Mittwoch, 6. September 2017

Zum Abschied ein leises "Fickt Euch"...

von Thomas Heck...

Die AfD wird wohl in den nächsten Deutschen Bundestag einziehen, die gestrige Aussprache war daher wohl die letzte Sitzung ohne die Alternative für Deutschland, da können die etablierten Parteien noch so aufheulen. Hier wird sich in der nächsten Legislaturperiode sicher was verändern. In Sachen Demokratie muss Deutschland wohl noch einiges hinzulernen. So schreibt die WELT und offenbart Merkels erschreckendes Demokratieverständnis:



"Gegen meinen Willen konnten Sie echt nichts durchsetzen"

Ein sinngemäßes „Ihr könnt mich mal“: Bei der letzten Bundestagsdebatte dieser Legislatur reagiert Merkel ungewohnt scharf und dünnhäutig auf SPD-Kritik. Nur Arbeitsministerin Nahles gelingt eine Abrechnung mit der Kanzlerin. 

Den Hauptbeitrag in der Rubrik „Unverschämtes“ lieferte die Bundeskanzlerin höchstselbst. Es war die letzte Debatte dieser 18. Legislaturperiode, und noch einmal, nein, endlich war es einmal ein lebendiger Schlagabtausch, wie man ihn im Wahlkampf derzeit oft vermisst.

Dabei war gar nicht so interessant, was da inhaltlich gesagt wurde. Spannender und weit entlarvender war das, was überraschend, unüberlegt, besonders bedeutungsvoll oder auch unverschämt daherkam; was also nicht einstudiert war wie die üblichen Wahlkampfreden, sondern eine Reaktion auf Zwischenrufe oder Resultat des Temperaments des Redners. Darin offenbart sich doch oft und gern, was er oder sie tatsächlich denkt. Auch bei der Bundeskanzlerin.

Angela Merkel (CDU) hält sich in ihren Reden fast immer eng an das Manuskript. In dieser Debatte reagierte sie jedoch spontaner als sonst bei ihren Regierungserklärungen. Ungewöhnlich oft ließ sie sich von Bemerkungen aus dem Konzept bringen. Einen echten Treffer landete dabei SPD-Generalsekretär Hubertus Heil.

Merkel hatte gerade darüber gesprochen, dass Deutschland es nach 17 Jahren geschafft habe, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Da fühlte sich Heil, der Bildungsfachmann ist, berufen dazwischenzurufen: Es sei die SPD gewesen, die wesentliche Gesetze durchgesetzt habe. Zuletzt hatte es eine kleine Grundgesetzänderung gegeben, die dem Bund ermöglicht, bei der Sanierung von Schulgebäuden zu helfen.

Das wollte, das konnte Merkel offenbar nicht auf sich sitzen lassen. „Gegen meinen Willen und den der Unionsfraktion konnten Sie in diesem Parlament echt nichts durchsetzen.“ Faktisch beschreibt das die Kräfteverhältnisse nach zwölf Jahren Merkel freilich ganz gut. Doch war dieses sinngemäße „Ihr könnt mich mal“ aus dem Munde der Kanzlerin so noch nicht zu hören gewesen. Die Unionsfraktion johlte daraufhin begeistert, die SPD johlte in höchstem Maße beleidigt.

Der Bundestag ist zu seiner letzten Sitzung vor der Wahl zusammengekommen. Ihre letzte Rede vor dem Plenum nutzte Kanzlerin Merkel für eine Warnung. Am Ende gab es jede Menge Kritik von der Opposition. 

Kein Wunder, dass die Sozialdemokraten später zurückhöhnten, als Merkel bemerkte: „Meine Zeit ist auch so gut wie vorbei.“ Sie bezog dies natürlich auf die Redezeit, die SPD böswillig auf ihre Kanzlerschaft. Merkel reagierte dünnhäutig: „Mein Gott, wie weit sind wir jetzt eigentlich schon gekommen. Leute, kommt!“ Das war, man muss es fast so sagen, tatsächlich jener Mutti-Ton, der ihr oft in viel weniger passenden Momenten nachgesagt wird. 

Bemerkenswerterweise ging von den folgenden Rednern der SPD lange niemand direkt auf diese Bemerkungen ein. Haben die Sozialdemokraten Merkels Allmacht so sehr verinnerlicht? Erst mehr als zwei Stunden später machte Außenminister Sigmar Gabriel dazu die saloppe Bemerkung: „Die SPD musste gegen Seehofer und Schäuble helfen, dass Sie einen Willen haben durften. Wir haben gut auf Sie aufgepasst.“

Merkel offenbarte mit ihren Kommentaren, wie sicher sie sich ihrer Sache ist. Dass sie derzeit nichts und niemand wirklich gefährdet, nicht innerhalb ihrer eigenen Partei und nicht außerhalb, kam damit zum Ausdruck. Inhaltlich widmete sie sich vor allem dem digitalen Wandel, stellte klar, dass schon US-Präsident Barack Obama Deutschland zur Erhöhung der Rüstungsausgaben ermahnt habe und nicht erst sein Nachfolger Donald Trump. 

Und sie kündigte an, beim nächsten Europäischen Rat über eine Suspendierung oder Beendigung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sprechen und dafür die europäischen Partner zu einem Konsens bewegen zu wollen. Die nächste Ratssitzung ist übrigens am 18. Oktober, knapp einen Monat nach der Bundestagswahl.



SPD-Mann Mützenich verrennt sich rhetorisch

Im Bundestag zweifelt niemand ernsthaft, dass Merkel zu diesem Treffen als Kanzlerin für die nächsten vier Jahre fahren wird – und nicht nur als scheidende Regierungschefin. Nicht einmal die SPD. Der Abgeordnete Rolf Mützenich legte das entsprechende Bekenntnis ab und lieferte damit auch das Beispiel in der Rubrik „Unüberlegtes“. 

Mützenich hatte die Aufgabe, einen Geschäftsordnungsantrag der Linken zu kommentieren. Die wollte eine Debatte über einen Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland auf die Tagesordnung setzen. Doch Mützenich nahm sich vor, der erste Wahlkämpfer seiner Partei an diesem Morgen zu sein. Er unterstellte also der Kanzlerin, Deutschland aufrüsten zu wollen, indem sie zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung ausgeben wolle – ein Thema, das sich durch fast alle Redebeiträge zog, ohne dass der Zuhörer daraus richtig schlau geworden wäre. 

Nur eine starke SPD-Fraktion könne das verhindern, so Mützenich. Und dann kam es: „Die Wahl ist klar, dort eine Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende, die sich dem Aufrüstungsdiktat des amerikanischen Präsidenten beugt ...“ Das sorgte schon für Verwunderung und Tumult, sprach Mützenich hier doch eigentlich über die Zukunft und nicht über die Gegenwart. Doch nicht genug: „Als Vertreter einer selbstbewussten Fraktion mit Martin Schulz an der Spitze werden wir den Aufrüstungswahn dieser Bundesregierung nicht unterstützen.“ Die SPD landet laut Mützenich also in der Opposition, und der Kanzlerkandidat von heute wird lediglich der Fraktionschef von morgen sein. Sahra Wagenknecht von der Linken sollte auf diesen riesigen Fauxpas später genüsslich hinweisen.

Doch dabei macht auch die Linke nicht einmal eine Andeutung, wie eine politische Alternative zu Kanzlerin Merkel aussehen könnte. Wagenknecht kritisierte Schulz hart dafür, die SPD nicht sozialdemokratisiert zu haben. Man könne eigentlich nur noch die Linke wählen, war ihr wenig überraschendes Resümee. Auch den Grünen fehlt offenbar jede Vision für eine andere Regierung als die unter einer Kanzlerin Merkel. Beide, Linke und Grüne, warnten vielmehr schon vor Schwarz-Gelb.

Von einem Schulterschluss von SPD, Grünen und Linker ist derzeit nichts, aber auch gar nichts zu spüren. „Es wäre sehr, sehr sinnvoll, wenn beide Parteien nicht mehr in Regierungsverantwortung wären“, sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Gemeint waren Union und SPD. Die Grünen denken sogar schon an die übernächste Wahl. „Deutschland verdient in vier Jahren eine andere Regierungserklärung. Vielleicht geht das ja mit der nächsten Kanzlerkandidatin der SPD“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. „Vielleicht wird das ja Frau Nahles sein.“ 

Auf Andrea Nahles kam Göring-Eckardt dabei nicht zufällig. Denn die Arbeitsministerin lieferte einen Auftritt in der Kategorie „Überraschendes“. Sie redete sich ohne Manuskript in fulminanten 15 Minuten bei beeindruckender Sachkenntnis den Frust mit ihrer Chefin Merkel von der Seele. Dafür erntete sie sogar von ihrem Nachbarn auf der Regierungsbank, Wolfgang Schäuble (CDU), Anerkennung. „Wir haben vier Jahre nett nebeneinandergesessen, aber der Wettbewerb um die künftige Führungsposition in der SPD muss sehr, sehr heftig sein“, kommentierte der Finanzminister Nahles‘ Beitrag.

Schäuble war übrigens der einzige Unionspolitiker, der in einem Nebensatz vor Rot-Rot-Grün warnte. Vor einem halben Jahr war das noch eine der Kernideen des Unionswahlkampfs. Das ist nun davon geblieben. Nahles echauffierte sich, dass es weiter die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen gebe, dass die Frauen aus Teilzeit nicht ein verbrieftes Recht bekommen hätten, in Vollzeit zurückkehren zu können, dass viele Menschen nicht verdienten, was sie verdienen sollten, und dass Merkel an der Rentenpolitik nichts ändern wolle. Am Ende war Nahles heiser, der Applaus bei der SPD heftig. Von Gabriel gab es ein Schulterklopfen, von Merkel immerhin ein höchst anerkennendes Lächeln. An diesen Auftritt wird man sich noch erinnern.

Wohl die letzte Sitzung ohne AfD für lange Zeit


Und woran wird man noch denken in einigen Jahren? Wahrscheinlich daran, dass dies die letzte Sitzung für geraume Zeit gewesen sein dürfte, an der die AfD nicht mitwirken konnte. Denn das Parlament steht vor einer Zeitenwende. Darauf wiesen gut die Hälfte der Redner hin. Am Einzug der AfD zweifelt nämlich im Bundestag niemand mehr. 

So widmete denn mancher seine Schlussbemerkungen den wohl zukünftigen Abgeordneten. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bezog sich direkt auf die Bemerkung von AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, die Integrationsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoguz, in der Türkei „entsorgen“ zu wollen. Als „unsäglichen Rassismus“ bezeichnete er dies. „Die Partei, die so etwas sagt, ist keine Alternative, sondern eine Schande für Deutschland.“

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bezog sich auf die AfD. Er verband seine Abschiedsworte nach zwölf Jahren in dem Amt mit einer dringenden Bitte: „Bewahren Sie sich die mühsam errungene Fähigkeit und Bereitschaft, den Konsens der Demokraten vor den Fanatikern und Fundamentalisten zu schützen.“ 

Es war eine deutliche Warnung, sich von den womöglich bevorstehenden Aktionen der AfD nicht provozieren zu lassen. Die Bürger mahnte er, zur Wahl zu gehen. „Nehmen Sie das Königsrecht aller Demokraten so ernst, wie es ist.“ Die Kategorie „besonders bedeutungsvoll“ war damit noch vor dem Schlagabtausch der Parteien abgedeckt.

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