Donnerstag, 7. Juni 2018

Gähnende Langeweile der Phrasendreschmaschine trotz neuem Format...

von Thomas Heck...

Merkels erste Fragestunde im Bundestag war für sie ein Spaziergang, was nicht verwundert, waren doch keinerlei Nachfragen erlaubt, ein Kreuzverhör konnte sich erst gar nicht aufbauen, so dass sie sich mit ihren üblichen Worthülsen 60 Minuten durchwursteln konnte. Denn wenn sie was hat, die FDJ-Fachkraft für Agitation, dann ist es die Fähigkeit, 60 Minuten zu reden, ohne etwas zu sagen. Eine Demokratiesimulation. Erstaunlich, dass keiner der Abgeordneten an Langeweile verstorben ist. Keine Nachfragen erlaubt.

60 Minuten lang stand Angela Merkel im Bundestag zu allen möglichen Themen Rede und Antwort. Das Format war ein Geschenk an die Kanzlerin. Als Angela Merkel am Mittwochnachmittag ihre Handtasche ergreift, um den Plenarsaal des Bundestags zu verlassen, weiss sie, dass ihr ein Sieg auf ganzer Linie gelungen ist. Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble hat die erste Befragung einer deutschen Regierungschefin durch die Legislative soeben für beendet erklärt, da ergänzt sie: schade. Und verspricht lächelnd, wiederzukommen. Eine glasklare Drohung. So leicht wird man sie wohl nicht los. So schreibt die NZZ:



Eine Stunde lang haben die Parlamentarier Zeit, Fragen zu stellen. Dass Merkel kein einziges Mal ernsthaft in Bedrängnis gerät, liegt vor allem am Format. Die Fragen und Antworten dürfen jeweils eine Minute dauern, und die Fraktionen sind abwechselnd an der Reihe. Weil es keine inhaltlichen Vorgaben gibt, geht es bald um dieses, bald um jenes Thema, vom Streit über die lasche Prüfung von Asylanträgen durchs Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bis zum Plasticmüll in den Weltmeeren und zu der Frage, ob das Parlament eine Frauenquote braucht. Dieses Hin und Her hat zwar einen gewissen Unterhaltungswert, es beraubt die Abgeordneten aber der Möglichkeit, kritische Nachfragen zu stellen.

Zu den Vorgängen im Bamf kommen, wie erwartet, die meisten Fragen. Da sie aber nicht hintereinander gestellt werden, kommt kein druckvolles Wechselgespräch zustande. Merkel kann ihre Verteidigungslinie immer wieder neu aufbauen: Sie beteiligt sich, erstens, nicht an den Schuldzuweisungen zwischen ehemaligen und aktiven Ministern und Behördenleitern. Sie gesteht, zweitens, ein, dass im Bamf vieles schiefgelaufen sei. Und sie demonstriert, drittens, Reformeifer. «Kill Em With Kindness», singt Selena Gomez. Merkel hofft, ihre Kritiker mit Demut zu erledigen. 

«Gravierende» Asylprobleme

Ein FDP-Mann will wissen, ob es bei Gesprächen zwischen dem früheren Behördenchef Frank-Jürgen Weise und ihr 2017 auch schon um jene Probleme gegangen sei, die in diesem Jahr erst öffentlich wurden. Die Stossrichtung ist klar: Hat Merkel etwa gehofft, den Skandal unter den Teppich zu kehren? Die Kanzlerin antwortet geschickt: Weise wäre 2015 nie Bamf-Chef geworden, wenn es nicht schon damals «gravierende» Probleme im Amt gegeben hätte. Darüber habe sie «unzählige Male» mit ihm gesprochen und ihn stets aufgefordert, alle Unzulänglichkeiten zu berichten. 

Die AfD fällt derweil erneut durch eine Mischung aus rhetorischer Schärfe und intellektueller Trägheit auf. Ihr Abgeordneter Gottfried Curio spricht dröhnend von Mördern und Vergewaltigern, die ins Land geströmt seien, und fordert Merkel auf, zu erklären, wann sie endlich zurücktrete. Solch eine Anklage mag später als Video auf Facebook im «Merkel muss weg»-Milieu Applaus generieren. In der parlamentarischen Auseinandersetzung verpufft sie, weil sie keinerlei echten Rechtfertigungsdruck erzeugt und der Kanzlerin erlaubt, sich besonders souverän zu geben.

Merkel stellt ihre Flüchtlingspolitik als Antwort auf eine humanitäre Ausnahmesituation dar, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als rechtmässig anerkannt worden sei. Die verbleibende Viertelminute Redezeit nutzt sie, um der Mehrheit der Bamf-Belegschaft für ihre Arbeit zu danken. An dieser Stelle wäre eine Nachfrage angezeigt gewesen, sie bleibt aber aus. Der EuGH hat tatsächlich erklärt, dass das Dubliner Übereinkommen eine «Selbsteintrittsklausel» enthält. Danach muss ein Asylbewerber seinen Antrag nicht zwingend in dem Land stellen, das er zuerst betritt; ein anderer Mitgliedstaat kann das Verfahren an sich ziehen. Dass dies in Deutschland hunderttausendfach geschehen ist, mag nachträglich den Stempel der Legalität erhalten haben. Die Frage, ob es legitime Politik war, die vor allem langfristig dem Wohle des deutschen Volkes dient, bleibt davon unberührt.

Dreimal im Jahr soll sich Merkel künftig den Fragen der Abgeordneten stellen, so steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Ziel sei es, den Bundestag «wieder zum zentralen Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte zu machen», heisst es da. Wenn dem so ist, dann sollte das Format auf den Prüfstand. Eine längere Sitzung mit inhaltlichen Schwerpunkten und Nachfragen wäre vermutlich nicht im Sinne der Kanzlerin. Es würde die Abgeordneten aber sicherlich besser aussehen lassen als bei dieser Premiere.

Was sonst noch passierte? Die 14jährige Susanne wurde ermordet aufgefunden. Der irakische Täter hat sich in den Irak abgesetzt. Susanne ist auch eine von Merkels Opfern. Egal wie souverän sie eine Fragestunde im Bundestag absolviert. 

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