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Dienstag, 14. Dezember 2021
Wenn Nancy auf den Tisch haut...
Montag, 13. Dezember 2021
Auftraggeber vom Breitscheidplatz-Attentat identifiziert
Irakische Behörden fahnden bis heute nach einem Kommandeur des sogenannten Islamischen Staats, der in den Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 verwickelt sein soll. Deutsche Behörden gingen den Hinweisen auf ihn nicht konsequent nach. Von S. Adamek, J. Goll und N. Siegmund
Hat Anis Amri allein gehandelt, als er 2016 einen Lkw auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz lenkte? Oder hatte er Auftraggeber und Unterstützer? Diese Fragen sind bis heute nicht eindeutig beantwortet. Jetzt ist es einem rbb-Team gelungen, die Identität eines mutmaßlichen Auftraggebers aufzuklären. Bei dem Mann, der den zivilen Namen Ali Hazim Aziz trägt, soll es sich um einen hohen Funktionär des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) handeln, der unter dem Kampfnamen Abu Bara'a al Iraqi bekannt wurde.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundeskriminalamt (BKA) hatten schon früh konkrete Hinweise auf diesen Mann, konnten ihn aber nicht identifizieren. In einem Interview mit dem rbb bestätigt Sadi Ahmed Pire, Vorstandsmitglied der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), jetzt die Identität und Funktion von Abu Bara'a als Verantwortlichen für die IS-Terrorplanungen unter anderem in Deutschland.
Er stützt sich dabei auf Erkenntnisse irakischer Sicherheitskreise. "Abu Bara'a war einer der Top-Organisatoren der Terrorakte im Ausland. Besonders für Deutschland, Großbritannien, Frankreich", sagt Pire, der Minister für Gesundheit und Soziales und für humanitäre Hilfsprogramme im Irak war. Bis heute pflegt er gute Beziehungen zur Bundeswehr vor Ort.
Terrorplaner Abu Bara'a noch immer eine Gefahr für Deutschland?
Der Politiker betont, dass der IS-Terrorist bis heute von irakischen Sicherheitsbehörden als gefährlich eingeschätzt und nach wie vor auf der Terrorliste des Landes geführt werde. Irakische Sicherheitskreise, fährt Pire fort, hätten keine Erkenntnisse, dass Abu Bara'a al Iraqi nicht mehr lebe. "Terroristen wie er haben keine Chance für ein normales Leben im Irak in ihren Dörfern, in ihren Provinzen. Das Einzige was ihnen übrig bleibt, ist das Land zu verlassen", sagt Pire. Deshalb seien solche Leute bis heute auch eine Gefahr für Europa.
Zwar haben Iraks Behörden offenbar keine Erkenntnisse über die konkrete Planung des Anschlags, doch die neuen Erkenntnisse passen exakt zu den Informationen, die der BND vor fünf Jahren durch eine geheime Quelle erhalten hatte. Die benannte Aziz als Auftraggeber des Weihnachtsmarkt-Anschlags – einige deutsche Zeitungen berichteten damals in kurzen Meldungen darüber.
Bereits elf Tage nach Anschlag erwähnt
Allerdings scheinen danach weder BND noch BKA diese Spur konsequent weiter verfolgt zu haben. Und das, obwohl die Quelle wichtige Details nannte: dass Abu Bara'a aus der Region Al Ramadi stamme, etwa 45 Jahre alt sei und mit bürgerlichem Namen Ali Hazim Aziz heiße. Bereits am Morgen des 31. Dezember 2016, also elf Tage nach dem Anschlag, übermittelte ein in Abu Dhabi ansässiger Agent des BND diese Informationen nach Deutschland.
In dem knapp gehaltenen Schreiben war auch damals schon die Rede von einem hochrangigen IS-Kommandanten, einem Iraker mit dem Namen Abu Bara'a al Iraqi, der den Auftrag für den Terrorakt erteilt haben soll. Der BND-Agent wies darauf hin, dass die Hinweise aus einer "ausgesprochen zuverlässigen nachrichtendienstlichen Verbindung" stammen.
In den folgenden Tagen und Wochen verdichteten sich die von der in Abu Dhabi ansässigen Fachdienststelle als zuverlässig bewerteten Informationen. Der Mann sei ein ranghoher militärischer Koordinator mit großem Vollbart, so heißt es wörtlich, und er "organisiert die Arbeit des IS in Deutschland".
Keine eindeutige Zuordnung der Person möglich
Doch in den Wochen darauf kommen die Beamten im BKA und beim Auslandsnachrichtendienst BND nicht weiter. Die Hinweise auf den mutmaßlichen Auftraggeber des schlimmsten islamistischen Terrorakts in Deutschland werden zwar als "ausgesprochen zuverlässig" eingeschätzt. Doch "aufgrund der Mehrfachtreffer und der Namenshäufigkeit" könne keine eindeutige Zuordnung der Person Abu Bara'a al Iraqi erfolgen, eine abschließende Bewertung der Hinweise nicht vorgenommen werden. So steht es in den Akten.
Im Klartext: Die Ermittler haben im Internet nach dem Namen "Abu Bara'a al Iraqi" recherchiert. Das Ergebnis: Es gab mehrere Treffer, also mehrere Personen, die diesen Namen tragen. Deshalb lasse sich der mutmaßliche Auftraggeber des Berliner Anschlags nicht zuordnen.
Dabei hatte der Verbindungsbeamte des BKA in Abu Dhabi frühzeitig weitere, ergänzende Informationen zur Personenbeschreibung und zum Hintergrund von Abu Bara'a al Iraqi geliefert. So sei der Name bereits gefallen, als es um den wahrscheinlichen Auftraggeber der Pariser Anschläge von 2015 ging.
Damals hatte das BKA unter dem Codewort "Galaxy" zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen für Deutschland geplant. Neben den Toten in Paris soll Abu Bara'a auch für die Anschläge im Beiruter Viertel Bourj el Barajneh im November 2015 verantwortlich gewesen sein, bei dem 43 Menschen ums Leben kamen.
Noch im April 2017 verständigten sich die deutschen Sicherheitsbehörden darauf, den Hinweisen des BND-Residenten weiter nachzugehen. "In Absprache mit dem BKA wird der BND versuchen, den Ursprung der Hinweise in den VAE [Vereinigte Arabische Emirate, Anm. der Redaktion] weiter aufzuklären und die Informationen zu al Iraqi weiter zu verdichten", heißt es in einem BKA-Schreiben vom 19. April 2017. Trotzdem gelingt es den Beamten nicht, seine Identität zu klären.
Deutsche Behörden lassen Spur im Sande verlaufen
Als der Bundestags-Untersuchungsausschuss mögliche Fehler und Schlampereien der Sicherheitsbehörden im Fall Amri beleuchtet, fragen liberale und grüne Abgeordnete in der 80. Sitzung am 13. Februar 2020 nach dem geheimen Hinweis aus Abu Dhabi. Doch der zuständige BND-Beamte spielt die Nachricht des eigenen Agenten nun bei seiner Befragung herunter, bewertet sie als "nicht wertig" und "zu banal". Der FDP-Obmann im Ausschuss, Benjamin Strasser, lässt nicht locker und will später auch vom zuständigen BKA-Beamten wissen, ob die Spur ernsthaft verfolgt wurde. Auf die Frage, ob sie nicht einfach "im Sand verlaufen sei", antwortet der BKA-Beamte im Untersuchungs-Ausschuss: "Ist korrekt."
Ex-IS-Funktionär bestätigt zentrale Rolle von Abu Bara'a
Im Gefängnis Al Hasaka im kurdisch kontrollierten Nordosten Syriens sitzt unter den dort inhaftierten IS-Kämpfern auch der türkische Staatsbürger Ilyas Aydin. Aydin war über einen längeren Zeitraum ein enger Mitarbeiter von Abu Bara'a al Iraqi beim IS. Er soll für mehrere blutige Attentate des IS im Ausland mitverantwortlich sein, darunter auch Anschläge in der türkischen Hauptstadt Ankara und im südostanatolischen Suruc. Vom Weihnachtsmarkt-Anschlag in Berlin will Aydin beim Interview mit dem rbb nach eigener Aussage nichts gewusst haben. Aber er bestätigt die zentrale Rolle von Abu Bara'a für die gesamte Terrorplanung des IS in Europa.
Abu Bara'a sei, so Aydin, die rechte Hand von IS-Terrorchef Adnani gewesen: "Wollte Adnani jemanden zum Beispiel nach Deutschland oder Frankreich schicken, wurde Abu Bara'a nach seiner Meinung gefragt, etwa ob man der Person vertrauen kann." Und weiter: "Die Anschläge der Jahre 2014 und 2015 wurden alle in der Tat unter Aufsicht von Abu Bara'a al Iraqi organisiert. Das ist Fakt – und das wissen die westlichen Geheimdienste genauso gut wie ich." Aydin behauptet jedoch, dass Abu Bara'a bei einem amerikanischen Drohnenangriff Ende 2016 getötet worden sei, was den irakischen Behördenangaben widerspricht.
FDP-Politiker Strasser: Erwarte Strafverfolgung von deutschen Sicherheitsbehörden
Der FDP-Bundestagsabgeordnete und inzwischen neu berufene Staatssekretär im Bundesjustizministerium Benjamin Strasser erklärte im rbb-Interview, dass er sich nach den rbb-Recherchen in den kurdischen Autonomiegebieten des Iraks und Syriens in seiner Kritik an der Ermittlungsarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz bestätigt sieht. "Ich erwarte, dass deutsche Sicherheitsbehörden konsequente Strafverfolgung betreiben und den mutmaßlichen Drahtzieher des Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlags verfolgen und vor Gericht stellen", sagt Strasser. Schließlich könnte von diesem Mann noch immer eine Gefahr für Deutschland und Europa ausgehen. Den Hinterblieben und Opfern des schlimmsten islamistischen Anschlags auf deutschem Boden sei man das schlicht und einfach schuldig, fährt er fort.
Die Generalbundesanwaltschaft, die die Ermittlungen zum Anschlag führt, wollte sich zu den Recherchen nicht äußern. Schriftlich erklärte sie: "Mit Blick auf die noch laufenden Ermittlungen können wir Ihnen keine Auskünfte darüber erteilen, ob und inwieweit gegen bestimmte Personen ermittelt wird."
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