Dienstag, 26. September 2017

Merkels Realtitätsverweigerung

von Thomas Heck...

Wer Angela Merkel am Wahlabend in der Elefantenrunde beobachtete, erkannte die Kanzlerin nicht mehr wieder. Farblos und blutarm war sie eigentlich schon immer, doch diesmal war es irgendwie anders. Die Unangreifbarkeit war gewichen einer latenten Unsicherheit, einer Ungläubigkeit gegenüber den Geschehnisse des Tages, die nach Entscheidungen schreit. Doch die hängt weiterhin ihrem alten Weltbild nach: Am liebsten wieder Große Koalition mit einer SPD, die leicht zu steuern wäre. 




Als am Sonntagabend um kurz nach 18 Uhr die ersten Prognosen auf den Bildschirmen erscheinen, erlebt die Union ein historisches Debakel. Mit minus 8,5 Prozent im Vergleich zu 2013 werden CDU und CSU abgestraft. Vor allem an die AfD verliert die Union mehr als eine Million Wähler.

Doch so richtig will die Union an diesem Abend nicht wahrhaben, dass sie zu den größten Verlierern der Wahl zählt. Merkel und ihre Partei scheinen geschockt und diese Schockstarre hält immer noch an. Warum realisiert die Kanzlerin nicht, was passiert ist?

Sie sei „nicht enttäuscht“ vom Ausgang der Wahl, sagt Angela Merkel am Wahlabend. Die Union habe ihre Ziele erreicht. Es handele sich um ein Ergebnis, „auf dem sich aufbauen lässt“. Sie sieht einen klaren Auftrag, wieder die Bundesregierung zu führen. Falsch ist ihre Einschätzung nicht. Gleichzeitig ignoriert sie, dass ihre Große Koalition deutlich abgewählt ist. Insgesamt fünf Millionen Wähler haben sich von den Regierungsparteien abgewendet. Doch auch am Dienstag sieht sie die Dinge noch genauso wie vor der Wahl – und keinen Grund für einen Kurswechsel, so die Kanzlerin.

Noch nie haben Union und SPD so wenige Stimmen auf sich vereinen können wie aktuell. Waren es 1987 noch 81 Prozent der Stimmen, sank der Wert bei dieser Wahl auf knapp 54 Prozent. Das, was Volksparteien eigentlich ausmacht, – nämlich die „kleinen“ Leute und Arbeiter zu erreichen – schaffen Union und SPD längst nicht mehr. Drängender denn je ist die Frage, wie sie es schaffen können, das Vertrauen dieser Wählergruppe wieder zu erreichen.


Völlig unterschiedliche Interpretationen bei Union und SPD



SPD-Chef Martin Schulz interpretiert das Ergebnis völlig anders. Immer wieder betont er am Wahlabend in der Elefantenrunde, dass die Große Koalition abgewählt wurde. Merkel hält dagegen. Rechnerisch habe die Große Koalition doch noch die Mehrheit.

Auch bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kann man am Wahlabend den Eindruck gewinnen, sie habe das Ergebnis noch nicht wirklich verstanden. Die Wirtschaft „brummt“, die Jungendarbeitslosigkeit sei „überwunden“, sagt sie bei Anne Will noch ganz im Wahlkampfmodus. Die Themen Flüchtlinge, innere Sicherheit und ihr Versagen bei der Führung der Bundeswehr ignoriert sie.

„In Gesprächskontakt bleiben“

Einzig CSU-Chef Horst Seehofer äußert sich angesichts der starken Verluste seiner Partei in Bayern kritischer. Die Union habe auf der „rechten Seite eine offene Flanke“, sagt er. Doch über einen Rücktritt scheint er nicht nachzudenken. Stattdessen stellt in einer Hau-Ruck-Aktion die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zur Debatte – mit dem Ergebnis, dass sie bestehen bleibt.

Die CDU-Chefin kündigt am Montag auch der SPD Gespräche an. Es sei wichtig, dass Deutschland auch künftig eine stabile Regierung habe, sagt Merkel nach Beratungen der CDU-Spitze. Zwar habe sie die Absage der Sozialdemokraten am Wahlabend vernommen, dennoch „sollte man im Gesprächskontakt bleiben“, sagte sie.
„Weiter so“ nur aus Bequemlichkeit

Haften bleibt in diesen ersten Tagen der Eindruck, dass CDU-Chefin immer noch im Modus „Große Koalition“ denkt. Ihr „weiter so“ scheint auch aus einer gewissen Bequemlichkeit zu erwachsen. Wir haben in der Vergangenheit alles richtig gemacht und dann kann das auch so weitergehen. Doch Millionen Wähler sehen das anders. Selbstverständlich wäre es für Merkel einfacher, wieder eine Regierung mit der SPD zu bilden als sich in zähe Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen zu begeben. Doch das Ergebnis stellt auch das Prinzip „Merkel“ im Grundsatz in Frage. Allen voran die CSU stellt die von Merkel vollzogene Positionierung der Union in der politischen Mitte für gescheitert.

Ganz ausgeschlossen ist zwar nicht, dass sich die SPD schließlich doch noch zu einer GroKo bitten lässt, falls Jamaika scheitern sollte. Doch zwei Tage nach der Wahl findet die Mehrheit der Deutschen Jamaika richtig gut. Merkel sollte das als Auftrag sehen, die harten Jamaika-Verhandlungen auf sich zu nehmen, den Wählerwillen umzusetzen und sich endlich von der Großen Koalition zu verabschieden.

Laut Merkel habe sie alles richtig gemacht. 1 Mio. CDU-Wähler, die die AfD gewählt haben, beurteilen das anders. Merkels Ansage ist ein Affront, an Arroganz kaum zu überbieten.

2 Kommentare:

  1. Ich bin soweit, dass ich mich jetzt zurücklehne und beobachte und vor mich hinfeixe. Aus der DDR weiß ich, wie man sich zurückzieht, habe 40 Jahre DDR überlebt. Rund Dreiviertel der Wahlberechtigten wollten, dass Deutschland seinen eingeschlagenen Weg fortsetzt, ein Teil ein bisschen schneller, ein anderer Teil etwas nuanciert, aber dennoch "weiter so" sagt das Wahlergebnis. 700 Leute sollen im BT sitzen. Da kann sich jeder ausrechen, was 93 Leutchen gegen rund 600 Abgeordnete ausrichten, die wirkliche Opposition sind. Ich freue mich schon auf KGE und deren Blödheiten. Aber die Wahlberechtigten mögen sie wahrscheinlich. Nun soll mir niemand kommen und sich darüber aufregen, was in den nächsten Jahren hier passiert. Jeder bekommt das, was er verdient. Punkt. Leider ich auch, aber ich bin jeden Tag über die Gnade der frühen Geburt dankbar.

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    1. Ich meine, was 93 Leutchen, die wirklich Opposition sind, gegen rund 600 Abgeordnete ausrichten. Etwas falsch gesetzt den obigen Satz.

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