Montag, 6. Dezember 2021

Das ist Kunst, Ihr Banausen...

von Mirjam Lübke...

Vor dem Haus von Sachsens Gesundheitsministerin ist es offenbar zu einem großen Missverständnis gekommen. Etwa zwanzig Aktivisten eines Kunstkollektivs hatten dort eine Installation ins Leben gerufen: Die Performance aus bewusst archaisch gehaltenen Lichtquellen wurde begleitet von einer atonalen Klangsymphonie von Rotationssignalgebern - im Volksmund auch Trillerpfeifen genannt. "Wir wollten ein Zeichen gegen die menschliche Dunkelheit in dieser schweren Zeit setzen", erklärt Diplom-Kunstpädagogin Dörte Klingensiefer-Kassupke dem Fernsehteam von ARTE Deutschland. "Das laute Rufen unserer Aktivisti*nnen steht dabei für den Urschrei, der die Deutschen symbolisch von ihren Ängsten befreien kann, ein Anklang an die Befreiungszeremonien der polynesischen Ureinwohner auf den südlichen Osterinseln. Die Pfeifen hingegen erinnern an die Affenherde aus der buddhistischen Meditationslehre: Erst wenn sie schweigen, kann sich die Seele erheben!" 


Die renommierte Kunstpädagogin bedauert, dass die von ihr konzipierte Installation "Corona-Angst essen Seele auf" derart fehlinterpretiert wurde und bietet Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping zur Wiedergutmachung die Durchführung einer tibetanischen Klangschalen-Reinigungszeremonie in ihrem Haus an, um das dortige Feng-Shui-Gesamtkonzept wiederherzustellen. "Wir vermuten, dass die Vibrationen auch Corona-Viren neutralisieren können. Auch wenn ich es nicht für ethisch vertretbar halte, diese unnötig zu quälen. Schließlich sind sie auch Geschöpfe der Natur!"

Nun gut, wir sind uns wohl einig, dass die Aktion vor Frau Köpping keine Kunstperformance war. Und ich muss ehrlich gestehen, an ihrer Stelle wäre mir auch mulmig geworden, wenn vor meiner Haustür zwanzig wütende Bürger aufgelaufen wären. Es ist wieder einmal eine Situation, in der mehrere Interessen aufeinanderprallen: Berechtigte Wut der Bürger - sogar die ZDF-Journalistin Shakuntala Banarjee nahm heute einen Politiker wegen des gebrochenen "Keine Impfpflicht!"-Versprechens in die Zange. Aber auch Politiker haben ein Privatleben, in dem sie in Ruhe gelassen werden sollten. Es reicht schließlich schon, wenn sie uns mit der Impfpflicht belästigen - wer weiß, auf welche Ideen sie noch kommen, wenn sie des Abends im trauten Heim keine Ruhe finden. 

Da fängt allerdings schon wieder die Doppelmoral an und die SA-Vergleiche gehen locker über die Lippen. Wahrscheinlich hätten die Medien auch nicht bedeutend anders berichtet, wenn die Demonstranten vor Frau Köppings Haus dort ein Herz aus Teelichtern aufgestellt und auf Gitarren "Kumbaya, my Lord" geklampft hätten. Als Maßnahmen-Kritiker ist man nicht wohlgelitten - fast enttäuscht berichtete man anschließend darüber, dass die Kundgebung in Hamburg friedlich verlaufen war. Niemand hatte dem ZDF den Gefallen getan, eine Reichskriegsflagge mitzuführen oder mit der rechten Hand die Höhe des Stresspegels zu messen. Gemein. 

Zudem ist es bekanntlich nichts Neues in Deutschland, dass die Rücksichtnahme auf das Ruhe- und Sicherheitsbedürfnis der Bewohner eines Hauses beständig neu austariert wird. Das mediale Interesse steht und fällt sowohl mit der politischen Haltung des Opfers als auch der Täter, gelegentlich auch mit der ethnischen Herkunft und der Prominenz. Die Nachbarn linker Wohnprojekte in Berlin und Leipzig-Connewitz leiden teilweise sogar schon unter einem Stockholm-Syndrom und sind fest überzeugt, die "Aktivisten" hätten weniger Interesse am Einwerfen ihrer Fensterscheiben, wenn nur die Polizei die eigentlich sanftmütigen Antifanti*nnen im Viertel in Ruhe ließe. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Auch Randale vor der Synagoge ist in Deutschland kein No-Go mehr: Wenn der Täter keine Glatze hat, sondern "Freiheit für Palästina" ruft, dann findet irgendein Journalist eine Begründung dafür, warum das alles nicht so schlimm ist. 

Doch auch nicht jeder angegriffene Politiker darf auf Solidarität hoffen. Nach den Angriffen der Antifa auf das Haus des Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich forderte - ich lasse mich gerne eines Besseren belehren - kein SPD-Politiker das "volle Durchgreifen des Rechtsstaates". Die Idee, gegen einen missliebigen Politiker mittels eines "Kunstprojekts" vorzugehen, kam mir ebenfalls nicht von ungefähr. Das hatten wir bereits mit einem Sperrholz-Mahnmal in Bornhagen, das als Haufen Holzschrott zurückblieb, als das "Zentrum für politische Schönheit" zu neuen Projekten aufbrach und für den Kampf gegen den Faschismus Plexiglas-Würfel mit Erde aus Auschwitz befüllte. Die Kolumnisten aller gängigen Tageszeitungen jubilierten und frohlockten. Wer sagt denn, dass man mit Antifaschismus nicht ein wenig Geld verdienen darf? 

Noch einmal: Frau Köpping hat ein Recht darauf, in ihrem Haus in Ruhe gelassen zu werden. So wie jeder andere auch. Niemand sollte Angst davor haben müssen, sein Auto morgens vor der Arbeit als verkohltes Wrack vorzufinden oder die Fensterscheiben seines Ladens als Trümmerhaufen im Kampf gegen den Kapitalismus. Oder als Ergebnis der nächtlichen Randale eines Trupps "eventorientierter" Jugendlicher. Aber was selbstverständlich klingt, ist offenbar auch schon dem derzeitigen politischen Klima zum Opfer gefallen.

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