von Mirjam Lübke...
Der Anblick einiger chinesischer Städte hat auch ohne Lockdown etwas Deprimierendes: Dieses riesigen Wohntürme können einem als Europäer Angst einflößen, tausende Wohnungen dicht an dicht, in den oberen Stockwerken kann man wahrscheinlich noch nicht einmal ein Fenster öffnen. Klapprige Klimaanlagen hängen an den bröckelnden Fassaden der ärmeren Wohnviertel, aber auch die modernen Wolkenkratzer für wohlhabendere Bewohner wirken eher wie Designer-Termitenbauten als ein Platz, an dem man sich zuhause fühlen kann. Auch wenn die schiere Notwendigkeit besteht, in den übervölkerten Städten Wohnraum auf engstem Raum zu schaffen, ruft die Architektur laut "Kommunismus!". Die, die ihr hier einzieht, lasst alle Individualität fahren. Leider hatte ich bisher weder die Gelegenheit, nach China oder Japan zu reisen und beziehe meine Informationen aus diversen Dokumentationen, aber in Tokyo scheint man mehr Wert auf eine schöne Umgebung zu legen.
Auch wenn viele Bewohner wahrscheinlich froh sind, überhaupt in der Stadt leben zu können, muss es furchtbar sein, in so einer Massenwohnanlage auch noch eingesperrt zu werden, dicht an dicht mit anderen Menschen, die aufgrund des rabiaten Lockdowns die Nerven verlieren. In Videos aus Shanghai ist zu hören, wie die Bewohner fluchen oder vor Verzweiflung schreien. Es ist wahrlich kein Wunder, dass einer den anderen mit seiner Panik ansteckt, denn hier werden Menschen nicht vor Corona geschützt, wie die chinesische Regierung behauptet, sondern einfach weggesperrt und im Stich gelassen. Man kennt es aus archaischen Kulturen: Kranke werden in einer Hütte isoliert, aus der sie mit etwas Glück nach gewisser Zeit lebend wieder herauskommen. Nur können diese Kulturen zu ihrer Entschuldigung vorbringen, mangels moderner Medizin keine andere Möglichkeit zu haben. Und man hat immerhin den Anstand, dem Kranken etwas zu Essen vor die Tür zu stellen und ihm ein paar freundliche Worte zuzurufen. Die Bewohner von Shanghai bekommen weder das eine noch das andere. Heute habe ich ein Foto gesehen, auf dem jemand aus Protest seinen leeren Kühlschrank ans Fenster stellte. Selbst die staatlichen Quarantänezentren werden offenbar nicht ausreichend mit Nahrung versorgt.
Stattdessen patrouillieren Drohnen und Roboterhunde durch die Straßen und bedrohen aus Lautsprechern jeden, der auch nur den Gedanken fasst, aus der Tür zu treten. Was nach Science-Fiction aussieht, folgt einer militärischen Taktik. Auch wenn sich Asiaten aus kulturellen und religiösen Gründen in der Gegenwart von Robotern nicht so unwohl fühlen wie Europäer, wird hier eine deutliche Botschaft gesendet: Man hält es schlichtweg nicht für nötig, den Eingesperrten ein wenig menschliche Zuwendung zu gönnen - und sei es nur in Form von Soldaten in Schutzanzügen, welche zwar die Quarantäne kontrollieren, aber auch Notrationen vorbeibringen und nachsehen, wie die Lage ist. Roboter sendet man gemeinhin in kontaminierte Gebiete, dorthin, wo es für menschliche Einsatzkräfte zu gefährlich ist, etwa wegen hoher Strahlenbelastung. Die Bewohner von Shanghai werden also behandelt wie Gefahrgut. Man sieht, welchen Stellenwert der Bürger in einem totalitären Staat hat: Keinen.
In den USA wurden ganz ähnliche Laufroboter übrigens nicht nur als Tragehilfe für das Militär entwickelt, sondern man weiß auch um den einschüchternden Effekt auf Zivilisten - angeblich soll dies helfen, blutige Auseinandersetzungen im Vorfeld zu verhindern. Wer so eine Maschine schon einmal im Einsatz gesehen hat, weiß warum. Mittlerweile können diese Roboter nicht nur Hindernisse mühelos überwinden, sie sind auch in der Lage, Türen zu öffnen. Diese Technologie in den falschen Händen nimmt einem das letzte bisschen Sicherheitsgefühl in den eigenen vier Wänden - die Dystopie von gestern ist heute Realität.
Wenn das ZDF in diesem Zusammenhang von "Lockerungen" in Shanghai spricht, kann einem nur noch die Kinnlade vor Ungläubigkeit herunterklappen. Angeblich ist es in Ausnahmefällen wieder möglich, die Wohnung zu verlassen - was für eine Befreiung! Die Gefangenen bekommen ein wenig Freigang auf dem Gefängnishof gewährt. Während andere deutsche Medien wie "Welt" und "Focus" immerhin über die desolate Versorgungslage berichten - es ist deshalb schon zu Selbstmorden gekommen - hört man in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten nur wenig über die Zustände in Shanghai. Vielleicht auch deshalb nicht, weil sie dem entsprechen, was sich die "ZeroCovid"-Aktivisten auch für Deutschland vorstellen konnten: Die totale Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben. Manch einer wird ebenfalls schon patrouillierenden Robotern fantasiert haben. Dabei erweist sich gerade in Shanghai eins: Wenn man Menschen zusammenpfercht, verbreitet sich das Virus erst recht. Diesen Effekt konnte man auch in Deutschland in Stadtvierteln beobachten, wo Großfamilien auf engstem Raum zusammenleben. Da bleibt eine Ansteckung nicht aus - auch wenn dieser Gedanke für viele Deutsche inzwischen an Schrecken verloren hat.
Auch der Gedanke, dass es "bei uns doch nicht so schlimm war mit dem Lockdown" - zwischen den Zeilen schwingt ein "stellt euch nicht so an!" mit - beruhigt nur wenig. Hätte man Lauterbach und Drosten mit den notwendigen logistischen Möglichkeiten ausgestattet, wäre es auch hier zu noch härteren Maßnahmen gekommen. Wie viele Corona-Paniker haben auch hierzulande vorgeschlagen, Infizierte oder Ungeimpfte in Lagern unterzubringen und nach harten Strafen für Skeptikern gerufen. Es scheiterte nicht am Bewusstsein, wie diktatorisch das ist, sondern an der Umsetzbarkeit. Die Deutschen - das hoffe ich zumindest - hätten bei aller Corona-Hörigkeit vielleicht doch nicht alles mitgetragen. Zumindest nicht alle.
Shanghai zeigt auf, was Totalitarismus und Kommunismus in einer Gesellschaft anrichten können. Die chinesische Regierung ist eine Meisterin darin, mit der Effektivität die unmenschlichsten Maßnahmen umzusetzen, die einen an Eichmanns eiskalten Bürokratismus erinnert. Für diesen waren Menschen auch nur Zahlen, die man beliebig hin und her verschieben kann. Ist es erst einmal so weit gekommen, lässt sich Demokratie kaum noch wiederherstellen, nicht nur wegen der staatlichen Kontrolle, sondern weil die Bürger gar nicht mehr mental und psychisch in der Lage sind, sich zur Wehr zu setzen. An Satz "Wehret den Anfängen!" ist schon etwas dran, auch wenn er in Deutschland oft missbraucht wird. Aber wer zu lange wartet, hat irgendwann keine Chance mehr, noch Widerstand zu leisten.
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