Freitag, 1. April 2022

Böse Schokolade!

von Mirjam Lübke...

Der Schokolade, um die es hier geht, kann man nicht vorwerfen, nicht koscher zu sein - jedenfalls stand sie jahrelang auf der Liste der Schokoladen, die von Juden ohne schlechtes Gewissen gegessen werden dürfen - von den Kalorien einmal abgesehen. Aber moralisch ist sie nun definitiv nicht mehr koscher, denn sie wird auch an Leckermäulchen in Russland geliefert. Offenbar ist sie dort zu beliebt, um den Verkauf ins "Reich des Bösen" einstellen zu können ohne Arbeitsplätze in Deutschland zu gefährden. Und schon sitzen wir mitten drin im hausgemachten Dilemma, denn nicht immer lässt sich Haltung gratismutig beweisen. In Corona-Zeiten war das noch einfach: Man musste nur etwas Werbung für Maske und Impfung in das eigene Logo einbinden, und schon stand man automatisch auf der richtigen Seite. Das kostete zwar auch ein bisschen Geld für eine Agentur und neue Plakate, aber das ließ sich locker wieder einspielen. 


Ich bin überfragt, welche Politik unser Schokoladenfabrikant gegenüber ungeimpften Mitarbeitern betreibt. Aber in deren - und natürlich auch im eigenen Interesse - hat man entschieden, Russland weiter zu beliefern. Moral muss man sich auch leisten können, das merken wir derzeit in vielen Lebensbereichen. Deutschland hat sich aus moralischen Gründen entschieden, kein Gas mehr aus dem Reich des Bösen zu beziehen - das hat es selbst mitten im kalten Krieg nicht gegeben. Aber auch das ist eine aktuelle Erfahrung: Wenn an Orten Menschenrechte verletzt und Kriege geführt werden, für die sich die deutsche Öffentlichkeit nicht interessiert, dann kann man schon einmal ein Auge zudrücken. Und so verwundert es nicht, dass wohl kein deutscher Fußballer in Katar mit Regenbogenfarben aufläuft und Robert Habeck dort demütig um Gas bitten konnte. Auch wenn man in Katar von seinem großen Deal im Nachhinein nichts wusste. Da hat Habeck sich ganz umsonst gebückt - und darüber hinaus einmal wieder bewiesen, wie flexibel auch die Grünen mit ihrer Haltung umgehen. 

Gerade vor dem Hintergrund dieser Heuchelei ist es bedenklich, wie leichtfertig deutsche Unternehmen derzeit moralisch unter Druck gesetzt werden. Jetzt wurde sogar die Fresenius Medical Care kritisiert, weil sie weiterhin ihre Dialyse-Zentren in Russland betreibt. Natürlich ist das ein riesiges Geschäft, an dem die AG sehr viel Geld verdient. Allerdings: Darf Haltung so weit gehen, Dialysepatienten im Stich zu lassen? Man würde diesen Patienten von heute auf morgen die Versorgung nehmen, aber es ist mehr als zweifelhaft, ob dies Putin genügend anrühren würde, um seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Alleinherrscher können diesbezüglich verdammt stur sein - dazu müssen wir uns nur daran erinnern, aus welchem Grund in Deutschland die Fanta erfunden wurde. 

Natürlich steht es jedem Bürger frei, ein Produkt im Regal stehen zu lassen, wenn er die Firmenpolitik des Herstellers abscheulich findet. Da mir "Ben & Jerry's" ohnehin zu teuer ist, fällt es mir leicht, deren Eiskrem zu boykottieren, die nur noch von der Hamas geschleckt werden darf. Es gibt genug andere gute Eismarken. Die Deutschen boykottieren immer wieder gern, das gibt ihnen das Gefühl "etwas gegen das Böse zu machen". Dazu muss nur das Gerücht in Umlauf kommen, eine Firma spende an die falsche Partei, damals an die Republikaner oder heute an die AfD. Das betraf in den letzten dreißig Jahren - soweit ich mich erinnere - schon eine bekannte Sektfirma, den Hersteller von Gesundheitslatschen, eine muhende Buttermilch und eine edle Eissorte. Oft waren die Spendengeschichten frei erfunden, aber engagierte Bürger sprangen sofort darauf an. 

Es ist interessant, dass solche Aufrufe oft aus Kreisen kommen, die generell zum Konsumverzicht auffordern und uns am liebsten nur eine begrenzte Produktpalette gestatten würden. Ein Shampoo für alle, zwei Sorten Joghurt und Waschpulver ohne Duftstoffe. Nur die Vielzahl von Produkten bei uns macht es aber erst möglich, bequem einem Boykottaufruf zu folgen - man kauft eben etwas anderes. Wie wäre es um die Haltung bestellt, wenn es nur noch eine Sorte Schokolade oder Marmelade gäbe? Schon jetzt merken wir, dass sich der Krieg in der Ukraine auf unsere Versorgungslage auswirkt, einerseits, weil besorgte Bürger sich - wie es auch vom Katastrophenschutz geraten wird - haltbare Notvorräte anlegen, aber auch, weil Lieferungen ausbleiben. Zusätzlich setzen uns hausgemachte Probleme zu, etwa die durch die "Energiewende" verursachten Engpässe. Da wird ein ganzes Land gezwungen, die Folgen ideologischen "Haltungzeigens" mitzutragen - und das, ohne dass es einen erkennbaren Gegenwert gibt, für den sich der Verzicht lohnt. 

Es gibt gesunden und bösartigen Egoismus. Wer sich um seine Angestellten sorgt (und gleichzeitig auch sein eigenes Geld weiterverdienen will) und keine kriegswichtigen Güter an die Gegenseite liefert, handelt einfach nur vernünftig. Politische Moden wechseln heute so schnell, dass es gut ist, zunächst einmal dem eigenen Umfeld Stabilität zu garantieren. Ein Boykottaufruf ist schnell ausgesprochen, aber seine Konsequenzen nicht durchdacht. Schon morgen kann es den nächsten treffen, der heute noch die richtige Haltung hatte - man sollte sich also gut überlegen, auf welchen Zug man aufspringt. Es könnte auch ein moralisch fragwürdiger sein.


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