um einen in eine Genossenschaft gewandelten Rüstungskonzern handelt, und deren Mitglieder darüber abstimmen, ob weiter Waffen produziert werden sollten? 

Im Grunde geht es - wie schon bei der Kollektivierung - auch hier um die Frage: Wer gehört jeweils zu dem Personenkreis, der über eine bestimmte Frage entscheiden kann? Dass Kühnert sich hier nicht festlegt, ist nachvollziehbar: Würde alles auf der höchstmöglichen Ebene entschieden - also der staatlichen -, wäre man wieder bei der Planwirtschaft. 

Fazit

Die Nachwuchsorganisation der SPD nennt sich selbst Jung-Sozialisten. Ihr Chef Kevin Kühnert will diesem Namen erkennbar Ehre machen. Sein Interview kann ein Anstoß sein für eine Debatte, wie die Ungleichheit in Deutschland bekämpft werden könnte. Den "Zugang zu Vermögen" hält Kühnert nicht zu Unrecht für viel zu ungerecht verteilt.

Seine Lösungsvorschläge kommen aber nicht über Ansätze hinaus. Sie sind teilweise widersprüchlich. Kühnert gibt an, ihm sei "nicht wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW staatlicher Automobilbetrieb steht oder genossenschaftlicher Automobilbetrieb".

Am Ende des Interviews bleibt der Eindruck, das könnte ihm womöglich auch deshalb so gleichgültig sein, weil er sich mit den Unterschieden im Detail ohnehin nicht beschäftigt hat.

Erschienen im SPIEGEL

Soweit die kühnen Träume eines abgebrochenen Studenten mit der Wirtschaftswissen eines Regenwurms. Im FOCUS legte Kühnert gestern nochmals nach. Es gelte, den Kapitalismus zu überwinden. Gut zu wissen.










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