Montag, 29. Mai 2017

Alles Nazis... auch in Cannes...

von Thomas Heck...

Wenn Diana Krüger in Cannes einen Preis als beste Darstellerin abräumt und diesen Preis den Opfern von Terror widmet, ist das an sich löblich. Weniger löblich ist, dass sich der Plot des Films "Aus dem Nichts" vom Regisseur Fatih Akin ausschließlich auf die NSU-Morde bezieht und den Islam mit dem heutigen Terror nicht in Verbindung bringen will. Dabei wäre dieses Thema wichtig gewesen, denn die Toten von heute werden ausschließlich von Muslimen ermordet. Dies setzt den Film den Verdacht aus, Stimmung in bestimmte Richtung zu machen, was, auch gegenüber den Opfern von heute, als schändlich anzusehen ist. Schade.


"Hey!", ruft Katja (Diane Kruger) der Frau zu, die gerade ihr Fahrrad vor dem Büro von Katjas türkischstämmigem Mann abgestellt hat. "Das musst du abschließen, das wird dir hier sonst geklaut." Sie komme gleich zurück, da wäre das nicht nötig, wehrt die Frau ab und verschwindet. 


Wer mit den Verbrechen des NSU vertraut ist - und auf die nimmt Fatih Akin in einer Einblendung zum Schluss explizit Bezug -, den erfasst sofort der Horror. Mit einer Nagelbombe, die mit einem Fahrrad vor einem türkischstämmigen Friseur platziert wurde, verübte der NSU 2004 seinen Anschlag in der Kölner Keupstraße.

Damals starb zum Glück niemand. Für seinen Wettbewerbsfilm "Aus dem Nichts " schreiben Akin und sein Co-Autor Hark Bohm die Geschichte nun um: Die Bombe, die die Frau zündet, tötet Katjas Mann und sechsjährigen Sohn. Auf diese persönliche Ebene heruntergebrochen, verbleibt "Aus dem Nichts" im Privaten und konzentriert sich ganz auf Katjas Kampf - erst für Gerechtigkeit, dann für Vergeltung.

Annäherung an die Hollywood-Strategie

Da ihr Mann Nuri (Numan Acar) wegen Drogenhandels im Gefängnis war, vermutet die Polizei erst eine Tat aus dem Milieu. Wie die Angehörigen der NSU-Opfer wird Katja deshalb bedrängt. Doch im Gegensatz zu Polizei, Verfassungsschutz und Medien, die in der Realität jahrelang einen rassistischen Hintergrund ausschlossen und die Mordserie als "Döner-Morde" verharmlosten, ist Katja sofort klar: "Das waren Nazis!" Bald sieht das auch die Polizei im Film so. Die Frau mit dem Fahrrad wird gefunden und ihr und ihrem Neonazi-Freund der Prozess gemacht.




Warum das so schnell erzählen? Warum den offenen und den strukturellen Rassismus, der die Aufklärung der NSU-Verbrechen unerträglich lang herausgezögert hat, außen vorlassen? Es ist eine von vielen problematischen Entscheidungen, die Akin in "Aus dem Nichts" trifft. Ein ums andere Mal nimmt er dem Stoff seine politische Dimension und Komplexität, nicht zuletzt auch mit der Besetzung von Diane Kruger in ihrer ersten deutschsprachigen Rolle.

Schauspielerisch überzeugt Kruger zwar hier: Sowohl die liebende Mutter als auch die Szenegängerin, die sich einst in einen Knacki verliebt hat, nimmt man ihr ab. Doch warum eine blonde Bio-Deutsche die Light-Version von dem durchleben lassen, was die türkisch- und griechischstämmigen Angehörigen der NSU-Opfer über Jahre hinweg ertragen mussten? Das erinnert zu sehr an die Hollywood-Strategie, sich über eine weiße Figur die Geschichten von people of color zu erschließen.

Womöglich muss man "Aus dem Nichts" besser als einen NSU-Film für ein internationales Publikum verstehen, das deutsche ist schließlich mit dem ARD-Dreiteiler "Mitten in Deutschland: NSU" und den Dokumentarfilmen "Der Kuaför aus der Keupstraße" und "Der NSU-Komplex" durchaus gut versorgt mit filmischen Aufarbeitungen des Skandals.

Gleichzeitig sieht "Aus dem Nichts" wie ein mittelprächtiger "Tatort" aus und erzählt den anschließenden Prozess um den Anschlag ähnlich uninspiriert wie ein TV-Krimi. Im letzten Drittel steht zwar plötzlich die Möglichkeit eines Genrewechsels im Raum: Katja schwelgt in Rachefantasien, wird sie zur Diane Unchained, die die Geschichte in ihrem Sinne umschreibt? Doch wie Akin diesen Teil und damit den Film abbindet, wirft noch einmal ganz andere Fragen danach auf, was er hier wirklich erzählen will.

Die internationalen Kolleginnen und Kollegen, die "Aus dem Nichts" bei der Pressevorführung am Freitagmorgen laut beklatschten, mögen ihn für einen Film über den NSU-Skandal halten. Als Deutsche kann man sich da nicht sicher sein.



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