Samstag, 1. Oktober 2016

Schweden führt Wehrpflicht wieder ein. Warum nicht Deutschland auch?

von Thomas Heck...

Deutschland hat unter Verteidigungsminister von und zu Guttenberg die Wehrpflicht ausgesetzt, nicht abgeschafft. Die Wiedereinsetzung stellt an sich rechtlich kein Problem dar, wäre nur eine Frage der Entscheidung der Regierung und des Parlaments, doch es fehlt am politischen Willen. Weshalb eigentlich? Andere Länder machen es vor. Beispiel: Schweden. Schweden führt die Wehrpflicht wieder ein, weil der Soldatennachwuchs fehlt. Für Deutschland ist das keine Option – trotz Personalproblemen, meint Jakob Pontius auf ZEIT ONLINE. Doch er legt nicht dezidiert dar, warum es keine Option ist. Seine Argumente sind leicht zu widerlegen.


Junge Schweden, die in den 1990ern geboren wurden, hatten Glück: Sie mussten keinen Wehrdienst leisten. Ihr Heimatland hatte die Wehrpflicht 2010 abgeschafft. Doch ab 2018 sollen die Kinder des neuen Jahrtausends wieder auf Zeit zur Waffe greifen müssen, Männer wie Frauen. 

Schweden ist nicht in der Nato und stolz auf seine Bündnisfreiheit, die unfreiwillige diplomatische Verwicklungen verhindern soll. Das bedeutet aber auch, dass sich das Land im Ernstfall selbst verteidigen können muss. Dass müsste Deutschland auch. Dass dieser Ernstfall wieder realistischer geworden ist, hat mit Aggressionen aus dem Osten zu tun: Russland hat zuletzt mehrfach mit Kampfjets und U-Booten vor der schwedischen Küste geübt.

Die Regierung in Stockholm begründet ihren Schritt auch damit, dass sie nicht genug qualifizierte freiwillige Rekruten auftreiben konnte, um eine funktionierende Armee zu gewährleisten. Dieses Problem ist auch in Deutschland nicht neu, die Bundeswehr hat trotz massiver Werbung über alle Kanäle große Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Die Wehrpflicht war dagegen immer ein probates Mittel, Nachwuchs zu finden. Nahezu 50% der Offiziere und Unteroffiziere kamen aus den Reihen der Wehrpflichtigen. Potential, was uns heute entgeht.

Die Entscheidung der Schweden hat auch in Deutschland die Frage nach der Wehrpflicht neu entfacht. Hat doch auch die Bundeswehr Schwierigkeiten, genügend geeignete Bewerber aufzutreiben, seit sie die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt hat. "Das Problem gibt es so nicht", behauptet Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages wider besseren Wissens. Eine Behauptung, die nicht mit der Realität in der Truppe übereinstimmt. Eine glatte Lüge. Ich weiß nicht, in welcher Armee Bartels Wehrbeauftragter ist, die Bundeswehr scheint es nicht zu sein.

In Deutschland sei deshalb die Wiedereinführung der Wehrpflicht "überhaupt kein Thema". Auch die vier Bundestagsfraktionen lehnen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ab, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) versicherte im August dieses Jahres, die Aussetzung habe der Bundeswehr gut getan. Wer die Truppe ein wenig kennt weiß, dass sie da falsch liegt. Die Für und Wider der Wehrpflicht ist hier in Deutschland ausschließlich eine Frage der politischen Richtung, nicht der sicherheitspolitischen Notwendigkeiten. Das ist Deutschland im Jahre 2016. Unter Merkel. In einer unsicheren militärischen Lage in Europa, mit Russland als militärischen Spieler und Hasardeur. Mit einem Flüchtlingsansturm über das Mittelmeer. Mit 1 Millionen kampferprobter Flüchtlinge im Land. Mit notorisch unterfinanzierter Polizei und Militär. Das muss man sich mal vergegenwärtigen.

Verteidigungsministerlaiendarstellerin und ihr Wehrbeauftragter

Eine Wehrpflicht sei zurzeit weder notwendig noch realistisch, sagt Bartels. Sie ergebe nur Sinn, wenn sich die sicherheitspolitische Lage drastisch verschärfe und eine deutlich größere Armee nötig mache. Ja, ist der Fall. Doch Barrels weiter: "Wir haben diese Lage nicht". Eine glatte Lüge. Außerdem sei die Bundeswehr strukturell komplett auf eine Freiwilligenarmee umgestellt worden, für Hunderttausende Wehrpflichtige gebe es weder Kasernen noch Ausrüstung. Dann muss man halt die Unterkünfte bauen oder ins Biwak gehen. "Man könnte ihnen ein Gewehr in die Hand drücken, aber dann bildet man eine Miliz aus, und das können wir in Deutschland nicht gebrauchen". Behauptung ohne jeden Beleg. Leider vergisst er auch zu erwähnen, dass eine personelle Aufstockung einer Armee Zeit braucht. Zeit, die man eigentlich nicht hat. Um warum ein Miliz-System nicht von Nutzen sei, erklärt er auch nicht.

Bartels kritisiert einzelne Stimmen, die dennoch danach rufen: "Wer das jetzt fordert, müsste erklären, was er mit den Wehrpflichtigen tun will." Wehrpflicht dürfe kein Selbstzweck sein, man müsse die Wehrpflichtigen auch sinnvoll einsetzen können, eine Aufgabe für sie haben. Wehrpflichtige dürften nur mit ihrem Einverständnis in Auslandseinsätze geschickt werden. Verpflichten könne man Wehrpflichtige nur zur unmittelbaren Landes- und Bündnisverteidigung. Dann wird es Zeit, über die Sinn und Unsinn von Auslandseinsätzen nachzudenken. Wehrpflichtige könnte man auch in Auslandseinsätze schicken. Wer sagt, dass die nur mit deren Einverständnis geschehen darf? Und selbst wenn nicht, sind genügend Aufgaben im Heimatland, für die Wehrpflichtige geeignet wären. 

Die Bundeswehr findet keine IT-Spezialisten

Die Defizite der Bundeswehr könnten nicht mit einer Wehrpflicht behoben werden, sagt der Wehrbeauftragte. Fachkräftemangel ist eines davon: Der Sanitätsdienst sei chronisch unterbesetzt, ebenso wie die IT-Abteilungen von Heer, Luftwaffe und Marine. Das schreit ja gerade zu nach den Computerprofis unter unseren Jugendlichen, dass schreit geradezu nach der Wehrpflicht. Derzeit werde Fachpersonal selbst ausgebildet. Der Sanitätsdienst mache dabei Fortschritte, gerade erst sei eine eigene Krankenpflegeschule eröffnet worden. Außerdem seien Loyalitätsprämien wichtig, um zu verhindern, dass die Soldaten in die freie Wirtschaft abwandern. Bei einer Wehrpflicht wäre das alles unnötig. Wir greifen uns das Potential, setzen es für 12 bis 24 Monate ein.

Ein weiteres Problem bleibt die Diversität, das hat auch schon von der Leyen beklagt: Laut Bartels arbeiten bei der Bundeswehr nur elf Prozent Frauen, die meisten von ihnen im Sanitätsdienst. Menschen mit Migrationshintergrund seien zwar gut vertreten, in höheren Funktionen aber kaum. Ein Umstand, den man beklagen kann, muss man aber nicht. Würde man die Wehrpflicht auch auf den weiblichen Teil der Bevölkerung aussehen, haben wir 50% Frauenanteil, eine Quote, an der selbst Manuela Schwesig nichts aussetzen könnte. Und der Migrationshintergrund? Scheiß drauf. Die, die wollen, können kommen. Der Rest wird eingezogen.

Wichtiger als ihre Größe sei für die Zukunft der Bundeswehr die europäische Integration, erklärt Bartels. Die 28 EU-Länder hätten gemeinsam anderthalb Millionen Soldaten, die 22 Nato-Mitgliedstaaten unter ihnen stellten davon 1,4 Millionen. Damit sei der europäische Arm der Nato deutlich größer als die US-Armee, und auch als Russlands Streitkräfte. Theoretisch. Bartels kritisiert, dass die europäischen Armeen zu isoliert voneinander arbeiten: "Wir sollten die Kleinstaaterei in der Verteidigungspolitik beenden." Mit den Niederlanden gebe es schon sehr erfolgreiche Kooperationen, beide Armeen profitierten von spezieller Expertise der jeweils anderen. 

Bisher ist eine verstärkte europäische Zusammenarbeit in Militärfragen stets am Veto Großbritanniens gescheitert.  Die wussten schon, warum sie gegen die EU-Armee waren. Nach dessen Ausscheiden aus der EU solle es aber einen neuen Anlauf geben, sagt Bartels. Tatsächlich haben Deutschland und Frankreich schon angekündigt, sich für eine "ständige strukturierte Zusammenarbeit" der europäischen Armeen einzusetzen. Nachdem die Bundeswehr zu Tode reorganisiert wurde, plant Uschi von der Leyen und Bartels das gleiche mit Europa. Ziel scheint die Entwaffnung zu sein. Anders kann ich deren Argumente nicht verstehen. Jakob Pontius hat die entscheidenden Fragen nicht gestellt, nicht einmal darüber nachgedacht. Hier ging jemand wieder einmal mit politisch vorgefertigter Meinung an die Sache. Seriöser Journalismus sieht anders aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen