Sonntag, 13. März 2022

Von den Freuden des Busfahrens...

von Mirjam Lübke...

Zugegeben: Ich gehöre zu den großen Anhängern des Home-Office. Da ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mit dem Auto fahren kann, hieß es für mich einige Jahre, mit Bus und Bahn zur Arbeit zu gelangen. Ein Vergnügen, das Luisa Neubauer wahrscheinlich bisher entgangen ist, da sie sich andernfalls wohl kaum so lobend über den öffentlichen Nahverkehr äußern könnte. Man wird dort gestählt wie im Bootcamp, und bisweilen geht es auch ähnlich ruppig zu. Im täglichen Berufsverkehr etwa gleicht die Schlacht um einen Sitzplatz einem epischen Katastrophendrama, wenn der letzte Zug in Richtung der Zuflucht vor einem Meteoriteneinschlag zur Abfahrt bereit gemacht wird. Wer bisher noch nichts von "Sozialdarwinismus" gehört hat, darf ihn nun am eigenen Leib erfahren!



Schüler rammen einem ihre Tornister in die Magengrube, wehrhafte Rentnerinnen zücken den Stockschirm zur Selbstverteidigung und dann müssen auch noch fünf Kinderwagen und sieben Fahrräder in der Busmitte verstaut werden. Rechts und links davon werden Dutzende Fahrgäste auf erstaunlich kleinem Raum komprimiert, was besonders im Hochsommer eine olfaktorische Herausforderung darstellt, da sich die Aromen von abgestandenem Schweiß, üppig aufgesprühtem Parfüm und der letzten Zaziki-Mahlzeit zu einer explosiven Mischung vereinen. 

Im Winter schwitzt man obenherum, während die Füße bei jeder Öffnung der Türen von Polarwinden umweht werden. Inzwischen beginnen, beim Stehen Wange an Wange, die eigenen Hautbakterien mit denen des wildfremden Nachbarn genetische Informationen auszutauschen. Wäre ich noch immer häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, würde ich heute jede Lauterbach-Propaganda glauben, denn ich fing mir jedes einzelne Erkältungsvirus zwischen Viersen und Kempen ein. Der Bus als günstigstes Biowaffenlabor der Welt, das könnte sich Putin nicht besser ausdenken: 

"Einmarschieren! Die Deutschen testen Kampfstoffe an ihrer Bevölkerung! In tausenden rollenden Laboren!"

Verlöre man das Bewusstsein, fiele es keinem auf, denn die Masse hält einen aufrecht. Vor allem, wenn die Fahrgäste um einen herum alle gleichzeitig einatmen. Wohl dem, der es rechtzeitig zur Tür schafft, wenn seine Haltestelle erreicht ist. Mit etwas Pech gelingt einem der Ausstieg erst in einem abgelegenen Gewerbegebiet in Südfinnland, der nächste Bus zurück fährt zwei Wochen später und im Funkloch sitzt man sowieso. Die Mitfahrenden sind in Sekundenschnelle im Nirvana verschwunden. Tatsächlich keimt nun der Verdacht auf, man sei Teil eines vom Bundesamt für Katastrophenschutz erdachten Massenstresstests. Oder wie lässt es sich sonst erklären, dass ausgerechnet der dringend benötigte Anschlussbus im Gegensatz zum eigenen immer pünktlich losfährt oder man höchstens noch dessen Rücklichter sehen kann? Das geht nicht mit rechten Dingen zu. 

Abends dann dieselbe Tortur - im Winter friert man stundenlang an einer Bushaltestelle ohne nutzbare Bank, wagt es aber nicht, sich am naheliegenden Kiosk ein Heißgetränk zu kaufen, weil der Bus genau in dieser Sekunde doch noch kommt und gerade einen Wimpernschlag lang anhält. Aber es gibt doch Apps für so etwas? Das mag sein, aber wirklich verlässlich sind sie nicht. Einkaufen muss man auch noch und die schweren Tüten eine Viertelstunde nach Hause schleppen. Ich wette, Luisa Neubauer musste noch nie mit zwei prallgefüllten Taschen und unter den Arm geklemmtem Toilettenpapier nach getaner Arbeit nach Hause ächzen. In ihren Kreisen ist es lediglich üblich, uns zu erklären, wir sollten uns in Anbetracht der weltpolitischen Lage nicht über derlei Luxusprobleme echauffieren. In Afrika müsse man schließlich auch 20 Kilometer zum nächsten Wasserloch laufen. Das ist zwar korrekt - aber die Lisas, Gretas und Georg Restles dieser Welt würden das selbst auch nicht tun - es sei denn, ein Fernsehteam begleitete sie dabei. Ihr Verstand weigert sich einfach zu begreifen, dass es einen gewaltigen Unterschied macht, ob man sich freiwillig für begrenzte Zeit entschließt, auf etwas zu verzichten oder man es sich schlichtweg nicht leisten kann. Die Arroganz dahinter lässt bei mir ein gewisses Verständnis für die französische Revolution aufkeimen. Es wirkt einfach ungeheuer "sympathisch", wenn einem wohlsituierte Menschen sagen, wie man korrekt arm zu sein hat.

Das von mir Beschriebene ist - wenn auch mit kleinen Übertreibungen - der ärgerliche, zermürbende Alltag, in dem man sich oft fragt, wie viel Zeit einem noch für ein bisschen Entspannung, ein Buch oder auch mal einen Kinobesuch bleibt. Am nächsten Tag muss man schließlich schon wieder um fünf Uhr aufstehen, um wieder ins Hamsterrad zu steigen. Es geht hier nicht um das Schüren von Sozialneid - das pralle Konto sei ihnen gegönnt - sondern um die dahinter stehende Heuchelei. Man belehrt und über Mikroaggressionen und politische Korrektheit, über das Fernhalten jeder Unbequemlichkeit von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Aber Alltagsschikanen sollen klaglos ertragen werden. Man könnte das als jugendliche Naivität abtun, wenn es nicht längst Teil der etablierten Politik wäre. In der Großstadt - dem Habitat von Luisa & Co. mögen diese Träume von der Verkehrswende noch einigermaßen funktionieren, dort gibt es ein gut ausgebautes Netz. In Kleinstädten sieht es jedoch anders aus - da sitzt man einfach fest. Dort würde sich unsere Luisa nach dem Shopping sehr wundern - und wahrscheinlich erst einmal nach Mamas SUV rufen. Ihre Tipps gelten nämlich nur für uns.




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