Montag, 15. Mai 2017

Trittins grünversifftes Demokratieverständnis

von Thomas Heck...

Wahlnachlese bei Anne Will und ein erschreckendes Demokratieverständnis bei den Grünen, vertreten durch Altkommunisten Jürgen Trittin. Seine These: Wenn eine Partei bei einer Wahl klar am stärksten abschneidet und die Menschen wollen, dass sie die Regierung anführt, dann sollen sich drei kleinere Parteien verbünden und die größte Partei, die sich die Menschen am meisten wünschen, aus der Regierung raushalten. Begründung: Unter der großen Partei würden die kleineren ja weniger Pöstchen bekommen und hätten weniger Macht und Einfluss. Demokratie ad absurdum führen. Warum nicht gleich einen grünen Diktator? Und dann wundern sich die Grünen, wenn sie Richtung 6 Prozent rutschen, wenn sie so ticken. 
Ob sie bei den Grünen nicht allmählich über ein Redeverbot für Jürgen Trittin nachdenken sollten? Nicht weil FDP-Vize Wolfgang Kubicki bei „Anne Will“ sagte, „dieser Trittin ist wirklich unerträglich“. So etwas aus dem Munde eines Liberalen wäre früher ja fast schon wie eine Auszeichnung gehandelt worden.

Doch früher ist in Zeiten von Gedankenspielen über Ampel- oder Jamaikakoalitionen vorbei. Und mit nur wenig Fantasie fallen einem ganz viele Spitzen-Grüne ein, die am Sonntagabend dasselbe über den 62-jährigen Trittin gedacht haben, was Kubicki gesagt hat.
Denn am Abend des auch für die Grünen desaströsen Abschneidens bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen offenbarte der als links geltende Trittin eine rein an Machtfülle orientierte Haltung. 

Dummerweise hat er mit seinen Äußerungen bei Anne Will womöglich den Grünen in Schleswig-Holstein ihr bevorzugtes Regierungsmodell zerstört – deren Verhandlungsführer Robert Habeck versuchte direkt, Schlimmeres zu verhindern.

Wie sich Trittin Regierungsverhandlungen vorstellt

Trittin zählte Sonntagabend zu den Gästen, die das Wahlergebnis in NRW aufarbeiten sollten. Für die SPD war Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig in der Runde, für die CDU Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Neben Trittin und Kubicki noch außerhalb der Politik der „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. AfD und Linke waren nicht dabei.




Quelle: dpa infocom
Gut zu hören war, wie Trittin sich den Verlauf von Regierungsverhandlungen vorstellt. Es ging um die am Montag beginnenden ersten Gespräche von Grünen und FDP nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Kubicki äußerte sich da sehr wohlwollend über Habeck und die Grünen im Norden und sagte, „wir fangen miteinander an, um zu gucken, ob eine Basis möglich ist“. 
Nach dem Sieg der CDU zielt Kubicki aber ganz klar auf eine Jamaika-Koalition – die Grünen allerdings halten trotz der Schlappe der bisher regierenden SPD die Ampel für inhaltlich passender.

Für Trittin ist Kubicki ein „guter Machtpolitiker“

Verstörend offen geriet dann aber, wie Trittin dem „guten Machtpolitiker“ Kubicki die Dinge zu erklären versuchte. Beide seien sie doch Angehörige kleinerer Parteien. „Wir haben das gemeinsame Interesse, die Macht der großen Parteien zu begrenzen.“ So weit, so nachvollziehbar. „Das Einfachste ist, man schickt die größte der großen Parteien in die Machtlosigkeit. Und der kleinsten der größeren Parteien nimmt man viel Macht ab“, dozierte Trittin. „Das ist doch Realpolitik.“
Ein rein an Macht orientiertes Denken also, das die vom Wähler zur stärksten Partei gemachte Kraft bewusst straft. „Das ist doch abenteuerlich“, sagte Bouffier, der als Erster wieder die Worte fand. Statt dass Trittin sich korrigierte, legte er aber sogar noch einmal nach. „Wenn man zwei Große zur Auswahl hat, nimmt man den Kleineren“, sagte er, „dann hat man mehr vom Kuchen.“


Jürgen Trittin eckte nicht nur bei Wolfgang Kubicki (FDP) an
Jürgen Trittin eckte nicht nur bei Wolfgang Kubicki (FDP) an 
Quelle: picture alliance / Wolfgang Borrs/NDR/dpa
Was Trittin da wohl geritten hat? Eigentlich weiß doch jeder einigermaßen erfahrene Politiker, dass Verhandlungsstrategien nicht öffentlich gemacht werden. Falls die Nord-Grünen trotz der SPD-Pleite ernsthaft für die Ampel kämpfen wollen, müssen sie nun jedenfalls immer auch den Vorwurf der reinen Machtgeilheit und Postenschacherei ertragen. 
Ihr Spitzenmann Habeck versuchte via Twitter umgehend, genau diesen Eindruck zu entkräften – „verantwortlich“ und nicht nach Kuchengröße würden die Verhandlungen geführt, kündigte er an.



Schwesig rettet sich in Durchhalteparolen

Mit einem Mangel an Gefühl für den Wählerwillen war Trittin in der Runde aber nicht alleine. Familienministerin Schwesig versuchte sich mit reinen Durchhalteparolen – „ab morgen wird es weitergehen“ – aus ihrer undankbaren Rolle als SPD-Vertreterin zu retten. Dabei wurde es ihr sogar leicht gemacht. 
„Zeit“-Chefredakteur di Lorenzo sagte, die SPD sei immer dann besonders erfolgreich gewesen, „wenn sie eine Botschaft hatte, die weit in die Mitte vorgedrungen ist“. Nur soziale Gerechtigkeit sei zu wenig. Doch die Vorlage, nun offensiv mal ein solches Thema zu setzen, ließ Schwesig einfach liegen. Sie landete stattdessen doch wieder nur bei der sozialen Gerechtigkeit: Die SPD wolle ja die Kita-Gebühren abschaffen, und in der Familienpolitik gebe es „große Unterschiede“ zur Union.


"Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, Jürgen Trittin (Grüne), Wolfgang Kubicki (FDP), Moderatorin Anne Will, Manuela Schwesig (SPD) und Volker Bouffier (CDU) (v.l.n.r.)
"Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, Jürgen Trittin (Grüne), Wolfgang Kubicki (FDP), Moderatorin Anne Will, Manuela Schwesig (SPD) und Volker Bouffier (CDU) (v.l.n.r.) 
Quelle: picture alliance / Wolfgang Borrs/NDR/dpa
Gewunden äußerte sich Schwesig zum Thema Koalitionsmöglichkeiten. „Wir führen keinen Koalitionswahlkampf, sondern einen inhaltlichen Wahlkampf“, sagte sie zur Frage nach einem Bündnis mit Linker und Grünen. „Außer mit der AfD“ schließe sie keine Zusammenarbeit aus. Dabei scheint das Thema Koalitionsoptionen gerade das mit der größten Spannung zu sein. 
Di Lorenzo meinte, der SPD etwa könne nichts Besseres passieren, als wenn es in NRW zu Schwarz-Gelb käme. Dann könne sie im Bund einen Wahlkampf führen, „Rückkehr zur neoliberalen Kälte“. Kalt klang an diesem Sonntagabend allerdings auch, wie der Grüne Trittin Politik versteht.

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