von Thomas Heck...
Was nach islamistischen Anschlägen haften bleibt, ist neben dem Blut der Opfer, in letzter Zeit auch das Blut von Kindern, die bittere Erkenntnis, dass selbst der radikalste Islam Rückendeckung von den Kirchen erhält, beginnend bei den Kardinälen und Bischöfen über die Gläubigen bis hin zu Politikern vermeintlich christlicher Parteien.
Die Anschläge können noch so blutig sein, die Opfer noch so zahlreich, es findet sich immer eine Margot Käßmann, eine Kardinal Marx, ein Bedford-Strom oder ein Berliner Landesbischof Markus Dröge, die helfend dem Islam in die Bresche springen, erklären und relativieren. Und das werden schon mal kritische Muslime selbst zu Nazis erklärt, man will sich die Deutungshoheit für den "an sich friedlichen Islam" nicht nehmen lassen.
Man gewinnt den Eindruck, die Kirchenoberen in ihrer Not auf der Suche nach den letzten Gläubigen akzeptieren den blutverschmierten Islamisten-Mörder als einen von ihnen, der ihnen insgesamt lieber ist, als die, die keinerlei Glauben haben. Besser als ein Islamist mit Blut an den Händen, als gar kein Glaube, lautet die Devise. So leichtes Spiel mit der Eroberung eines Lebensraums hat der Islam in seiner langen und blutigen Geschichte wohl noch nie gehabt. Wir sind leichte Beute.
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man Verlautbarungen der Politik hört: Finanzminister Schäuble meint, wir sollen Menschlichkeit vom Islam lernen, Innenminister die Misere sagt, der Islam ist der Kitt, den unsere gespaltete Gesellschaft benötigt. Wir sind sowas von leichte Beute.
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man Verlautbarungen der Politik hört: Finanzminister Schäuble meint, wir sollen Menschlichkeit vom Islam lernen, Innenminister die Misere sagt, der Islam ist der Kitt, den unsere gespaltete Gesellschaft benötigt. Wir sind sowas von leichte Beute.
Es brauchte wohl einen Muslim, um die Christen von einer ihrer beliebtesten Relativierungen abzubringen. Nur ein Anhänger des Islam hat offenbar genug Überzeugungskraft, um Protestanten klarzumachen, dass sie bei Debatten über muslimische Gewalt nicht immer sofort auf Gräuel in der eigenen Geschichte verweisen sollten. Diesen Verweis gab es auch jetzt wieder, als auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin über die Gewaltaffinität des Islam diskutiert wurde. Da wurde aus dem Publikum in der Sophienkirche alsbald auch an Schandtaten von Protestanten und Katholiken erinnert.
Heftig zurückgewiesen aber wurde dies von dem Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Für Muslime könne an der christlichen Gewaltgeschichte „nur der heutige Umgang mit dieser Vergangenheit“ interessant sein, sagte Ourghi und meinte damit die selbstkritische Auseinandersetzung der Christen mit ihrer Geschichte. Diese Selbstkritik aber fehle im Islam.
Deshalb hätten Reformmuslime überhaupt nichts davon, wenn dem islamischen Schrecken immer der christliche an die Seite gestellt werde. „Sie helfen uns nicht mit diesem Vergleich“, rief Ourghi ins Publikum – und erhielt großen Beifall. Das Thema dürfte fürs Erste abgeräumt sein. Dies war jedoch nicht die einzige Debattenveränderung auf einem Kirchentag bei diesem Thema. Neu war vielmehr auch und vor allem, wie vehement und unverhüllt vielerlei Defizite des Islam angesprochen wurden – und zwar in einer Debatte unter Muslimen.
„Das radikale Böse“ diagnostizierte Ourghi in seiner Religion. Ourghi sprach von „Herrschsucht und Zerstörungslust“ unter Muslimen. Ein „kollektives Verdrängen“ sei es „zu behaupten, der Islam habe nichts mit Gewalt zu tun“. Und in deutschen Moscheen, so Ourghi weiter, werde gegenüber Kindern und Jugendlichen eine „Pädagogik der Unterwerfung“ praktiziert, die der „Vorradikalisierung“ diene.
Frontal attackiert war damit der größte deutsche Moscheeverband, die vom türkischen Staat abhängige Ditib, deren Generalsekretär Bekir Alboga ebenfalls anwesend war. Alboga versuchte mit einer Strategie zu kontern, mit der er bisher meist erfolgreich war. Nämlich damit, dass er Ourghis Vorwürfe als „unwissenschaftlich“ abtat und auf angeblich freundliche Traditionen des Islam verwies, von denen es doch mehr als genug gebe. Und in Deutschland, so Alboga weiter, achte Ditib strikt auf Treue zum Grundgesetz. Im Übrigen sei es gefährlich, den Islam „schlecht darzustellen“. Denn das würde „die Islamophobie stärken“.
Aber dieses Mal verfing Albogas Strategie nicht. Waren er und andere Ditib-Vertreter auf früheren Kirchentagen meist als Gesprächspartner im christlich-muslimischen Dialog eher geschont worden, so geriet Alboga dieses Mal zusehends auf die Anklagebank. Scharf setzte ihm Ourghi zu („Sie haben offenbar keine Ahnung von dem, was in Ihrem Verband passiert“), und auf Distanz zu Ditib ging auch Nushin Atmaca als Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes. Hinzu kamen so sachliche wie beharrliche Nachfragen des kundigen Moderators Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.
So beschrieb Eißler, nachdem Alboga die Propagierung der Scharia als zivilrechtlicher Verhaltensvorschrift weit von sich gewiesen hatte, ein Büchlein, das auf Ditib-Büchertischen ausliege. Detailliert, so Eißler, würden darin Scharia-Regeln dargestellt, nach denen muslimische Frauen über ihre Heirat keineswegs selbst bestimmen dürften, sondern dazu erst die Erlaubnis einiger Verwandter einholen müssten.
Alboga antwortete, es sei nicht verboten, alte Texte neu zu drucken, schließlich werde „auch die Bibel mit ihrer Gewaltverherrlichung nachgedruckt“. Was Eißler anspreche, seien Klischees. „Weg mit diesen Schablonen“, rief Alboga. Darauf Eißler: „Schablonen habe ich jetzt bei Ihnen gehört.“ Starker Beifall für Eißler.
Früher war harte Islam-Kritik hier verpönt
Dieser Publikumszuspruch ist insofern bemerkenswert, als Besucher früherer Kirchentage es gar nicht gern hörten, wenn muslimische Verbandsvertreter auf den Veranstaltungspodien hart kritisiert wurden. Gegeben hat es solche Kritik durchaus. Denn höhere Amtsträger der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) äußern sich anders als viele Katholiken schon seit Längerem unverdruckst über Missstände im Islam.
Aber als 2007 der damalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber auf dem Kirchentag in Köln den Zentralrat der Muslime mit der katastrophalen Menschenrechtslage in vielen islamischen Ländern konfrontierte, ging das vielen Protestanten im Publikum deutlich zu weit.
Jetzt aber werden solche Hinweise von der großen Mehrheit unterstützt. Dazu wird beigetragen haben, dass die Nähe der Ditib zum türkischen Staat seit der Entdemokratisierungspolitik von Präsident Erdogan auch den Protestanten immer suspekter wird. Mit ironischem Grinsen jedenfalls wurde in Berlin aufgenommen, wie Alboga die Türkei zum Musterland islamischen Reformstrebens auszurufen versuchte.
Schon unter Atatürk, so Alboga, sei ja in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts die Trennung von Kirche und Staat vollzogen worden. Eißler aber fragte, warum Alboga denn dann heute, wo Erdogan die Türkei zu islamisieren versuche, „kein Fundamentaloppositioneller“ sei. Das ließ Alboga unbeantwortet. Was freilich dazu führte, dass die Türkei in dieser Runde eben nicht als Vorbild bei der Reform des Islam herangezogen wurde.
Martin Luther jedoch wurde auch nicht zum Vorbild. Zwar lautete der Titel der Veranstaltung „Braucht der Islam eine Reformation?“. Recht schnell aber bestand Einigkeit, dass dabei wohl kaum an das zu denken ist, was vor 500 Jahren in der lateinischen Christenheit mit Luthers Thesenveröffentlichung begann. Schon weil die lutherische Reformation ja per se auch nicht freiheitlich-demokratisch und gewaltfrei war.
Aber auch deshalb, das zeigte Nushin Atmaca, weil der Islam ganz anders strukturiert ist als damals der Katholizismus und weil zudem Luther eine Rückkehr zu den Wurzeln propagierte, die im Islam hoch problematisch sein kann. Denn auch Salafisten und andere Radikale erklären den heutigen Islam für deformiert und degeneriert, weshalb er unbedingt ganz streng an Mohammed ausgerichtet werden müsse. Das kann niemand wollen.
Stattdessen müsse man sich im Islam, so Ourghi, endlich „vom dogmatischen Prophetenbild lösen“ und dabei vor allem darauf beharren, dass die oft brutalen Koran-Aussagen über Mohammeds Zeit als Feldherr und Politiker „für keine Zeit“ mehr gültig sein könnten.
Weiterhin müssten die wissenschaftlichen und pluralistischen Traditionen des Islam nicht einfach genannt, sondern gewürdigt und ernst genommen werden. Aber so, „dass man sich nicht an den alten Zeiten orientiert“. Vielmehr müsse man die Vernunftstraditionen des Islam mit der europäischen Aufklärung und Moderne verbinden. „Es geht um den Gebrauch der Vernunft gegen den Geist der Fremdbestimmung“, sagte Ourghi und stellte an den Anfang jeder Reform die Selbstkritik. Dafür hat der Kirchentag den Muslimen ein Podium gegeben.
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