Flüchtlinge in Deutschland: „Dann können wir jede Arbeit machen“
Die Lager auf den griechischen Inseln sind Sinnbild für das europäische Versagen in der Migrationspolitik. Deutschland hat zugesagt, einige Tausend Flüchtlinge im Rahmen von Sonderaufnahmen zu holen. Hier erzählen einige von ihnen, was sie in ihrem neuen Leben vorhaben.
Alle paar Wochen landet inzwischen in Hannover ein Sonderflug aus Griechenland. An Bord: Kinder, Frauen und Männer aus Krisengebieten, etwa Syrien oder Afghanistan. Wenn sie in Hannover aussteigen, haben sie meist schon eine Odyssee hinter sich.
Viele von ihnen waren monatelang auf der Flucht, bevor sie irgendwann auf den griechischen Inseln landeten. Dort waren sie untergebracht in behelfsmäßigen, zum Teil elenden Lagern. Babys würden in nassen Zelten „von Ratten gebissen“, sagte vor Kurzem Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) über den aktuellen Zustand vor Ort. Um zumindest einen Teil der Migranten besser zu versorgen, hat sich die Bundesregierung in diesem Jahr zu mehreren Sonderaufnahmen entschlossen.
Rund 2750 Personen aus Griechenland sollen nach Deutschland kommen können, darunter 203 unbegleitete Minderjährige sowie 243 behandlungsbedürftige Kinder oder Jugendliche mit ihren Kernfamilien. Außerdem 1553 anerkannte Flüchtlinge im Familienverbund. 1519 Personen seien inzwischen angekommen, teilt das Bundesinnenministerium mit. WELT AM SONNTAG wollte wissen, wie es ihnen geht.
„Viele Flüchtlinge haben noch Hoffnung“
Am Ende des Gesprächs schickt Sameha Al Zurqa ihre Jüngste vor. Sie solle sich vorstellen, erklärt ihr die Mutter. „Lial“, sagt das fünfjährige Mädchen. Dann flitzt es aus dem Raum. Vor dem Gebäude gibt es einen kleinen Spielplatz für die Flüchtlingskinder, die in Friedland untergebracht sind: eine Schaukel, eine Rutschbahn, ein Klettergerüst. Die Jungen und Mädchen rufen fröhlich durcheinander, manche können sogar schon ein paar Brocken Deutsch.
Nichts erinnert im Moment an das Elend in Griechenland, von dem so oft berichtet wird. Die Familie, so stellt sie es selbst dar, hat vergleichsweise Glück gehabt. „Gut“ sei das Lager auf der griechischen Insel Kos gewesen, sagt Sameha Al Zurqa, 43. Nach ihrer Flucht aus dem kriegsgebeutelten Jemen seien sie 2019 in Griechenland zunächst in einem Zelt unterbracht worden. Dann seien sie in einen Wohnwagen umgezogen: Toiletten und Waschbecken inklusive. In einer Kantine habe es Essen gegeben.
„Das war eigentlich in Ordnung“, sagt Samehas Partner Basheer Abdullah. Wie die Familie E. bekam auch die Familie Abdullah bereits in Griechenland Asyl. Nach anderthalb Jahren Wartezeit im Sommer 2020. Sie seien zunächst in das Flüchtlingslager auf Kos zurückgekehrt. Irgendwann hätten sie in den Nachrichten gehört, dass einige der Migranten nach Deutschland gehen könnten, sagt Basheer – ohne zu wissen, dass sie selbst dazugehören könnten.
Es sei wohl „Zufall“ gewesen, dass sie ausgewählt worden seien, sagt Sameha und ist darüber offensichtlich froh. Man habe viel Positives über Deutschland gehört: dass man hier freundlich mit Flüchtlingen umgehe, dass es gute Gesetze und vor allem ein gutes Bildungssystem gebe.
Sie dreht sich zu ihren Kindern um und fragt ab, was jedes von ihnen beruflich werden wolle. Erzieherin wolle sie werden, sagt die Älteste. Ihr Partner und sie wollten sich irgendeine handwerkliche Arbeit suchen, sagt Sameha. Vielleicht auch in der Gastronomie. Man wolle schauen, wo Bedarf bestehe. „Und dann können wir jede Arbeit machen.“
Am Ende formuliert das Paar noch einen Wunsch. Sie wollten Griechenland für die Aufnahme danken – und trotzdem dafür plädieren, noch mehr Menschen die Weiterreise nach Deutschland zu ermöglichen. „Wir kennen viele Flüchtlinge, die noch Hoffnung haben.“
„Wir haben wie Ratten gelebt“
Yasmin E. ist misstrauisch, als sie in den kleinen Büroraum im Grenzdurchgangslager Friedland tritt. Fotos wolle sie keine machen lassen, teilt sie über den Dolmetscher mit. Die 38-Jährige trägt einen Schleier und eine Gesichtsmaske, die nur die Augen freilassen. Auch ihre zwei Töchter, 17 und 19, sind verschleiert. Nur die beiden Söhne, beide noch Kinder, zeigen ihre Gesichter. Sie schauen skeptisch.
E. und ihre Kinder kamen Anfang Dezember nach Deutschland. Wie die meisten Personen, die im Rahmen des Aufnahmeprogramms ausgeflogen worden sind, wurde die Familie zunächst nach Friedland gebracht. Das Lager stammt noch aus den 1940er-Jahren. Zwei Wochen lang erhalten Migranten einen Crashkurs, bevor sie weiterverteilt werden. Für Familie E. wird es nach Trier gehen, eine Stadt, von der Yasmin E. noch nie gehört hat.
Alles sei besser als die Situation in Syrien oder Griechenland. E. erzählt, dass sie in Jarmuk gelebt habe, einem Flüchtlingslager für Palästinenser in der Nähe von Damaskus. 2014 hätten Extremisten des Islamischen Staats das Gebiet belagert. Nach dem Tod ihre Mannes sei sie in die Türkei geflohen. 2019 habe sie dann mit einem Schlauchboot auf die griechische Insel Samos übergesetzt. Warum? „Als Alleinerziehende mit vier Kindern in der Türkei zu leben, war schwer“, sagt sie.
Außerdem seien sie nicht willkommen gewesen. Aber auch in Griechenland nicht – obwohl sie dort später Asyl erhielten. „Wir mussten uns selbst ein Zelt bauen und sieben Monate darin leben.“ Die Toiletten im Camp hätten sie nachts als Frauen nicht aufsuchen wollen und deswegen in Eimer „gepinkelt“, erzählt E. „Wir haben wie Ratten gelebt.“
Dann kam ein Anruf. „Uns wurde gesagt, dass wir am nächsten Tag nach Athen kommen sollen.“ Dort habe sie in der deutschen Botschaft ihre Fluchtgeschichte erzählt. Ein paar Tage später sei ihr gesagt worden, dass sie nach Deutschland ausreisen könnten. „Hauptsache, wir können neu anfangen.“
Was eine Psychologin berichtet
Es gibt Personen, die nicht in Friedland ankommen: Weil sie nämlich so hilfsbedürftig sind, dass sie direkt betreut werden müssen. Dazu zählen die rund 200 minderjährigen Migranten, die ohne ihre Eltern nach Griechenland gekommen sind und von denen bereits ein Teil nach Deutschland ausgeflogen wurde. Sie werden in der Regel direkt am Flughafen Hannover abgeholt und in den Ländern untergebracht, meist in Jugendhilfeeinrichtungen. Ein Vormund übernimmt die rechtliche Betreuung.
Verglichen mit den Familien, die dort bereits als Flüchtlinge anerkannt wurden, ist die Lage der allein reisenden Jugendlichen schwierig. Oft haben sie noch Verwandte in Krisengebieten oder Freunde in den griechischen Lagern, um deren Schicksal sie fürchten. Außerdem müssen die unbegleiteten Minderjährigen in Deutschland wie jeder reguläre Asylbewerber in Deutschland ein Asylverfahren durchlaufen. Flüchtlingsorganisationen berichten, dass die Migranten aus Moria keine Sonderbehandlung erfahren.
In Berlin ist mindestens ein Fall bekannt, bei welchem dem Vormund eines minderjährigen Afghanen bereits eine Abschiebeandrohung zugestellt wurde. Er habe sich nicht rechtzeitig um das Asylgesuch gekümmert, heißt es. Wie es den Kindern und Jugendlichen selbst geht, lässt sich nur schwer nachzeichnen. Vormünder, die WELT AM SONNTAG angefragt hat, wollen sich nicht öffentlich äußern.
Die Psychologin Janina Meyeringh berichtet allerdings von auffallend vielen Personen, die „psychisch stark belastet oder körperlich erkrankt“ seien. „Uns haben Jugendliche berichtet, dass sie schon in Griechenland Suizidversuche unternommen hätten“, sagt Meyeringh, die sich bei der psychosozialen Beratungsstelle Xenion auch um minderjährige Migranten aus Griechenland kümmert. „Ein Jugendlicher war akut suizidal, als er hier ankam.“
Ob es in Griechenland schon therapeutische Behandlungen gegeben habe, wisse sie nicht. „Je länger aber Traumata nicht behandelt werden, desto höher ist die Gefahr langfristiger Folgen.“ Ein Problem: „Viele kommen mit dem Gefühl: Jetzt habe ich es endlich geschafft“, sagt Meyeringh. Sie wüssten nicht, dass ihr Aufenthalt in Deutschland noch gar nicht gesichert sei.
Nicht jeden hält es in Deutschland. Von den acht Kindern, die aus Moria in Berlin aufgenommen wurden, sei eines „unbekannt verzogen“, teilte die Senatsverwaltung für Inneres auf eine Anfrage der FDP-Fraktion Mitte Dezember mit. Inzwischen ist auch klar wohin. „Ermittlungen der Polizei Berlin ergaben einen Hinweis, wonach sich das vermisste Kind in Belgien aufhalten könnte“, sagte ein Sprecher des Innensenators WELT AM SONNTAG. Das Bundeskriminalamt habe bestätigt, dass dort Angehörige bekannt seien. Wie sich das Kind ohne Wissen der Betreuer absetzen konnte, beantwortete die Behörde nicht.
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